All das legt nahe, die private Verfügung über die Produktionsmittel und die gesellschaftlichen Infrastrukturen einmal mehr in Frage zu stellen. Es geht um die Transformation der »privaten Produktionsmittel« in gesellschaftliche, in öffentliche, so dass alle am gesellschaftlichen Leben, an der Organisation der gesellschaftlichen Arbeit und an der Aneignung der Natur gleichermaßen Teil haben und mit entscheiden können – denn sie sind von diesen Entscheidungen auch betroffen. Oftmals wurden die Hoffnungen auf den Staat gesetzt. Mit seinen Machtressourcen besitzt er die Kompetenz, das gesellschaftliche Gesamtinteresse zu verfolgen. Doch in der Bewältigung der Krise hat sich das als eine Täuschung erwiesen. Belegschaftseigentum, also die Kontrolle der Produktionsmittel durch die Lohnabhängigen eines Unternehmens, ist ein Versuch, die Produktionsmittel zum Wohl der Beschäftigten einzusetzen, Arbeitsplätze und Einkommen zu garantieren und die Arbeit selbst zu organisieren. – Es kann eine Übung in direkter Kontrolle der Produktionsmittel und direkter Demokratie sein. Unter kapitalistischen Bedingungen gibt es dominante Eigentumsformen. Sie bestimmen nicht nur den gesamten wirtschaftlichen Prozess, sondern auch die Gliederung der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, die sozialen Praktiken und die Art und Weise der Ausübung politischer Macht. Dieses kapitalistische Eigentum ist das formelle, rechtliche Eigentum an den Produktionsmitteln, häufig verbunden mit dem Besitzrecht, also der Verfügungsgewalt über den Einsatz dieser Produktionsmittel. Diese Eigentumsform ist in sich nach verschiedenen Rechtsformen differenziert. Neben diesen privatrechtlichen Eigentumsformen gibt es weitere Formen wie staatliches, kommunales oder genossenschaftliches Eigentum. Das Verhältnis von Kapitaleigentum und Besitz variiert in der Geschichte des Kapitalismus. Mit dem Eigentumstitel kann sich direkt das Kommando über die Arbeit verbinden wie in der klassischen liberalen Periode; unter monopolkapitalistischen Bedingungen treten beide Kapitalfunktionen auseinander. Die Entscheidungskompetenzen über den Einsatz der Produktionsmittel werden auf Manager übertragen. Ein Merkmal des Neoliberalismus ist, dass die Kapitaleigentümer, insbesondere die institutionellen Anleger, darum bemüht sind, das Management verstärkt unter Kontrolle zu bringen, um auf Unternehmensstrategien und Gewinnziele Einfluss zu nehmen. Die Besitzfunktion, also die realen Verfügungsrechte über die Produktionsmittel, sind folgenreich: Die Verfügenden können über den Einsatz der Arbeit der von ihnen Abhängigen gebieten und sich deren Mehrarbeit aneignen. Sie verstehen den Produktionsapparat nicht als Gemeineigentum, als Kollektivgut oder als öffentliche Institution, das dazu da ist, dass alle ihr Leben erhalten können. Sie sehen ihn als ihr Privateigentum, über das sie zu Recht das individuelle Macht- und Verfügungsmonopol hätten und der ihnen nicht nur die Subsistenz, sondern auch eine individuelle Gewinnvermehrung zu sichern hätte. Zufälligerweise kann sie auch einen Nutzen für die Allgemeinheit ausüben. So sitzen sie dem Missverständnis auf, dass alle das Unternehmen betreffenden Entscheidungen ihre Privatangelegenheit seien: Wird überhaupt etwas hergestellt oder als Dienst für andere angeboten? Welche Produkte werden produziert, wie die entsprechenden Arbeitsprozesse organisiert? Wenn das Unternehmen keinen Gewinn mehr abwirft oder der Gewinn im Verhältnis zu vergleichbaren Unternehmen nicht ausreichend hoch ist und das investierte