Viele Vorbehalte, wie eine Quote bedeute einen Generalverdacht gegen Einstellende, reduziere Menschen auf ein bestimmtes Merkmal oder sei eine ungerechte Bevorzugung kennen wir aus den Debatten und Widerständen gegen die Frauenquote. In dieser Diskussion kamen sie leider auch von deren Vorkämpferinnen. So positionierte sich die Berliner SPD-Vorsitzende und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey gegen die „Migrationsquote“, obwohl sie selbst wenig vorher zur Verteidigung der Frauenquote anführte, dass „der eine Thomas den anderen Thomas, der eine Michael den anderen Michael“ fördere und „Kontakte, Beziehungen und Sympathien in festgefügten Netzwerken von Männern“ dazu führten, dass ein Kreislauf entstünde, in den Frauen nicht eindringen könnten. Diese Förderung von Personen, die einem ähnlich erscheinen, nennt die Journalistin und Teilhabe-Expertin Ferda Ataman „similar-to-me“ Effekt und weist daraufhin, dass das gleiche Phänomen auch Menschen mit Migrationsgeschichte betreffe. In der SPD war die Bereitschaft für ein weiteres umstrittenes antirassistisches Projekt wohl auch deswegen gering, weil sie sich kurz zuvor durch das Mittragen des Landesantidiskriminierungsgesetzes viel Kritik in ihrer Wählerschaft eingehandelt hatte.
Raus aus der Defensive
Trotz des Gegenwinds wirkte die Debatte auch stärkend, weil sich migrantisierte sowie sich antirassistisch positionierende Menschen über die verschiedensten Zusammenhänge und Communities hinweg zu Wort meldeten, Diskriminierung anprangerten und Teilhabe einforderten. Es entstand eine Art Wettbewerb zwischen den sich als offen verstehenden Parteien und Politiker*innen, wer mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in den eigenen Reihen habe. Dass es einen solchen Wettbewerb gibt ist gut und zeigt, dass inzwischen auch Entscheidungsträger*innen erkannt haben, dass sie sich anstrengen müssen, um ihre Strukturen durchlässiger zu machen. Denn ohne Vielfalt und Teilhabe Aller werden wir es weiter mit einem erheblichen Demokratiedefizit zu tun haben.
Als LINKE haben wir, wie auch einige Verbände, versucht die hinter der Quotenforderung stehende Klassenfrage in der Debatte stark zu machen. Schließlich sind Menschen mit Migrationsgeschichte besonders häufig von prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen betroffen, haben schlechtere Bildungs- und Aufstiegschancen als andere. Insofern sollte das Gesetz mit seinen vielen Förderelementen auch einen sozialen Nachteislausgleich darstellen und dazu beitragen Chancengleichheit herzustellen.
Die Debatte hat sich sehr stark auf die Quote fokussiert. Andere wichtige Teilhabeaspekte des Gesetzes und gesellschaftliche Schieflagen, die einen Nachteilsausgleich erforderlich machen, haben weniger eine Rolle gespielt. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass vor allem Zuspitzungen und Themen mit einem hohen Konfliktpotential medial durchdringen. Für uns barg das die Gefahr, Erwartungen zu enttäuschen, falls wir uns nicht durchsetzen.
Scheitern und Erfolg
Letztlich ist eine verbindliche Einstellungsquote am Widerstand der SPD gescheitert. Dennoch sind wichtige Fortschritte erzielt worden, die ohne die weitgehenden Vorschläge von Elke Breitenbach und der Berliner LINKEN nicht möglich gewesen wären. Ähnlich zentral waren jedoch die politische Bereitschaft auch öffentlich in den Konflikt zu gehen sowie der Rückenwind und das Zusammenspiel mit der Berliner Stadtgesellschaft.
Statt einer einklagbaren Quotenregelung ist lediglich eine Zielvereinbarung beschlossen worden, diese steht aber immerhin im Gesetz statt bloß in Förderplänen. Dies ist insofern als Erfolg zu werden, als sie sowohl für Einstellungen als auch bei der Ausbildungsplatzvergabe vorsieht, auf allen Ebenen mindestens den Anteil von Personen mit „Migrationshintergrund“ abzubilden, der dem Berliner Bevölkerungsanteil entspricht. Außerdem wird eine Dokumentationspflicht für Einstellungsverfahren eingeführt, welche die Defizite transparent machen wird. Besonders wichtig für die Kontrolle der Umsetzung des Gesetzes ist, dass endlich eine Rechtsgrundlage zur flächendeckenden auf freiwilligen Angaben beruhenden Datenerhebung geschaffen wird, die transparent machen wird, in welcher Besoldungsgruppe wie viele Menschen mit „Migrationshintergrund“ beschäftigt sind. So können zielgenaue Maßnahmen ergriffen und Förderpläne geschrieben werden. Schließlich wurde die Zielgruppe des Gesetzes erweitert und erstmals die Begriffe „Menschen mit Migrationsgeschichte“ und „rassistisch Diskriminierte“ in einem Partizipationsgesetz eingeführt, die die zu fördernde Gruppe besser beschreiben.
