Sie gerieten auch in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit, weil hier neue Strategien »kontrollierter Urbanität«, von Sicherheits- und Überwachungsstrategien bislang unbekannten Ausmaßes zur Anwendung gelangen, während gleichzeitig die Ordnungs- und Integrationsstrategien, die auf Multikulturalismus- und Diversity-Ansätzen beruhten, zu erodieren scheinen. Schließlich sorgen die neoliberalen Strategien unternehmerischer Stadtentwicklung, die den städtischen Raum ausschließlich als Arena wirtschaftlichen Wachstums begreifen, und die entsprechende Investitionen in neu gestylte, attraktive City-Zentren kanalisieren und die Kommerzialisierung öffentlichen Raums betreiben, für Zündstoff. Die Privatisierung öffentlicher Räume, Güter, und Dienstleistungen sorgte auch für aufkommende Debatten über Rekommunalisierung und Zurückeroberung der Commons. Diese Entwicklungen im politischen Raum der Städte werfen die Frage nach der Rolle städtischer Bewegungen auf: Wie reagieren sie auf die sich wandelnden Kontexte? Welche Perspektiven bieten sie an? Welche Fraktionierungen – und welche Bündnismöglichkeiten – haben sich ergeben? Und wie sollte eine progressive Stadtpolitik unter aktuellen Bedingungen aussehen? Um solche Fragen zu beantworten, stellt dieser Text die Entstehung und Entwicklung städtischer Bewegungen in den Kontext sich wandelnder polit-ökonomischer Regimes, ausgehend von der fordistisch-keynesianischen Stadt der 1960er Jahre über die sich intensivierenden Zyklen der urbanen Neoliberalisierung. Diese Makro-Trends haben nicht nur die Städte und ihre politischen Milieus, sondern auch die Bewegungen allmählich, aber grundlegend verändert. Auf dieser Grundlage lässt sich eruieren, was an den aktuellen Bewegungen neu bzw. anders ist, welche spezifischen Potenziale und Probleme sie bergen, und was angesichts dieser Entwicklung politisch geboten ist.

URBANE BEWEGUNGEN VON DER KRISE DES FORDISMUS ZUM NEOLIBERALISMUS

In den vergangenen 30 Jahren haben sich die Muster der Stadtentwicklung und des städtischen Regierens in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern immer mehr angeglichen, so dass es kaum verwundert, dass die dagegen gerichteten Bewegungen – jedenfalls im Globalen Norden – ähnliche Zyklen durchlaufen haben. Die erste Welle breiter städtischer Mobilisierung im Gefolge der Bewegungen der 1960er Jahre reagierte, wie so viele Kämpfe in dieser Zeit, auf die Krise des Fordismus. Wohnungskämpfe, Mietstreiks, Kampagnen gegen Sanierungsprogramme sowie Kämpfe für Jugend- und Gemeindezentren opponierten gegen »die Unwirtlichkeit unserer Städte«, wie Alexander Mitscherlich formulierte,2 und waren, wie andere Bewegungen dieser Phase auch, vom 1968er »Bedrohungskontext« politisiert. Dieser Kontext war nicht nur durch die Studenten-, Anti-Kriegs- und andere linke Bewegungen der 1960er und frühen 1970er Jahre konstituiert, sondern auch durch das Entgegenkommen der (häufig sozialdemokratischen) Regierungen dieser Zeit. Umkämpft war dabei nicht nur der Ausbau der Infrastruktur, sondern es ging auch um deren Preis, Qualität und die Möglichkeiten der Mitgestaltung – also um die kulturellen Normen der öffentlichen Einrichtungen kollektiven Konsums – seien es öffentliche Verkehrsmittel, Kinderläden oder Schulen. Sie stellten, in anderen Worten, die keynesianische Stadt in Frage, in der der Staat für einen Großteil der sozialen Reproduktion aufkam, und die den Höhepunkt jener Verbindung von Urbanität und sozialer Reproduktion darstellte, die viele Autoren dazu verleitete, das Urbane ausdrücklich über kollektiven Konsum zu definieren.3 