Kapital bei einer anderen Anlage höhere Zinsen erwarten kann, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein Unternehmen eingestellt wird. Den Konsumenten mag dies auf den ersten Blick relativ gleichgültig sein, vielleicht wird auf dem Weltmarkt ein vergleichbares Produkt angeboten. Versprochen wird, dass es das Neuere und Modernere und Bessere gebe. Doch für die Konsumenten wird aus der Wahlfreiheit ein regelrechter Zwang zum ständigen Fortschritt: neue Auto- oder Computermodelle, Stereoanlagen, Mobiltelefone, Möbel oder Design. Gleichzeitig ist die Qualität vieler Produkte bedroht, bekannte und beliebte Produkte verschwinden vom Markt, andere werden gar nicht erst entwickelt und angeboten, weil die Nachfrager nicht zahlungskräftig genug sind. Die KonsumentInnen werden von der Dynamik des Immer-Neuen angetrieben und haben auf die Art der Produkte und ihre Gestaltung keinen Einfluss. Die Diskussion über »falsche Bedürfnisse« gilt als beendet, der Vorwurf, sie sei zwangsläufig mit Erziehungsdiktatur verbunden, konnte sich fest etablieren. Eine demokratische Diskussion über Bedarf, Art der Bedürfnisbefriedigung, über Konsumgewohnheiten oder Produktgestaltung ist in weite Ferne gerückt. Die private Verfügung über die Produktionsmittel hat eine weit über die Konsumsphäre hinaus reichende Bedeutung. Denn Unternehmer und Manager können den Lohnarbeitenden gegenüber den Zugang zu den Produktionsmitteln kontrollieren, damit also zu den Mitteln ihrer Selbsterhaltung. Das ist auf wenigstens dreierlei Weise möglich: 1 | Die Investitionsvermeidung oder -zurückhaltung. Individuen werden nicht gezwungen, eine unternehmerische Funktion wahrzunehmen und kollektiv zur Verfü- gung stehende Ressourcen zu mobilisieren und in eine bestimmte Produktion oder Dienstleistung zu investieren. Sie tun dies als Teil eines herrschenden Kollektivs, das sich am Gewinn und an der Erhaltung seiner Macht orientiert, und entscheiden also über Investitionen und damit über die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Einsatz der menschlichen Arbeitskraft zum Zweck ihrer Ausbeutung. Die einzelnen Individuen können die Besitzfunktion aufgeben und sich auf eine Eigentümer- und Rentnerfunktion zurückziehen. 2 | Eine zweite Form der Kontrolle ist die der unmittelbaren Zusammenführung der doppelt freien Arbeitskräfte mit den Produktionsmitteln. Im Grenzfall können Unternehmen Lohnarbeitende aussperren. Mit betrieblichen Vorschriften, dem Werkschutz, Video- oder Computerüberwachung, den Hierarchien, den Vorarbeitern und Meistern oder mit straffen Zeitregimen werden komplexe Dispositive der Kontrolle und Überwachung der Lohnabhängigen in den Betrieben geschaffen. Das Machtmittel der Kontrolle setzt sich vor allem in den Regelmäßigkeiten der formellen und informellen Berufsqualifikation und den Zwängen des Arbeitsmarktes durch. Denn die Art des benötigten Arbeitsvermögens und damit die Prozesse seiner Formierung ebenso wie die Widerständigkeit, Kampferfahrung oder Organisationsfähigkeit der Lohnabhängigen entscheiden darüber, wie innerhalb des Betriebes die Arbeitskraft durch das Kapital angeeignet wird. Um den Grad der Aneignung von Mehrarbeit zu steigern, werden von den Kapitaleignern in der Konkurrenz der Einzelkapitale immer neue, effizientere Maschinensysteme entwickelt und die Produktion, die Arbeitsteilung und damit auch die Form des Arbeitsvermögens ständig verändert. Der Vorgang der zunehmenden Akkumulation bedroht auch die Subsistenz der Arbeiter und ihrer Familien und unterwirft sie der Disziplin des Arbeitsmarkts. 