Ein Kompromiss, der Geschichte schrieb
Als London und Peking 1984 die »Chinesisch-britische gemeinsame Erklärung zu Hongkong« unterzeichneten, hatte zunächst keine der beiden Regierungen ein Interesse daran, die demokratischen Rechte der Bevölkerung Hongkongs zu stärken. Sie machten keine Anstalten, diesen Menschen bei den Verhandlungen über das Schicksal Hongkongs oder in der Folgezeit eine Stimme zu geben und brachten so ihre Geringschätzung zum Ausdruck. Die Pekinger Erklärung gab nur das vage Versprechen, dass nach der Übergabe »Wahlen« des Hongkonger Legislativrats und des Regierungspostens stattfinden würden. Das Hauptziel dieser Übereinkunft war, den Laissez-faire-Kapitalismus und das britische Kolonialrecht in Hongkong zu wahren – was im Interesse beider Regierungen lag –, wobei sich das Vereinigte Königreich im Gegenzug verpflichtete, die Insel 1997 an China abzutreten. Peking sah im Schutz westlicher Interessen in Hongkong eine große Chance, sich in den globalen Kapitalismus einzugliedern – und die entsprechenden wirtschaftlichen Vorteile abzugreifen. Beide Seiten bekamen, was sie wollten. Peking konnte mithilfe Hongkongs den chinesischen Unternehmen Unmengen an Kapital sichern. Heute sorgen diese für über 60 Prozent der Börsenumsätze in Hongkong, während sie dort vor 30 Jahren noch praktisch keine Rolle spielten. Auch der Großteil der chinesischen Auslandsdirektinvestitionen (ADI) fließt heutzutage nach Hongkong. Chinas rasanter Aufstieg wäre ohne Hongkong niemals möglich gewesen. Doch Hongkong ist auch ein wichtiges Einlasstor für westliches Kapital nach Festlandchina: Über 70 Prozent aller ADI nach China laufen schließlich über Hongkong.
Peking warnte in letzter Zeit mehrfach vor der Einmischung »ausländischer Kräfte« in Hongkong. Wir Hongkonger*innen verabscheuen diese »ausländischen Kräfte« eigentlich. Seit Beginn der aktuellen Proteste machte sich der britischstämmige Chief Superintendent Rupert Dover dadurch einen Namen, mehrere brutale Einsätze gegen Demonstrierende geleitet zu haben. Tatsächlich arbeiten Hunderte weißer Polizist*innen mit ausländischen Pässen in Hongkong und gehen rücksichtslos gegen Demonstrierende vor. Damit wären wir bei einem wichtigen Punkt: »Ausländische Kräfte« sind nicht nur permanent in Hongkong vertreten, sondern Peking hat die Rolle des Westens – bei der das Vereinigte Königreich und die USA tonangebend sind – in Hongkong sogar stillschweigend akzeptiert. Die dortige Situation ist aber nicht mit der Ukraine vergleichbar. Die Doktrin »Ein Land, zwei Systeme«, die zuerst in der Chinesisch-britischen gemeinsamen Erklärung zu Hongkong und dann im Basic Law (Hongkongs Grundgesetz) von 1997 festgehalten wurde, war von Anfang an ein historischer Kompromiss zwischen Peking und dem Westen. Das glanzvolle Versprechen des Basic Law –»das kapitalistische System und der Lebensstil bleiben für 50 Jahre unverändert« – war also primär ein Zugeständnis an westliche Mächte und Wirtschaftsinteressen. Genau deshalb ist Englisch als Amtssprache anerkannt, dürfen die Einwohner*innen ihre britischen Pässe behalten, gilt in Hongkong weiterhin eigenes britisches Recht, können die Gerichte ausländische Richter*innen bestellen (Artikel 92) und Ausländer*innen fast alle niederen oder höheren öffentlichen Ämter bekleiden – und sogar Minister*in oder Regierungschef*in werden (Artikel 101). Genau dieser Artikel erlaubt es Rupert Dover auch, auf uns einzuprügeln. Bislang war der Westen mit diesem Arrangement fraglos zufrieden, vor allem die USA und das Vereinigte Königreich. Honkong zu destabilisieren, liegt gewiss nicht in ihrem Interesse. Ganz im Gegenteil: Für die westlichen Länder ist es wichtig, dass Hongkong bis 2047 so fortbesteht, wie im Basic Law definiert. So gesehen waren die Interessen Pekings und des Westens deckungsgleich – jedenfalls bis zum Streit über das chinesische Auslieferungsgesetz. 2014 hatten Vertreter*innen Großbritanniens und der USA den Hongkonger Pan-Demokrat*innen noch geraten, für und nicht gegen Pekings politisches Reformpaket zu stimmen (das allgemeine Wahlen für das Amt des/der Regierungschef*in vorsah, wobei die Kandidat*innen weiterhin von Peking bestimmt werden sollten). Mit der aufkommenden »Regenschirmbewegung« fassten die Pan-Demokrat*innen jedoch Mut und legten – gegen den Willen der USA und Großbritanniens – ihr Veto gegen das Reformpaket ein.
