Am nächsten Freitag ist globaler Klimastreik und gleichzeitig ruft ver.di die Beschäftigten im ÖPNV zu ganztägigen Warnstreiks im Rahmen der Tarifrunde im öffentlichen Dienst auf. Ihr plant gemeinsame Aktionen. Was habt ihr genau vor?

Ira: Wir wollen zeigen, wie sehr die Klimafrage gerade im Bereich des ÖPNVs mit der sozialen Frage zusammenhängt, denn es kann keine Verkehrswende ohne einen starken Nahverkehr geben. Die Zusammenarbeit von Beschäftigten und Klimabewegung ist auch wichtig, um wirklich etwas zu erreichen. Denn Busfahrer*innen können mit Streiks nicht so leicht ökonomischen Druck ausüben. Stattdessen verdient der Arbeitgeber eher am Ausstand, wenn die Busse stillstehen. Er spart Sprit und erzielt trotzdem den Großteil der Einnahmen, aus den Dauerfahrkarten und Ticketabos. Wichtig ist darum vor allem politischer Druck. 

Und erreicht ihr diesen politischen Druck? 

Ira: Es braucht dafür nicht nur die Mehrheit im Betrieb, sondern auch die breite Unterstützung der Stadtgesellschaft. Deswegen wurde der ver.di Aktionstag extra mit dem globalen Klimastreik am 3. März zusammengelegt. Die streikenden Beschäftigten haben so die Zeit, mit auf die Demonstration zu kommen. Busfahrer*innen werden Redebeiträge halten und der Kontakt zwischen den Beschäftigten und der Klimabewegung wird gestärkt.


Dennis: Genau, wir wollen die Beschäftigten der Göttinger Verkehrsbetriebe (GöVB) auf die Straße bringen. An normalen Streiktagen sind die Leute zum Dienstanfang gekommen, saßen dann aber im Betriebshof zusammen und keiner hat davon etwas mitgekriegt. Das versuchen wir gerade zu ändern und die Leute für die Demonstration zu mobilisieren. Vielleicht können wir sogar Busse als Lautsprecherwagen organisieren. Wir werden uns zunächst abseits von der Kundgebung mit den Kolleg*innen treffen und dann als Block aus GöVB-Beschäftigten, zusammen mit ihren Familien, dazu stoßen, um auf der Demo noch sichtbarer zu sein. 

Meint ihr die Aktion wird für die nötige Aufmerksamkeit sorgen?

Ira: Ich denke bei uns in Göttingen sind die Voraussetzungen ziemlich gut. „Wir fahren zusammen“ ist eine eigenständige Kampagne, an der mehrere gut organisierte Klima-Gruppen beteiligt sind. Wie groß die Demo wird, kann ich nicht einschätzen, aber ich bin optimistisch. Wir haben früh mit der Organisierung angefangen und die Stimmung in den Betrieben ist super. 

2020 gab es die Kampagne ja schon mal, ist dann aber wieder abgeebbt.

Dennis: In der Tarifrunde im Nahverkehr 2020 hatten wir nicht so viel Vorlauf wie dieses Mal. Es gab zwar erste Ideen für die Zusammenarbeit und gemeinsame Aktionen, die aber so kurzfristig nicht umsetzbar waren. Auch stand die Frage im Raum, ob man mitten in der Corona-Welle tatsächlich den Stadtverkehr bestreiken und die Leute in überfüllte Busse oder letztlich dann ins Auto drängen will. Das hat uns davon abgehalten die Zusammenarbeit wirklich zu intensivieren. Jetzt ist das alles anders. Natürlich gibt es Corona immer noch, aber dafür hatten wir sehr, sehr viel Vorlauf und eine lange Planungsphase für gemeinsame Aktionen. Wir wuppen hier gerade Sachen, die ich niemals für möglich gehalten hätte. 

Wie ist es dazu gekommen?

