»Wann schlagen wir Mexiko an der Grenze? Sie lachen uns aus, lachen über unsere Dummheit«, beklagte Trump als er seine Kandidatur im Juni 2015 ankündigte. »Und nun schlagen sie uns auch wirtschaftlich […] Die USA sind zur Müllkippe der Probleme aller anderen geworden.« Im Juli jenen Jahres, twitterte er daraufhin: »Die mexikanischen Politiker und Verhandlungsführer sind viel härter und schlauer als die der USA. Mexiko zerstört unsere Jobs und unseren Handel. WACHT AUF!« Trumps wiederkehrende Botschaft, dass die Mexikaner*innen verantwortlich für die ökonomischen und auch die sozialen Probleme seien – die von ihm häufig erwähnten Drogen und Kriminalität – trafen einen Nerv unter den verarmten Arbeiter*innen des mittleren Westens, die über die Jahrzehnte industriellen Niedergangs litten, als das Kapital ins Ausland abwanderte und umgekehrt Millionen von Migrant*innen ermutigte. Dass Mexiko und Mexikaner*innen ein Hindernis beim »make America great again« darstellten, diente wiederholt der Befeuerung von Trumps Kampagne und vereinigte drei zentrale Themen, die dabei halfen, ihn ins Weiße Haus zu bringen: Eine Eindämmung der Einwanderung durch Massenabschiebungen von zwei bis drei Millionen nicht dokumentierten Migrant*innen; die Sicherung der Südgrenze durch den Bau einer Mauer deren Kosten die mexikanische Regierung zu tragen hätte; und angesichts des Handelsdefizits mit Mexiko, die Einführung von Zöllen und die Wiederverhandlung oder ggf. der Ausstieg aus dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA).
Migration und Sicherheitspolitik
Verschont von den Streitigkeiten im Kongress, die Trumps politische Ziele in anderen Bereichen wie der Gesundheits- und der Steuerreform bisher gebremst haben, hat sich bei Trumps Agenda zur Einwanderungspolitik durch direkte Maßnahmen wie Präsidentenerlasse etwas mehr bewegt. Obwohl sein Versuch, die Einreise von Bürger*innen aus Ländern mit muslimischer Mehrheit aufgrund von Gerichtsentscheiden bisher nicht gelang, hatte er, unterstützt vor allem von Justizminister Jefferson Sessions, mehr Erfolg bei der Initiierung von Maßnahmen, die sich primär gegen die elf Millionen nicht dokumentierte Migranten (3,4 Prozent der Bevölkerung) richten, die derzeit in den Vereinigten Staaten leben. Das betraf Erlasse, die Kategorie von Menschen erweiterte, die »prioritär rückzuführen« sind, sowie Kürzungen von Bundeszuschüssen für Zufluchtsstädte (sanctuary cities), d.h. Städte oder Kommunen, die die Umsetzung der Einwanderungsgesetze begrenzen oder behindern. Vom Justizministerium gingen Memoranden an die Bundesanwält*innen, in denen diese ermutigt wurden, alle zu bestrafen, die Migrant*innen Unterschlupf gewähren, sowie sogenannte Scheinehen zur Erlangung von Aufenthaltsgenehmigungen als schwere Straftat zu verfolgen. Ende August begnadigte Trump Joseph Arpaio, einen ehemaligen Sheriff aus Arizona der beschuldigt wurde, sich über einen Gerichtsbeschluss hinweggesetzt zu haben, mit dem unterbunden werden sollte, dass seine Polizisten ethnisches Profiling verüben. Zehn Tage später kündigte Justizminister Sessions an, Trump werde das von seinem Vorgänger Barack Obama verfügte Programm Deferred Action for Childhood Arrivals, kurz DACA, in sechs Monaten beenden wobei der Kongress diese Zeit für eine neue Regelung nutzen kann. Das Programm aus dem Jahr 2012 gewährte eine zeitweilige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für junge Migrant*innen, die im Alter von unter 16 Jahren in die USA einwanderten. Davon sind knapp 800.000 Menschen betroffen.
Stellt man die Verbindung zwischen Trumps Politik und der seiner Vorgänger her, so zeigt sich jedoch, dass es sich nicht um einen völlig neuen Angriff auf Migrant*innen handelt, sondern dass er auf einen bereits vorhandenen brutalen Vollstreckungsapparat zurückgreift, der nun deutlicher sichtbar und legitimiert werden soll. Dies lässt sich mindestens bis zu William Clintons Illegal Immigration Reform and Immigration Responsibility Act aus dem Jahr 1996 zurückverfolgen, einem Gesetz, das Ordnungswidrigkeiten als schwere Straftaten (aggravated felonies) für Migrant*innen redefinierte, Abschiebungen erleichterte und erhöhte, und Asylanträge erschwerte. Im gleichen Jahr erweiterte Clintons Antiterrorism and Effective Death Penalty Act den Katalog der Gründe zur Inhaftierung und Deportation von Migrant*innen, einschließlich solchen, die legal in den USA lebten. Es war das erste US-Gesetz, das die Schnellverfahren zur Ausweisung ermöglichte, die heute breite Anwendung finden. In der Zeit von 2002 bis 2013 erhöhten sich die Ausgaben zur Durchsetzung der Einwanderungsgesetze um das Dreifache und erreichten 17 Milliarden Dollar jährlich. So erhielten unter Obama die Behörden, die mit der Durchsetzung dieser Gesetze befasst waren, mehr Haushaltsmittel als alle anderen Bundesbehörden zur Strafverfolgung zusammen, einschließlich FBI und DEA (die US-Drogenbehörde). Was die Ausweisung nichtdokumentierter Migrant*innen betrifft, hat Trump bisher weniger getan als sein direkter Vorgänger im Weißen Haus: In Trumps fünf ersten Monaten lag die durchschnittliche Zahl der Abschiebungen niedriger (16.900 pro Monat) als jene in irgendeinem Jahr während der Amtszeit von Barack Obama, bei dem es bis zu 34.000 Abschiebungen pro Monat gab. Tatsächlich ist Trumps reines Versprechen, zwei bis drei Millionen nichtdokumentierter Migrant*innen abzuschieben niedriger als die Zahl der realisierten Abschiebungen unter Obama, der laut Statistiken des Ministeriums für Heimatschutz insgesamt 3,1 Millionen Migrant*innen während seiner Amtszeit auswies, was ihm unter den Unterstützer*innen von Migrant*innen den Titel deporter-in-chief einbrachte.
