Seit zirka einem Jahr wird bei Flormar, einem Kosmetikproduzenten in der Türkei, gestreikt. Am Produktionsstandort in Gebze östlich von Istanbul arbeiten zu 80 Prozent Frauen. Nach vereinzelten Protesten gegen extrem niedrige Löhne, 12-Stunden-Schichten und das Fehlen einer Urlaubsregelung waren im Frühjahr 2018 sind etliche in die Gewerkschaft Petrol-İş eingetreten. Nach ihrer umgehenden Entlassung schlossen sich dem Streik bis heute über 130 Arbeiterinnen an. Sie treten für ihre Wiedereinstellung und die Akzeptanz von Petrol-İş als Verhandlungspartner ein. Bis ein Tarifabschluss erreicht ist, rufen sie zum Boykott von Produkten der französischen Firmengruppe Yves Rocher auf, an die 2012 die Mehrheit der Flormar-Anteile verkauft worden war.[1]

 

Ihr Widerstand katapultierte die Frauen in ein neues Selbstverständnis als politisch bewusste Arbeiterinnen. Die Solidarität ist vielfältig: Andere Streikende und alle größeren und kleineren politischen Parteien waren bereits vor Ort. Neben Petrol-İş begleiten einige linke Organisationen den Streik. Auch unabhängige Feministinnen besuchen und unterstützen die Frauen. Im Ausland solidarisiert sich u.a. die IG Metall; Aktionen fanden auch vor dem Yves-Rocher-Hauptsitz in Frankreich statt. 

Necla, die Bilder vom Streik stimmen optimistisch. Die Flormar-Arbeiterinnen erreichen immer mehr Öffentlichkeiten, und die Produktion hat bereits gelitten. 

NECLA AKGÖKCE: Ein gewisser Optimismus ist berechtigt. Doch es braucht noch viel Arbeit. Die AKP hat ihre Beschäftigungspolitik für Frauen auf Flexibilisierung gebaut, da ergänzen sich Arbeitsmarkt- und ultrakonservative Familienpolitik: Erwerbsarbeit als Heimarbeit mit Stücklohn plus Sorgearbeit. Bessergestellte AKP-Wähler*innen können sich aus einem Pool an unversicherten Hausarbeiterinnen bedienen. Einer der letzten Schritte war, privaten Arbeitsvermittlungsbüros die Vollmacht zu deren Verleih zu geben. Die Frauenarbeitslosigkeit liegt laut DİSK (Verband revolutionärer Arbeiter*innengewerkschaften) derzeit bei 14,7, bei jungen Frauen sogar bei 27 Prozent. Oft werden Frauen überhaupt erst eingestellt, weil und wenn sie besonders ausgebeutet werden können. Jungverheiratete werden nicht genommen, weil sie schwanger werden könnten. Frauen über 40 gelten oft als zu alt. Eine geregelte Arbeit wie bei Flormar gilt vielen als Glücksfall. 

Die Firmenleitung versucht, Streikende und arbeitende Belegschaft durch Sichtsperren voneinander zu isolieren, ließ Sprühfarben für Wandparolen verschwinden und droht mit Kündigung. Doch nur im August 2018 gingen Sicherheitskräfte mit Gewalt gegen die Streikenden vor. Warum? 

Wenn sie Frauen attackieren, kann das öffentliche Zustimmung kosten. Sie machen es subtiler und verbieten z.B., dass ein Ofen geheizt wird. Bei unserem letzten Besuch waren viele Frauen krank. Auch das Streikzelt immer ab- und morgens neu aufzubauen, ist in der Kälte eine Art von Folter. 

Sind es v.a. Frauen, die (abgesehen von den Kurd*innen) seit 2013 die effektivste Opposition gegen das AKP-Regime bilden? 

Die Frauen wehren sich am Arbeitsplatz und auch gegen Druck und Gewalt in der Familie – schau dir die Massen am achten März an. Wenn sie mal anfangen, dann ziehen sie es durch. Ihre Einheit ist größer, ihr Gefühl für Solidarität weiter entwickelt. Das betonen auch Gewerkschaftsfunktionäre. Andererseits wählen gerade Arbeiterinnen häufig die AKP. Im Widerstand, auch weil die solidarischen Frauengruppen stets von der Linken kommen, ändert sich allerdings oft ihre Haltung, ganz ohne irgendeine Schulung… Arbeitskämpfe sind der Moment, dazuzulernen. 

