Spoiler: Auseinandersetzungen um trans*-Identitäten brechen oft am Esstisch »zu Hause« oder am Arbeitsplatz aus. Transition ist keine soziale Revolution, aber die Auseinandersetzungen darum können einige der Grenzziehungen der kapitalistischen Gesellschaft erschüttern. Marxistisches Denken kann uns Erkenntnisse liefern, um »Geschlecht« im Kontext der sozialen Herrschaft des Kapitals zu verstehen. Für die (trans* und feministischen) Revolutionär*innen von heute ist das von unschätzbarem Wert.

Klassengegensätze und soziale Positionen von trans* Menschen lassen sich nicht getrennt voneinander denken. Um die Formen gegenwärtiger Klassenkämpfe zu verstehen, dürfen Gender-Transitionen nicht als eine »Mode« missverstanden werden. Sie sind weder auf die ideologischen Umbrüche der letzten Jahrzehnte reduzierbar, in denen dem Individuum eine zentrale Bedeutung zugewiesen wurde, noch sind sie auf Durchbrüche in der Medizintechnik zurückführbar. Klar ist aber auch: Eine Transition zu machen, bietet uns keinen Ausweg aus den ausbeuterischen (Klassen-)Beziehungen, in denen auch die meisten trans* Menschen stecken. Wir schlagen vor, Gender-Transitionen als einen Klassen-spezifischen sozialen Prozess zu verstehen, der sich auf die Arbeitsvermögen, Institutionen und Normen des kapitalistischen Lebens stützt – und für diese zugleich eine große Herausforderung darstellt. Darin stecken Widersprüche. Gender-Transitionen werden durch die Art und Weise, wie die gesellschaftliche Produktionsweise organisiert ist, geformt. Zentral ist dabei die Rolle der gesellschaftlichen Form des Privathaushalts für die Organisation des Alltags und der sozialen Reproduktion.

Es ist an der Zeit, das intellektuelle und politische Projekt eines Transgender-Marxismus (vgl. Gleeson/O’Rourke 2021) anzugehen. Dieser gibt sich nicht damit zufrieden, einen Katalog unserer Leiden zusammenzustellen oder alle Schicksale von trans* Personen aufzulisten. Unsere Mission ist es auch nicht, Bewusstsein für unterschiedliche Identitäten zu schärfen. Es geht um die Überwindung von herrschenden Klassen- und Geschlechterverhältnissen, die unser Leben prägen.

Marx’ Entführung durch die Red Dykes

Unsere Wiederaneignung des Marxismus ist nicht die erste »Entführung« von Marx. Im späten 20. Jahrhundert wurde der historische Materialismus von einigen Lesben gekidnappt. In Frankreich entwickelten die Gouines Rouges (Red Dykes) eine neue Sichtweise auf Geschlecht: Geschlecht wirke, indem es sich den Anschein von Geschichtslosigkeit und natürlichem Schicksal gebe – durch soziale Prozesse der Naturalisierung. Diese Variante des materialistischen Feminismus wurde gleichermaßen von Marx und Simone de Beauvoirs »Das zweite Geschlecht« beeinflusst.

Die experimentelle Schriftstellerin und führende Red Dyke Monique Wittig übernahm Marx’ Begriff des »Fetischcharakters« der Ware und reformulierte ihn, um den »Fetisch des Geschlechts« aufzuspüren. Wie das »seltsame«, »geheimnisvolle Ding« der Ware, von dem Marx sprach, mag auch geschlechtliche und sexuelle Differenz auf den ersten Blick selbsterklärend sein. Aber bei wiederholter Reflexion erscheint sie in anderem Licht. Nach Wittig werden körperliche Merkmale immer nur post hoc zur Begründung eingesetzt, um Geschlechterregime zu rechtfertigen. Die Wahrheitsproduktion um »Sex« folgte den Anforderungen daran, was eine »Frau« sein sollte. Heterosexualität (be-)gründet ihre Dominanz in Bezug auf körperliche Unterschiede, und Sexualität wird tendenziell auf den Austausch zur Fortpflanzung reduziert. Dem widerstanden die Dykes durch sapphische Erotik, in der sich Körper weit über reproduktive Grenzen hinaus miteinander vergnügen und wechselseitig prägen, wie Wittig in »The Lesbian Body« anschaulich darstellte.