3 | Schließlich können die Kapitaleigner auch entscheiden, Betriebe zu schließen oder eine bereits existierende Produktion zu verlagern. Sowohl hinsichtlich des Konsums als auch der Produktion gab es und gibt es aktuell im Rahmen der Genossenschaftsbewegung, der Alternativbewegung oder der Solidarischen Ökonomie zahlreiche Bemühungen, sich vom Diktat der Kapitaleigentümer zu befreien. So bilden Konsumenten Genossenschaften und Kooperativen, um mit dem Mittel der Marktmacht ihren Bedarf an bestimmten Produkten zur Geltung zu bringen und zu befriedigen. Sie können auf diese Weise auf die Preisgestaltung, die Qualität von Produkten und Dienstleistungen, die Mengen und die Distribution Einfluss nehmen. Auch von der Seite der Lohnabhängigen gibt es zahlreiche Versuche, sich dem Schicksal der Lohnarbeit durch andere Arbeits- und Betriebsformen zu entziehen: Formen von Genossenschaften, Kooperativen und selbstverwaltete Betriebe, Mitarbeitergesellschaften oder Belegschaftseigentum. Zur Bildung von Belegschaftseigentum kann es aus den verschiedenen Gründen und in verschiedenen Formen kommen: Unternehmen gehen aufgrund von Missmanagement von Unternehmern und Managern insolvent, obwohl es für die Produkte weiterhin einen Markt gibt; Unternehmer geben einen Betrieb auf, weil sie ihn im Verhältnis zu anderen Anlagemöglichkeiten für zu wenig gewinnbringend halten; oder der Unternehmer zieht sich aus Altersgründen zurück und die Familie will die Firma nicht weiter betreiben. Gewerkschaften, die Betriebsräte oder Belegschaftsmitglieder können aktiv werden, um die Produktion oder Dienstleistung aufrecht zu erhalten: Belegschaften besetzen Betriebe und setzen die Produktion fort; sie übernehmen eine Firma in Eigenregie, indem sie sie für einen geringen Betrag kaufen; sie arrangieren sich mit den Vorbesitzern, investieren ihre Sozialmittel und übernehmen bestimmte Aufträge. Traditionell bestand in der Arbeiterbewegung und den Gewerkschaften Skepsis gegenüber der unternehmerischen Aktivität von Belegschaften. Die Lohnabhängigen müssen dann Verantwortung für die Betriebe übernehmen und die Gefahr ist groß, dass sie einen unternehmerischen Standpunkt übernehmen. Sie produzieren weiterhin für einen kapitalistisch strukturierten Markt und im Rahmen der allgemeinen Konkurrenz von Privateigentümern, das kann Genossenschaften oder Betriebe, deren Eigentümer die Belegschaften selbst sind, schnell prä- gen. Weil sie keine hohen Renditen erwirtschaften müssen, können sie am Markt preisgünstiger sein. In Fällen wie genossenschaftlich geführten Krankenhäusern oder Pflegeheimen kann das erwünscht sein, weil die Versorgung mit entsprechenden Dienstleistungen marktförmig nicht angemessen erbracht werden kann. In anderen Fällen kann es den Wettbewerb verschärfen. Auch können die Belegschaften, die Eigentümer sind, dazu übergehen, sich selbst stärker auszubeuten und damit in Konkurrenz zu Lohnabhängigen in kapitalistischen Betrieben zu treten, in denen der Kampf gerade um eine Begrenzung der Arbeitszeit geführt wird. Auch in Betrieben der Alternativ- und solidarischen Ökonomie lässt sich unter fortbestehenden kapitalistischen Verhältnissen der Zwang zu bestimmten Unternehmensentscheidungen nicht völlig vermeiden. Können Entscheidungsmodalitäten – unter kapitalistischen Verhältnissen Vorrecht der Kapitaleigner und des Managements – erfolgreich demokratisiert und Kompetenzen verallgemeinert werden? Eine Grundfrage ist die Bestimmung des Ziels der Belegschaft: Will sie den Betrieb langfristig