Es gibt aktuell eine Welle von Arbeitskämpfen – bei den Firmen Cargill, Tariş, Real, Media Markt, BBS Metal, dem Bauunternehmen Köroğlu u.a. Gerade am 3. Flughafen Istanbuls artikulierte sich Widerstand gegen die AKP und die ultrarechte MHP. Wie sind die Aussichten? 

Nun, mit Produktionsrückgängen, Konkursanmeldungen und verschlechterten Arbeitsbedingungen gibt es vermehrt Kämpfe. Aber ich denke nicht, dass sie der Machtachse aus AKP und MHP besonders zu schaffen machen. Sie verteilen sich auf kleinere Betriebe. Und es sind nicht die Schlüsselbereiche. Gleichwohl wird klar, dass der Staat die Unternehmer schützt und die Arbeitenden von der Polizei angreifen lässt. Wenn sich all diese Aktionen vereinen würden... Als 2015 im Metallsektor massenhaft gestreikt wurde, auch Ehefrauen und Kinder auf der Straße waren, bekam die Regierung etwas Angst. Die Lebensverhältnisse der arbeitenden Klasse sind v.a. durch Verteuerung von Energie und Lebensmitteln auf einem Elendsniveau angelangt. Nichts ist vorhersehbar. 

Am 3. Flughafen, und auch als sich 2015 durch Verschulden des Betreibers die Minenkatastrophe in Soma ereignet hatte, waren Feministinnen nicht sichtbar. Warum nicht? 

Der Sektor ist entscheidend. Die Flughafenarbeiter, das ist ein männlich dominierter Bereich. Nach dem »Massaker«[2] an Arbeitenden in Soma haben Feministinnen Kooperativen gegründet, und so entstanden für Frauen in Soma Erwerbsmöglichkeiten. 

Das bedeutete auch psychologische Unterstützung für sie und ihre Kinder nach dem fürchterlichen Trauma. Aber Feministinnen sind oft nicht sehr willkommen. In Gewerkschaftsreden heißt es: »Für uns gibt es nicht Frauen und Männer, nur Menschen und Klassen«, auf »es lebe die Frauensolidarität« rufen Funktionäre: »Es lebe die Klassensolidarität«. In solcher Spannung verfehlen Besuche ihr Ziel. 

Am sichtbarsten wurde feministische Solidarität beim Streik gegen den Medikamentenhersteller Novamed in der Freihandelszone von Antalya ab 2006. Damals war die Formel vom »Frauenstreik« in aller Munde… 

Ja, auch in den Medien. Es ist allerdings verkürzend, zu meinen, jeder von Frauen getragene Streik sei ein Frauenstreik. Dazu müssten Forderungen gegen die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung eingeschlossen werden. Sonst gehen die Frauen zum Streik und die Männer organisieren ihn, denn sie haben die Leitungspositionen. Zu Zeiten von Novamed regten wir, die Facheinheit für Frauen bei Petrol-İş, Bündnisse mit Feministinnen an. Doch als der Streik dank der Frauensolidarität gewonnen war, setzte gewerkschaftliche Routine ein: Wir kamen nicht in die Tarifverhandlungen rein, keine unserer im Streik entwickelten frauenbezogenen Forderungen schlug sich im Vertrag nieder. Normalerweise kommen nach erfolgreichem Streik die Aktiven in Leitungspositionen; auch das passierte nicht. Betriebsvertreterin war alles, was die Frauen werden konnten. Als Agitprop-Aktion war das mit dem Frauenstreik gut – aber es gibt ihn nur, wenn Frauen in der Gewerkschaft mehr werden und Arbeitskämpfe anführen, und wenn auch der häusliche Bereich zum Streikareal wird – so wie letztes Jahr in Spanien. 