Wittigs Ziel war es, Heterosexualität nicht nur als soziale Ordnung, sondern auch als politisches Regime zu verstehen, als Teil einer Herrschaftsordnung, die durch soziale Kämpfe (einschließlich des offenen Lebens als Lesbe) untergraben wird. Und sie hatte immer das Ziel ihrer Abschaffung im Blick. Es ging um eine Aneignung von Marx’ relationaler und abolitionistischer Perspektive, die nicht nur dazu beitrug, die gesellschaftliche Positionierung von Lesben, sondern auch das Kampffeld des Körpers insgesamt besser zu verstehen. In Italien und dann in Großbritannien wurde seit den 1970er-Jahren die Figur der Lesbe durch die der Hausfrau ergänzt. Die Kampagne »Lohn für Hausarbeit« blieb aber – nicht nur dank ihrer gegenwärtigen Wiederbelebung durch autonome Marxist*innen wie Sylvia Federici (vgl. 2021 [2004]) – deutlich stärker in der kollektiven Erinnerung als die Red Dykes.

Der kommende Aufstand der »sozialen Reproduktion«

Heute wird in unterschiedlichen, spannungsreichen materialistisch-feministischen Ansätzen Marx’ Terminologie produktiv angeeignet und Marx’ Methode der immanenten Kritik auch gegen einen von männlichen Perspektiven dominierten Marxismus gewendet. Dabei ist die im angloamerikanischen Raum boomende Social Reproduction Theory (SRT) ein vielversprechender Ansatz, um »Klasse« und »Geschlecht« aufeinander bezogen zu theoretisieren. Mit der Wiederentdeckung von Lise Vogels »Marxismus und Frauenunterdrückung« in den 2010er-Jahren entwickelte sich über die Jahre eine theoriepolitische Tendenz, in der der Marxismus-Feminismus als Social Reproduction Theory neu gefasst wurde. Diese neue Denkschule entwickelte sich in den letzten Jahren durch Cinzia Arruzzas und Tithi Bhattacharyas Arbeiten, durch die queere Aneignung von Holly Lewis (2016) und Aaron Jaffes (2020) Einführung produktiv weiter.

Arruzza und Bhattacharya betonen, dass das kapitalistische System permanent mit Arbeitskraft »gefüttert« werden müsse, während die herrschende Klasse sich so wenig wie möglich um die Reproduktion dieser Arbeitskraft kümmere. Beide Ansätze teilen die Perspektive einer antikapitalistischen Organisierung, die sich gezielt auf Frauen* und andere Teile der Gesellschaft konzentriert, die mit der permanent unter- oder unbezahlten reproduktiven Arbeit betraut sind. Aus dieser Sicht besteht die Bedeutung der Theorie der sozialen Reproduktion darin, dass sie (mit Marx und über ihn hinaus) die Fähigkeit der unterschätzten, oft unsichtbaren Arbeiter*innen in den Blick nimmt, die normale Funktionsweise des Kapitalismus zum Stillstand zu bringen. Während Arruzza wie Bhattacharya Positionen der früheren feministischen »Hausarbeits«-Debatte zurückweisen, nach denen die gesellschaftliche Reproduktionsarbeit selbst wertschaffend sei, verdeutlichen sie ihren zentralen Stellenwert als Voraussetzung für die Ausbeutung der Arbeitskraft und den Profit. Kein Haushalt, keine Arbeitskraft, ergo kein Profit.

Die kanadischen Theoretiker*innen Sue Ferguson und David McNally sehen in der Theorie der sozialen Reproduktion vor allem einen Weg, aus marxistischer Perspektive zu neuen emanzipatorischen Theorien »aufzuschließen« und in Dialog mit der reichen Tradition Schwarzer und queerer feministischer Denker*innen treten zu können. Es geht darum, die Verflechtung und Ko-Konstitution moderner Unterdrückungsverhältnisse mit und über den Intersektionalitätsansatz hinaus zu begreifen (Ferguson/McNally 2015).

Eine von uns beiden Autor*innen, Jules Gleeson, hat in zwei Aufsätzen (2017, 2019) dafür argumentiert, die Lebensbedingungen von trans* Menschen in Begriffen der Theorie der sozialen Reproduktion zu verstehen: als Ergebnis von weitgehend verborgener Reproduktionsarbeit. Seit 2017 ist vor allem in den USA vom »transgender tipping point« die Rede: der verstärkten kulturellen Sichtbarkeit von trans* Menschen in Medien, Zivilgesellschaft und Politik. Diese wäre ohne vielfältige soziale Alltagspraxen undenkbar – etwa den DIY-Austausch von Hormonen, YouTube-Videos und Alltagstipps, die in kollektiver Zärtlichkeit und Sorge füreinander geteilt werden. Um sich überhaupt als eine offen trans* oder inter* verstehende soziale Gruppe zu bilden, waren sowohl Jahrzehnte kollektiver politischer Kämpfe, die weitgehend unter dem Radar blieben, als auch die selbst erzeugten Ressourcen permanenter Community-Arbeit erforderlich.