selbst verwalten oder soll er im Fall höherer Gewinne wieder an Kapitaleigentümer verkauft werden? Können die einzelnen Belegschaftseigentümer frei über ihre Anteile verfügen und sie verkaufen oder bleiben diese im Eigentum des Belegschaftskollektivs? Mit Gründung oder Übernahme eines Betriebs können innerhalb des Kollektiveigentümers Konflikte entstehen, ob und in welchem Umfang ein Kredit aufgenommen werden soll und ob die Verschuldung verantwortet werden kann. Die Belegschaften stehen vor der Frage, wie sie mit den Gewinnen umgehen: Sollen sie investieren, betriebliche Rücklagen für »Durststrecken« oder für die soziale Absicherung bilden oder mit höheren Löhnen ihren eigenen individuellen Lebensstandard erhöhen? Sind alle betrieblichen Prozesse für alle Beteiligten transparent und können tatsächlich alle über die Einnahmen und Ausgaben ihrer Firma mitentscheiden? Aufgrund der betrieblichen Arbeitsteilung und des Zuschnitts der Kompetenzen können neue Machtstrukturen und Verfügungsmechanismen entstehen (bei Arbeitsorganisation, Finanzplanung, Personalentwicklung). Kapitaleigentum schafft extrafunktionale Macht in einem Betrieb und bei der Lenkung des Produktionsapparats; in kooperativen Unternehmen können andere Formen der Macht entstehen: durch Wissen oder durch die moralunternehmerische Nutzung ethnischer oder geschlechtlicher Merkmale. Es können Hierarchien entstehen, wenn die Gründungsmitglieder die Regeln festlegen, wie mit neuen Beschäftigten umzugehen sei: Erhalten sie Anteile am Betrieb und entsprechende Mitspracherechte oder treten sie in ein abhängiges Lohnarbeitsverhältnis ein? Muss es und darf es eine gewerkschaftliche Organisation und einen Betriebsrat geben? Demokratische Entscheidungsregeln, sei es des Konsenses, sei es der Mehrheit, bringen nicht notwendigerweise eine Lösung für diese Fragen: Im Fall des Konsenses kann schon eine Person jede Entscheidung blockieren, im Fall der Mehrheit können substanzielle Minderheiten überstimmt werden (vgl. Albert 2006). Die Herausforderungen für Betriebe mit Belegschaftseigentum sind immens, insbesondere wenn alle Prozesse demokratisch organisiert sein sollen. Im Folgenden will ich vier Arten einer Demokratisierung der Betriebe unterscheiden: 1 | Die erste ist bestimmt durch die Initiative und Aktivität der Belegschaft selbst, deren Mitglieder sich bereit finden, ihre Position als Subalterne zu überwinden und aktiv werden, einen Betrieb zu übernehmen und die Produktion und Verwaltung in die eigene Hand zu nehmen. Dies geschieht fast nie aus einer Situation der Stärke heraus, vielmehr werden Unternehmen oder Unternehmensbereiche von den Kapitaleigentümern und ihren Managern aufgegeben. Die Lohnabhängigen übernehmen die Betriebe also unter wirtschaftlich ungünstigen Umständen. Doch können sie erfahren, dass sie die Fähigkeiten zur Organisation der Produktion, die technischen und die Kenntnisse des Bedarfs besitzen; sie erfahren die Produktivität der Kooperation und der gemeinsamen Absprachen ebenso wie die Solidarität anderer Belegschaften, Nachbarschaften oder Konsumenten. Viele Belegschaften sind in solchen Situationen einfallsreich und – wenn eine entsprechende Zusammensetzung des betrieblichen Gesamtarbeiters vorhanden ist – entwickeln neue Produkte und erschließen neue Märkte. Sie stellen fest, dass sie die Unternehmer und Manager nicht benötigen. Ein Beispiel war das Konversionsprojekt von Lucas Aerospace (vgl. Löw-Beer 1981; Cooley 1982). Der Übergang in Belegschaftseigentum kann durch Initiative von Gewerkschaftsvertretern