Die Fürsprecher*innen Pekings argumentieren nun, dass das koloniale Erbe in Hongkong auch nach der Souveränitätsübergabe von 1997 noch allzu deutlich spürbar sei, weshalb es eine zweite Phase der Dekolonisierung brauche. Man verweist darauf, dass die meisten Hongkonger*innen weiterhin prowestlich orientiert sind, die Straßen koloniale Namen tragen und so weiter. Doch Peking will offensichtlich auch nicht ganz mit diesem Kolonialerbe abschließen. Tatsächlich ist der Regierung viel daran gelegen, den repressiven Teil der Kolonialgesetze beizubehalten. Das Basic Law ist im Grunde eine Neuauflage des kolonialpolitischen Systems, das die Exekutive über die Legislative stellt. Artikel 8 besagt, dass »die Gesetze, die bislang in Hongkong galten, [...] unverändert bleiben«. Das heißt, die Menschenrechte sind hier – im Vergleich zu Chinas Rechtssystem – stärker geschützt, aber zugleich gelten auch weiterhin die meisten repressiven Kolonialgesetze: so etwa die Notverordnung von 1922, auf die sich Hongkongs Regierung am 4. Oktober 2019 berief, um das Tragen von Gesichtsmasken zu verbieten. Ironischerweise hatte die britische Kolonialverwaltung dieses Gesetz damals erlassen, um einen von Seeleuten angeführten und von der Kommunistischen Partei Chinas unterstützten Generalstreik niederzuschlagen – allerdings ohne Erfolg. 2019 griff die unter chinesischer Führung stehende Regierung Hongkongs auf dieses Kolonialgesetz zurück, um hart gegen die »eigenen Landsleute« durchzugreifen – womit sich Peking sozusagen aktiv für den Fortbestand des kolonialen Erbes einsetzte. Später erklärte das Oberste Gericht Hongkongs die Anwendung des Gesetzes als verfassungswidrig und ließ damit erkennen, dass Artikel 8 der Regierungspolitik dienlich sein kann, aber nicht muss. Wegen genau dieser Flexibilität ist Hongkongs Rechtssystem auch dem chinesischen überlegen. Pekings Reaktion war, das Oberste Gericht sofort des Machtmissbrauchs zu bezichtigen. Das zeigt, dass Peking beim Kampf gegen Kolonialismus und für Demokratie mitnichten konsequent vorgeht – vielmehr übt es eine Art innerer Kolonialherrschaft über Hongkongs Bevölkerung aus. Noch klarer wird das, wenn man sich vor Augen führt, dass den Bürger*innen Hongkongs nicht nur in Hongkong, sondern auch in China selbst das allgemeine Wahlrecht verwehrt wird: Die wenigen Vertreter*innen der Sonderverwaltungszone beim Nationalen Volkskongress werden sorgfältig von der Partei ausgewählt. Zudem hat kein*e Bürger*in Hongkongs je einen chinesischen Wahlzettel zu Gesicht bekommen, obwohl das Basic Law auch ihnen das allgemeine Wahlrecht auf dem chinesischen Festland zugesteht.
Das vergessene Volk
Schon zu Maos Zeiten war Hongkong so bedeutend für Peking geworden, dass man die Kolonialregierung tolerierte – im Gegenzug für die Nutzung des Freihafens, wo China in Hochzeiten des Kalten Krieges ein Drittel seiner Auslandsdevisen erwirtschaftete. Peking kam der Kolonialregierung auch insofern entgegen, als es seine Anhänger*innen an der Basis in Hongkong anwies, die Brit*innen nicht zu bekämpfen, sondern »geduldig auf die Befreiung durch Peking zu warten«, die in unbestimmter Zukunft folgen würde.
