Ein Jahr Corona-Pandemie, mitten in der dritten Welle, drei Rettungspakete: Die letzten Monate standen im Zeichen der Krisenfinanzierung. Nicht nur Gastronomie, Kultureinrichtungen oder die Reisebranche, auch Krankenhäuser bangen um ihr Überleben. Und dies mitten in der Pandemie, in der, so sollte man eigentlich meinen, alle Kapazitäten gebraucht würden. Für die Kliniken wurden daher Rettungspakete geschnürt – seit Beginn der Pandemie bisher drei. Alle drei Hilfspakete sollten die finanziellen Mehrbelastungen der Krankenhäuser durch die aktuelle Krise kompensieren. Ob dies tatsächlich gelungen ist, darum tobt derzeit ein Streit.
So moniert etwa die AOK, dass Milliardenbeträge in die Krankenhäuser flossen, obwohl die Fallzahlen im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr gesunken sind. Gleichzeitig schrieben die Wissenschaftsminister aller 16 Bundesländer einen Brandbrief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), in dem sie sich für finanzielle Nachbesserungen des letzten Corona-Hilfspakets aussprechen und auf die besondere Rolle der Uniklinika und anderer Maximalversorger in der aktuellen Pandemie aufmerksam machen. Zudem sind nicht nur große, sondern besonders kleine Kliniken in Gefahr, die finanziellen Mehrbelastungen wirtschaftlich nicht zu überstehen. Wie etwa die ARD berichtete, mussten vergangenes Jahr rund 20 Kliniken schließen – auch solche, die Covid 19-Patient*innen behandelt haben. Auf der anderen Seite konnten viele Krankenhäuser „dank der üppigen Corona-Hilfen ihre Erlöse kräftig steigern“, wie etwa der Focus kritisierte. Allein von Januar bis Mai 2020 sind in privaten Kliniken die Nettoerlöse im Durchschnitt um 14,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Wie passt das zusammen?
Tatsächlich geschieht im Zuge der Hilfspakete beides gleichzeitig: Es kommt sowohl zu einer Verschwendung staatlicher Mittel als auch zu wirtschaftlichen Einbußen und Schließungen von Krankenhäusern. Die Rettungspakete helfen also weder den Krankenhäusern noch sichern sie eine gute Versorgung von Patient*innen. Sie produzieren vielmehr Krisengewinner und -verlierer unter den Kliniken und verschärfen so die schon vorher bestandene Polarisierung im Krankenhaussektor. Private Häuser profitieren, während öffentliche Kliniken rote Zahlen schreiben. Dies zeigt einmal mehr: Wir müssen weg von einer Finanzierung nach DRGs und einem ökonomisierten Gesundheitssystem hin zu einer bedarfsorientierten und öffentlichen Versorgung sowie kostendeckender Finanzierung.
Bilanz der Corona-Hilfspakete – Eine Geschichte des Scheiterns
Mit dem Beginn der Pandemie in Deutschland und der Sorge um ihre Bewältigung wurde im März 2020 das erste Hilfspaket für die Krankenhäuser beschlossen. Zuvor waren die Krankenhäuser politisch aufgefordert worden, alle planbaren Behandlungen (sogenannte elektive Eingriffe) soweit wie möglich zu reduzieren, um Bettenkapazitäten für die erwartete hohe Anzahl an Covid-19 Patient*innen frei zu halten. Da in einer erlösorientierten Finanzierung nach Pauschalen (den sogenannten DRGs) wirtschaftliche Verluste durch diese Reduzierungen drohten, wurde das erste Rettungspaket (Gesetz „Zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“) beschlossen. Dieses sollte die wirtschaftlichen Einbußen kompensieren. Es sah unter anderem eine Freihaltepauschale vor: Für jedes Bett, das pandemiebedingt im Zeitraum ab Mitte März 2020 nicht belegt wurde, bekamen Krankenhäuser eine Pauschale in Höhe von 560 Euro pro Tag. Durch diese Regelung wurde jedoch zugleich ein finanzieller Anreiz geschaffen, mit der Pauschale zu kalkulieren. So manche Klinikleitung fing an, zu berechnen, in welcher Fachrichtung und für welche Behandlungen es lohnt, Betten nicht zu belegen und stattdessen die Pauschale zu kassieren und wo stattdessen die Aufrechterhaltung geplanter Eingriffe lukrativer ist (vgl. Krankenhaus statt Fabrik). In der Folge führte die Pauschalregelung je nach Krankenhaus zu unterschiedlichen Effekten, wie ein vom Bundesgesundheitsministerium eingesetzter Expertenbeirat analysiert hat: Einerseits haben Kliniken profitiert, die teilstationäre Leistungen erbringen, oder Einrichtungen, die mit der Pandemie kaum etwas zu tun hatten (wie etwa psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen). Hier führte die einheitliche Pauschale zu einer Überkompensation der Erlösausfälle. Andererseits mussten größere Krankenhäuser, die Kapazitäten für Covid-19-Patient*innen freihalten sollten, in vielen Fällen herbe Einbußen erleiden. Dies betraf vor allem die großen Universitätskliniken und Krankenhäuser der Maximalversorgung. Denn diese müssen etwa auch Kapazitäten in der Notfallversorgung, auf Geburtshilfe- oder Kinderstationen vorhalten, die im Fallpauschalensystem nicht ausreichend vergütet werden und daher wenig gewinnträchtig sind. In seiner Begleitstudie kommt der Expertenbeirat zu dem Schluss: „Freigemeinnützige und private Krankenhäuser haben überdurchschnittliche Erlössteigerungen realisiert, während Universitätskliniken Erlösrückgänge von bis zu -6,0% aufweisen“(BMG 2020).
