Beim Novamed-Streik konnten wir dank der Frauensolidarität Tarifverhandlungen erzwingen. Ein Jahr danach kam der Streik beim Lederfabrikanten DESA. Entlassene Frauen an verschiedenen Arbeitsplätzen bauten nacheinander Zelte auf... Es gibt ein wachsendes politisches Bewusstsein: ›wenn die anderen gewonnen haben, warum dann nicht auch wir?‹ Aber es kommt stark auf eine feministische Auswertung und Geschichtsschreibung an. Sonst werden den Kämpfen immer bestimmte Dimensionen abgeschnitten, Dinge werden nicht gelernt. Viele Organisationsdynamiken beeinflussen die Bündnisfrage: der Flormar-Streik wird z.B. von der lokalen Filiale von Petrol- İş organisiert, ein Teil der oberen Chargen in der Zentrale hält sich bedeckt. Beim Novamed-Streik produzierten wir hingegen dort die Frauenzeitschrift und arbeiteten als Frauenbereich. Gerade in Arbeiter*innengewerkschaften gilt das Wort des Vorsitzenden viel: Mustafa Öztaşkın war ein recht demokratischer Mann und begriff, was wir wollten. Er mischte sich nicht ein. Doch die 2015 gewählte rechte Führung fand so etwas unnötig.
Es gibt Bilder, auf denen Männer und Frauen die Zeitschrift lesen. Was hat sich geändert?
Die Kollegin, die das jetzt macht, ist nicht fest angestellt. Der Nachrichtenbereich ist kleiner, es gibt mehr Fotos, und der jetzige, der AKP zuneigende Vorsitzende taucht ständig auf, ob es passt oder nicht. Aber wie gesagt, der große Unterschied ist: Bei Novamed hatte die Zentrale uns Feministinnen freie Hand gelassen, es gab widerständige Frauenpolitik innerhalb der Gewerkschaft und eine Ahnung von Durchsetzungsmethoden. Das zählt. Frauensolidarität können wir nur mit den arbeitenden Frauen aufbauen. Da es diese politische Scharnierstelle bei Petrol- İş nicht mehr gibt, können wir bei Flormar oft nicht mal mehr den Informationsfluss sichern und konkreter erfahren, auf welchen Widerstand wir womöglich stoßen. Das erschwert Solidarität aus der Frauenbewegung. Gleichwohl hat sich in der Plattform »Frauen gemeinsam sind stark« eine Solidaritätsgruppe gegründet– derzeit die einzige gemeinsame von Feministinnen und anderen Frauen.
Wie wirkt sich die Kooperation mit Frauen in Arbeitskämpfen auf feministische Organisierung aus?
Auch das kannst du anhand von Novamed sehen. Eine Mitstreiterin, die die Sozialistisch-Feministischen Kollektive (SFK) mit aufgebaut hat, bestätigte mir neulich, dass sie sich erst über diese Kampagne selbst organisiert haben. Sowas ändert das Verhältnis zwischen feministischen Netzwerken und Frauen in Arbeitskämpfen.
Die SFK wurden dann ja zu einer überregionalen, bis 2015 aktiven feministischen Organisation und vielen ein Begriff, auch im Ausland. Wie stark gegenseitige Lernprozesse im Zuge von Arbeitskämpfen feministische Politikformen erweitert haben, wurde nach im Gezi-Widerstand spürbar. Das scheint aber weniger ins politische Bewusstsein gerückt. Oder?
Nein, sicher nicht. Die SFK waren sehr erfolgreich in Bereichen wie Körper, Gewalt, Hausarbeit und Familienpolitik. Sie konnten aber nicht überall präsent sein. Doch sich politisch zu begegnen, führt weiter: Feministinnen sind zumeist auch irgendwo erwerbstätig, doch wissen sie oft nicht, mit welcher Unterdrückung Arbeiterinnen sich täglich herumschlagen. Und diese lernen in Gesprächen nach einer Aktion etwas über Frauenunterdrückung und Widerstandsformen, eine gemeinsame Sprache kann entstehen.
