Es ist kaum zwölf Jahre her, dass das Prostitutionsgesetz in Deutschland verabschiedet wurde und das Gewerbe von der »Sittenwidrigkeit« befreite. Es sollte Prostituierten bessere Arbeitsbedingungen sichern, es ihnen ermöglichen, ihren Lohn gerichtlich einzuklagen und in die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung einzuzahlen. Nun hat die große Koalition das Thema erneut auf die Tagesordnung gesetzt und will die wenigen Errungenschaften schon wieder rückgängig machen. In der medialen Öffentlichkeit finden vor allem Forderungen nach einem generellen Prostitutionsverbot und einer Bestrafung der Freier Beachtung. SexarbeiterInnen kommen in dieser moralisierenden Erzählung in der Regel nur als willenlose, ausgebeutete Wesen vor, die es zu ›retten‹ gelte. Doch es gibt auch die anderen, in liberalen, linken, teils queer-feministischen Zusammenhängen geführten Diskussionen. Sie sind von einem solidarischen Impetus getragen und treffen doch nicht immer den Punkt.
PG Macioti (2014) beispielsweise analysiert Prostitution in einem komplizierten Geflecht aus Macht, Ökonomie, Geschlecht, Sexualität und Migration im Kontext von Politik, Arbeit und Moral. Eine progressive Prostitutionspolitik müsse gleichzeitig das »Hurenstigma« und die »Kriminalisierung von Sexarbeit« bekämpfen. Ersteres sieht sie als wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu anderen Erwerbstätigkeiten, weshalb eine Anti-Stigma-Arbeit für sie zentral ist, um Veränderungen in der Praxis zu erreichen. Ein Aspekt bleibt, wie sooft, unterbelichtet: Sexarbeit ist in erster Linie Arbeit. Menschen gehen gern oder weniger gern, professionell oder laienhaft, regelmäßig oder als Hobby diesem Beruf nach, verdienen damit ihren Lebensunterhalt und zahlen Steuern auf ihre Einnahmen. Es gibt Kunden, die diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen, und es gibt Bordelle, kleine und große, mit unterschiedlichen Angeboten, die den SexarbeiterInnen und den Kunden die Infrastruktur zur Verfügung stellen – einen Arbeitsplatz. Das Gewerbe ist so heterogen wie die dort tätigen Menschen.
Eine Art Sippenhaft
Bei Prostitution handelt es sich um einen Wirtschaftsbereich, und doch wird durch seine moralische Überformung seit Jahrhunderten verhindert, dass er sich ›normalisiert‹. Reformbestrebungen und Organisierungsansätze haben es hier besonders schwer. Im Gegensatz zu anderen Bereichen gibt es bei uns beispielsweise eine Art ›Sippenhaft‹: Ein Mann, der sich an die Verhandlungen mit der Hure hält, für die Leistung einen fairen Preis zahlt und in seinem Umfeld zu dieser Form der Sexualität stehen kann, ist ein guter Kunde. Und doch scheint er nicht nur für sich zu ›haften‹, sondern muss sich rechtfertigen für andere Kunden, die nicht safe verkehren, die alles billig wollen und unerfahrene oder abhängige SexarbeiterInnen ausbeuten. Gleiches gilt für eine Bordellbetreiberin, die saubere, mit einem gewissen Ambiente und für das Geschäft notwendigen Arbeitsutensilien ausgestattete Räume zur Verfügung stellt, die Professionalität der Frauen durch Workshops und Informationsveranstaltungen fördert, für die Nutzung der Räume einen angemessenen Preis ansetzt und diesen auch quittiert. Wieso sollte sie für die Bedingungen in anderen Bordellen verantwortlich sein? In keinem Gastronomiebetrieb wird der Inhaberin zum Vorwurf gemacht, dass die Kneipe nebenan Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus zu sklavenähnlichen Bedingungen und unterirdischen Löhnen beschäftigt. Wegen Tabuisierung und Moral entwickeln sich folglich in dieser Branche keine ›Best Practices‹, die Debatte orientiert sich immer am untersten Niveau, und es stehen sich seit eh und je zwei Lager gegenüber: die Prostitutionsgegner und die Befürworter. Dadurch ist niemandem geholfen, schon gar nicht den vermeintlichen Opfern: Eine gerade eingereiste bulgarische Kollegin braucht Einstiegsberatungen, um den Job gut ausüben zu können, ohne Schaden zu nehmen und um sich zu professionalisieren. Das Erlernen der Sprache und eine private Wohnung sind hier entscheidend. Jede andere Sexarbeiterin braucht ständig Motivation und Kraft, um den Spagat zwischen der Arbeit, zufriedenen Kunden und einem Doppelleben wegen befürchteter Repressalien zu bewerkstelligen. Supervision gibt es in allen anderen sozialen Dienstleistungsberufen – nur bei uns nicht.