entstehen, die von der Belegschaft ein Mandat erhalten, die Leitung des neuen Unternehmens zu übernehmen; wenn die Belegschaft sich nicht zutraut, die Geschäfte selbst zu führen, werden auch Manager eingestellt. Eine Betriebsübernahme durch die Belegschaft muss nicht mit eigenem Engagement verbunden sein. Die Belegschaftsmitglieder können durch voran gegangene Prozesse der Veräußerung und Zerschlagung von Unternehmen, durch ständige Veränderungen der Arbeitsorganisation so demoralisiert und misstrauisch gegeneinander sein, dass sie nach dem ersten mutigen Schritt aus der Hoheit des Kapitals die Energie für weitere Anstrengungen und Formen der aktiven Beteiligung nicht aufbringen. Die Übergabe der unternehmerischen Funktionen an professionelle Manager kann in diesem Sinn entlastend wirken, doch auch zu passivierenden Effekten führen. Die Beteiligung an den Entscheidungen im Unternehmen wird konflikthaft sein. Aber der gesamte Prozess ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Lohnabhängigen Erfahrungen damit sammeln, den Produktionsapparat in eigener Verantwortung zu organisieren. Vieles, wenn nicht alles, können sie besser als die Manager – zumal wenn diese den Betrieb, seine Beschäftigten, die Produkte oder den Markt gar nicht gut kennen oder, aufgrund ihrer Ausbildung und der eigenen Karriereplanung, das Gespräch mit den Lohnabhängigen und den Austausch mit ihnen nicht suchen. Aber die Erfahrungen der Lohnabhängigen in solchen Betrieben bedürfen selbst der historischen Vermittlung und der wissenschaftlichen Begleitung und Beratung. Daran fehlt es. Allenfalls in Ansätzen ist die Geschichte der Genossenschafts- und Alternativbewegung mit ihren Problemen, sind die Erfahrungen in den Betrieben bekannt. Die wissenschaftliche und historische Forschung zu diesen Fragen ist gering. (Vgl. Notz 2011; Parlamentarische Linke 2011) 2 | Genossenschaften, Kooperativen, Mitarbeitergesellschaften können sich dem Marktdruck und der Konkurrenz nicht entziehen. Sie müssen Produkte anbieten, die zu bestimmten Preisen nachgefragt werden; sie sind genötigt, Kredite aufzunehmen, die sie durch Gewinne wieder abzahlen können; die Einnahmen müssen so groß sein, dass der Betrieb und seine Beschäftigten reproduziert werden können. Damit aber schleicht sich bald wieder eine kapitalistische Rationalität in die Abläufe eines Betriebes ein. Einzelne Betriebe können sie kaum außer Kraft setzen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet muss deswegen der Demokratisierungsprozess der Wirtschaft über den Betrieb selbst hinaus gehen und sich im Umfeld zur Geltung bringen, um die Gesetze der Konkurrenz und des Gewinns zurückzudrängen. Es ist richtig, dass die Idee der Regional-, Branchen- oder Strukturräte wieder in die Diskussion gebracht wurde. Mit ihrer Hilfe kann die Konkurrenz gemildert oder vermieden werden, weil die Räte über die Arbeitsteilung in einer Region, also die Zahl und Art der Betriebe in einer Branche oder mehrerer Branchen und über Investitionen entscheiden. Auch die Demokratisierung des Kredits ist notwendig, so dass demokratiepolitisch, sozial und ökologisch verantwortliche und innovative Unternehmen nicht durch die Maßnahmen von Banken behindert werden können, die sie bei der Refinanzierung durch die Beschränkung von Krediten benachteiligen. Entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen sind erforderlich. 