Die Linke und große Teile der gesellschaftlichen Linken riefen zu den Demonstrationen im Frühjahr 2024 gegen rechts und zur Verteidigung der Demokratie auf. Es passt ins Bild, dass das BSW nicht dazu zählte, da es eine klare Abgrenzung zur AfD bewusst vermeidet. Auch wenn die Massenkundgebungen schon wieder etwas abgeebbt sind, waren (und sind) sie Ausdruck eines gesellschaftlichen Widerstands gegen die Wahlerfolge und die Radikalisierung der AfD. Auch wenn Die Linke in vielen Fällen nicht in die Bündnisse einbezogen wurde, hatte sie zu den Protesten mobilisiert und war auf den Plätzen und Straßen ein sichtbarer Akteur. Die Breite der Proteste bis in konservativ-liberale Milieus ist wichtig, um Druck auf die CDU auszuüben, keine Koalitionen mit der AfD einzugehen. Diesen Kurs der breiten Proteste sollte die Linke weiterverfolgen, als Teil der Bündnisse gegen rechts und aktiv für sie eintreten. Denn: In seltenen Fällen sind faschistische oder rechtsradikale Parteien allein an die politische Macht gekommen. Sie brauchten dazu andere, rechtskonservative, nationalistische, bürgerlich rechte Parteien.
Dennoch: Weder die Partei Die Linke noch die gesellschaftliche Linke insgesamt dürfen sich den Positionen der anderen Parteien annähern und sich – auf Bundesebene – als (unkritischer) Teil eines Bündnisses der Demokraten gegen die AfD begreifen. Sowohl die Parteien der Ampel als auch die bürgerlichen Parteien versuchen die sozialen Ursachen der Rechtsentwicklung auszuklammern oder zumindest eine direkte Verbindung zu ihrer Politik zu verdecken. Außerdem sind sie selbst Teil der Rechtsentwicklung, weil sie in ihren politischen Entscheidungen bei der Asylpolitik dem Druck der AfD nachgeben. Die CDU unterscheidet sich inhaltlich auf diesem Feld kaum von der AfD. Als die Ampel in einer aktuellen Stunde im Bundestag die Gefährdung der Demokratie durch die AfD auf die Tagesordnung setzte, hatte sie einen Tag zuvor das Rückführungserleichterungsgesetz verabschiedet. Die Bezahlkarte für Geflüchtete stieß bei den Grünen nicht auf Widerstand. Beides wurde mit der Zustimmung des BSW beschlossen.
Die Linke hat die Aufgabe, konsequent die sozialen Interessen der Lohnabhängigen, besonders der Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen, der Bürgergeldbezieher*innen, Erwerbslosen und Rentner*innen zu vertreten - in der Gesellschaft und in den Parlamenten. Sie muss gewerkschaftliche Kämpfe und soziale Bewegungen unterstützen. Gleichzeitig muss sie auf diesem Feld sozialdarwinistischen und ausgrenzenden Denkweisen entgegentreten.
Die Spaltung und Ausdifferenzierung der Arbeiterklasse, die durch die forcierte Politik der Prekarisierung und Deregulierung in den letzten Jahrzehnten verschärft wurden, erleichtern den Rechten ihr Geschäft. Sie erzeugen einen Nährboden der sozialen Unsicherheit, Abstiegsängste und Befürchtungen, abgehängt zu werden. Die Linke muss der Abgrenzung nach unten und „draußen“ eine Politik der gemeinsamen und verbindenden (Klassen)Interessen entgegensetzen. Dazu gehört, eine Vorstellung von inklusiver Solidarität gesellschaftlich zu verankern und praktisch zu organisieren. Es gilt, soziale Konflikte zwischen unten und oben aufzugreifen und zu organisieren, die eine gemeinsame Klammer für verschiedene Akteure bilden können. Es geht dabei nicht um Milieupolitik, sondern um verbindende Interessen einer tief gespaltenen und ausdifferenzierten Arbeiter*innen-Klasse, die es überhaupt erst ermöglichen, sich als Klasse (ausdrücklich nicht als Milieu) zu begreifen. In diesem Zusammenhang wurde die These ausgearbeitet, dass sich die Zusammensetzung der lohnabhängigen Klasse massiv verändert hat: Sie ist weiblicher, migrantischer, gebildeter und prekärer geworden und zu über 70 Prozent im Dienstleistungsbereich beschäftigt (vgl. u.a. Riexinger 2018). Die Kritik, dass eine stärkere Hinwendung zu den Beschäftigten im Dienstleistungsgewerbe nicht die Breite der Arbeiter*innenklasse anspricht (vgl. Schwerdtner Luxemburg 2024) scheint mir nicht auf der Höhe der Zeit zu sein. In den Zeiten mit besseren Wahlergebnissen ist Die Linke gerade von Beschäftigten im Gesundheitssektor und in der sozialen und personenbezogenen Arbeit überdurchschnittlich gewählt worden - insbesondere von denen, die in diesen Sektoren gestreikt hatten.