Das Betätigungsfeld von Linken verschob sich in dieser Periode von der Fabrik in den Stadtteil, in die »reproduktive Sphäre«. Lotta Continua in Italien, der Revolutionäre Kampf in Frankfurt, oder das Economic Research and Action Project (ERAP) der Students for a Democratic Society (SDS) in den USA: Bewegungsgruppen identifizierten die »reproduktive Sphäre« als entscheidend für gesellschaftliche Veränderung. Hier gründeten sie Projekte zur Unterstützung und Radikalisierung einer Reihe sozialer Kämpfe, die sich um öffentliche Infrastruktur und Dienstleistungen zentrierten; und ihre Forderungen nach verbessertem kollektiven Konsum waren häufig in eine dynamische Infrastruktur progressiver Alternativprojekte eingebettet. Mit der Austeritätspolitik der 1980er Jahre traten die Bewegungen in eine neue Phase ein. Diese Politik leitete einen weltweiten Schwenk hin zu einem neoliberalen Paradigma ein, das in seiner anfänglichen Phase zunächst die Schleifung der keynesianischen Wohlfahrts- und sozialkollektivistischer Institutionen betrieb. Mit dieser Neoliberalisierung der Politik gelangte die so genannte »alte« soziale Frage zurück auf die Agenda der städtischen Bewegungen: Zunehmende Arbeitslosigkeit und Armut, »neue« Wohnungsnot, Aufstände in Sozialwohnungsgebieten und neue Besetzergenerationen veränderten die Zusammensetzung der urbanen Bewegungen, während lokale Verwaltungen angesichts zunehmender Finanznöte Interesse an innovativen und kostengünstigen Problemlösungen entwickelten. Dieser Druck führte zu einem allmählichen Wandel in den Beziehungen zwischen Bewegungen und lokalen Verwaltungen, von einer konfrontativen zu einer kooperativen Beziehung. Die lokalen Regierungen entdeckten, dass die Stadtteil- und zivilgesellschaftlichen Organisationen über ein Potenzial verfügten, das ihnen helfen konnte, ihre Finanz- und Legitimationsprobleme zu lindern. In diesem veränderten Kontext gingen die Bewegungen nach und nach »vom Protest zum Programm« über, denn dies half, ihre alternative Praxis auf stabilere Füße zu stellen. Mit Hilfe einer neuen Generation lokalstaatlicher Programme zur städtischen Revitalisierung sanierten sie ihre besetzten Häuser, schufen dabei Ausbildungsplätze, Qualifizierungs- und Integrationsangebote; dabei professionalisierten sie ihre Projekte mehr und mehr und konzentrierten sich zunehmend darauf, ihre Praxis in lokale Stadtteilentwicklungsprogramme einzuklinken und (mehr oder weniger alternative) Dienstleistungen zu entwickeln.4 Diese Entwicklung führte allerdings zu einer Spaltung zwischen den zunehmend professionalisierten Service-Organisationen einerseits und andererseits Gruppen, deren Bedürfnisse in diesen Arrangements nicht zum Zuge kamen und die sich folglich radikalisierten. Darüber hinaus komplizierte sich das Terrain durch das Aufkommen unterschiedlicher neuer, in den Mittelklassen verankerter Bewegungen, die über das ganze politische Spektrum verstreut waren und von defensiven NIMBY-Gruppen (not in my backyard) bis hin zu progressiven und Umweltschutzgruppen reichten. Kurz, in dieser frühen Phase der Neoliberalisierung zeigten sich vielfältige und stärker fragmentierte Protestformen in den Städten. Das Bewegungs milieu splitterte sich zunehmend in Teile auf, die kaum gemeinsam politisch agierten, weil es nur geringe Übereinstimmungen gab. Ab den 1990er Jahren, als neoliberale Regime begannen, auf die Probleme und Widersprüche der vorherigen Sparpolitik-Phase zu reagieren, kann von einer dritten Phase gesprochen werden. Zwar blieb der grundlegende neoliberale Imperativ, der städtischen Raum als Wachstumsarena und zur