3 | Die dritte Form der Demokratie ist die der gesellschaftlichen Entscheidung über die Investitionsfunktion. Es wird kollektiv entschieden, ob gesellschaftliche Arbeit für die Herstellung eines Produkts oder einer Dienstleistung überhaupt gebunden und eingesetzt wird. Wenn eine entsprechende Entscheidung positiv fällt, muss über den Ort und den Umfang der Produktion entschieden werden. Davon hängen wiederum die Infrastrukturen wie Transport oder Energie ab; außerdem sind damit Entscheidungen über die Arbeitsorganisation und die Arbeitsqualifikationen verbunden, ebenso über die Zahl und Art der zur Verfügung stehenden Wohnflächen, die Verkehrsinfrastruktur, die entsprechende Lebensmittelversorgung, die Kinderbetreuung oder die schulischen und beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten. Solche Entscheidungen können teilweise auf regionaler Ebene getroffen werden, doch reichen sie über die Region und den Nationalstaat hinaus. Hier bedarf es eines demokratischen Prozesses des Aufbaus völlig neuer demokratischer Institutionen. 4 | Eine vierte Form der Demokratie betrifft den Gesichtspunkt, den Marx mit dem Begriff der »Betriebsweise« bezeichnet. Damit meint er den Zusammenhang von Arbeits- und Verwertungsprozess. Der Arbeitsprozess als ein Prozess der Aneignung und Umarbeitung der Natur findet immer unter spezifischen Bedingungen statt: in der Form eines Bauernhofes oder einer Werkstatt. Unter kapitalistischen Bedingungen wird der Arbeitsprozess unmittelbar als Verwertungsprozess organisiert und ermöglicht die gewaltfreie Aneignung der Mehrarbeit durch die Kapitaleigentümer. Arbeits- und Verwertungsprozess werden von der bürgerlichen Klasse an bestimmten Orten zusammengeführt, die klassischen Formen dafür sind die Manufaktur und die Fabrik. In der Geschichte des Sozialismus wurde angenommen, dass immer mehr Lohnarbeitende dieser fabrikförmigen Betriebsweise unterworfen sein würden, sie also zunehmend in den Fabriken konzentriert würden. Damit wäre die Grundlage für eine sozialistische Organisation und Mobilisierung der Lohnarbeitenden gegeben und die Voraussetzung für eine effiziente sozialistische Ökonomie geschaffen. Die neoliberale Reorganisation der Betriebsweise hat vielfach auch die Fabrik in Frage gestellt: Neben neo-tayloristische Formen der Produktion treten das virtuelle Unternehmen, die gestreute Fabrik oder das dezentrierte Dienstleistungsunternehmen. Sie operieren mit einer großen Zahl von Herstellern und unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen. Auch die Betriebsweise selbst, also die Art und Weise, wie überhaupt produziert wird, wie Güter verteilt oder Dienstleistungen erbracht werden, muss Gegenstand der kollektiven, demokratischen Entscheidung sein. Ist eine Fabrik mit Tausenden von Arbeitenden nach ökonomischen, ökologischen, demokratischen Gesichtspunkten sinnvoll? Ist es effizient, große Verkaufshallen an den Stadträndern mit großen Parkplätzen zu installieren, wohin sich alle mit dem eigenen Auto hinbewegen müssen? Oder bedarf es nicht – rhetorisch gefragt – dazu der Alternativen – und wie sehen diese aus? Das ist keine Entscheidung, die Marx zufolge nach technischen Gesichtspunkten erfolgen kann, sondern die abhängig ist von gesellschaftlichen Verhältnissen. Belegschaftseigentum gibt es, es ist keine Utopie. Es ist eine reale Tendenz, die Investitionen, die Organisation der Produktion, die Bedarfsermittlung und die Verteilung von unten, von den Lohnabhängigen oder den Konsumierenden her zu organisieren und die gesellschaftliche Arbeit und die Formen, in denen sie erbracht wird, zu vergesellschaften. In solchen Unternehmen ist es den Belegschaften möglich, für sich Kompetenzen in Anspruch