Soziale Infrastruktur als wichtige Klammer einer linken Politik gegen rechts
Der teils katastrophale Zustand der öffentlichen Daseinsvorsorge und Infrastruktur ist ein starker Nährboden für die Rechten. Viele Menschen verzweifeln an den gravierenden Mängeln im Gesundheitssystem, an Schlangen vor den Bürgerbüros, an fehlenden Kitaplätzen im Stadtteil, Mangel an bezahlbaren Wohnungen, monatelangen Wartezeiten für Fachärzte, Lehrer- und Erzieher*innenmangel, warten auf unpünktliche Busse oder Bahnen. Es erschwert den Alltag gerade für diejenigen, die sich keine bezahlten Dienstleistungen leisten können und es verstärkt das Gefühl, dass alles den Bach runtergeht.
Die Rechten greifen dieses Gefühl auf und verbinden es mit der Kritik an vermeintlich verschwenderischen Leistungen für Migrant*innen und Geflüchtete sowie für „Fahrradwege in Peru“. Die mangelnde finanzielle Ausstattung der Kommunen verstärkt den Konkurrenzkampf um die Verteilung der Mittel. Dabei wäre ausreichend Geld für die anstehenden Aufgaben da, würde es nur gerecht verteilt. Auf dem Feld der sozialen Infrastruktur war Die Linke in den letzten Jahren stark und politisch wahrnehmbar. Die Idee des „Infrastruktursozialismus“ ist hier ein Schlüssel: Dabei geht es um eine Ausdehnung der sozialen Infrastrukturen für mehr soziale Sicherheit und eine funktionierende Daseinsvorsorge, verbunden mit einem wachsenden öffentlichen oder auch genossenschaftlichen Sektor, der nicht der Profitmaximierung, sondern dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Das Konzept beinhaltet auch Vorschläge zur Demokratisierung der öffentlichen Infrastruktur und damit eines wichtigen Teils der Gesellschaft (vgl. Riexinger 2020).
Die Frage der demokratischen Beteiligung und Aneignung ist auch deshalb bedeutend, weil die Rechten gerade aus dem Ohnmachtsgefühl vieler Menschen gegenüber den staatlichen Institutionen Honig saugen. Auf diesem Feld, wo sich um eine mögliche gerechtere Verteilung und Demokratisierung der Gesellschaft kämpfen lässt, kann die Linke im Unterschied zu den Rechten nicht nur klare Lösungsvorschläge auf den Tisch legen, sondern durch vielfältige praktische Aktivitäten Vertrauen gewinnen. In vielen Städten und Kommunen engagieren sich Linke seit Jahren gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums, für die bessere Bezahlung von Pflegekräften, für den Ausbau des ÖPNV, gebührenfreie Kitas und vieles mehr. Diese Arbeit auszubauen – Konflikte „anzetteln“ und die Betroffenen mit einzubeziehen – ist eine starke Grundlage, um den rechten Vormarsch zu stoppen. Denn in diesen Auseinandersetzungen wird klar, welche konkreten Verbesserungen sich erkämpfen lassen und welche Gegner diesen im Wege stehen. Die Linke kann in diesen Kämpfen soziale und nachbarschaftliche Strukturen und ein Solidaritätsbewusstsein aktivieren, als Gegenmodell zu den sozialdarwinistischen und diskriminierenden Ideologien der Rechten (vgl. Ringer/Wermuth 2020).