Durchsetzung von Marktdisziplin mobilisierte, als dominierendes kommunalpolitisches Projekt erhalten. Hinzu kam nun eine Betonung flankierender Mechanismen zur Abmilderung dieser Probleme, etwa lokale wirtschaftliche Entwicklungspolitik und kommunale Programme. Damit wurden die soziale Infrastruktur, die politische Kultur und die ökologischen Grundlagen der Stadt thematisiert – mit dem Fokus auf ihrer ökonomischen Verwertbarkeit. Neue Reformdiskurse (über Stadtteilerneuerung und soziales Kapital) sowie neue Institutionen und Formen sozialer Leistungen wurden eingeführt (integrierte Quartiersentwicklung, öffentlich-private Partnerschaften, alle mit Betonung auf bürgerschaftlichem Engagement). Die Konsequenzen dieser neuen städtischen Entwicklungspolitik und der faktischen Erosion sozialer Rechte, die sie mit sich brachte, ließen neue Abwehrbewegungen entstehen, die sich und ihre verbliebenen Privilegien zu schützen suchten; doch sie politisierten zugleich die Auseinandersetzungen in Richtung der Frage, wem die Stadt eigentlich gehören solle. Im Laufe dieses Jahrzehnts schwappten immer wieder neue Wellen von gegen Gentrifizierung gerichteten Kämpfen über New York, Paris, Amsterdam, Berlin und Zürich und später auch Istanbul und Zagreb, und Parolen wie »Die, yuppie scum!« globalisierten sich – während die professionalisierten Stadtteilgruppen in kommunale Revitalisierungs- und Aktivierungsprogramme kooptiert wurden. Mit dem Dotcom-Crash 2001, am Höhepunkt und zugleich Beginn der Krise des Neoliberalismus, treten wir in eine (vierte) Phase ein, in der Urbanisierung zum globalen Phänomen geworden ist dank der Integration der Finanzmärkte, die ihre Flexibilität und Deregulierung weltweit für eine schuldenfinanzierte Strategie städtischer Entwicklung genutzt haben. Während Wachstumsraten in dieser Phase zu stagnieren begannen, verschärften sich die sozialen Spaltungsprozesse und drücken sich zunehmend in sozialräumlichen Polarisierungen aus. Gleichzeitig haben »Sozialreformen« überall Wohlfahrt durch Workfare ersetzt. Diese Entwicklungen begrenzten und verengten auf vielfache Weise den Raum für sozialen Widerstand. Die Bewegungen agieren nun nicht mehr innerhalb der keynesianischen Stadt, in der Kämpfe zur Verbesserung des kollektiven Konsums noch möglich waren. Stattdessen sind die Bewegungen mit einer »neoliberalen Stadt« konfrontiert, wo sie hauptsächlich entlang von drei Bruchlinien von sich intensivierender Neoliberalisierung städtischen Regierens mobilisieren: 1 | Primäres Kennzeichen neoliberalen städtischen Regierens ist die Dominanz der Wachstumspolitik. Dieses hat Proteste ausgelöst gegen die Formen, Ziele und Wirkungen einer Stadtentwicklung, die sich primär an den Interessen der multinationalen Konzerne orientiert: Städtische Bewegungen bekämpfen die Investitionen in glitzernde neue CityZentren oder Megaprojekte für Sport und Unterhaltung, sie wehren sich gegen die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums und die damit einhergehende Aufrüstung und Überwachung, und sie protestieren gegen die Selbstvermarktung der Städte in der globalen Konkurrenz und die gleichzeitige Vernachlässigung von Vierteln, die dabei auf der Strecke bleiben. In vielen Städten führte die Forderung, statt Konzern- und Investoreninteressen auch Bürgerinteressen bei der Stadtentwicklung zu berücksichtigen, zur Einrichtung von Bürgerhaushalten. Solche Verfahren partizipativer Haushaltsplanung werden allerdings hierzulande weniger von Bewegungen angeeignet als beispielsweise in lateinamerikanischen Städten. Im Kampf gegen die Militärdiktatur und anschließend