Sind wir Zeugen einer historischen Wende sowohl der deutschen Europapolitik als auch der EU-Politik insgesamt? Die jüngsten Vorschläge von Merkel, Macron und der Europäischen Kommission zur Bewältigung der Corona-Krise werden von manchen Beobachter*innen so interpretiert. Am 18. Mai 2020 schlugen die deutsche und die französische Regierung vor, einen zusätzlichen Fonds zur wirtschaftlichen Erholung in der Europäischen Union in Höhe von 500 Milliarden Euro aufzulegen, der über Anleihen der Europäischen Kommission an den Finanzmärkten finanziert werden soll. Die Europäische Kommission setzte noch einen drauf und präsentierte am 27. Mai 2020 einen Aufbauplan unter dem Titel „Next Generation EU“.
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Der Klassencharakter der deutschen Politik in der Coronakrise

Der Papst, der frühere UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, Madonna und viele andere sind sich einig: Wir sitzen in der „Coronakrise“ alle in einem Boot. Aber wie heißt es so schön: Die einen rudern und die anderen steuern. Schauen wir uns die deutsche Politik in dieser Krise unter dem Blickwinkel an, wie sie sich auf die verschiedenen sozialen Klassen auswirkt.

Ulrich Brand und Markus Wissen haben vor einiger Zeit ein neues Konzept in den Kosmos der kritischen Gesellschaftstheorie eingeführt: Die „imperiale Lebensweise“ (ausführlich: Brand/Wissen 2017). Was erklärt dieses Konzept? Wie verändert es unser Denken über Herrschaft und Ausbeutung, über die kapitalistischen Verhältnisse? Wie beeinflusst es unsere Strategien?

Angela Merkels Behauptung, die Gläubiger hätten Griechenland zuletzt ein »außergewöhnlich großzügiges Angebot« gemacht, ist ein schlechter Witz. Die Position der Gläubiger ist im Wesentlichen seit dem ersten Tag der Verhandlungen mit der neuen griechischen Regierung unverändert. Die Regierungen der Euro-Gruppe und die Troika von Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und Europäischer Kommission beharren bis heute auf einer Fortsetzung der Austeritätspolitik in Griechenland, insbesondere auf weiteren gravierenden Mehrwertsteuererhöhungen und Rentenkürzungen, die zu einer weiteren Verarmung der breiten Masse der griechischen Bevölkerung führen würden.
Banken sind profitorientiert wie andere Unternehmen auch. Besonders ist nur, dass sie als Kreditgeber und -nehmer Beziehungen mit Unternehmen aller Branchen haben. Vor allem Großbanken gelten als ›systemrelevant‹, da deren Zusammenbruch Kettenreaktionen im gesellschaftlichen Geldkreislauf auslösen kann. Neben dem normalen Unternehmensrecht existiert deshalb ein besonderes Bankenrecht. Die Behörden, die dieses durchsetzen sollen, sind unverzichtbarer Teil der Regulation kapitalistischer Wirtschaft. Sie sorgen nicht nur für die Reproduktion des Bankgeschäfts, sondern fördern indirekt gleichzeitig die Produktion neuer Finanzprodukte.