»In den letzten Jahren wurden trans* Frauen ermutigt, ihr Frausein offen zu leben, und zwar durch Netzwerke gegenseitiger Unterstützung und Solidarität, die sich erheblich erweitert haben. Das erfolgreiche Funktionieren dieser Netzwerke ist die Grundlage dafür, dass unzählige trans* Frauen den notwendigen Stand an Selbstvertrauen, Bewusstsein und Wissen erreichen, um offen (über-)leben zu können. Während diese stärkere öffentliche Präsenz für diejenigen, die sich außerhalb von trans* Communitys bewegen, spontan und unerwartet erscheint, haben in Wirklichkeit viele Initiativen und eine beträchtliche kollektive Arbeit dazu beigetragen, dass trans* Frauen mittlerweile durchaus ›erfolgreich‹ offen leben und dabei überleben können. Verborgen unter dem dominanten Blickwinkel, der sich auf das Momentum [auf verstärkte Sichtbarkeit und Forderungen nach Trans*Rechten; Anm. L. B.] konzentriert, herrscht eine rege Aktivität, die für Außenstehende weitgehend unsichtbar ist. Diese bildet die Grundlage für den aktuellen Schub an »Sichtbarkeit«, stößt aber auch an Grenzen: Oft übernehmen trans* Frauen de facto [unfreiwillig schlecht oder unbezahlt; Anm. L. B.] die üblicherweise von der heterosexuellen Familie geleistete Arbeit der Reproduktion – tragen aber wenig zur Überwindung der damit verbundenen gesellschaftlichen Unterdrückungsverhältnisse bei.« (Gleeson 2017)

Identität oder soziale Relation? Zu einigen Sackgassen im Transgender-Diskurs

Allzu oft werden Erfahrungen von trans* Menschen auf Momente des persönlichen Kampfes reduziert. Der Schlüsselbegriff in diesen Darstellungen ist immer Identität. »Transgender« ist dann eine Eigenschaft oder die Geschichte einer individuellen Identität. Um die Abweichung von der Cis-Norm zu erklären, werden dann entweder Gehirnströme und neuronale Strukturen herangezogen (Neurodeterminismus) oder die Seele (in der immer noch weit verbreiteten Vorstellung, dass trans* Menschen »im falschen Körper geboren« sind). In einem etwas subtiler pathologisierenden Diskurs zu frühkindlicher Entwicklung, der meist sehr lose an Freud angelehnt ist, wird die frühe kindliche Entwicklung als Ausgangspunkt für die »Abweichung« von der »normalen«, üblicherweise erwarteten Entwicklung ausgemacht (dabei wird von gewissermaßen »bisexuellen« Säuglingen ausgegangen, die in die Zivilisation eintreten, indem sie ein Geschlecht annehmen).

Diese Darstellungen liefern ein klares und zugleich oft erdrückendes Narrativ für (junge) trans* Menschen, die gezwungen sind, sich mit ihrem Zustand auf solch unpolitische, individualisierende Weise auseinanderzusetzen. Etwa in der Form eines (unkonventionellen) Bildungsromans: eine Variation der allzu bekannten Erzählungen von einem unerschrockenen Helden, der sich von der Ignoranz zur Akzeptanz und zum (persönlichen) Aufblühen bewegt. Trans* Menschen überwinden – aus dieser Sicht – psychische Qualen und soziale Unterdrückung als Widrigkeiten, um umso mehr aufzublühen, wenn sie ihr individuelles geschlechtliches Schicksal annehmen. Unabhängig von der sich wandelnden Form ist der individualisierende Kern dieser Berichte seit Jahrzehnten unverändert. Trans* Menschen werden als eine Bevölkerung isoliert, die ausgehend von tiefgreifender A-Normalität dramatische, zutiefst persönliche Entwicklungen durchläuft. Die politische Konsequenz ist ein Aufruf zur Toleranz: Die breitere Bevölkerung solle mit Verständnis und Sensibilität reagieren. Dies geschieht um den Preis, dass trans* Menschen nicht nur weiter als von der Norm abweichend und »defekt« dargestellt werden (wie in der medizinischen Kategorie der »Geschlechtsidentifikations«-Störung), sondern oft auch als zurückgezogen und in gewisser Weise ›asozial‹.[1]

