Zwei von Joes vier Punkten setzen sich gar nicht wirklich mit dem derzeitigen Wiederaufschwung auseinandersetzen. Er argumentiert, dass große Ungleichheit eine riesige Verschwendung menschlichen Talents mit sich bringt, weil die Armen und in zunehmendem Maße auch die Mittelklasse keinen Zugang zu guter Bildung haben. Darin stimme ich ihm zu. Er sagt auch, dass Ungleichheit vermehrt zu Finanzkrisen führt und auch darin stimme ich ihm zu. Aber hier sprechen wir von den Folgen der Krise, nicht von der Krise selbst. Welche Rolle spielt Ungleichheit darin? Zunächst präsentiert Stiglitz eine Version der „Unterkonsumtionshypothese“, die im Kern besagt, dass die Reichen einen zu geringen Anteil ihres Einkommens ausgeben. Diese Hypothese hat eine lange Geschichte – aber auch viele bekannte theoretische und empirische Probleme. Es stimmt, dass zu jedem Zeitpunkt die Reichen eine sehr viel höhere Sparquote haben als die Armen. Seit Milton Friedman wissen wir jedoch, dass diese Tatsache zu einem großen Anteil eine Art statistischer Illusion ist. Konsumausgaben hängen meist mit dem über einen längeren Zeitraum erwarteten Einkommen zusammen. Nimmt man ein Sample von Verbrauchern mit hohem Einkommen, sind darin überproportional viele Menschen enthalten, die gerade ein besonders erfolgreiches Jahr haben und daher viel sparen werden. Entsprechend wird ein Sample von geringen Einkommen überproportional viele Menschen beinhalten, die ein besonders schlechtes Jahr haben und daher von Erspartem leben. Die Durchschnittswerte sagen nichts darüber aus, ob eine langanhaltende höhere Konzentration von hohem Einkommen zu einer höheren Sparquote führt. Sie sagen in dieser Hinsicht über die Zukunft schlicht gar nichts aus. Schauen wir uns also die Daten an: Wir wissen alle, dass mit steigender Ungleichheit die private Sparquote abnimmt. Aber vielleicht haben die Reichen tatsächlich die Unternehmen an ihrer statt sparen lassen. In der Grafik sehen wir die Gesamtsumme der privaten Ersparnisse im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Vor der Krise ging der Trend abwärts, nicht aufwärts – und der Anstieg während der Krise war eindeutig nicht aufgrund einer Zunahme von Ungleichheit. Will ich also sagen, dass wir Vollbeschäftigung durch den Kauf von Yachten, Luxusautos und Dienstleistungen von Fitnesstrainern und Starköchen erreichen könnten? Ja. Man muss das nicht gut finden, aber Ökonomie ist kein moralisches Lehrstück und ich habe bisher noch kein makroökonomisches Argument gehört, warum dies nicht möglich sein sollte. Stiglitz argumentiert außerdem, dass große Einkommensdisparität die Steuereinnahmen mindern würde und schürt damit fiskalische Ängste. Auch mit diesem Punkt habe ich meine Probleme: Unser Steuersystem ist bei weitem nicht so progressiv gestaffelt, wie es sein sollte. Aber es ist zumindest ansatzweise progressiv angelegt, auch wenn man die lokalen und bundesstaatlichen Steuern mit berücksichtigt. Daher kann ich dieses Argument nicht nachvollziehen. Ich wünschte, ich könnte mich dieser These anschließen, das wäre politisch bequem. Aber ich verstehe nicht, warum das so sein soll.
Dieser Text erschien am 20.1.2013 auf seinem Blog in der New York Times: http://krugman.blogs.nytimes.com. Aus dem Amerikanischen von Tashy Endres. Siehe zur Debatte auch den Kommentar von Dean Baker.
Ungleichheit und Wiederaufschwung
Joseph Stiglitz hat darlegt, dass die Ungleichheit eine wichtige Ursache für den schleppenden Wiederaufschwung ist. Er ist ein unglaublich guter Ökonom, daher sollte alles, was er sagt, ernst genommen werden. Aufgrund meiner politischen Position und meiner allgemeinen Beunruhigung über wachsende Ungleichheiten, würde ich ihm auch gerne zustimmen. Aber – es war schon klar, dass es ein „aber“ geben würde – ich kann nicht sehen, dass diese Moral der Geschichte die richtige ist.