um die Redemokratisierung hat sich dort eine Kultur demokratischer Teilhabe entwickelt, und mit der neuen Verfassung in Brasilien von 1989 wurden Möglichkeiten für Formen direkter Demokratie sowie neue Kommunalräte geschaffen, in denen Bürger mit Stimmund Beschlussfassungsrecht die traditionelle Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft tatsächlich transzendieren.5 2 | Eine zweite Bruchlinie entfacht Mobilisierungen gegen die Neoliberalisierung der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, gegen den Abbau des Sozialstaats und für soziale und Umweltgerechtigkeit. Diese Mobilisierungen kommen immer öfter in Koalitionen zusammen mit Stadtteil- und Gewerkschaftsgruppen und solchen, die für die Rechte (migrantischer) Arbeiter kämpfen. In Deutschland sind es lokale Mobilisierungen gegen die Hartz-Gesetze, in Italien die sozialen Zentren, in den USA die Workers Centers. Diese Bewegungen führen die Organisierung um Konflikte am Arbeitsplatz mit Problemen im Quartier auf neue Arten zusammen und vereinen die Forderungen der prekär Beschäftigten mit denen der Arbeitslosen in neuen Koalitionen von Gewerkschaften und Organisationen, die für soziale Rechte kämpfen. 3 | Eine dritte Bruchlinie wurde zuerst von den transnationalen Anti-GlobalisierungsBewegungen thematisiert, die auf dem Weltsozialforum und anderen Treffen auf globaler Ebene erkannt haben, dass »das Lokale« – ihre Stadt – der Ort ist, wo die Globalisierung »landet« und sich materialisiert, wo globale Themen ihre lokale Form erhalten. Diese Bewegungen fordern nicht nur die Demokratisierung internationaler Institutionen, sondern haben sich zunehmend der Verteidigung öffentlicher Dienstleistungen und Institutionen in ihren Städten zugewandt, weil sie entdeckten, dass Themen wie die Privatisierung öffentlicher Güter und die Verletzung sozialer Rechte sie real mit Bewegungen überall auf der Welt verbinden. Organisationen wie die Sozialforen oder Attac haben die Forderung nach »globaler Gerechtigkeit« auf die lokale Ebene getragen, wo sie Kampagnen gegen Einschnitte bei den Sozialsystemen und für Rechte eingewanderter Arbeiter oder Arbeiter im Workfare-System organisieren und Koalitionen mit lokalen Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und Kirchen schmieden. Während die Neoliberalisierung der Stadt also in vielerlei Hinsicht ein feindlicheres Umfeld für progressive Bewegungen geschaffen hat, sorgte sie doch auch für eine globalere Artikulation städtischen Protests und sie hat einige dieser Stränge unter dem gemeinsamen Motto des »Rechts auf Stadt« wieder zusammengeführt.

DIE AKTUELLE PHASE: RECHT AUF STADT

Die Rezession, die 2008 die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder erfasst hat, eröffnet den städtischen Bewegungen ein Gelegenheitsfenster. Überall in Europa – von Athen bis Kopenhagen, von Reykjavik bis Rom, von Paris bis London, von Riga bis Kiew – brachen Demonstrationen, Streiks und Proteste aus. Seit dem Frühjahr 2009 wurden diese Proteste zunehmend koordinierter und besser organisiert. Im März 2009 und wieder im Juni 2010 kam es in mehreren deutschen Städten zu Demonstrationen und anderen Aktionen unter dem Motto »Wir zahlen nicht für eure Krise.