Für uns ist Transition weder primär ein Mittel zur Linderung eines psychischen Leidens, noch markiert »transgender« eine fest umrissene soziale Bevölkerungsgruppe, die sich »vom Rest« qua Identität »trennen« will. Wir plädieren dafür, Transitionen als relationale Prozesse zu verstehen, die unter fremdbestimmten Existenzbedingungen geformt werden. Unsere Geschlechterkämpfe sind weder außerhalb der Widersprüche, die alle Leben in kapitalistischen Gesellschaften prägen, noch sind sie auf diese Widersprüche reduzierbar. Stattdessen plädieren wir für ein Verständnis von Transition im Sinne von Brüchen: Sie ist zugleich eine Verweigerung wie ein Bruch mit normativ erwarteten Lebensweisen und Existenzbedingungen – und die schwierige Akzeptanz von Sehnsüchten. Damit klarzukommen, ist angesichts der alltäglichen Existenzunsicherheit und entfremdeter Arbeit schwer. Normen, Erwartungen und Sehnsüchte sind schwer »sortierbar« und in Einklang zu bringen; die Erfahrungen bleiben widersprüchlich und prekär.

Auf der Bühne der Gesellschaftstheorien erscheinen trans* Menschen oft im Dienste eines »höheren Zwecks«, nämlich um anderen Narrativen zu dienen, nur um dann schnell wieder in der Versenkung zu verschwinden. Das gilt auch für emanzipatorische Diskurse. Im ersten Fall, dem Modus der Allegorie, werden Geschlechtsübergänge zum Symbol, um quasi alle vergeschlechtlichten Aspekte der persönlichen Sozialisation, des Begehrens oder der Reproduktion der Arbeitskraft zu diskutieren. Immer wieder werden trans* Menschen zu theoretischen Metaphern für umfassendere Anliegen gemacht. Sie fungieren in diesem Diskurs als Exemplare der Irrationalität und Subversion sexueller Differenz, des Stresses in zeitgenössischen Geschlechterbeziehungen, die von heftigen Umbrüchen und Kämpfen geprägt sind – oder aber als Beweis für die Universalität von Cis-Geschlechtlichkeit: Gender-Transitionen bleiben dann eine Abweichung, ein je nach Ansatz geringeres oder absolut unerwünschtes Übel, das aber durch eine zuverlässige Anwendung von Chirurgie und Hormonen ordentlich bearbeitet werden kann.

In der zweiten Diskursrichtung, die wir kritisieren, werden trans* Menschen auf andere Weise »besondert«, nämlich »über-partikularisiert«. Wir erscheinen als die Ersten unter den Unterdrückten, bewundernswert in unserer Ausdauer. Als Antwort auf die entmenschlichende Behandlung, der trans* Menschen tagtäglich ausgesetzt sind, betonen diese Lesarten, dass unsere Kämpfe beispielhaft seien: existenzielle Antworten auf die Verwerfungen heutiger Gesellschaften. Aus dieser (liberalen) Perspektive werden trans* Menschen gewissermaßen zum Prüfstein für historischen Fortschritt: eine (weitere) Minderheit, die durch Bildung, formale Rechte und bürgerliche Anerkennung geschützt werden kann. Dieser Diskurs bildet de facto die Kehrseite, den gewissermaßen »gutartigen« Schatten rechtspopulistischer Repräsentationen von trans* Menschen als »Teufel« und Sündenböcke. Die liberalen Diskurse versuchen in erster Linie, zu beschwichtigen und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass wir in Wahrheit überhaupt keine Bedrohung sind. In der Tat, wenn überhaupt, sind wir einzigartig verletzlich.

Um diese analytischen Sackgassen zu vermeiden, gibt es kein theoretisches Allheilmittel. Die konkreten Erfahrungen von trans* Leben erfordern einen umfassenden Blick: konkrete ethnografische Untersuchungen innerhalb und außerhalb kapitalistischer Betriebe, über Fragen der Sozialisation bis hin zu kritischen Analysen über die Regulierung von trans* Leben in kapitalistischen Gesellschaften.

Herausforderung Transgender-Marxismus

Alltägliche Trans*-Kämpfe finden in privaten Haushalten und am Arbeitsplatz statt, wo so viele trans* Arbeiter*innen darum kämpfen, einen festen Job zu finden und zu behalten – oder schon lange daran verzweifelt sind. Sie betreffen aber ebenso das Terrain der Psyche, gehen unter die Haut (was etwa mit Bezug auf Lacan oder queere Phänomenologie untersucht wird). Sie nehmen die Form oftmals »esoterischer« Community-Konflikte an, die selbst für diejenigen, die sich damit befassen, schwer zu erklären sind. Dennoch sind sie entscheidend für die Bündelung der Kräfte zur Verteidigung unserer Bedürfnisse in einer strukturell trans*feindlichen Gesellschaft. Viele trans* Personen, die out and proud am öffentlichen Leben teilnehmen, versuchen, der stigmatisierenden Position als »trans*« auszuweichen – mit der sich aber jede trans* Person mehr oder weniger herumschlagen muss. Offener Konflikt oder entschärfende Überlebensstrategien – keines dieser Momente können wir beiseitelassen. Es geht also um das ganze Leben.