Die Bevölkerung Hongkongs wurde mit der Kolonialregierung alleingelassen. Mehrheitlich bestand sie aus chinesischen Geflüchteten erster oder zweiter Generation, deren größte Sorge das Überleben war. Sie stellten geringe Erwartungen an Gesellschaft und Politik und waren meist unpolitisch. Als sich die Souveränitätsübergabe in den 1980er Jahren mehr und mehr abzeichnete, wurde ihre Stimme zwar etwas lauter, blieb jedoch weiterhin kaum vernehmbar. Die Pan-Demokrat*innen beschränkten ihre Forderungen 1986 auf partielle Direktwahlen des Legislativrats, doch selbst das lehnte das Vereinigte Königreich ab. Einige linke Gruppierungen forderten Autonomie und freie Wahlen des Legislativrats, was in der Öffentlichkeit jedoch kein Interesse fand. Zumeist gab man sich mit Pekings Versprechen zufrieden, das allgemeine Wahlrecht nach und nach einzuführen.
Doch statt Hongkong das längst überfällige allgemeine Wahlrecht einzuräumen, versuchte Peking dort sechs Jahre nach der Übergabe sein Anti-Subversionsgesetz einzuführen, was am 1. Juli 2003 eine halbe Million aufgebrachter Hongkonger*innen auf die Straße brachte. Im Nachhinein erscheint dies nur als Auftakt des anhaltenden Widerstands gegen Pekings Bestrebungen, Hongkongs Autonomie vollends auszuhöhlen. Als sich die Menschen in der Sonderverwaltungszone nach fast zwei Jahrzehnten des Wartens 2014 zu großen Protesten formierten, um die chinesische Regierung zur Einlösung ihres Versprechen allgemeiner Wahlen zu drängen, reagierte diese mit einem Frontalangriff auf Hongkongs Autonomie. Die Menschen in Hongkong hatten nie das Recht, selbst über ihre eigenen Angelegenheiten zu bestimmen, ob nun unter britischer oder chinesischer Herrschaft. Doch mit der Zeit zeigte sich, dass Peking schlimmer ist als London. Schon Jahre vor dem Auslieferungsgesetz versuchte die Regierung, Hongkong eine chauvinistische Variante »chinesischer Identität« aufzuzwingen, was unter den Brit*innen so nicht vorgekommen war. Auf den Versuch, die Hongkonger Regierung dazu zu bringen, Kantonesisch durch Mandarin als Unterrichtssprache zu ersetzen, folgten die geplante Einführung des Schulfaches »Nationale und moralische Erziehung« und das »Gesetz über die Nationalhymne«, mit dem Abweichungen von der offiziellen Version der Hymne strafrechtlich verfolgt werden können. Das Vereinigte Königreich hielt es während der Kolonialzeit nie für nötig, das Singen der Hymne verbindlich festzuschreiben. Verärgert durch Pekings politische Schachzüge begannen die Hongkonger*innen, sich zu Demonstrationen zu versammeln. Als dann im Juni 2019 das chinesische Auslieferungsgesetz präsentiert wurde, war es für sie glasklar, dass die entscheidende Konfrontation mit Peking nun unvermeidlich bevorstand.
Der Protestmarsch vom 16. Juni mit zwei Millionen Teilnehmenden verdeutlichte, dass ein Großteil der Bevölkerung die Bewegung unterstützt. Pekings Antwort darauf war der Vorwurf des Separatismus. Dabei wird die Protestbewegung eigentlich durch die sehr gemäßigten »fünf Forderungen« zusammengehalten. Eine kleine, lose Gruppierung strebt zwar wirklich nach Unabhängigkeit, sie hat jedoch keinen bedeutenden Einfluss. Anders als frühere Generationen sehnen sich die jungen Menschen in Sonderverwaltungszone nach einer eigenen Identität, was allerdings nicht mit Unabhängigkeitsbestrebungen gleichzusetzen ist, sondern nur als Reaktion auf die immer offener zur Schau gestellte nationalistische und chauvinistische Politik Pekings zu verstehen ist.
Hongkong als Druckmittel Pekings
Die Menschen Hongkongs standen lange allein in ihrem Kampf. Das änderte sich erst, als China unter Xi Jinpings Führung begann, eine immer aggressivere geopolitische Agenda gegenüber der Sonderverwaltungszone zu verfolgen.