Das Frauen-Filmkollektiv labournet-tv zeigte hier in Berlin Aufnahmen vom Streik,[3] und zwei Flormar-Arbeiterinnen und ein Gewerkschaftssekretär beantworteten Fragen. Der Mann war feministisch geschult, aber nicht in der Lage, seine Beiträge in angemessener Länge zu halten. Frauen im Publikum bremsten ihn und wollten v.a. den beiden Arbeiterinnen zuhören. Wie verhält sich das in der Türkei? 

Es gibt zwei Strömungen, die feministische und die solidarische. Die feministische verfolgt andere Ziele und legt einen anderen Blick an: Frauen als Subjekte des Handelns. Ich selbst habe angesichts der Krise 2008-2009 feministische Analysen zur Ökonomie verschlungen. Doch davon gab es noch nicht viele, es schrieben immer Männer. Die gingen dann ganz neutral davon aus, dass das, was Männern nach einer Krise passiert, auch Frauen passiert, und fanden mehr nicht nötig. Inzwischen haben das einige feministische Ökonominnen in die Hand genommen, wie z.B. Yelda Yücel und Melda Yaman Öztürk. Sie nutzen auch das Feedback von arbeitenden Genossinnen. Wie alle verfolge ich jetzt diese Schriften. Sie zeigen nicht nur, dass Frauen in Krisen als erstes entlassen werden – auch das natürlich –, denn ob Lohn- oder unentgeltliche Arbeit im Haus, in beiden Bereichen steigt die Belastung. Auch die Gewalt gegen Frauen nimmt zu, auch an Arbeitsplätzen! Hierzu haben Frauenstrukturen westlicher Gewerkschaften Berichte vorgelegt. All dies schafft eine veränderte Ausgangsposition für feministische Politik. 

Und die zweite Strömung der Solidarität?

 Auf Seiten der Linken ist quasi eine andere Erzählung am Werke. Sie betonen, Flormar sei ein Symbol des Widerstands in finsterer Zeit. Aber der Streik wird – bis auf Lobhudelei für die Tapferkeit der Frauen – vorwiegend als ›Arbeitersolidarität‹ interpretiert. Es verschwiegen, dass die Streikenden Frauen sind. Ein fast amüsantes Beispiel: Zwei Facebook-Seiten verfolgen den Widerstand. Auf beiden wurde im Januar ein Bild von drei Gewerkschaftsfunktionären veröffentlicht – Untertitel: »diese drei Männer sind die Architekten des Flormar-Widerstands«.[4] 

 

Eine männliche Geburt des Widerstands? 

So sind sie! Es meldete sich dann eine feministische Unterstützerin und bat höflich darum, den Post zu entfernen. Was passierte aber? Auf einer Seite steht er noch immer. Sie können es nicht ertragen, dass widerständige Frauen vorn stehen – als müssten sie dran sterben! 

Wo steht der Flormar-Streik im Vergleich zu anderen, von Frauen getragenen? 

Bei Flormar geht es um gewerkschaftliche Organisierung, von daher ist es schwieriger als z.B. bei Gripin, einer Medikamentenfirma, wo es um höhere Löhne ging.[5] 

Beim Novamed-Streik konnten wir dank der Frauensolidarität Tarifverhandlungen erzwingen. Ein Jahr danach kam der Streik beim Lederfabrikanten DESA. Entlassene Frauen an verschiedenen Arbeitsplätzen bauten nacheinander Zelte auf... Es gibt ein wachsendes politisches Bewusstsein: ›wenn die anderen gewonnen haben, warum dann nicht auch wir?‹ Aber es kommt stark auf eine feministische Auswertung und Geschichtsschreibung an. Sonst werden den Kämpfen immer bestimmte Dimensionen abgeschnitten, Dinge werden nicht gelernt. Viele Organisationsdynamiken beeinflussen die Bündnisfrage: der Flormar-Streik wird z.B. von der lokalen Filiale von Petrol- İş organisiert, ein Teil der oberen Chargen in der Zentrale hält sich bedeckt. Beim Novamed-Streik produzierten wir hingegen dort die Frauenzeitschrift und arbeiteten als Frauenbereich. Gerade in Arbeiter*innengewerkschaften gilt das Wort des Vorsitzenden viel: Mustafa Öztaşkın war ein recht demokratischer Mann und begriff, was wir wollten. Er mischte sich nicht ein. Doch die 2015 gewählte rechte Führung fand so etwas unnötig. 

