Ungeachtet der anhaltenden Covid-19 Pandemie, der Klimakatastrophe und der wachsenden Ungleichheit steigen die globalen Rüstungsausgaben kontinuierlich an und haben einen neuen Höchststand erreicht. Dabei ist der Rüstungsexport weltweit ein lukratives Geschäft. Unangefochten stehen die USA auf Platz 1 beim Geschäft mit dem Tod. Aber auch europäische Länder sind vorne mit dabei. Allein auf Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich entfielen zwischen 2016 und 2020 22 Prozent der weltweiten Waffenexporte. Nun stellte das niederländische Transnational Institute TNI eine direkte Verbindung zwischen europäischen Waffengeschäften und der Vertreibung von Millionen Menschen her.

»Smoking Guns - How European arms exports are forcing millions from their homes« titelt das Transnational Institute (TNI) die jüngste Untersuchung [1], die zum 70. Jahrestag der Flüchtlingskonvention von 1951 veröffentlicht wurde, einem internationalen Vertrag, der die Rechte von Menschen festlegt, die zur Flucht gezwungen sind. Der Bericht zeichnet ein düsteres Bild vom Teufelskreis aus Krieg, Waffenexport, Flucht und Ausbau der Grenzsicherung: Waffen aus Europa seien trotz des UNO-Waffenhandelsvertrags und der EU-Regeln zu Waffenausfuhren für die Vertreibung von 1,1 Millionen Menschen in Kriegsgebieten verantwortlich. ″Es ist möglich, Waffen, militärische Ausrüstung und Technik vom Herkunfts- und Exportort bis zum Einsatzort methodisch zu verfolgen und ihre verheerenden Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung zu dokumentieren″, heißt es im Bericht. So lasse sich der Kausalzusammenhang von Rüstungsexport und der Flucht von mindestens 1,1 Millionen Menschen beweisen, schreibt das TNI. ″Die Zahl von 1,1 Million ist eine konservative Schätzung, die auf Fallstudien basiert, die europäische Waffen innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens geolokalisierten“, so Niamh Ni Bhriain vom TNI laut dem Onlinemagazin EUobserver. Wahrscheinlich sei aber, dass es sich noch um etliche Millionen mehr handle (ebd.). 

»Krieg ist höchst profitabel, und der Krieg gegen Migranten wird immer profitabler.«

»Europäische Waffen wurden in Militäroperationen genutzt, die zur Destabilisierung führten und in Zwangsvertreibungen und Migration resultierten. Die Destabilisierung, die durch die von Europa gelieferten Waffen erleichtert wurde, trug dann dazu bei, dass Europa seinen Grenzsicherheitsapparat massiv ausbaute, um auf die offensichtliche Bedrohung durch Flüchtlinge zu reagieren, die versuchen, Asyl zu suchen«, so das TNI.

»Der Waffenhandel ist äußerst lukrativ. Im Jahr 2020 beliefen sich die weltweiten Militärausgaben auf fast 2 Billionen US-Dollar, wobei 62 % auf die Vereinigten Staaten (USA), China, Indien, Russland und das Vereinigte Königreich (UK) entfielen. Der Waffenhandel ist ein zentraler Bestandteil dieser enormen Militärausgaben. Seit 2017 beliefen sich die europäischen Waffenexporte in die Länder Nordafrikas und Westasiens auf 35 Milliarden Euro, wovon allein 14 Milliarden Euro auf französische Waffenverkäufe entfielen. Bis Ende 2020 wurden weltweit 82,4 Millionen Menschen gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben, 48 Millionen wurden intern umgesiedelt und 34,4 Millionen flohen aus ihren Herkunftsländern, oft in Nachbarländer, um Asyl, Schutz und ein menschenwürdiges Leben zu suchen. Die Zahl der Vertriebenen hat sich seit 1990 weltweit verdoppelt und wird in den kommenden Jahrzehnten aufgrund einer Reihe von Faktoren, darunter bewaffnete Konflikte und andere Formen der Gewalt sowie der Klimawandel, der den Migrationsdruck noch verstärken wird, wahrscheinlich noch erheblich steigen. Obwohl es viele politische, wirtschaftliche und historische Faktoren gibt, die zu Vertreibungen führen, ist die ständig steigende Zahl der Vertriebenen, wie dieser Bericht zeigen wird, direkt mit dem expandierenden Waffenhandel verbunden. Einfach ausgedrückt: Der Waffenhandel verursacht nicht nur Massenvertreibungen, sondern ist auch eine Industrie, die davon profitiert, indem sie Aufträge zur Militarisierung der Grenzen erhält, um Migranten einzudämmen und fernzuhalten. Die Vertreibung ist die Folge eines Geschäftsmodells, bei dem Gewinne erstens durch den Verkauf von Waffen erzielt werden, die zu ihrer Verursachung beitragen, und zweitens durch die Militarisierung von Migrationsrouten und Grenzen. Neben der stetigen Zunahme des Wertes des Waffenhandels und der steigenden Zahl von Vertriebenen wächst der Markt für Grenzsicherung, der bis 2025 einen Wert von 65-68 Milliarden US-Dollar erreichen soll. Krieg ist höchst profitabel, und der Krieg gegen Migranten wird immer profitabler.« (ebd.) 