Den rechten Kulturkampf annehmen und ein emanzipatorisches Weltbild dagegenstellen
Die Rechtsradikalen führen seit Jahren einen erfolgreichen Kulturkampf gegen die emanzipatorischen Fortschritte seit der 1968er-Bewegung. Das Ziel ist eine reaktionäre kulturelle Hegemonie. Darin ist die Leugnung der (menschlich verursachten) Klimakrise und damit der Kampf um die Verlängerung des fossilen Zeitalters ein zentrales Element (vgl. Candeias 2024). Triggerpunkte der Empörung sind die Verteuerung der Energiekosten, das Verbrenner-Aus und der Heizungstausch. Verbunden wird das mit einem Angriff auf die rot-grüne Ideologie der Transformation, die „unseren“ Wohlstand zerstöre, verantwortlich sei für die Vernichtung von Arbeitsplätzen und die Verschlechterung des Lebensstandards. Interessant, dass das BSW ähnlich argumentiert.
Die Linke auf soziale Gerechtigkeit und Frieden zu reduzieren und sich stärker auf Ostdeutschland zu konzentrieren, wie es Teile der Partei um Dietmar Bartsch oder auch Ines Schwerdtner in der Luxemburg fordern, um Konflikten in der Wählerschaft aus dem Weg zu gehen, ist keine Lösung. Im Gegenteil, es wäre Wasser auf die Mühlen der Rechten. Stattdessen hilft nur der Sprung nach vorne, hin zur Politik einer radikalen sozialökologischen Transformation. Dabei muss Die Linke die berechtigten Ängste und Befürchtungen vieler Menschen ernst nehmen und wirksame Klimapolitik eng mit sozialer Gerechtigkeit verbinden und als Teil der Klassenauseinandersetzungen verständlich machen. Konkrete Projekte und Kampagnen, die soziale Verbesserungen mit konsequentem Klimaschutz verbinden, wurden zum Teil schon auf den Weg gebracht: eine Mobilitätswende, die den Ausbau von Bahn und ÖPNV und kostengünstige Tickets bis hin zum Nulltarif umfasst, unterstützt von der Kampagne #wirfahrenzusammen; außerdem die Forderungen nach einem Schutz der Mieter*innen vor der Abwälzung energetischer Kosten und einer Auszahlung des Klimageldes.
Ein weiteres Element des rechten Kulturkampfes ist das Propagieren eines traditionellen Familienbildes und die Kritik an sexueller Selbstbestimmung sowie das Schüren von Ängsten: vor Migration und Geflüchteten, vor anderen religiösen und kulturellen Orientierungen, insbesondere vor Muslimen, vor kriminellen Migranten*innen und Geflüchteten und vor feministischen Gleichberechtigungsansprüchen. Die Linke hat die Aufgabe, einerseits die emanzipatorischen Fortschritte, die Diversität der Gesellschaft als Errungenschaft und Bereicherung für unsere Gesellschaft zu verteidigen. Gleichzeitig muss sie die materiellen und infrastrukturellen Voraussetzungen (Bildung, Erziehung, Wohnen, kulturelle Räume) schaffen, damit vielfältige Lebensentwürfe und interkulturelle Formen des Zusammenlebens gelingen können. Auch hier ist der Begriff der inklusiven Solidarität die linke Antwort auf die Politik der Rechten, verschiedene Gruppen der Gesellschaft gegeneinander auszuspielen. Hier geht es nicht um vermeintliche „linksliberale“ Orientierungen, sondern um die kulturellen und sozialen Bedingungen für Selbstbestimmung und solidarisches Zusammenleben. Hier treffen linke Forderungen schon auf einen breiten Zuspruch, etwa die Ablehnung der größten Asylrechtsverschärfung auf EU-Ebene, der GEAS Reform, oder dem Kampf gegen verschärfte Abschieberegelungen und die Ausweitung der Liste von „sicheren Herkunftsländern“, in denen jedoch gravierende Menschenrechtsverletzungen stattfinden.