Der Vergleich soll Trumps Politik nicht verharmlosen, zielt sie doch darauf ab und gelingt es ihr, unmittelbare Gewalt gegen Migrant*innen und ethnische Minderheiten zu erhöhen. Direkt nach seinem Wahlsieg etwa ist die Anzahl rassistischer Verbrechen (Hassverbrechen wie Angriffe und Morde an Migrant*innen, Brandstiftung von Moscheen etc.) gestiegen. Trumps offene Unterstützung für Arpaio, der im Jahr 2008 sein Freiluftgefängnis für Migrant*innen als »Konzentrationslager« bezeichnete und der auf ein langes Register von Polizeibrutalität zurückblickt, ist eine Ermutigung zu Gewalt sowie ein Rückschlag für die Kämpfe der Rechte von Migrant*innen. Doch ist eine Kontextualisierung in der bisherigen Politik unerlässlich, um die entscheidende Frage zu beantworten, ob es Trump gelingen kann, jenseits der präsidialen Anordnungen und direkten Maßnahmen, die dominanten Machtverhältnisse in Bezug auf Migrationspolitik zu verschieben. Zum einen haben die meisten Republikaner im Kongress geäußert, die Einwanderungsgesetzerneuerung sei nicht prioritär. Im genehmigten Haushaltsplan von Mai ließ der Kongress auch tatsächlich die Ausgaben für die Zufluchtsstädte unberührt und genehmigte auch nicht mehr Mittel für Abschiebungs-Sondereinheiten. Gesetzesmaßnahmen zur Eindämmung der Einwanderung wie das RAISE-Gesetz, das vorschlägt, die legale Einwanderung von ca. 800.000 neuen Migrant*innen bis 2027 jährlich um 50 Prozent zu reduzieren, sind wegen ihrer möglichen negativen wirtschaftlichen Auswirkungen selbst unter Republikanern größtenteils als nichtig erachtet. Auf Bestimmungen wie die Kündigung von DACA, dem Schutzprogramm für junge Menschen, gingen Klagen von 15 Bundesstaaten ein. Ebenfalls angefochten werden derzeit weitere Maßnahmen auf bundesstaatlicher Ebene wie ein texanisches Gesetz, das Polizeichefs oder Sheriffs, die in ihren Einheiten das Einwanderungsgesetz nicht durchsetzen, mit Geldstrafen von bis zu 25.000 USD belegt. Aussagekräftig ist auch die veränderte Zusammensetzung des Kabinetts um Trump. Hier haben vor allem Vertreter des politischen Establishments nach und nach ihre Stellung gegen Außenseiter wie etwa gegen den entmachteten und nun entlassenen Stephen Bannon behaupten können. Die Republikaner buhlen zwar um die Stimmen der Gruppen der extremen Rechten, doch nach breiter öffentlicher Empörung wie etwa nach den Attentaten von Charlottesville distanziert sich der Mainstream der Partei von ihnen vorsichtig. Infolge solcher Machtverschiebungen hat John Kelly, ehemals Direktor des Ministeriums für Heimatschutz und heute Trumps Stabschef, den Behauptungen des Präsidenten mehrmals widersprochen, seine Massenabschiebungen von nicht dokumentierten Lateinamerikaner*innen würden auch ein militärisches Vorgehen implizieren. Kelly, der ehemalige Oberbefehlshaber des Southern Command in Lateinamerika, ist keineswegs ein Gegner militärischer Aktionen in der Region, doch behaupten er und andere in Washington Positionen, bei denen immer weniger davon auszugehen ist, dass sie wohlwollend zuschauen, wie Trump versucht, seine Anti-Establishment-Politik auf die (sowohl politisch als auch finanziell) kostenaufwendigste Weise zu intensivieren, einschließlich durch Projekte wie die 3000 km lange Mauer entlang der mexikanischen Grenze.
Mexiko hat bereits für die Mauer bezahlt
An seinem fünften Tag im Amt begann Trump mit der öffentlichen Inszenierung der Pläne für den Mauerbau. In wenigen Wochen gingen hunderte Bewerbungen von Architekturbüros bis hin zu Militärunternehmen ein. Bei einem Preis von 40 bis 70 Milliarden USD[1] allerdings hat die Maßnahme relativ wenig politische Unterstützung gefunden.