Es gibt Bilder, auf denen Männer und Frauen die Zeitschrift lesen. Was hat sich geändert? 

Die Kollegin, die das jetzt macht, ist nicht fest angestellt. Der Nachrichtenbereich ist kleiner, es gibt mehr Fotos, und der jetzige, der AKP zuneigende Vorsitzende taucht ständig auf, ob es passt oder nicht. Aber wie gesagt, der große Unterschied ist: Bei Novamed hatte die Zentrale uns Feministinnen freie Hand gelassen, es gab widerständige Frauenpolitik innerhalb der Gewerkschaft und eine Ahnung von Durchsetzungsmethoden. Das zählt. Frauensolidarität können wir nur mit den arbeitenden Frauen aufbauen. Da es diese politische Scharnierstelle bei Petrol- İş nicht mehr gibt, können wir bei Flormar oft nicht mal mehr den Informationsfluss sichern und konkreter erfahren, auf welchen Widerstand wir womöglich stoßen. Das erschwert Solidarität aus der Frauenbewegung. Gleichwohl hat sich in der Plattform »Frauen gemeinsam sind stark« eine Solidaritätsgruppe gegründet– derzeit die einzige gemeinsame von Feministinnen und anderen Frauen. 

Wie wirkt sich die Kooperation mit Frauen in Arbeitskämpfen auf feministische Organisierung aus?  

Auch das kannst du anhand von Novamed sehen. Eine Mitstreiterin, die die Sozialistisch-Feministischen Kollektive (SFK) mit aufgebaut hat, bestätigte mir neulich, dass sie sich erst über diese Kampagne selbst organisiert haben. Sowas ändert das Verhältnis zwischen feministischen Netzwerken und Frauen in Arbeitskämpfen. 

Die SFK wurden dann ja zu einer überregionalen, bis 2015 aktiven feministischen Organisation und vielen ein Begriff, auch im Ausland. Wie stark gegenseitige Lernprozesse im Zuge von Arbeitskämpfen feministische Politikformen erweitert haben, wurde nach im Gezi-Widerstand spürbar. Das scheint aber weniger ins politische Bewusstsein gerückt. Oder? 

Nein, sicher nicht. Die SFK waren sehr erfolgreich in Bereichen wie Körper, Gewalt, Hausarbeit und Familienpolitik. Sie konnten aber nicht überall präsent sein. Doch sich politisch zu begegnen, führt weiter: Feministinnen sind zumeist auch irgendwo erwerbstätig, doch wissen sie oft nicht, mit welcher Unterdrückung Arbeiterinnen sich täglich herumschlagen. Und diese lernen in Gesprächen nach einer Aktion etwas über Frauenunterdrückung und Widerstandsformen, eine gemeinsame Sprache kann entstehen. 

Der Slogan »Nicht Flormar, Widerstand macht schön!« hört sich so an. Im Streik gegen die Firma Avon 2016 wandten sich Arbeiterinnen gegen die mit ›Ermächtigung von Frauen‹ auftretenden Werbestrategien des Konzerns... 

Diese Verbindung hatten wir bei Petrol-Is das erste Mal gezogen. Wir schrieben »Verschönern wir uns durch Widerstand« auf Transparente. Das passte gar nicht zum traditionellen Gewerkschaftsdiskurs – aber den streikenden Frauen gefiel es, sie brachen in Lachen aus. Damals gab es bei Türk-İş eine sozialdemokratische »Plattform gewerkschaftliches Kräftebündnis«. Als Frauenkoordination innerhalb dieser machten wir Besuche bei Arbeitskämpfen und traten auch gegen die Arbeitsteilung zu Hause an. 

Wie ging es weiter? 

Als die beiden größten Gewerkschaften an die AKP fielen, brach mit der Plattform die Grundlage der Frauenkoordination weg. Aber einige Mitstreiterinnen machen mit der Frauenarbeit weiter. Durch die Zusammenkünfte gab es eine Bewusstseinsbildung. 

