Als Michael Knowles (The Daily Wire) im März 2023 auf der Conservative Political Action Conference in den USA über die „Auslöschung des Transgenderismus” sinnierte, zitierte er damit fast wörtlich die Feministin Janice Raymond. Diese hatte in ihrem Buch The Transsexual Empire bereits 1979 mit der Forderung nach der Eliminierung von ‘Transsexualismus’ den Grundstein für einen trans*feindlichen Feminismus gelegt, der heute die Speerspitze der genderkritischen Bewegung bildet. Eine Bewegung, die mit populistischen Verschwörungserzählungen und trans*misogynen Dämonisierungen eine Querfront aus Feminist*innen, religiösem Fundamentalismus, Konservatismus und Neofaschismus schafft. Liberale Diskurse um Trans*rechte stehen dem wehrlos gegenüber. Linke und Feminist*innen werden schmerzlich darauf gestoßen, Trans*feindlichkeit zu lange ignoriert zu haben.

Raymonds Transsexual Empire lässt sich verorten am Scheideweg feministischer Theorie mit der Herausbildung der Queer Theory. Die ab den 1980ern entstehende Queer Theory befragte, wie vergeschlechtlichte Kategorien überhaupt erst zustande kommen und kontinuierlich reproduziert werden, um patriarchale Strukturen zu erzeugen und verunsicherte damit feministische Positionen. Sie stellte die Kategorien ‘Frau’ und ‘Mann’ und damit verbundene Normen und Machtverhältnisse an sich in Frage, während dominante feministische Diskurse sich bis dahin damit begnügt hatten, die Auswirkungen dieser Kategorisierungen auf soziale Ungleichheit zu kritisieren.[1] Viele feministische Positionen definierten Frauen zu der Zeit als einheitliche Gruppe, die die unterdrückte Klasse im Patriarchat sei – kurz: Frauen werden unterdrückt, weil sie Frauen sind. Das Wesen des Mannes sei via Sozialisation gewaltsam usw. Dieser Diskurs lässt sich als essentialistisch verkürzte feministische Systemkritik begreifen: Unterdrückung wird mit Bezug auf vermeintliche Wesenseigenschaften der Geschlechter erklärt. Auf dieser Grundlage wurde auch der Ausschluss trans*weiblicher Personen legitimiert, denen wahlweise vorgeworfen wurde, misogyne Stereotype zu reproduzieren oder auf Grund ihrer ‘Sozialisation’ gefährlich für andere Frauen* zu sein. Parallel erfolgte die Abwertung von Sexarbeiter*innen, die in diesem Strang der feministischen Diskussion nicht als Arbeiter*innen, sondern nur als Opfer begriffen werden konnten.[2]

Janice Raymonds Forderungen, ‘Transsexualismus’ moralisch zu verurteilen und sogar zu eliminieren, sind durchaus kennzeichnend für diese Richtung feministischer Debatten. Sie zeichnet eine Offenheit für autoritäre Logiken aus: Statt dem ganzheitlichen Angriff auf die gesamte Struktur der patriarchalen Gesellschaft, wird staatliche Gewalt gegen vulnerable Gruppen gefordert, etwa in Form von rechtlicher Einschränkung von Trans*gesundheitsversorgung und Kriminalisierung von Sexarbeit gefordert. Das Subjekt des Feminismus bleibt nach Raymond und ihren Mitstreiterinnen, die sich unter der Bezeichnung des (trans*exklusiven) Radikalfeminismus sammelten, die weiße, bürgerliche cis Frau. Dabei bewegen sie sich in der Tradition von Teilen der Frauenbewegung, etwa der US-amerikanischen Suffragetten[3]die sich lieber einen Arm abgeschnitten hätten, als das Wahlrecht für Schwarze Menschen zu akzeptieren. Nicht nur theoretisch, auch in der politischen Praxis wurde die Abwehrreaktion gegen die queertheoretische Intervention spürbar. Beispielsweise führte das in feministischen Zusammenhänge bekannte Michigan Womyn’s Festival 1991 eine sogenannte ‘womyn born womyn’ Regelung ein, um explizit trans*geschlechtliche Frauen* auszuschließen - trans*maskuline Personen blieben als vermeintliche ‘als Frauen geborene Frauen’ auf dem Festival willkommen. Für die heutige genderkritische[4] Bewegung war die lesbische Gruppe ‘Get the L out’ prägend, die u.a. mit dem Slogan “lesbisch, nicht queer“ 2018 die Londoner Pride kaperte, mit der Behauptung, Trans*aktivist*innen würden Lesben “auslöschen” wollen. Aus dieser Aktion ging ein Jahr später die LGB Alliance hervor, die erste Allianz zwischen TERFs und trans*feindlichen Konservativen.