Ira: Wir haben uns schon viel eher mit Klimaaktivist*innen getroffen und Leute zusammengetrommelt. Dann haben wir uns mit den Kolleg*innen der GöVB und mit ver.di zusammengesetzt, sind schon sehr früh in die Betriebe gegangen und haben die richtige Kontaktperson in der Gewerkschaft gefunden. Die Motivation und das Interesse sind hier auf beiden Seiten total groß und das konnten wir dieses Mal viel besser nutzen. Inzwischen würde ich sagen, dass wir hier Vorreiter sind, weil die Zusammenarbeit mit ver.di und den Betrieben einfach super funktioniert.

Lief das von Anfang an so gut?

Ira: Naja, anfangs waren natürlich auch manche der Klimabewegung gegenüber skeptisch. „Okay, warum seid ihr jetzt im Betrieb? Seid ihr nicht die, die sich auf die Straße vor die Busse kleben?“ Als wir dann erklärt haben, was wir wollen, wurde schnell klar, dass die Interessen dieselben sind. Und das ist ja genau der Punkt: Es wurde lange nur übereinander geredet und nie miteinander. Klar sind wir uns nicht überall einig, aber es gibt zentrale Punkte, an denen für dieselbe Sache kämpfen. Und dafür sollten wir uns zusammenschließen und als breite, vereinigte Bewegung auf die Straße gehen. 

Wie sieht es denn in anderen Städten aus?

Ira: Die Kampagne läuft bundesweit und ist inzwischen in über 40 Städten aktiv. Es gibt auch eine bundesweite Vernetzung zwischen den Städten, in der wir uns gegenseitig auf dem Laufenden halten. 


Dennis: Wie wir das in Göttingen machen inspiriert auf jeden Fall auch Leute aus anderen Städten, die im Vorlauf zur TVN-Runde nächstes Jahr ähnliche Veranstaltungsformate planen. Vor allem die Stadtversammlung, die wir im Februar veranstaltet haben, um mit allen Interessierten über die Lage der Kolleg*innen im ÖPNV zu sprechen, kam überall richtig gut an.

Ist die Unterstützung also auch im Betrieb groß? Werden tatsächlich viele zur Demo kommen?

Dennis: Die gewerkschaftlich organisierten Kolleg*innen werden da sein. Aber diese Tarifrunde des öffentlichen Dienstes ist so brisant und wichtig, dass auch einige Kolleg*innen, die nicht in der Gewerkschaft sind, am Freitag auf die Straße gehen werden. Denn die Schnittmenge mit der Klimabewegung und dieser Demonstration sind die Arbeitsbedingungen. In dieser Tarifauseinandersetzung geht es erstens um unsere Lebensumstände. Zweitens aber auch um einen guten ÖPNV, wo wir die Zeit haben, mal zu warten, bis ältere Menschen sitzen oder um der Rollstuhlfahrerin in den Bus zu helfen. Und drittens hat die Zusammenarbeit mit dem Bündnis die Kolleg*innen durchaus mehr für Klimafragen sensibilisiert. Über die Einhaltung der Klimaziele und ein klimagerechtes Leben wird jetzt auch bei uns im Betrieb diskutiert.


Ira: Genau, so wie die Arbeitsbedingungen sind, kann es einfach nicht weiter weitergehen. Entsprechend groß ist auch die Bereitschaft auf die Straße zu gehen.

Warum sind die Bedingungen in den Betrieben eigentlich so schlecht?

Dennis: Die Arbeitsbedingungen haben sich ja schon seit Anfang der 2000er durch die Neoliberalisierung und zum Teil auch Privatisierung des öffentlichen Sektors und die Aufsplitterung der Tarifverträge stark verschlechtert. Die meisten städtischen Verkehrsunternehmen haben damals darauf bestanden, Absenkungstarifverträge zu unterzeichnen, die von den Standards im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes abweichen. Im Einzelnen unterscheiden sie sich aber von Bundesland zu Bundesland und die privaten Verkehrsunternehmen haben ja wieder andere Tarifverträge. Es ist ein einziger riesiger Flickenteppich, der es schwer macht, bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Unsere Arbeitsbedingungen in einem städtischen Unternehmen sind schon katastrophal. Im Überlandverkehr sind diese Probleme aber noch viel prekärer. Die Kolleg*Innen dort sind am härtesten getroffen und werden in den Niedriglohnsektor gedrängt. Den öffentlichen Nahverkehr oder gar die Infrastruktur im ländlichen Raum auszubauen, kann man unter solchen Verhältnissen knicken. Wir kriegen gerade noch neue Bewerbungen rein, aber die Überlandbetriebe werden kaum noch welche kriegen. Wer will schon einen Job in ÖPNV, wenn der so miserabel ist?!