Zum Thema Bewusstsein: ›existenzsichernde Arbeit‹ heißt im feministischen Diskurs konkret ›von Männern unabhängige Existenz‹. Das scheint aber nicht die Sorge vieler streikender Frauen. Nach sechs Tagen Streik bei Gripin sagten zwei, es solle nur schnell vorübergehen, sie könnten sich nicht um Haushalt und Kinder kümmern… Sie wollten zurück ins gewohnte Arrangement. Die Visionen sind recht unterschiedlich, oder? 

In Fabrik oder Büro zu arbeiten, bedeutet bei Gewalt durch den Ehemann immerhin, Geld zu haben, um das Haus verlassen zu können. Aber der Lohn reicht nicht einmal für eine Wohnungsmiete, klar verstehen die meisten ihn als Zuverdienst. Verwitwete und Geschiedene kritisieren dies und verlangen gleiche Löhne wie die Männer. Aber die Angst vor Rauswurf macht kompromißbereit, umso mehr, wenn du nur noch ein paar Jahre bis zur Rente hast. Ja, es sind sehr unterschiedliche Welten. Auch die Forderung nach Teilzeit ist grundsätzlich richtig, allerdings ist die Lage in den Zentrumsländern des Kapitalismus unvergleichbar mit der Türkei. 

Doch gerade hier habt ihr etliche Erfahrungen gesammelt, was Frauensolidarität über Klassengrenzen angeht – leider auch viele mit der Arbeitsteilung in Gewerkschaften.

Oja. Sie sind männlich geprägte Organisationen. Nach Statistiken der DİSK liegt die Organisierungsrate in der Türkei bei zehn Prozent, nur sieben Prozent arbeiten überhaupt tarifgebunden. Für Frauen liegt sie bei 6,7, weil sie oft informell, in kleinen und mittleren Unternehmen oder als Subunternehmerinnen beschäftigt sind. Die Gewerkschaften mühen sich nicht, hier zu organisieren. Und die geringe Organisierungsrate der Frauen stärkt Patriarchen. Bei Tez-Koop-İş, wo ich nach Petrol-İş eine Frauenzeitschrift erstellt habe, gab es 17 Filialen – nur einer stand eine Frau vor. Sie werden in die Rolle von Betriebsrätinnen gedrückt, die Chance zum Aufstieg wird ihnen verwehrt. Nach unserer Initiative für eine Frauenkommission der DİSK[6] wurde auf dem Kongress kein einziger Punkt, der sich um gender drehte, akzeptiert. Es gibt so eine Kommission weder dort noch bei Türk-İş. Höchstens bekommt eine Beschäftigte Frauenarbeit zusätzlich aufgedrückt. Sie kritisieren die AKP, aber gleichen dieser: Vorsitzende benehmen sich wie Familienoberhäupter. Ich habe z.B. keine einzige Frau gesehen, die als Beschäftigte bei DİSK  oder Türk-İş zum Bereich gender einen normalen Ausstieg erlebt hätte – es waren immer Rausschmisse oder gar schlimmeres. Der Verlust von Frauenrechten und die aufgestachelte Männlichkeit wirken sich auch hier aus; das erhöht z.B. die Gefahr, dass von Feministinnen Gelerntes instrumentalisiert wird: Gewerkschaften haben den politischen Nutzen erkannt, das Wort »weibliche Arbeitende« (türk. kadın işçi) zu verwenden. 

Apropos Instrumentalisierung: Die beiden Arbeiterinnen in Berlin betonten, dass ihre Familien sie unterstützen. Auf Nachfragen räumten sie ein, dass dies nicht für alle Streikenden gilt; die übrigen würden aber aufgefangen. Stehen sie unter Druck, zu zeigen, wie prima Männer und Frauen zusammenhalten? 