« In einer Aktionswoche unter dem Banner »Put people first«, die sich auf das G20-Treffen 2009 in London konzentrierte, wurde auch ein Klimacamp vor dem Gebäude der European Climate Exchange eingerichtet, womit verdeutlicht wurde, dass eben dieses für die Krise verantwortliche Finanzsystem nun mit der Reduktion von Emissionen betraut wird über die künstliche Schaffung eines Markts für CO2-Zertifikate. Auch 2010 fanden vielerlei Aktionen, Tribunale und Proteste gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Steuerzahler statt, die sich in vielen Städten v.a. Frankreichs und Spaniens zugespitzt haben. Dabei sind es keineswegs nur die AntiGlobalisierungs-Bewegung und auch nicht nur junge Aktivisten, die über die unzulänglichen Reaktionen ihrer Regierungen auf die Finanz- und Wirtschaftskrise aufgebracht sind und die sich darüber erregen, welch riesige Summen an öffentlichen Geldern an die Banken ausgeteilt werden, während entlassene Arbeiter und ihrer Häuser verlustig gegangene Wohnungseigentümer wenig Hilfe erhalten; immer mehr Menschen beginnen, die Legitimität dieses Systems anzuzweifeln. Die Rezession hat die Bruchstellen sichtbar gemacht, entlang derer die städtischen sozialen Bewegungen in den letzten Jahren mobilisiert haben, und sie hat damit ihre Forderungen und Argumente über die Destruktivität und mangelnde Nachhaltigkeit des neoliberalen Wachstumsmodells bestätigt. In dieser Situation, in der eine wachsende Zahl von Stadtbewohnern ihre lang für selbstverständlich gehaltenen Rechte schwinden sieht, ist das »Recht auf Stadt« zu einem brisanten Thema geworden. Es findet bei unterschiedlichen Gruppen Anklang, die in der einen oder anderen Form den Verlust angestammter Rechte erfahren: Soziale, politische, ökonomische sowie Bürgerrechte, Zugangs- wie Mitbestimmungsrechte schwinden. Bewegungen, die sich um die drei skizzierten Bruchlinien gebildet haben, könnte es gelingen, benachteiligte und ausgeschlossene Gruppen mit antikapitalistischen und globalisierungskritischen Gruppen (die vielleicht nicht materiell benachteiligt, aber kulturell entfremdet oder unzufrieden sind) zusammenzubringen; stellenweise ist dies bereits geglückt. Verknüpfungen zwischen den Kämpfen in den Metropolen der so genannten Ersten Welt und denen in Städten des Globalen Südens – wo der Widerstand gegen Privatisierung, Spekulation, Zwangsräumungen und Vertreibung um einiges existenzieller ist – sind ganz konkret und spürbar geworden, als viele Gruppen feststellten, dass häufig dieselben globalen Konzerne und Immobilienentwickler für die Vertreibung, Räumung oder Privatisierung öffentlicher Güter verantwortlich sind. Das Motto »Recht auf Stadt« leuchtet in dieser Situation unmittelbar ein: Es verdichtet Themen und ist mobilisierungsträchtig. Allerdings beziehen sich die Bewegungen unterschiedlich auf die Forderung. Auf der einen Seite sehen wir Bewegungen, die Lefebvres Ansatz folgen, demzufolge Urbanisierung als Transformation der Gesellschaft und des täglichen Lebens durch das Kapital verstanden wird. Gegen diese Urbanisierung suchte Lefebvre, Rechte vermittels sozialen und politischen Handelns zu schaffen: Die Straße – und ihre Inanspruchnahme – kreieren solche Rechte. In diesem Sinne ist das Recht auf Stadt weniger eine juristische Angelegenheit als eine oppositionelle Forderung, die die Ansprüche der Reichen und Mächtigen anzweifelt. Es ist ein Recht auf Umverteilung, nicht für alle, sondern für diejenigen, die dieses Rechtes beraubt sind und seiner bedürfen. Es ist ein Recht, das nur in dem Maße existiert, wie die Menschen sich es (und die Stadt) nehmen. Diese Art von Aneignung meinte Lefebvre im 1968er Paris zu entdecken, und darauf beziehen sich heutige Gruppen – teils explizit, teils implizit. Ob in Hamburg, Berlin oder Zagreb: In vielen lokalen Kämpfen beziehen sich Aktivisten auf dieses Konzept und versuchen, Bündnisse über Städte- und Themengrenzen hinweg zu bilden, zwischen Hausbesetzern und Künstlern, linken Organisationen und