Der Slogan »Nicht Flormar, Widerstand macht schön!« hört sich so an. Im Streik gegen die Firma Avon 2016 wandten sich Arbeiterinnen gegen die mit ›Ermächtigung von Frauen‹ auftretenden Werbestrategien des Konzerns...
Diese Verbindung hatten wir bei Petrol-Is das erste Mal gezogen. Wir schrieben »Verschönern wir uns durch Widerstand« auf Transparente. Das passte gar nicht zum traditionellen Gewerkschaftsdiskurs – aber den streikenden Frauen gefiel es, sie brachen in Lachen aus. Damals gab es bei Türk-İş eine sozialdemokratische »Plattform gewerkschaftliches Kräftebündnis«. Als Frauenkoordination innerhalb dieser machten wir Besuche bei Arbeitskämpfen und traten auch gegen die Arbeitsteilung zu Hause an.
Wie ging es weiter?
Als die beiden größten Gewerkschaften an die AKP fielen, brach mit der Plattform die Grundlage der Frauenkoordination weg. Aber einige Mitstreiterinnen machen mit der Frauenarbeit weiter. Durch die Zusammenkünfte gab es eine Bewusstseinsbildung.
Zum Thema Bewusstsein: ›existenzsichernde Arbeit‹ heißt im feministischen Diskurs konkret ›von Männern unabhängige Existenz‹. Das scheint aber nicht die Sorge vieler streikender Frauen. Nach sechs Tagen Streik bei Gripin sagten zwei, es solle nur schnell vorübergehen, sie könnten sich nicht um Haushalt und Kinder kümmern… Sie wollten zurück ins gewohnte Arrangement. Die Visionen sind recht unterschiedlich, oder?
In Fabrik oder Büro zu arbeiten, bedeutet bei Gewalt durch den Ehemann immerhin, Geld zu haben, um das Haus verlassen zu können. Aber der Lohn reicht nicht einmal für eine Wohnungsmiete, klar verstehen die meisten ihn als Zuverdienst. Verwitwete und Geschiedene kritisieren dies und verlangen gleiche Löhne wie die Männer. Aber die Angst vor Rauswurf macht kompromißbereit, umso mehr, wenn du nur noch ein paar Jahre bis zur Rente hast. Ja, es sind sehr unterschiedliche Welten. Auch die Forderung nach Teilzeit ist grundsätzlich richtig, allerdings ist die Lage in den Zentrumsländern des Kapitalismus unvergleichbar mit der Türkei.
Doch gerade hier habt ihr etliche Erfahrungen gesammelt, was Frauensolidarität über Klassengrenzen angeht – leider auch viele mit der Arbeitsteilung in Gewerkschaften.
Oja. Sie sind männlich geprägte Organisationen. Nach Statistiken der DİSK liegt die Organisierungsrate in der Türkei bei zehn Prozent, nur sieben Prozent arbeiten überhaupt tarifgebunden. Für Frauen liegt sie bei 6,7, weil sie oft informell, in kleinen und mittleren Unternehmen oder als Subunternehmerinnen beschäftigt sind. Die Gewerkschaften mühen sich nicht, hier zu organisieren. Und die geringe Organisierungsrate der Frauen stärkt Patriarchen. Bei Tez-Koop-İş, wo ich nach Petrol-İş eine Frauenzeitschrift erstellt habe, gab es 17 Filialen – nur einer stand eine Frau vor. Sie werden in die Rolle von Betriebsrätinnen gedrückt, die Chance zum Aufstieg wird ihnen verwehrt. Nach unserer Initiative für eine Frauenkommission der DİSK wurde auf dem Kongress kein einziger Punkt, der sich um gender drehte, akzeptiert. Es gibt so eine Kommission weder dort noch bei Türk-İş. Höchstens bekommt eine Beschäftigte Frauenarbeit zusätzlich aufgedrückt. Sie kritisieren die AKP, aber gleichen dieser: Vorsitzende benehmen sich wie Familienoberhäupter. Ich habe z.B. keine einzige Frau gesehen, die als Beschäftigte bei DİSK oder Türk-İş zum Bereich gender einen normalen Ausstieg erlebt hätte – es waren immer Rausschmisse oder gar schlimmeres. Der Verlust von Frauenrechten und die aufgestachelte Männlichkeit wirken sich auch hier aus; das erhöht z.B. die Gefahr, dass von Feministinnen Gelerntes instrumentalisiert wird: Gewerkschaften haben den politischen Nutzen erkannt, das Wort »weibliche Arbeitende« (türk. kadın işçi) zu verwenden.