zu nehmen, die ihnen aufgrund von kapitalistischer Eigentümermacht ansonsten vorenthalten werden. Sie können die praktische Erfahrung machen, dass sie eigentlich das meiste oder alles besser machen können als die Eigentümer oder Manager. Deren Kompetenz – die ihnen nicht rundweg abgesprochen werden muss – hängt nicht notwendig mit ihrer Kapitaleigentümerfunktion zusammen. Insofern handelt es sich bei Belegschaftseigentum um wichtige praktische Erfahrungen. Gleichzeitig werden Genossenschaften, Kooperativen oder Mitarbeitergesellschaften gezielt behindert durch Gesetze, Banken oder Konkurrenten. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen behindern die Entfaltung solcher Projekte. Die Kapitalseite wartet nicht ab und schaut nicht tatenlos zu, bis sich ein Sektor der vergesellschafteten Ökonomie herausbildet (vgl. Demirović 2011). Es muss die für den Kapitalismus so charakteristische Trennung und Besonderung der Ökonomie von der Gesellschaft durchbrochen werden, wenn solche Projekte erfolgreich weiter entwickelt werden sollen. Entsprechend müssen sie durch eine Reihe von Prozessen in der Zivilgesellschaft und in der politischen Gesellschaft unterstützt werden. Dies beginnt beim Einkaufs- und Konsumverhalten, bei Entscheidungen über die vermeintlich individuelle alltägliche Lebensweise. Es bedarf einer umfassenden öffentlichen Berichterstattung und Diskussion über solche Alternativen und ihre Möglichkeiten, um ein entsprechendes Wissen über gesellschaftliche Alternativen zu vermitteln. Um ein solches Wissen zu entwickeln, bedürfte es der Einrichtung neuer Studiengänge oder Lehrinhalte an den Hochschulen, in denen das Wissen der partizipativen und solidarischen Ökonomie vermittelt und eine entsprechende Forschung betrieben wird – nicht zuletzt, um genossenschaftliche, kooperative Betriebe unterstützen und beraten zu können. Schließlich bedarf es auf politischer Ebene einer Vielzahl von Maßnahmen, die solche Unternehmen unterstützen. Dies beginnt bei der politischen Ermutigung in der Form von Politikerbesuchen solcher Betriebe, durch entsprechende öffentliche Äußerungen in Parlamenten, Fernsehsendungen oder programmatische Erklärungen. Die öffentliche Auftragsvergabe kann gezielt an Bedingungen gebunden werden, die die Existenzbedingungen solcher Betriebe berücksichtigen. Der Staat kann solche Betriebe subventionieren und durch gesetzliche Regelungen schützen, sie mit Krediten ausstatten und Impulse für Forschungen und Beratungen für solche Betriebsformen geben. Dies hängt von Kräfteverhältnissen ab – und die Hindernisse dürfen nicht gering geschätzt werden. Aber es verhält sich auch umgekehrt: Eine an sozialistischer Transformation orientierte Politik kann, indem sie für solidarische und demokratische Formen der Ökonomie eintritt, auch zur Veränderung der Kräfteverhältnisse beitragen.  

Literatur

Albert, Michael, 2006: Parecon, Frankfurt/M Cooley, Mike, 1982: Produkte für das Leben statt Waffen für den Tod, Reinbek bei Hamburg Demirović, Alex, 2011: Wirtschaftsdemokratie nach ihrem Scheitern, in: Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Niedersachsen: Zukunft der Demokratie. Demokratie der Zukunft, Hannover Löw-Beer, Peter, 1981: Industrie und Glück. Der Alternativplan von Lucas Aerospace, Berlin Notz, Gisela, 2011: Theorien alternativen Wirtschaftens: Fenster in eine andere Welt, Stuttgart Parlamentarische Linke, 2011: Genossenschaften – eine andere Form des Wirtschaftens. Ein Reader der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Berlin, Juni 2011