Wir denken, dass ein Fokus auf soziale Reproduktion daher nur einen – wenn auch wichtigen – Teil unserer Geschichte(n) erhellen und in neues Licht tauchen kann. Obwohl die SRT entscheidend dazu beigetragen hat, den strategischen Blick über die Kämpfe am »Ort der Lohnarbeit und Produktion« hinaus zu weiten, kann sie keine erschöpfende Erklärung für die komplexen Lebensrealitäten von Trans*Menschen innerhalb des Kapitalismus bieten. Die Theoretiker*innen, mit denen wir für unser Buch »Transgender Marxism« (Gleeson/O’Rourke 2021) zusammengearbeitet haben, sind daher in ganz unterschiedlichen, historisch sich auch im Widerstreit befindlichen marxistischen Traditionen verankert. Sie haben gemein, dass sie ein viel breiteres Spektrum an Begriffen und theoretischen Registern verwenden. Ausgangspunkt sind dabei oft Erfahrungen von Marginalisierung und Überflüssig-gemacht-Werden – bezogen auf informelle Arbeit, marginalisierte Überlebensstrategien als Arbeitslose, Sexarbeiter*innen und/oder illegalisierte Einwander*innen.

Die Herausforderung eines Transgender-Marxismus besteht darin, die Intersektionalität zu erfassen, die sofort präsent ist, wenn man auch nur eine Handvoll trans* Menschen trifft – angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, schwere psychische Probleme zu haben, von Psychiatrie und Staat pathologisiert und rassifiziert zu werden, langzeitarbeitslos zu sein oder von Sexarbeit zu leben, von der Verwandtschaft enteignet zu werden oder über Grenzen hinweg umziehen zu müssen, um Sicherheit und Erfüllung zu finden. Isoliert betrachtet, verlieren begriffliche Kategorien wie Klasse, gender, race, Sexualität, ability ihre Erklärungskraft.

Aber wir sind zugleich weit davon entfernt, Transgender-Marxismus einfach als eine weitere Übung in intersektionalem Denken zu begreifen und damit je relative Grade von Privilegien in sozialen Positionen zu bestimmen. Was marxistische Analyse ausmacht, ist nicht ihre Herangehensweise an »Abstraktionsmanagement«, sondern ihre beharrliche Verpflichtung, die gelebte soziale Praxis, die naturalisiert und verdinglicht wird, in ihrem vollen historischen Kontext zu verorten. Das bedeutet auch: Die Stigmatisierung, der trans* Menschen ausgesetzt sind, ist nicht ewig. Die düstersten Einsichten von Marx waren immer gepaart mit seinen revolutionären Hoffnungen. Die analytische Praxis muss immer an die Visionen der Befreiung und abolition gebunden bleiben, die über Generationen hinweg entstehen und neu artikuliert werden.

Transgender-Marxismus sollte daher nicht als bloße Ergänzung des »marxistischen Kanons« begriffen werden, als ein bloßes Korrektiv, das bisher gewaltsam ausgeschlossene Leerstellen ausfüllt, sondern als eine eigene Theorie und Weltauffassung, die zu uns in unserer Sprache, zu unseren eigenen Lebensbedingungen spricht – um gemeinsam die Überwindung aller Herrschaftsverhältnisse zu erreichen.

Soziale Reproduktion und das Gesetz des Haushalts

Während eine Lektüre von Marx notwendig ist, um eine trans*-kommunistische Politik hervorzubringen, fehlt es einem Großteil der marxistischen Wissenschaft leider weiterhin an Aufmerksamkeit für trans*-spezifische Lebensweisen. Aber wir müssen uns dennoch nicht auf den »Post-Marxismus« zurückziehen. Transgender-Marxismus bedeutet, von unseren gegenwärtigen Lebensbedingungen als trans* Menschen ausgehend einen expansiven Horizont, der über das Bestehende hinausweist, zu eröffnen. Eine radikale Kritik des »Gesetzes des Haushalts« ist dafür zentral.