Mit dem zweiten Hilfspaket sollte auf diese Fehlentwicklungen reagiert werden, indem die Freihaltepauschale nunmehr differenziert wurde. So sollten die Kliniken fortan zwischen 360€ bis 760€ pro leergehaltenem Bett erhalten. Allerdings hat auch dieses Hilfspaket die Probleme nicht gelöst. Denn vereinfacht gesprochen wurden die durchschnittlichen Kosten für Behandlungen in einer Klinik zugrunde gelegt, um zu entscheiden, ob das jeweilige Krankenhaus eine höhere oder niedrigere Fallpauschale für das Freihalten von Betten bekommt. Wo also normalerweise teure Hüftgelenksoperationen stattfanden und somit hohe Fallpauschalen abgerechnet werden konnten, flossen die höchsten Ausgleichssummen für freigehaltene Kapazitäten. Sogenannte Maximalversorger, also Kliniken, die umfassende und auch weniger lukrative Leistungen anbieten, erhielten dagegen im Schnitt 200 Euro weniger Pauschale. Dies entspricht aber nicht unbedingt den tatsächlich entstandenen Erlösausfällen, welche die Krankenhäuser verzeichnen. Denn nicht berücksichtigt wurde etwa, welche Kosten durch das Freihalten von Betten und die Verschiebung von Behandlungen entstanden sind, und welche Ausgaben dadurch eingespart werden konnten. Kurzum: Auch mit diesem Paket konnten weder Mitnahmeeffekte noch wirtschaftliche Einbußen verhindert werden.
Mit dem „Dritten Bevölkerungsschutzgesetz“ wurde eine Vielzahl von Einschränkungen, Bedingungen und Kürzungen hinzugefügt, um wirtschaftliche Fehlanreize und Mitnahmeeffekte unter Kontrolle zu bekommen: So wurden die Freihaltepauschalen pauschal um je 10% gekürzt und der Kreis der Krankenhäuser begrenzt, der die Pauschale in Anspruch nehmen kann. Zudem werden die Pauschalen nur noch für Häuser in jenen Regionen gezahlt, die über hohe Inzidenzzahlen sowie über knappe Intensivkapazitäten verfügen. Auch dieses – nunmehr dritte – Paket löst die Probleme jedoch nicht und lässt zudem neue Schwierigkeiten entstehen. So führt die Neuregelung dazu, dass nun die Behandlungen in jenen Regionen wieder hochgefahren werden, wo (bislang) niedrige Inzidenzwerte und/oder (noch) freie Intensivbetten bestehen. Wie wir im Verlauf des letzten Jahres gelernt haben, kann sich das Pandemiegeschehen aber sehr schnell verändern. Den finanziellen Ausgleich von Erlösausfällen an Inzidenzwerte zu koppeln, ist für eine krisenfeste Gesundheitsversorgung also gefährlich. Darüber hinaus führt das Hochfahren von Behandlungen zu einer erneuten Überlastung von (Pflege-)Personal in den Krankenhäusern. Der wirtschaftliche Druck auf die Krankenhäuser und das finanzielle Risiko bleiben zudem bestehen, etwa wenn Patient*innen aus Angst vor Ansteckungen wegbleiben oder nach wie vor unklar ist, ob die Fördergelder des ‚Rettungspakets‘ die Erlösausfälle im jeweiligen Haus decken oder nicht.
Weil eine selbstkostendeckende Finanzierung der Krankenhäuser, wie sie die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) zu Beginn der Pandemie gefordert hat, für die Dauer der Krise vom Bundesgesundheitsministerium nicht umgesetzt wurde, sind Steuergelder also in den Kassen privater Kliniken verschwunden. Zugleich mussten im Corona-Jahr 2020 eine Reihe kleiner öffentlicher Häuser schließen.
So sehen Sieger aus, schalalalala? – Schlupflöcher und Personalkrise
Ein weiteres Schlupfloch ist mit der Entscheidung entstanden, die Kosten der Pandemie nicht über ein System der Selbstkostendeckung, sondern über wirtschaftliche Anreize bearbeiten zu wollen: Die Krankenhäuser sollten zur Schaffung neuer Intensivbetten angeregt werden und erhielten daher für jedes zusätzlich geschaffene Intensivbett im ersten Halbjahr 2020 einen Zuschuss in Höhe von 50.000 Euro. Auf dem Papier hat dies gut funktioniert. Doch laut Recherchen des ARD-Politikmagazins „Kontraste“ wurden im Frühsommer mehr Betten bezahlt als im DIVI-Register[1] gemeldet waren.