[1] Ein solcher besteht, wenn die betroffene Person selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht schon bei Geburt besaß (vgl. § 6 Mikrozensusgesetz).
[2] Später haben andere Bundesländer, wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern ähnliche Gesetze erlassen und auch in anderen Bundesländern wurde darüber diskutiert.
[3] Neben dem von der Integrationsverwaltung in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten von Doris Liebscher, „Möglichkeiten zur Verbesserung der Chancen für Menschen mit Migrationshintergrund/Migrationsgeschichte durch eine Novellierung des PartIntG Berlin“ gehen auch Verfassungsrichterin Professorin Susanne Baer und Professorin Nora Markard von der Verfassunsgemäßheit positiver Maßnahmen wie der Einstellungsquote aus (vgl. Baer/Markard, Grundgesetz Kommentar Mangoldt u.w., 2. Aufl., 2018, Art. 3, Rn. 422 ff.). Vgl. außerdem Dr. Ibrahim Kanalan, Weder revolutionär noch eine Besonderheit – Verfassungsblog.
[4] Richtiger wäre es, die Quote und andere Fördermaßnahmen an dem Umstand der gesellschaftlichen Diskriminierung festzumachen und entsprechend eher an Kriterien wie „rassistisch diskriminierte Person“ oder zumindest „Person mit Migrationsgeschichte“. So können etwa weiße Nordeuropäer*innen nach der genannten Definition einen „Migrationshintergrund“ haben, sie sind aber deshalb meist nicht von Diskriminierung betroffen. Für Schwarze Menschen, deren Familien seit vielen Generationen in Deutschland leben und keinen „Migrationshintergrund“ mehr haben, sind jedoch Rassismus und Diskriminierung feste Größen in ihrem Alltag. Um Fördermaßnahmen wie eine Quote umsetzbar zu machen, bedarf es aber einer statistischen Bezugsgröße. Repräsentatives Datenmaterial liegt in Berlin und bundesweit bisher nur zum sogenannten Migrationshintergrund vor, der daher der Quote als Anknüpfungspunkt dient (vgl. dazu auch Liebscher 2019).
[5] Siehe dazu in den folgenden Fußnoten sowie in DER SPIEGEL, 26.1.2021; Tagesspiegel, 2.2.2021; ND, 18.1.2021; Verfassungsblog, 29.1.2021; BR Podcast, 19.1.2021; Tagesspiegel, 24.1.2021; SZ.de, 5.2.2021; ZEIT ONLINE, 26.1.2021; BZ, 23.1.2021; ARD, 19.1.2021.
[6] Vgl. Abgeordnetenhaus, Plenarprotokoll 18/71 v. 28. Januar 2021, Seite 8452 ff., Plenum - Protokoll (parlament-berlin.de); Elke Breitenbach fasste die gesellschaftliche Debatte, die sich auch im Parlament widerspiegelte, gut zusammen, indem sie auf den Reflex hinwies, „dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte per se ihre Eignung abgesprochen wird, in den öffentlichen Dienst zu gehen – und zwar bis tief hinein in Funktionärskreise von Parteien und Gewerkschaften“ und darauf, dass „ein zutiefst rassistisches Denken in dieser Gesellschaft verankert“ sei (siehe: https://m.tagesspiegel.de/berlin/berliner-senatorin-verteidigt-migrantenquote-rassistisches-denken-ist-tief-in-unserer-gesellschaft-verankert/26840408.html).
[7] Der Begriff der „Menschen mit Migrationsgeschichte“ wird im Gesetz überall dort verwandt, wo es nicht zwingend einer statistischen Bezugsgröße bedarf. Bei Fördermaßnahmen die auf eine statistische Bezugsgröße angewiesen sind, wird der Begriff der „Menschen mit Migrationshintergrund“ verwandt, zu dem Vergleichsdaten im Hinblick auf den Bevölkerungsanteil vorliegen, siehe auch Fußnote 4.
8] Der Begriff „Integration“ suggeriert, dass es eine heterogene vorzufindende Gesellschaft gäbe, in die sich (vermeintlich) Hinzugekommene integrieren müssten, dabei muss es um die gemeinsame Gestaltung der vielfältigen Gesellschaft gehen. Das Konzept der „Integration“ gilt in der Diskriminierungsforschung daher auch weitgehend als überholt (vgl. z.B. Ein Gesetz für die Berliner Stadtgesellschaft – Bericht der Evaluation des Partizipations- und Integrationsgesetzes ist öffentlich - Berlin.de).