Kapitalistische Herrschaft wird durch vorherrschende Normen und Gesetze, erkenntnistheoretische Wahrheitsansprüche und die Moralphilosophien, die sie naturalisieren, legitimiert. Angela Mitropoulos (2012) spricht in diesem Zusammenhang von »Oikonomia« – oder Nomos des Oikos, des Haushalts. Es geht dabei um eine Rationalität der Herrschaftsorganisation. »Oikonomia« bezieht sich auch auf die übergreifenden Prinzipien, die festlegen, wer als geeignet gilt, in den Prozess der Klassenherrschaft als Herrschende aufgenommen zu werden, und wer gewaltsam ausgeschlossen werden sollte: Nicht jeder Mann ist ein angesehener Patriarch, nicht jeder Bewohner ein Bürger. »Oikonomia« als Regierungskunst inspiriert willkürliche Trennungen, etwa auch die entlang rassistischer Taxonomien. Mit diesem Blickwinkel können wir erkennen, dass Geschlecht, Rasse, Sexualität und Klasse keine sauber trennbaren Kategorien sind, sondern verschiedene Perspektiven, aus denen heraus über dasselbe soziale Ensemble von Verhältnissen gesprochen wird. Es geht um die gesamte Organisationsweise der sozialen Ordnung von Eigentum und Ausbeutung und um ihre legitime oder illegitime Weitergabe von einer Generation zur nächsten. Legitime Staatsbürgerschaft, »gute Erziehung«, disziplinierte Arbeitskräfte und ihre geordnete, planbare Erzeugung in privaten Haushalten. Der Haushalt »liefert« die mühsame Erziehung der Körper, Subjekte und Arbeitskräfte.

Die kritische Perspektive auf das »Gesetz des Haushalts« erlaubt es uns, Fragen der sozialen Reproduktion nicht nur in den Begriffen von Kapitalinteressen zu theoretisieren, sondern in der alten Sprache von Ethik und Staatskunst, der »Oikonomia«, die in den Strukturen der Gegenwart auf veränderte Weise weiterlebt. Kapitalakkumulation ist immer ein prekärer und unsicherer Prozess. Die Kapitalist*innen befinden sich zwischen einer unveränderlichen Vergangenheit und einer ungewissen Zukunft. Sie produzieren zwar, doch wenn sie ihre Waren auf den Markt bringen, finden sie möglicherweise keine Käufer*innen. Dazu kommen Dürren, Überschwemmungen, Pandemien. Beim Durchqueren dieser aleatorischen Spannung kommen soziale Technologien der Kontrolle zum Tragen, die diese Prozesse kanalisieren. Kontrolltechnologien erzeugen Regelmäßigkeiten und Normalitäten, sie verwandeln unsere vielen möglichen Zukünfte in scheinbar unerbittliche Schicksale. Anders ausgedrückt: Politisch-ökonomische Überlegungen stützen sich nicht nur auf Werttheorien, sondern auch auf moralische Theologien und Imperative; auf Diskurse, die immer wieder den »abstrakten Marktbürger« konstituieren, mit dem sich die Mainstream-Ökonomie beschäftigt. Von einem fundamentalen Wert im »oikonomischen Diskurs« zu sprechen, bedeute, eine mehr oder weniger stabile kapitalistische Zukunft zu fordern. Eine Zukunft, die auf dem Fortbestehen – oder gegebenenfalls der Wiederherstellung – der genealogischen Zusammensetzung und der Vererbungslinien beruht. Oder allgemeiner ausgedrückt: auf der geordneten Übertragung von Eigentum, Schulden und Autorität über die Zeit hinweg. Dies geschieht durch eine Reihe von Ausschlüssen auf der Grundlage des Nexus von Rasse, Geschlecht, Klasse, Sexualität und Nation, der durch die Prämisse des produktiven Haushalts konstituiert wird. (vgl. Mitropoulos 2012).

Trans* Leben existieren de facto gegen diese Ordnung – in vielerlei Hinsicht: Unsere Versuche, »einfach unser Leben zu leben«, werden oftmals als Störungen gelesen, die ins gesellschaftliche Chaos überzuschwappen drohen.