Vor dreißig Jahren, als das Basic Law in Peking verfasst wurde, rechnete dort noch niemand mit dem schnellen Aufstieg Chinas. Als Xi Jinping 2012 an die Macht kam, erschien es ihm reizvoll, nicht nur das Wahlrechtsversprechen zu brechen, sondern Hongkong darüber hinaus auch als Druckmittel zu benutzen, nämlich im globalen Wettstreit mit den USA und im Fall Huawei. Vor diesem Hintergrund folgte dann das chinesische Auslieferungsgesetz.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die US-Regierung, die aufgrund des »Hong Kong Policy Act« von 1992 Hongkong als eigenes, von China unabhängiges Zollgebiet behandelt, seine Autonomie in einem jährlichen Bericht stets begrüßt. Als Peking jedoch im Alleingang seine Hongkong-Strategie änderte und das chinesische Auslieferungsgesetz ankündigte, verstimmte das die USA und auch den Westen im Allgemeinen.
Es wäre trügerisch zu glauben, bei dem Gesetz ginge es nur darum, dass wegen Korruption gesuchte chinesische Bürger*innen nach China ausgeliefert und dort strafrechtlich belangt werden können. Nach Wortlaut betrifft das Gesetz »jeden« und könnte also auf jede Person, die sich in Hongkong aufhält, angewendet werden. Der Fall Causeway Bay Books ist vielen noch allzu gut in Erinnerung. Zwischen Oktober und Dezember 2015 verschwanden fünf Mitarbeiter dieser Buchhandlung. Viele Menschen in Hongkong glauben, dass sie verhaftet wurden, weil sie Bücher über Xi Jingpings Privatleben publiziert hatten.
[1] Zwei von ihnen wurden offensichtlich ohne richterliche Anordnung verhaftet. Deshalb fürchten Menschen aller Gesellschaftsschichten das Auslieferungsgesetz – seien es Hongkonger Politiker*innen, wohlhabende Bürger*innen oder Expats aus Europa und den USA – und wünschen sich, dass es aufgegeben wird.
Hongkong hat Auslieferungsabkommen mit zwanzig Staaten, unter anderem mit dem Vereinigten Königreich und den USA, jedoch nicht mit China. Das pekingfreundliche Lager in Hongkong und im Ausland stellt sich die Frage: Warum gerade nicht mit China? Der Grund ist, dass sich niemand auf das chinesische Rechtssystem verlassen möchte. Das Land tritt nicht nur das Rechtsstaatsprinzip mit Füßen, sondern missachtet auch die gerichtliche Unabhängigkeit. China ist sich bewusst, dass es kritisch beäugt wird, daher steht im bereits zitierten Artikel 8 des Basic Law auch ausdrücklich: »die Gesetze, die bislang in Hongkong galten, [...] bleiben unverändert«. Aktuell greift das chinesische Rechtssystem also nicht in Hongkong. Wäre das anders, würde dies nicht nur Hongkongs Autonomie untergraben, sondern auch das Prinzip »Ein Land, zwei Systeme«. Über ein Auslieferungsabkommen könnte man erst diskutieren, wenn China signifikante Nachbesserungen an seinem Rechtssystem vorgenommen hat. In jüngster Zeit hat sich dessen Zustand allerdings nur noch verschlimmert.
Sind die USA für mehr Demokratie in Hongkong?
Seit der Ankündigung des Auslieferungsgesetzes instrumentalisieren die USA Hongkong ganz eindeutig als Waffe im Handelskrieg mit Peking, was alles noch viel komplizierter macht. Der im Oktober 2019 vom US-Kongress verabschiedete »Hong Kong Human Rights and Democracy Act« wird in Hongkong als politische Maßnahme zur Rettung der Freiheit gefeiert. Der Titel dieses Gesetzes ist jedoch irreführend, da etwa Artikel 3 klar und deutlich besagt, dass die US-Interessen in Hongkong im Vordergrund stehen. Laut Artikel 5a, Absatz 6 soll außerdem überprüft werden, ob Hongkong US-Sanktionen gegen bestimmte Länder und/oder Personen ausreichend durchsetzt. Sanktioniert werden sollen Länder oder Personen, die »am internationalen Terrorismus, dem internationalen Drogenhandel oder der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen beteiligt sind oder anderweitig eine Gefahr für die nationalen Sicherheit, Außenpolitik oder Wirtschaft der Vereinigten Staaten darstellen«. Das klare Ziel ist also die Wahrung der US-Interessen und nicht der Schutz von Menschenrechten und Demokratie in Hongkong. Die Menschenrechte derart mit der US-Außenpolitik zu verknüpfen, ist bereits eine Verhöhnung der Menschenrechte, da die Definition der nationalen Interessen der USA immer einzig und allein Sache der US-Regierung sein wird. Dazu passt auch, dass dieses Gesetz es Hongkongs Regierung erlaubt, Sanktionen gegen Nordkorea und den Iran zu verhängen, denn bislang weigern sich viele europäische Länder, den USA bei ihrem Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran zu folgen und bei Trumps eindeutigem Provokationsversuch mitzuspielen.