Im Fahrwasser dieser Strömung werden trans*misogyne und antisemitische Diskurse verbunden, die eine Gefahr von außen für unschuldige Frauen, Kinder und die (heterosexuelle) Familie durch Kindesentführer, ‘Pädokriminelle’ und mit ihnen verschworene Eliten heraufbeschwören. So sehen heute genderkritische Frauenschützer*innen in prominenten jüdischen trans* Frauen wie Martine Rothblatt die Mitstreiterinnen von George Soros und dessen angeblicher ‘geheimer Kabale der globalen Trans*verschwörung[5]. Die Einladung von der “Trans*”- oder “Sexarbeitslobby” statt offen von der „jüdischen Lobby“, zu sprechen, lassen sich neonazistische Akteur*innen natürlich nicht entgehen. Extreme Rechte treten immer häufiger Seite an Seite mit TERFs auf – der Schulterschluss liegt auf der Hand. Rechte Argumente werden mittels der anti-trans* Rhetorik in ein feministisches Gewand gehüllt. Das ist eine wichtige Erinnerung daran, dass Faschismus nicht nur am rechten gesellschaftlichen Rand gedeiht, sondern in allen politischen Lagern rekrutiert - so auch in linken und feministischen. Das genderkritische Bild der ‘echten’ Frau und ‘guten Feministin’ in Abgrenzung zu Sexarbeiter*innen oder trans* Personen ist auch vereinbar mit einer konservativ-christlichen Sexualmoral. Beispielsweise mobilisieren die deutsche “Demo für alle” und die erzrechte Stiftung CitizenGO  entlang genderkritischer Narrative gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz der Ampel-Koalition, das den Zugang zu Personenstandsänderungen für trans* Menschen erleichtern soll. Es kommt auf Grund der inhaltlichen Überschneidungen in der Ablehnung von trans*, Sexarbeit und Abtreibung auch immer häufiger zu expliziten Bündnissen zwischen trans*feindlichen Feministinnen, christlich fundamentalistischen Abtreibungsgegner*innen und Verfechter*innen von Konversionstherapie mit Akteur*innen der extremen Rechten und Faschist*innen.

Die Bildung dieser Querfront hat konkrete, materielle Ursachen. Die Wurzeln der autoritären Tendenzen bei Teilen feministischer Bewegungen finden sich zwar im beschriebenen Streit um theoretische und politische Grundlagen, ihre Radikalisierung und Öffnung für Verschwörungsmythen verlief jedoch analog zu vergleichbaren Diskursverschiebungen während der Corona-Pandemie. Ein verkürzter Antikapitalismus mit Tendenz zu antisemitischen Verschwörungsideologien gedeiht auch auf dem Nährboden des krisenhaften neoliberalen Normalzustandes angesichts der sich verschärfenden sozialen Ungleichheiten. Trans* oder queer werden als Identitäten und Ästhetik durch Unternehmen und liberale Parteien angeeignet und im gesellschaftlichen Mainstream werden diese liberalen Diskurse mit gesellschaftlichem Fortschritt gleichgesetzt, während nennenswerte materielle Verbesserungen für die Mehrheit der Gesellschaft ausbleiben. Das dient rechten Akteur*innen als Beweis dafür, dass ‘Translobby’ und herrschende Klasse unter einer Decke stecken würden. Wie bei anderen Verschwörungsmythen auch erfolgte der entscheidende Schritt zur gesellschaftlichen Relevanz jedoch erst durch die Unterstützung durch konservative Kapitalfraktionen.[6] So nutzen Akteure wie die Koch Brothers, Dennis Prager oder Think Tanks wie die Heritage Foundation und nicht zuletzt Vertreter der russischen Oligarchie reaktionäre Ideologeme[7] wie die genderkritische Erzählung, um für ihre eigenen, konservativen Ziele und Interessen am Erhalt des fossilen Kapitalismus zu werben. Hinzu kommt oft genug die Handreichung durch parlamentarische Konservative und Liberale sowie opportunistische Sozialdemokrat*innen, wie zuletzt die Einlassungen des Justizministers Marco Buschmanns auf genderkritische Argumentationen zur Bedrohung von Frauenräumen durch deren Öffnung für trans* Personen, in der Arbeit am Selbstbestimmungsgesetz belegen.

Wo sozialistische Gegenbewegungen über Jahrzehnte geschwächt wurden, fruchten pseudo-antikapitalistische Verschwörungsnarrative wie das der genderkritischen Querfront. Auch in linken Kreisen lassen sich immer wieder Versuche beobachten, die an den verkürzten Radikalfeminismus der 80er anschließen, wie jüngst die Initiative Für echten Feminismus. Trotz betont antikapitalistischem Selbstverständnis nutzt diese ein Vokabular aus dem genderkritischen Setzkasten und eine verflachte Definition von materialistischem Feminismus, die sich auf angenommene biologische Tatsachen statt auf die Kritik sozialer Verhältnisse stützt. Dem gilt es mit emanzipatorisch begründeten antikapitalistischen Perspektiven zu begegnen. Dabei kann angeknüpft werden an materialistische Feminist*innen wie Monique Wittig[8] oder Gayatri Spivak[9], deren Arbeiten an die Wurzeln von Ausbeutung und Herrschaftsverhältnissen gehen. Diese zeigen, wie Klassenanalyse die Besonderheiten verschiedener, patriarchal unterdrückter Gruppen und die Verwobenheit von Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus kritisieren kann. 

Auf die sich faschisierende genderkritische Bewegung braucht es eine erneuerte sozialistische Antwort. Dazu gehört eine ehrliche Selbstkritik der breiteren Linken, wenn die Anliegen vulnerabler Gruppen als “Identitätspolitik” abgelehnt werden, statt der liberalen Aneignung von Antidiskriminierung und ihrer Einbettung in den kapitalistischen Status quo zu begegnen. Repräsentation und Diversität innerhalb des kapitalistischen Systems befreien niemanden. Das kann nur kollektive Organisierung, die gesellschaftliche Spaltungen überbrückt und die materiellen Voraussetzungen für Unterdrückung und Ausbeutung angreift. Dazu müssen aber Trans*feindlichkeit und argumentative Annäherungen an reaktionäre Diskurse kritisiert und entkräftet, die Perspektiven und Selbstorganisierung verwundbarer Gruppen in unseren Bewegungen gestärkt werden.