Kulturschaffenden, Kleinunternehmern und prekär Arbeitenden – denn sie alle erfahren sich durch Gentrifizierung, Großprojekte und Vertreibung bedroht. In den USA wird das Konzept als Organisationsprinzip angewandt, wie bei der Right to the City Alliance (vgl. Jon Liss in diesem Heft). Auf der anderen Seite hat das »Recht auf Stadt« jedoch auch bei internationalen NGOs und diversen Lobbyorganisationen Zugkraft entwickelt, und auch hierzulande beteiligen sich Kommunalpolitiker am »Internationalen Trialog«, gesponsort bspw. durch die Friedrich-Ebert-Stiftung.6 In diesen Zusammenhängen wird zumeist Bezug genommen auf Instrumente, Agenden und Chartas, die von verschiedenen inter- und transnationalen politischen Netzwerke und NGOs entwickelt wurden, darunter solchen, die Unterstützung aus UN-Programmen wie Habitat erhalten. Bereits 2004 präsentierte die Habitat International Coalition zusammen mit anderen Organisationen den Entwurf einer »Weltcharta zum Recht auf die Stadt« beim Sozialforum der Amerikas in Quito und beim zweiten World Urban Forum in Barcelona; auf dem Weltsozialforum 2005 in Porto Alegre wurde diese Charta angenommen. Das Ziel der Weltcharta zum Recht auf die Stadt ist die Einführung rechtlicher Überprüfungsinstrumente, um die Durchsetzung anerkannter Menschenrechte, sozialer Rechte und Bürgerrechte sicherzustellen. UN-Habitat und UNESCO setzten 2005 über eine ständige Arbeitsgruppe zu »Stadtpolitik und das Recht auf Stadt« und regelmäßige jährliche Treffen im UNESCO-Hauptsitz in Paris, Barcelona oder Montreal eine öffentliche Diskussion in Gang. Dabei versuchen UN-Habitat und UNESCO zusammen mit internationalen NGOs, einen Konsens zwischen den zentralen Akteuren – wobei Kommunalverwaltungen für sie die wichtigsten sind – über Politiken herzustellen, die nachhaltige, gerechte und demokratische Städte garantieren sollen. In ihrem Bemühen, »unsere verwundbarsten Stadtbewohner« stärker als die Investoren und Developer ins Zentrum der Politik zu stellen, listen die Chartas spezifische Rechte auf, die eine fortschrittliche Stadtpolitik ganz besonders schützen sollte. Zum Beispiel umfasst laut Paragraph 11 das Recht auf Stadt »die international anerkannten Menschenrechte auf Wohnung, soziale Sicherheit, Arbeit, angemessenen Lebensstandard, Freizeit, Information, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Nahrung und Wasser, Schutz vor Enteignung, Mitbestimmung und Ausdrucksfreiheit, Gesundheit, Bildung, Kultur, Privatsphäre und Sicherheit, eine sichere und gesunde Umwelt«; Paragraph 12 spezifiziert eine noch längere Liste von Menschenrechten. Alle diese Rechte sollen sämtlichen »städtischen EinwohnerInnen« zugute kommen, aber einige Gruppen (wie Arme, Kranke, Behinderte und Migranten) werden als besonders schutzbedürftig hervorgehoben. Eine amorphe Einheit wie »städtische Einwohner« als Träger des Rechts auf Stadt zu bestimmen, ist jedoch ebenso problematisch wie die Aufzählung besonders verwundbarer Gruppen. Das Problem mit der Auflistung bestimmter gefährdeter Gruppen ist, dass damit notwendigerweise diejenigen ausgeschlossen werden, die nicht in die Liste aufgenommen worden sind. Und das Problem bei der allgemeinen Kategorie »städtischer Einwohner« besteht darin, dass die städtische (Zivil-)Gesellschaft als im Grunde homogen und insgesamt als schützenswert vor (bedrohlichen) neoliberalen Kräften erscheint – als ob sich nicht auch hier wirtschaftliche und politische Akteure befänden, die an der Produktion von Armut und Diskriminierung beteiligt sind und davon profitieren. Eine solche Sicht auf die Stadt verschleiert die Tatsache, dass die