Vielleicht. Zumeist müssen Frauen während Streiks auch in ihrer Familie kämpfen. Sie brauchen für so vieles Zeit: für Interviews, Versammlungen, Presseerklärungen anderswo, und auch sonntags, wenn du normalerweise zu Hause bist. Sie sind schwer zu lenken. Die Familien haben auch Angst um sie wegen der Regierung. Oft bröckelt ihre Zustimmung wieder. Auch für feministische Handlungsmöglichkeiten sind die von Land zu Land unterschiedlichen Gewerkschaftsstrukturen wichtig. In der Türkei gibt es ja z.B. die radikale Unternehmenstaktik, eine Organisierung der Arbeitenden bei »gelben« Gewerkschaften, konkret beim regierungsnahen Verband Hak-İş, zu forcieren. Genau, die Frauen bei Flormar sind ja rausgeflogen, weil sie einer oppositionellen Gewerkschaft angehören. Von der Regierungsseite gegründete gibt es seit dem Putsch 1980. »Gelb« ist untertrieben, es sind Kofferträger! Neben internen Hierarchien müssten auch die Einkünfte der oberen Leitungsebenen der Gewerkschaften diskutiert werden – da geht es um schreckliche Zahlen. Ein Gebrechen der Gewerkschaften ist Vetternwirtschaft – und zwar männlicher Interessennetzwerke. Auch linke Fraktionierung steht gemeinsamem Handeln entgegen: Es kommt vor, dass in derselben Gewerkschaft die Entscheidung einer Filiale zum Streik anderswo nicht mitgetragen wird. Kontakte zwischen Arbeiterinnen und feministischen Gruppen gehen auch deshalb nur soweit, wie es den Vorsitzenden in den Kram passt. 

Wenn nach einem Arbeitskampf der Begegnungsraum wegbricht, gibt es keine institutionellen Partner, die diese Beziehung unterstützen. Ist das nicht ein erhebliches strategisches Problem? 

Ja, ganz sicher. Die feministische Bewegung organisiert sich meist rund um Kampagnen. Aber eins kann ich sagen: Wir haben bedeutenden Anteil daran, dass die Kämpfe von Frauen sichtbarer werden. Wir nützen den Gewerkschaften, aber sie betrachten uns nicht als gleichwertig, sondern ziehen noch die bedeutungslosesten linken Parteien vor. 

Welche weiteren Perspektiven siehst du? 

Ich vertraue teils auf die informellen Beziehungen, die jetzt in Kämpfen wie bei Flormar zwischen Frauen entstehen. Wenn die jetzigen Betriebsrätinnen es in Leitungen schaffen, werden sie den Männern ganz schön zusetzen. Auch aus den Dienstleistungsgewerkschaften, wo der Frauenanteil bei fast vierzig Prozent liegt, können Initiativen hervorgehen. Ein Ausweg scheint mir auch, sich als Frau in eigenen Gewerkschaften zu organisieren, wie schon mal Anfang des 19. Jahrhunderts.  Ausgehend von Frauensektoren wie Dienstleistung und landwirtschaftlicher Saisonarbeit könnten Pilotgewerkschaften entstehen. SEWA in Indien ist z.B. so eine Organisation – mit 1,5 Millionen Mitgliedern. 

Vielen Dank für das Gespräch!  

 Es gibt so eine Kommission weder dort noch bei Türk-İş. Höchstens bekommt eine Beschäftigte Frauenarbeit zusätzlich aufgedrückt. Sie kritisieren die AKP, aber gleichen dieser: Vorsitzende benehmen sich wie Familienoberhäupter. Ich habe z.B. keine einzige Frau gesehen, die als Beschäftigte bei DİSK  oder Türk-İş zum Bereich gender einen normalen Ausstieg erlebt hätte – es waren immer Rausschmisse oder gar schlimmeres. Der Verlust von Frauenrechten und die aufgestachelte Männlichkeit wirken sich auch hier aus; das erhöht z.B. die Gefahr, dass von Feministinnen Gelerntes instrumentalisiert wird: Gewerkschaften haben den politischen Nutzen erkannt, das Wort »weibliche Arbeitende« (türk. kadın işçi) zu verwenden. 

Apropos Instrumentalisierung: Die beiden Arbeiterinnen in Berlin betonten, dass ihre Familien sie unterstützen. Auf Nachfragen räumten sie ein, dass dies nicht für alle Streikenden gilt; die übrigen würden aber aufgefangen. Stehen sie unter Druck, zu zeigen, wie prima Männer und Frauen zusammenhalten? 

