Formen marginalisierter Mutter- und Elternschaft
Von Erfahrungen mit abgewerteter Mutter- und Elternschaft berichtet die Frauen*gruppe der Erwerbsloseninitiative BASTA!. Auch in den Arbeitsagenturen gebe es immer wieder diskriminierende Praktiken, etwa wenn Personen mit kleinen Kindern gekündigt wird und dies als ›selbstverschuldet‹ eingeschätzt werde (vgl. Frauen*gruppe BASTA o. D.). Von einer weiteren Gruppe, für die Mutter- beziehungsweise Elternschaft gesellschaftlich nicht akzeptiert ist, berichtet Ulrike Haase vom Netzwerk behinderter Frauen. Die Problematik reiche von der Sterilisation von Frauen, die als »dauerhaft einwilligungsunfähig« gelten, bis zum Alltag in gynäkologischen Praxen: »In Situationen, in denen Frauen einen Kinderwunsch haben, aber eine Schwangerschaft nicht klappt, ist es für behinderte Frauen besonders schwierig, ein Vertrauensverhältnis zu den Gynäkolog*innen aufzubauen, weil sie im medizinischen Umfeld immer wieder Diskriminierung erleben. Einmal erzählte mir zum Beispiel eine Ärztin auf sehr ehrliche Art und Weise, dass sie total überrascht war, als ein behindertes Paar zu ihr in die Praxis kam und den eigenen Kinderwunsch äußerte, weil das nicht in ihre Vorstellungen von Elternschaft passte. Ihr war ihre eigene Reaktion im Nachhinein unangenehm und am liebsten hätte sie das Paar nochmal von null an neu empfangen, um besser auf sie einzugehen.« (Kitchen Politics 2021, 89) Auch die Rechte von LGBTQI*-Schwangeren, -Gebärenden, -Eltern und -Familien werden auf vielfältige Weise eingeschränkt. Wie umfangreich das Themenspektrum ist, macht etwa das Manifest des Netzwerks Reproduktive Gerechtigkeit Berlin klar (2021). Zudem gibt es in einer Arbeitsgruppe des Gunda-Werner-Instituts der Heinrich-Böll-Stiftung derzeit einen sehr vielstimmigen informellen Austausch zum Thema.
Spezifisch deutsche Genealogien rassistischer Gewalt
Politische Allianzen reproduktiver Gerechtigkeit stehen aber nicht nur vor der Herausforderung, aktuelle Kämpfe zusammenzuführen. Es gilt auch, die spezifisch deutsche Geschichte rassistischer Diskriminierung und Gewalt aufzuarbeiten und dabei deren Kontinuitäten wie Diskontinuitäten gerecht zu werden. So fordern Isidora Randjelović und Svetlana Kostić vom RomaniPhen e. V. und von IniRromnja, die Geschichte des Genozids, der Eheverbote, der Zwangssterilisationen und des Kindesentzugs, die Sinti*zze und Rom*nja erleiden mussten, als weiterhin präsente Vergangenheit zu thematisieren (vgl. Kostić/Randjelović 2021). Beide sehen das Potenzial des Konzepts der reproduktiven Gerechtigkeit genau darin, diese Fragen aus einer feministischen Perspektive anzugehen. Kostić verweist als angehende Sozialarbeiterin auf einen bevölkerungspolitischen Hintergrund: »Klassenarrogante rassistische Archive des Bevölkerungsdenkens können auch für den Umgang mit Sinti*zze und Rom*nja nachvollzogen werden.« (Ebd.) Loretta Ross, eine der Urheber*innen des Konzepts der reproduktiven Gerechtigkeit, spreche sehr treffend von den »unendlich recycelbaren Mythen der unwürdigen Mutter, die einer fahrlässigen Reproduktion beschuldigt wird, sei es als arme, migrantische, queere, mit Behinderung lebende Frau oder als Frau of Color. Dieses Mythen-Recycling trifft auch auf die historische Erfahrung von Rom*nja und Sinti*zze zu. Die rassistischen Diskurse sind als biologistische, aber auch als soziale Argumentation seit Jahrhunderten aufgebaut worden.« (Ebd.) Insbesondere Projektionen von Promiskuität und schlechter Mutterschaft, so Randjelović, seien zentral für eine bis heute andauernde Diskriminierung. Zudem werde politisch nicht an den schlechten Lebensbedingungen dieser Bevölkerungsgruppe angesetzt, vielmehr würden die Mütter angeschuldigt, wenn sie (weitere) Kinder bekommen.
Kämpfe für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch anders angehen
Der Zugang zu Verhütung und Schwangerschaftsabbruch bleibt eine zentrale Forderung, die gerade 2021 anlässlich des 150. Jahrestags der Einführung des Paragrafen 218 für feministische Allianzen wichtig ist. Während einer Fachkonferenz forderte Jane Wangari von Women in Exile, dass sich feministische Bewegungen hierzu stärker mit sozial ausgegrenzten Communitys solidarisieren. Der Zugang zu Abtreibungsmöglichkeiten sei beispielsweise für geflüchtete Frauen in Aufnahmelagern kompliziert: Es fehle an Informationen, das Thema sei in den Communitys oftmals mit einem Tabu behaftet, sie seien der Willkür der jeweils zuständigen Sozialarbeiter*innen und Ärzt*innen ausgeliefert und sie würden oft an Beratungsstellen verwiesen, die mit konservativen Vorstellungen und moralischen Schuldzuschreibungen arbeiteten. Gleichzeitig, so Wangari, interessierten sich Ärzt*innen kaum für die Kinderwünsche der Frauen, wenn sie etwa wegen Zysten vorschnell die Entfernung der Gebärmutter anordneten. Besonders bitter sei, dass sich viele Frauen Kinder wünschten, die Lebensbedingungen in den Lagern es aber schwierig machten, dies zu realisieren. Geflüchtete Frauen sehen sich insofern mit ambivalenten, insgesamt aber vielfach entmündigenden Haltungen gegenüber ihren reproduktiven Wünschen konfrontiert. Feminist*innen in diskriminierten Communitys führen aufreibende und manchmal auch widersprüchliche Kämpfe: für reproduktive Selbstbestimmung und Frauenrechte in ihrem persönlichen Umfeld sowie gegen die institutionelle Abwertung und Entrechtung von Mutter- beziehungsweise Elternschaft durch die Dominanzgesellschaft.
Was reproduktive Gerechtigkeit für die Kämpfe gegen den Paragrafen 218 bedeutet, kann auch mit Blick auf Argentinien diskutiert werden: Dort ist es der »grünen Welle« gelungen, den kostenlosen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen für alle, auch für Frauen ohne Aufenthaltsstatus, ins Gesetz zu schreiben. Die Aufmerksamkeit für diskreditierte Mutter- beziehungsweise Elternschaften lenkt den Blick zudem auf Fragen, die in klassischen Pro-Choice-Debatten eher ausgeblendet werden: Inwiefern passt ein Schwangerschaftsabbruch manchmal gut zu Sichtweisen in der Dominanzgesellschaft, die bestimmte Frauen eher vom Gebären abhalten möchten? Wann ist die Entscheidung für einen Abbruch den prekären Lebensbedingungen geschuldet? Um mit solch heiklen Fragen sensibel umzugehen, braucht es parteiische Initiativen wie zum Beispiel Space2grow in Berlin. Das Projekt bietet eine Peer-to-peer-Beratung von und für geflüchtete und migrierte Frauen zu reproduktiver Gesundheit an; seine Fortführung ist derzeit finanziell gefährdet.3