städtische (Zivil-)Gesellschaft sowohl klassenmäßig als auch in Bezug auf den Zugang zu Macht tief gespalten ist: Sie schließt ArbeiterInnen und Arme ebenso ein wie Gruppen, die von neoliberalen Strategien oder migrantenfeindlicher Politik profitieren. Dennoch könnte man einwenden, dass diese Rechte auf Teilhabe an allem, was die Stadt zu bieten hat, wenn sie denn vollständig durchgesetzt würden, bedeutende Verbesserungen mit sich brächten. Das wird jedoch kaum der Fall sein, denn all diese aufgezählten Rechte laufen letztlich nur auf Ansprüche auf Teilhabe am gegenwärtigen System – so wie es existiert – hinaus; sie zielen nicht darauf ab, dieses real existierende System – und dabei auch uns selbst – zu verändern. Die Forderungen nach den aufgezählten einzelnen Rechten zielen jeweils nur auf einzelne Aspekte neoliberaler Politik, zum Beispiel bei der Armutsbekämpfung, aber nicht auf die zugrunde liegende Wirtschaftspolitik, die systematisch Ausbeutung, Armut und Ausschluss produziert. Wenn man sich schließlich ansieht, wie diese Chartas in der Praxis funktionieren, stellt man fest, dass sie als Vorlage für an »good urban governance« interessierten Kommunen und NGOs gedacht sind, die dann durch UN-Habitat-Kampagnen, wie bspw. die »Global Campaign on Urban Governance«, beworben werden. In solchen Kampagnen wird anhand von Techniken für partizipatorische Entscheidungsfindung, Transparenz in lokalem Regierungshandeln oder Bürgerhaushalten demonstriert, wie diese Prinzipien in die Praxis umgesetzt werden können. Solche »toolkit«-Angebote mögen hilfreiche Leitlinien bieten, aber sie blenden die Tatsache aus, dass eine grundlegende Erneuerung der Stadt immer auch ein Kampf um Macht ist, und dass dieser Kampf nicht (lokalen) Regierungen überlassen werden kann, auch nicht sozialdemokratischen. Sicherlich steigert die öffentliche Anerkennung durch staatliche und UN-Institutionen den Einfluss der Recht auf Stadt-Forderungen und der sie tragenden Bewegungen. Aber gleichzeitig verändern die Chartas und die sie vertretenden Koalitionen in diesem Prozess den politischen Bedeutungsgehalt des umkämpften Rechts auf Stadt. Sie tendieren zur Verwässerung und Entschärfung von Bewegungsforderungen, die tatsächlich auf die Transformation der existierenden Stadt zielen. Wir können also schlussfolgern, dass das Recht auf Stadt heute auf der Agenda steht. Potenzielle Akteure für diesen Kampf zeigen sich überall und die Chancen für Konvergenzen und Koalitionen werden immer besser. Aber die Bewegung für das Recht auf Stadt birgt neue Fallen und Tücken, die unsere Achtsamkeit erfordern, wie anhand der Chartas und der entsprechenden toolkits aufgezeigt wurde. Nicht nur auf dem NGOdominierten internationalen Terrain, auch in den lokalen Auseinandersetzungen gilt es, auf neuartige Klippen und Untiefen zu achten. Gerade in den gefeierten neuen Koalitionen, wo – wie in Hamburg oder Berlin – alternative Kulturschaffende, autonome Häuserkämpfer und Verteidiger historischer Bausubstanz im Kampf gegen Developer und Investoren zur Rettung bedrohter Quartiere zusammen- finden, sind spezifische Kooptations- und Spaltungsprozesse oft programmiert. Zum Beispiel dort, wo Gruppen – besonders unter früheren Hausbesetzern und jungen Kulturaktivisten – sich mehr für eine Stadt interessieren, die ihren – selbstbestimmten, autonomen und sonst wie politisch korrekten – Freiraum garantiert, und sich weniger um die Ausgrenzung und Repression benachteiligten Gruppen bekümmern. Solchen Gruppen und Projekten gelingt es zunehmend, ihr eigenes Überleben dadurch zu sichern, dass sie sich in die frisch