Der Schutz der US-Außenpolitik, der Handelskrieg mit China oder die globale Wettbewerbsfähigkeit der USA – all das ist nicht unser Kampf. Beim Wettstreit um die globale Vormachtstellung zwischen China und den USA geht es einfach gesagt darum, wer das größte Stück vom Kuchen bekommt. Dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass sich die Interessen der Menschen in Hongkong und die der westlichen Länder momentan in einem bestimmten, eng abgesteckten Bereich überschneiden – der Verteidigung von Hongkongs Autonomie und dem Widerstand gegen das chinesische Auslieferungsgesetz. Das hat auch damit zu tun, dass die Stadt eine höchst internationalisierte ist und dass westliche Interessen im Basic Law gewissermaßen institutionellen Ausdruck finden. Wir sollten keine Angst davor haben, unsere Autonomierechte zu verteidigen oder Peking bezüglich des Versprechens des allgemeinen Wahlrechts beim Wort zu nehmen, auch weil die USA und das Vereinigte Königreich ähnliche Forderungen stellen. Dennoch ist wichtig, dass die Protestbewegung unabhängig für ihre Ziele kämpfen kann.
Fazit
Abschließend kann gesagt werden, dass Pekings Version von »Ein Land, zwei Systeme« – was der Koexistenz eines sozialistischen und eines kapitalistischen Systems entsprechen würde –, aktuell nicht existiert. Vielmehr stehen sich zwei kapitalistische Systeme gegenüber: der bürokratische Staatskapitalismus in China, der die Zwangsgewalt des Staates mit der Macht des Kapitals verbindet; und der Laissez-faire-Kapitalismus in Hongkong. Letzterer bereitet vor allem Hongkongs Arbeiterklasse große Probleme, doch seine im Basic Law festgelegten Rahmenbedingungen bewirken zumindest, dass im Bereich der Menschenrechte gewisse Mindeststandards eingehalten werden – und das Protestbewegung enstehen können. In dieser Hinsicht, so könnte man sagen, ist das hiesige kapitalistische System dem chinesischen überlegen - auch wenn ich es hasse, das zu sagen. Tatsächlich es ist es genau diese Möglichkeit, die Peking immer mehr Sorge bereitet. Denn seit Anfang der 2000er Jahre wächst in China die Zahl der Menschen, die sich an Hongkongs sozialer Bewegung ein Beispiel nehmen und sich zu organisieren beginnen – sei es in informellen Gruppen oder im Rahmen von NGOs. Diesen Preis hat Peking bezahlen müssen, um sich beim Aufbau des neuen chinesischen Kapitalismus auf Hongkong stützen zu können. Mit der Zeit kam er Peking jedoch immer teurer zu stehen. Als Xi Jingping 2012 die Macht übernahm, wähnte sich die chinesische Regierung offensichtlich stark genug, diesen «Unsicherheitsfaktor im Keim zu ersticken» und Hongkongs Autonomie ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Die Arbeiter*innen in Hongkong werden nun zunächst einmal verteidigen müssen, was ihnen zusteht. Sie sollten sich aber auch darauf einstellen, beim Kampf um ihre Rechte darüber hinauszugehen, was das aktuelle kapitalistische System gemäß Basic Law für sie bereithält, und sich gemeinsam mit Chinas Arbeiter*innen für eine wirklich demokratische und gleichberechtige Gesellschaft einsetzen. Denn mehr Rechte wird man weder in Hongkong noch in China erkämpfen können, wenn es den Arbeiter*innen nicht einmal gelingt, ihre derzeitigen Freiheiten zu verteidigen.
Übersetztung aus dem Englischen von Magdalena Kotzurek und Utku Mogultay für Gegensatz Translation Collective
Anmerkung
[1] Von China entführter Buchhändler aus Hongkong verspricht, ein neues Geschäft in Taiwan zu eröffnen (in engl. Sprache),
https://www.theguardian.com/world/2017/may/08/hong-kong-bookseller-abducted-by-china-vows-to-reopen-shop-in-taiwan