Apropos Instrumentalisierung: Die beiden Arbeiterinnen in Berlin betonten, dass ihre Familien sie unterstützen. Auf Nachfragen räumten sie ein, dass dies nicht für alle Streikenden gilt; die übrigen würden aber aufgefangen. Stehen sie unter Druck, zu zeigen, wie prima Männer und Frauen zusammenhalten?
Vielleicht. Zumeist müssen Frauen während Streiks auch in ihrer Familie kämpfen. Sie brauchen für so vieles Zeit: für Interviews, Versammlungen, Presseerklärungen anderswo, und auch sonntags, wenn du normalerweise zu Hause bist. Sie sind schwer zu lenken. Die Familien haben auch Angst um sie wegen der Regierung. Oft bröckelt ihre Zustimmung wieder. Auch für feministische Handlungsmöglichkeiten sind die von Land zu Land unterschiedlichen Gewerkschaftsstrukturen wichtig. In der Türkei gibt es ja z.B. die radikale Unternehmenstaktik, eine Organisierung der Arbeitenden bei »gelben« Gewerkschaften, konkret beim regierungsnahen Verband Hak-İş, zu forcieren. Genau, die Frauen bei Flormar sind ja rausgeflogen, weil sie einer oppositionellen Gewerkschaft angehören. Von der Regierungsseite gegründete gibt es seit dem Putsch 1980. »Gelb« ist untertrieben, es sind Kofferträger! Neben internen Hierarchien müssten auch die Einkünfte der oberen Leitungsebenen der Gewerkschaften diskutiert werden – da geht es um schreckliche Zahlen. Ein Gebrechen der Gewerkschaften ist Vetternwirtschaft – und zwar männlicher Interessennetzwerke. Auch linke Fraktionierung steht gemeinsamem Handeln entgegen: Es kommt vor, dass in derselben Gewerkschaft die Entscheidung einer Filiale zum Streik anderswo nicht mitgetragen wird. Kontakte zwischen Arbeiterinnen und feministischen Gruppen gehen auch deshalb nur soweit, wie es den Vorsitzenden in den Kram passt.
Wenn nach einem Arbeitskampf der Begegnungsraum wegbricht, gibt es keine institutionellen Partner, die diese Beziehung unterstützen. Ist das nicht ein erhebliches strategisches Problem?
Ja, ganz sicher. Die feministische Bewegung organisiert sich meist rund um Kampagnen. Aber eins kann ich sagen: Wir haben bedeutenden Anteil daran, dass die Kämpfe von Frauen sichtbarer werden. Wir nützen den Gewerkschaften, aber sie betrachten uns nicht als gleichwertig, sondern ziehen noch die bedeutungslosesten linken Parteien vor.
Welche weiteren Perspektiven siehst du?
Ich vertraue teils auf die informellen Beziehungen, die jetzt in Kämpfen wie bei Flormar zwischen Frauen entstehen. Wenn die jetzigen Betriebsrätinnen es in Leitungen schaffen, werden sie den Männern ganz schön zusetzen. Auch aus den Dienstleistungsgewerkschaften, wo der Frauenanteil bei fast vierzig Prozent liegt, können Initiativen hervorgehen. Ein Ausweg scheint mir auch, sich als Frau in eigenen Gewerkschaften zu organisieren, wie schon mal Anfang des 19. Jahrhunderts. Ausgehend von Frauensektoren wie Dienstleistung und landwirtschaftlicher Saisonarbeit könnten Pilotgewerkschaften entstehen. SEWA in Indien ist z.B. so eine Organisation – mit 1,5 Millionen Mitgliedern.
Vielen Dank für das Gespräch!