aufgelegten Programme zur Beförderung der »kreativen Stadt« einklinken, welche die dynamischen lokalen kulturellen Milieus als Standortvorteil in der sich verschärfenden Städtekonkurrenz zu instrumentalisieren trachten. Um als soziale Bewegungen Stärke zu entfalten und nicht nur alternative Spielwiesen zu sichern, müssten die Beteiligten sowie (partei)linke Unterstützer bei ihrer Strategieentwicklung realisieren, dass befreite Räume auch immer in die dominante Praxis (re)absorbiert werden können; gerade die neoliberale (Stadt)Politik ist besonders geschickt und erfolgreich im Kapern und Vereinnahmen oppositioneller und rebellischer Forderungen und Repertoires. Diese Realisierung ist umso mehr geboten, als – global gesehen – wenig gewonnen ist, wenn wir die europäischen Städte zu interessanten Biotopen kulturell ambitionierter und ökologisch aufgeklärter »kreativer Klassen« entwickeln. Vielmehr gilt es auch, die relative Privilegiertheit der reichen Regionen im Auge zu behalten, um angemessene Kriterien für unsere politischen Ziele zu definieren. Auf diesen zentralen Zusammenhang verwies Mike Davis7 knapp und treffend: »Demonstrationsprojekte in reichen Vierteln und wohlhabenden Ländern werden die Welt nicht retten. Sicherlich können heute die Reicheren aus einer Fülle von Angeboten für Öko-Lebensweisen wählen, aber was ist unser Ziel? Wohlmeinenden Prominenten zu ermöglichen, mit ihrem CO2-armen Lebensstil zu prahlen, oder Solarenergie, Toiletten, Kinderkliniken und öffentliche Verkehrssysteme in arme Regionen zu bringen?« Aus dem Englischen von Daniel Fastner und Margit Mayer  

Anmerkungen

1 1999 hat Rot-Grün das Städtebauförderungsprogramm »Soziale Stadt« aufgelegt. Das Bundesbauministerium unter Ramsauer avisiert nun (Oktober 2010) nicht nur eine 25-prozentige Kürzung, sondern auch eine Reduktion auf reine Bauvorhaben, d.h. soziale Projekte – das zentrale Element der »Sozialen Stadt« – wären nicht mehr förderungsfähig (http://sozialestadt2011.wordpress.com/). 2 Alexander Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer Städte, 1965 erstmals veröffentlicht, 2008 neu aufgelegt. 3 Manuel Castells beispielsweise entwickelte seine Definition städtischer Bewegungen aus der Praxis jener Zeit heraus und konstatierte, dass nur solche Bewegungen, die Kämpfe um gesellschaftlichen Konsum mit solchen für communityKultur und politische Selbstverwaltung verbänden, als soziale Bewegungen gelten könnten und fähig wären, städtische Bedeutungszuweisungen zu transformieren (Castells, The City and the Grassroots, London 1983). 4 Die Etablierung alternativer Sanierungsträger, die Einführung von Selbsthilfeförderprogrammen und die Finanzierung von Initiativen auf dem Zweiten Arbeitsmarkt verlief allerdings selten reibungslos, aber bis Mitte der 1980er Jahre waren auch die vergleichsweise anti-staatlich eingestellten westdeutschen Bewegungsprojekte Empfänger von »Staatsknete« oder fanden sich als Modellprojekte im Rahmen kommunaler Beschäftigungs- und Sozialprogramme. Vgl. M. Mayer, »Staatsknete und neue soziale Bewegungen«, in: Thomas Kreuder, Hanno Loewy (Hg.), Konservativismus in der Strukturkrise. Frankfurt/M 1987, 484–502. 5 Vgl. Lutz Brangsch, Der Beteiligungshaushalt in Porto Alegre, Rosa-Luxemburg-Stiftung Seminarmaterial März 2007, http://www.brangsch.de/partizipation/interv.htm 6 Internationale Konferenz »Recht auf Stadt. Wie Bürger/ innen Stadt und Politik gestalten. Istanbul – MexikoCity – Berlin«, 30. Oktober 2010, www.fes.de/aktuell/documents2010/101030_Stadt.pdf 7 Mike Davis, »Who Will Build the Arc?«, New Left Review 61, Januar–Februar 2010, 44