Vielleicht. Zumeist müssen Frauen während Streiks auch in ihrer Familie kämpfen. Sie brauchen für so vieles Zeit: für Interviews, Versammlungen, Presseerklärungen anderswo, und auch sonntags, wenn du normalerweise zu Hause bist. Sie sind schwer zu lenken. Die Familien haben auch Angst um sie wegen der Regierung. Oft bröckelt ihre Zustimmung wieder. Auch für feministische Handlungsmöglichkeiten sind die von Land zu Land unterschiedlichen Gewerkschaftsstrukturen wichtig. In der Türkei gibt es ja z.B. die radikale Unternehmenstaktik, eine Organisierung der Arbeitenden bei »gelben« Gewerkschaften, konkret beim regierungsnahen Verband Hak-İş, zu forcieren. Genau, die Frauen bei Flormar sind ja rausgeflogen, weil sie einer oppositionellen Gewerkschaft angehören. Von der Regierungsseite gegründete gibt es seit dem Putsch 1980. »Gelb« ist untertrieben, es sind Kofferträger! Neben internen Hierarchien müssten auch die Einkünfte der oberen Leitungsebenen der Gewerkschaften diskutiert werden – da geht es um schreckliche Zahlen. Ein Gebrechen der Gewerkschaften ist Vetternwirtschaft – und zwar männlicher Interessennetzwerke. Auch linke Fraktionierung steht gemeinsamem Handeln entgegen: Es kommt vor, dass in derselben Gewerkschaft die Entscheidung einer Filiale zum Streik anderswo nicht mitgetragen wird. Kontakte zwischen Arbeiterinnen und feministischen Gruppen gehen auch deshalb nur soweit, wie es den Vorsitzenden in den Kram passt. 

Wenn nach einem Arbeitskampf der Begegnungsraum wegbricht, gibt es keine institutionellen Partner, die diese Beziehung unterstützen. Ist das nicht ein erhebliches strategisches Problem? 

Ja, ganz sicher. Die feministische Bewegung organisiert sich meist rund um Kampagnen. Aber eins kann ich sagen: Wir haben bedeutenden Anteil daran, dass die Kämpfe von Frauen sichtbarer werden. Wir nützen den Gewerkschaften, aber sie betrachten uns nicht als gleichwertig, sondern ziehen noch die bedeutungslosesten linken Parteien vor. 

Welche weiteren Perspektiven siehst du? 

Ich vertraue teils auf die informellen Beziehungen, die jetzt in Kämpfen wie bei Flormar zwischen Frauen entstehen. Wenn die jetzigen Betriebsrätinnen es in Leitungen schaffen, werden sie den Männern ganz schön zusetzen. Auch aus den Dienstleistungsgewerkschaften, wo der Frauenanteil bei fast vierzig Prozent liegt, können Initiativen hervorgehen. Ein Ausweg scheint mir auch, sich als Frau in eigenen Gewerkschaften zu organisieren, wie schon mal Anfang des 19. Jahrhunderts.  Ausgehend von Frauensektoren wie Dienstleistung und landwirtschaftlicher Saisonarbeit könnten Pilotgewerkschaften entstehen. SEWA in Indien ist z.B. so eine Organisation – mit 1,5 Millionen Mitgliedern. 

Vielen Dank für das Gespräch!  

[1] Vgl. https://www.trueten.de/uploads/Solidaritaet_Flormar-Arbeiterinnen.pdf. Thomas Trüten ist IG Metall Vertrauensmann Esslingen. 

[2] Die durch Vernachlässigung von Arbeitsschutzregeln bewusst in Kauf genommenen Tode von Arbeitenden werden von sozialen Bewegungen und kritischer Forschung in der Türkei als »Massaker« bezeichnet. [3" href="#_ftnref

[3">[

[3] Vgl. https://de.labournet.tv/schoenheit-leistet-widerstand

[4]  Gepostet durch Selman Skrya am 4. Januar 2019; vgl. www.facebook.com/groups/168195110560021/.

[5] Die Arbeiterinnen bei Gripin hatten mit Verweis auf die offizielle Inflationsrate 25% Lohnerhöhung gefordert und erreichten im Dezember 2018 eine Einigung auf 22%. Vgl. www.gecinemiyoruz.org/roportaj-gripinde-direnisin-kadin-hali/

[6] Vgl.  www.zeitschrift-luxemburg.de/gewerkschaften-in-der-tuerkei/

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