Bündnisse müssen her
Um hier voranzukommen, müssen neue Bündnisse her. Gewerkschaften wären mögliche Partner. Sie haben Erfahrungen mit dem Aufbau von betrieblichen Interessenvertretungen, mit Bildungsarbeit und Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite. In der Vergangenheit haben sie sich immer mal wieder für die Belange von Prostituierten eingesetzt, sich dann aber schnell wieder zurückgezogen. Das Feld ist kompliziert, und bislang fehlen verlässliche Organisationsstrukturen. Diese wären aber für eine Entstigmatisierung der Prostitution und eine Stärkung aller Beteiligten wichtig. Ein erster Schritt könnte darin bestehen, SexarbeiterInnen Know-how in arbeitsrechtlichen Fragen zur Verfügung zu stellen und sie in ihrem Bestreben nach sicheren Arbeitsplätzen und besseren Arbeitsbedingungen zu unterstützen.
Andere, weniger mächtige Organisationen tun das ihre: Schon lange hat die Behindertenbewegung erkannt, wie wichtig Sexualität fürs Wohlbefinden ist und kooperiert mit der Prostitutionsbranche. Auch Senioren- und Pflegeeinrichtungen sind ihnen gefolgt, sehen in unterstützten Formen von Sexualität positive Veränderungen für ihre BewohnerInnen und Einrichtungen. Sie danken es der Sexualassistentin, wie die Sexarbeiterin hier genannt wird, entsprechend mit Anerkennung und Respekt für ihre Tätigkeit.
Erste Schritte geht auch die Care-Bewegung. Zu einem guten Leben gehören nicht nur die Sorge für sich und andere, sondern auch Sexualität, und auch diese nimmt Schaden unter (Arbeits-)Bedingungen, die immer unfairer, zeitlich flexibler und unmenschlicher werden. Teile der Care-Bewegung sind auf SexarbeiterInnen als Care-ArbeiterInnen zugegangen. Sie grenzen sie nicht länger aus, sondern haben begonnen, gemeinsam mit ihnen Strategien für Veränderung zu entwickeln. Wichtig ist hier auch die Zusammenarbeit mit Initiativen, die sich um Fragen wie Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, Gesundheitsversorgung und andere soziale Rechte von MigrantInnen kümmern – nicht nur, aber eben auch mit Blick auf SexarbeiterInnen. Denn gerade weil das Gewerbe so stigmatisiert ist, arbeiten hier viele Menschen, denen es an elementaren Ressourcen und Informationen hinsichtlich ihrer Grundrechte mangelt.
Auch Kunst und Kultur spielen in der Bündnisfrage eine gute Rolle. SchauspielerInnen, RegisseurInnen sowie bildende KünstlerInnen und SchriftstellerInnen scheinen jenseits des Moralismus unbefangener mit Prostitution umgehen zu können. Sie suchen den Dialog und die Zusammenarbeit mit SexarbeiterInnen und nutzen sogar deren Arbeitsräume. So sind Kooperationsprojekte entstanden: SexarbeiterInnen haben mit SchauspielerInnen auf großen Bühnen gestanden, und KünstlerInnen haben zu Ausstellungen in Bordellen eingeladen. Die Veranstaltungen richten sich auch an die ›Normalbevölkerung‹. Eine Vernissage in einem Bordell ist eine Gelegenheit, sich nicht nur die Räume anzuschauen, sondern auch mit den dort Tätigen ins Gespräch zu kommen1. Man freut sich gemeinsam an der Kunst, lernt sich jenseits der Arbeit kennen und feiert zusammen.