Forderungen, die Partei Die Linke solle ihre migrationspolitische Position zurückdrehen, sind grundfalsch. Die Politik aller Parteien, Migrant*innen systematisch abschrecken zu wollen, muss Die Linke zurückweisen. Mauern, Zäune, Aufnahmelager in anderen Ländern, Bezahlkarte, schnellere Abschiebungen werden die Migration nicht verhindern. Sie sind nur menschenunwürdig und beschämend. Heribert Prantl hat recht: „Migration kann nicht aufgehalten, sie muss gestaltet werden“ (SZ 28.6.2024). Davon abgesehen, dass es die Positionen der AfD nur bestätigt, wenn alle Parteien Migration erschweren wollen, kann die Linke verdeutlichen, dass ohne Zuwanderung unsere Gesellschaft ökonomisch und kulturell ärmer wäre, und das erst recht für die Zukunft gilt. Wir müssen darüber aufklären, dass von den im Jahr 2015 geflüchteten Männern 80 Prozent in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind. Das ist eine höhere Quote als beim Rest der Bevölkerung. Die Wirtschaftsweisen fordern 1,5 Millionen Einwanderer*innen im Jahr. „Die kann man aber nicht als fertige Fachkräfte von ausländischen Bäumen pflügen.“ (Prantl ebd.) Anstatt wertvolle Fachkräfte aus anderen Ländern abzuwerben, müssten die Menschen, die bereits hier sind, qualifiziert und ausgebildet werden. Hier kann Die Linke der rechten Bedrohungserzählung ein klares integratives Konzept entgegensetzen.
Dass sich Migrant*innen seit einigen Jahren stärker in der Partei Die Linke organisieren, ihre Anliegen aktiv einbringen, politisch wahrnehmbar sind und Gesicht zeigen, muss noch weiterentwickelt werden: Die Partei als „Raum“ (im tatsächlichen und übertragenen Sinne) für interkulturelle Politik und Kultur.
Erzählen, was wir gewinnen können
Entscheidend im Kampf gegen die Faschisierung wird sein, ob Die Linke eine glaubwürdige Erzählung entwickeln kann, mit der die sozialökologische Transformation der Ökonomie und Gesellschaft, wirksame Klimapolitik, Migration und interkulturelles Zusammenleben, Demokratisierung und Selbstbestimmung, Feminismus und Emanzipation als Bereicherung und Erweiterung der eigenen Lebensmöglichkeiten begriffen werden. Eine Erzählung, bei der die ökosoziale Transformation verbunden mit einem neuen Wohlstandsbegriff nicht als Angriff auf die eigene soziale Existenz, sondern als Bedingung für deren Verbesserung verstanden wird. Eine Erzählung, die eine realistische Zukunftsvision einer weltweit sozialen und solidarischen Gesellschaft entwirft, als klares Gegenstück zur sozialdarwinistischen Verrohungs- und Zerstörungslogik der Rechten. Eine „Revolution der sozialen Infrastruktur“ könnte exemplarischer Teil einer solchen Erzählung sein. Realistische und konkrete Alternativen sind eine wirksame Brandmauer gegen rechts.
Der Kampf gegen rechts als wichtiges Element einer Reorganisierung der Partei Die Linke
Die Linke hat als Reaktion auf die Abspaltung von Wagenknecht einen spürbaren Zuwachs an neuen Mitgliedern bekommen. Die Bedrohung von rechts und die Gefährdung der Menschenrechte sind die häufig genannten Gründe für diese Entscheidung. Dahinter steckt die Intuition, dass eine starke Linke wichtig und nützlich ist gegen das gefährliche Erstarken der Rechten. Es gab also schon schlechtere Voraussetzungen dafür, diese neue Energie für die gesamte Partei produktiv zu machen. Das sollten wir offensiv, ja angriffslustig vertreten.
Dafür wäre es hilfreich, konkrete Möglichkeiten der politischen Orientierung zu entwickeln: gemeinsame Bildungsformate, Debattenräume, offene Veranstaltungen sowie wirkungsvolle Formen der Aktivierung und Organisierung gegen rechts. Kurzfristige Erfolge sind dabei eher selten. Beispiele in anderen Ländern zeigen, dass das Pendel auch wieder nach links ausschlagen kann, wenn in einer zugespitzten Situation die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Es gibt eine Neigung, Erfolge von Linken in anderen Ländern für die eigene Selbstbestätigung zu nutzen und lautstark zu fordern: „Wir müssen es so machen wie die KPÖ, wie in Frankreich oder in Finnland“. Das ist wenig hilfreich, müssen doch die Erfolge anderswo in ihrem gesellschaftlichen Kontext gesehen werden. Doch von ihnen lernen, indem wir sie mit Blick auf die hiesigen politischen Bedingungen anwenden, abwandeln oder weiterentwickeln, können wir allemal.
Eine veränderte Fassung dieses Textes mit Fokus auf linke Gegenstrategie gegen Faschisierung erscheint im Herbst in Candeias /Becker (2024).