So werden trans* Leben in vielen Diskursen der extremen Rechten, die auf dem Vormarsch ist, gezeichnet. Ihre angstgetriebenen Fantasien sind nicht voneinander trennbar: Sexualität, die »Rassen-« und kulturelle Grenzen überschreitet und verunreinigt oder unkontrolliertes kulturelles Chaos, das durch die Ausbreitung geschlechtlicher Abweichungen verursacht wird, oder die Forderung, den Wohlfahrtsstaat zu entkernen, um die persönliche Verantwortung wie auch familiäre Abhängigkeitsbeziehungen wiederzubeleben, die sie für erforderlich halten, um nationale Größe wiederzuerlangen. Es handelt sich immer um eng miteinander verknüpfte Anliegen, wobei jeder Schwerpunkt den nächsten impliziert. Einzelne »Politiken« sind nicht so bedeutsam wie das Gesamtprojekt der Wiederbelebung des Haushalts und der Nation. Was als Priorisierung der »einheimischen Produktion« erscheinen mag, kann auch als Widerstand gegen die »kulturelle Entartung« erscheinen. Die eigentliche Effektivität der heutigen Rechten besteht darin, dass sie zwischen der (ansonsten im politischen Feld auseinanderfallenden) Verteidigung des Kapitalismus und seinen extrem gewaltsamen Zügen und der Verteidigung der souveränen Nation hin- und herwechselt.

In den gegenwärtigen gesellschaftlichen Kämpfen um Geschlecht bietet der »liberale Flügel« des Bürgertums demgegenüber eine »bedingte Toleranz« an: Schwule und Lesben werden nun stolz geschützt, unter der Annahme, dass ihr Leben der gleichen vorhersehbaren Teleologie folgt: Qualen in der Kindheit weichen der Selbstentdeckung auf dem College, der Heirat und dann den Hypotheken, die ‚respektable‘ heterosexuelle Lebensweisen ausmachen. Mit anderen Worten: eine »Vielfalt«, die die vom Kapital geforderten Konformitäten nicht grundlegend verändert oder stört.

Gender-Transitionen verursachen offensichtliche Brüche in den Regelmäßigkeiten und der Normalität von Haushalt, Familie und Verwandtschaft: Eltern, die geglaubt hatten, sie würden Töchter großziehen, sind plötzlich bestürzt. Ehefrauen verzweifeln daran, dass ihr Ehepartner sein Geschlecht aufgibt und die Illusion der Heterosexualität »zerstört«. Mitbewohner*innen stolpern über einen ungewohnten Namen oder neue Pronomen.

Politisch liberale Ansätze, die diesen (Um-)Brüchen in der Sprache des Kampfes um Rechte und Akzeptanz entgegentreten, schlagen eine Reformpolitik vor, die die Diversität von Haushaltsführung und Familie anerkennt. Diese ist zunehmend lebbar – aber noch weit davon entfernt, sich überall durchzusetzen. Die typische liberale Antwort auf dieses Dilemma ist, dass diese Spannung auf einen Überrest irrationaler Vorurteile, auf unvollständige Modernisierung zurückgehe. Was aber, wenn Transfeindlichkeit nicht nur eine Frage phobischer Gefühle ist, sondern strukturell – im Kern kapitalistischer Haushalts-, Familien- und Eigentumsverhältnisse, in der heterosexuellen Ordnung von Familie und Verwandtschaft – verankert ist? Ein politischer Ansatz, der soziale, kulturelle und wirtschaftliche Fragen voneinander isoliert, führt uns hier nicht weiter.

Die jüngste heftige Gegenreaktion gegen die Sache der »Trans*-Rechte« ist nicht nur auf alte Bigotterie zurückzuführen. Sie ist auch eine wütende Reaktion auf gegenwärtige Widersprüche im Generationenprozess. (Wie wird die nächste Generation ausbeutbarer Arbeitskräfte hervorgebracht?) Dieser Generationenprozess wird angesichts der Trans*-Erfahrung zerklüftet und unzuverlässiger. Gender-Transition bringt es in der Praxis mit sich, dass wir de facto die Regelmäßigkeiten dieser naturalisierten Notwendigkeiten von Familie, Reproduktion und produktiver Arbeitskraft infrage stellen – und dabei auch den Glauben, dass alles an seinen »richtigen Platz« gehört.

Trans*-Personen, die versuchen müssen, ihre Zugehörigkeit zu kapitalistischen Belegschaften aufrechtzuerhalten, befinden sich in der Regel in einer akuten Krise. Sie sind gezwungen, ihre Arbeitskraft neu hervorzubringen und zu performen. Neue Gesten und ein anderes Äußeres, andere Kleidung. Wir eröffnen dabei gewissermaßen einen zweiten, neuen Lebenslauf, oft, um unser altes Leben zu verbergen. Transition kann eine subtile Form der »Umschulung« erfordern: Von der »Telefonstimme« (im Büro oder Callcenter bis zum Kontakt mit dem Amt) über die Wahl der Kleidung bis hin zum Auftreten erfordert das transsexuelle Arbeitsleben den Umgang mit neuen Affekten und abweichenden Verhaltensweisen. All das ist Teil der Arbeit, sich selbst für die Ausbeutung verfügbar zu machen.