Für den Bericht analysierte das Institut Fälle, in denen Waffen, Bestandteile, Zubehör und Equipment aus Europa in Kriegsgebieten eine Rolle spielten. Formal sind die EU-Länder den Regeln von UNO und EU unterworfen. Sie besagen, dass Waffenlieferung in Kriegsländer verboten sind. Ein Land dürfe keine Transfers genehmigen, wenn es Kenntnis davon hat, dass diese bei der Begehung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schweren Verstößen gegen die Genfer Konventionen oder gegen Zivilisten eingesetzt werden könnten. Waffenausfuhren dürfen keinen bewaffneten Konflikt provozieren oder verlängern. Doch wenn die Waffen einmal exportiert sind, ist es unmöglich zu bestimmen, wie die Waffen verwendet werden. Die Regeln seien vorhanden, aber Kontrollmechanismen zu lasch, so das TNI. Sektoren wie die Landwirtschaft würden weit stärker reguliert, obwohl diese nicht ″das Grundrecht auf Leben und andere Menschenrechte untergraben wie der Waffenhandel″. Das TNI belegt dies mit fünf Fallstudien. So wurden etwa italienische T-129-ATAK-Hubschrauberkomponenten an die Türkei geliefert und von dieser 2018 und 2019 bei Angriffen im nordsyrischen Afrin eingesetzt, wo etwa 180.000 Menschen zur Flucht gezwungen wurden. Ein anderes Beispiel zeigt, wie britische, französische und deutsche Komponenten und Produkte, darunter Raketen und Raketenbatterien, in die Türkei exportiert und von dort nach Aserbaidschan weiter geliefert wurden. Diese Raketen wurden, montiert auf Drohnen, während des Angriffs auf Bergkarabach eingesetzt. Etwa 90.000 Armenier*innen flohen während des Krieges. Im Irak verwendeten die Kämpfer des Islamischen Staates bulgarische Raketenrohre und Raketen, die nach Saudi-Arabien und in die Vereinigten Staaten geliefert worden waren. Die Rohre und Raketen wurden in Ramadi eingesetzt, wo über eine halbe Million Menschen aus der Provinz Anbar vertrieben wurden. "Im Jahr 2017 wurde ein weiteres aus Bulgarien stammendes Raketenrohr in der östlich von Mosul gelegenen Stadt Bartella von IS-Kräften eingesetzt", heißt es in dem Bericht. Mindestens 200.000 Menschen wurden zwischen 2014 und Januar 2017 aus dem Großraum Mosul vertrieben. Bulgarien hatte auch Sturmgewehre, großkalibrige Artilleriesysteme, leichte Maschinengewehre, Handgranatwerfer und montierte Granatwerfer an die nationale Polizei und das Militär der Demokratischen Republik Kongo exportiert. "Konkret waren die bulgarischen Waffen 2017 in Nord-Kivu im Einsatz, was mit der Zwangsvertreibung von 523.000 Menschen einherging", heißt es. Eine weitere Fallstudie geht auf die Lieferung italienischer Patrouillenschiffe an Libyen ein, mit denen die sog. libysche Küstenwache Menschen abhält, nach Europa zu fliehen. Zu diesen Booten gehört die Fezzan 658, die EUobserver Anfang Juli beobachtete, wie sie ein Boot mit Flüchtenden weit innerhalb der Such- und Rettungszone Maltas abfing. Laut EU-Kommissar Olivér Várhelyi wird die Europäische Union den libyschen Milizen nun drei neue Patrouillenboote der P150-Klasse zur Verfügung stellen. [2]

»Viele derjenigen, die aus Libyen flohen, waren höchstwahrscheinlich wahrscheinlich bereits vor anderen Konflikten in anderen afrikanischen und westasiatischen Ländern geflohen, die möglicherweise europäische Waffen gekauft oder erhalten haben, so dass der europäische Rüstungssektor bei jedem Schritt auf ihrem Weg von der Vertreibung bis zur Migration massive Gewinne macht, indem er sie zuerst vertreibt und sie dann später abschreckt und zurückdrängt.« (ebd.)

In diesen Fallstudien identifiziert das TNI folgende Rüstungsunternehmen: Airbus (deutsch-französisch), ARSENAL (Bulgarien), BAE Systems (UK), Baykar Makina (Türkei), EDO MBM (UK), Intermarine (Italien), Kintex (Bulgarien), Leonardo (Italien), Roketsan (Türkei), SB Aerospatiale (Frankreich), TDW (Deutschland), Türkische Luft- und Raumfahrtindustrie (Türkei) und Vazovski Mashinostroitelni Zavodi ÅAD (Bulgarien). 

Dieser Artikel erschien zuerst bei (c) kommunisten.de.

 

[1] Transnational Institute: Smoking Guns – How European arms exports are forcing millions from their homes
www.tni.org/files/publication-downloads/smokingguns-report-tni_final.pdf

 

[2] EUobserver: European arms 'displaced over a million people', research finds https://euobserver.com/world/152545

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