Im öffentlichen Diskurs hat die Klimabewegung ihre Themen ja inzwischen gut platziert. Politisch bewegt sich aber trotzdem wenig. Ist für euch deswegen die Zusammenarbeit jetzt so wichtig?

Ira: Es wird keine Verkehrswende geben, wenn es keine Busse gibt. Und es wird keine Busse geben, wenn es keine Busfahrer*innen gibt. Wenn die Löhne und Arbeitsbedingungen so bleiben, werden hier 2030 keine Busse mehr fahren. Dann müssen wir uns keine Gedanken mehr über die Verkehrswende machen. Wenn wir jetzt in diesen Verhandlungen und vor allem in der Tarifrunde im Nahverkehr Anfang 2024, wo es um die Arbeitsbedingungen geht, nichts bewirkten, wann soll sich dann noch etwas ändern? Das ist den Beschäftigten völlig klar. Wir müssen das jetzt an die breite Öffentlichkeit bringen, durch Stadtversammlungen und gemeinsame Aktionen, damit es auch der Mehrheit der Gesellschaft bewusst wird. Deswegen haben wir dieses Mal so früh angefangen und bereiten auch jetzt schon die Tarifverhandlungen im nächsten Jahr vor. 

Dennis, wie groß ist der Personalmangel bei euch genau und zu welchen Einschränkungen kommt es deshalb?  

Dennis: Es wird von politischer Seite immer von einem Ausbau des ÖPNV gesprochen. Wir müssen den ÖPNV aber erstmal stabilisieren, sonst wird er bis 2030 kollabieren. Im bundesweiten Durchschnitt und auch bei der GöVB gehen bis 2030 etwa die Hälfte der Beschäftigten in Rente. Das Klimaziel der Stadt Göttingen bis 2030 beinhaltet aber, die Fahrgastzahlen zu erhöhen. Das heißt für die GöVB auch: mehr Fahrpersonal. Konkret müssten hier bis 2030 bis zu 270 Personen eingestellt werden. In einer Branche mit solchen Arbeitsbedingungen, wo die Leute niedrige Löhne bekommen? Das wird nicht klappen. Investiert wird zwar, aber an den falschen Stellen. Das Land Niedersachsen hat zum Beispiel ein Förderprogramm von 90 Millionen Euro für den Kauf von E-Bussen aufgelegt. So etwas bringt uns nichts, wenn es keinen gibt, der die fährt.

Was fordert ihr also?

Dennis: Da haben wir eine klare Antwort drauf: Schraubt die Arbeitsbedingungen hoch, dann werdet ihr Leute finden und müsst nicht weiter vom Fachkräftemangel reden. Und falls tatsächlich kein Geld da sein sollte, wie wäre es mit Vermögenssteuer, Gewinnsteuer und Erbschaftssteuer?


Ira: Uns wird immer erzählt, Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit funktioniert nicht zusammen. Und wenn es höhere Löhne geben soll, dann steigen die Ticketpreise. Aber das stimmt nicht, Das Geld ist da. Die Frage ist nur wie es verteilt wird. 

Und wie geht es nach Freitag weiter?

Dennis: Das große Ziel ist die TVN-Runde 2024, weil da die Arbeitsbedingungen für den ÖPNV geregelt werden. Da werden wir natürlich weiter zusammenarbeiten, werden schauen, welche Erfahrungswerte wir aus dieser Tarifrunde gewinnen konnten und die Zusammenarbeit ausweiten und intensivieren. Denn wie Ira schon gesagt hat, ist die Tarifverhandlung wahrscheinlich die letzte Chance, um noch eine klima- und sozialgerechte Verkehrswende erreichen zu können.


Gespräch geführt von Merle Koch.