Selbst nach den großen Erfolgen der Frauenbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die den Eintritt in die Berufswelt mit zum Großteil bezahlter Arbeit errungen haben, ist diese Arbeitswelt auch heute noch stark entlang geschlechtsspezifischer Linien geteilt. Von den notorisch unterbezahlten ›Rosa-Kragen-Jobs‹ (wie Krankenpflege, Sozialarbeit, Unterricht und Altenpflege) bis zu den immer noch männerdominierten Branchen: etwa Baugewerbe, Schreinerei oder Softwareentwicklung. Arbeitsplätze sind besonders heikel für diejenigen, die zwischen geschlechtsspezifischen Arbeitsleben wechseln wollen. Auch der Sexismus der alten Schule ist am Arbeitsplatz noch weit verbreitet. Je nach konkretem Beruf führen uns Transitionen manchmal von einer sozialen Welt in eine ganz andere. Oder Transition führt zum Ausschluss, weil wir gewünschte geschlechtsspezifische Erwartungen nicht plausibel genug erfüllen können.

Jedes politisch Imaginäre, das Klassenherrschaft und Ausbeutung als »gleichmachende« Kraft, als gleichgültig gegenüber den Qualitäten und dem Körper der Ausgebeuteten versteht, prallt hart gegen die real existierenden Beziehungen, die Arbeit und Haushalt prägen. Wir begreifen Gender-Transitionen daher nicht nur als einen persönlichen Kampf, sondern als eine Konfrontation mit den unendlichen Geschlechtertrennungen, die diepolitische Ökonomie ausmachen.

Das Ziel der Theorie: Überwindung aller Herrschaftsformen

Die Haushaltsführung, die Familie und der Arbeitsmarkt – sie alle bringen ihre Ausgestoßenen, ihre »schwarzen Schafe« und Nicht-Anerkannte hervor. Die Beziehungen, die unser Leben am meisten bestimmen, werden niemals genau mit denen übereinstimmen, die formell vom Staat oder von respektabler Bürgerlichkeit legitimiert sind. Für uns als trans* Menschen bedeutet dies, dass wir nicht allein kämpfen. Zwar sind viele trans* Menschen dieser Gewalt besonders oft ausgesetzt, doch existieren neben uns viele andere, die durch die Dominanz der bürgerlichen Familie im gesellschaftlichen Leben mehr oder weniger offen zu Geächteten werden.

Wir brauchen daher neue Theorieansätze, die nicht durch erzwungene analytische Trennungen gekennzeichnet sind: Trans*-Lebensweisen lassen sich nicht auf private Angelegenheiten, auf Psychologie und Medizin oder vom Staat lösbare Fragen der Familien- und Geschlechterpolitik beschränken. Klassenkampf und Geschlechterkämpfe sind untrennbar verwoben – und der Aufstieg der extremen Rechten macht es umso dringlicher, diese Erkenntnis zur politischen Prämisse zu machen.

Theorie und Kampf sind ebenso wenig zu trennen wie Klassenkampf und Geschichte. Das eine wird ohne das andere »entleert«. Viel ist zu gewinnen, wenn wir den Trans*-Kämpfen folgen: dem Widerstand gegen elterliche Ansprüche und Gewalt (die sich oft bis weit ins Erwachsenenalter hinein erstrecken), gegen Grenzregime, die Menschen erniedrigen und kategorisieren, gegen die repressive Seite des Staates; gegen Lohnarbeit, die uns ausschließt oder ausbeutet. Unsere Befreiung wird kreative Durchbrüche an jeder dieser Fronten erfordern. Und eine solidarische, kluge Verteidigung gegenüber Gegenreaktionen, die bereits heute drohen.


Aus dem Englischen von Lia Becker


Vorveröffentlichung aus dem Sammelband:
Lia Becker/Atlanta Beyer/Katharina Pühl (Hg.): Bite back! Queere Prekarität, Klasse, unteilbare Solidarität. Verlag Edition Assemblage. Münster 2024. 


Erscheint Anfang 2024 als Publikation der Rosa Luxemburg Stiftung 
 


[1] Anm. L. B.: »Asozial« oder auch »sozial merkwürdig« sind diskursive Repräsentationen, die reale Erfahrungen der Marginalisierung im Alltag, die durch das Nicht-Passen in hegemoniale cis- und heteronormative Verhaltensweisen und Beziehungen entstehen (wie etwa Dissoziationen), stereotypisieren und dann gegen trans* Personen als Vorwurf richten.