Nirgendwo in Deutschland sind so viele Menschen geimpft, wie in Bremen. Ist das auch ein LINKER Erfolg?
Ich verstehe es als linken Erfolg, dass wir unsere Impfkampagne von Beginn an mit der sozialen Frage verbunden haben. Gesundheitsversorgung ist immer eine soziale Frage. Alleine wer Zugang zu Ärzt*innen hat, ist so unterschiedlich, wenn man sich die verschiedenen Stadtteile anguckt. Dass wir in Bremen diese Ungleichheit beim Impfen aushebeln konnten, ist auf jeden Fall ein linker Erfolg.
Wie genau habt ihr das hingekriegt?
Wir haben sehr früh analysiert, wo in Bremen die Infektionszahlen besonders hoch sind. Das Ergebnis war leider wenig überraschend: Arme Stadtteile haben höhere Inzidenzen, als wohlhabende. Und genau dorthin sind wir mit unseren Impfangeboten gegangen. Das Angebot alleine reicht aber nicht aus. Wir müssen auch informieren und aufklären – auch das haben wir gemacht. Wir haben eine eigene Kampagne in vielen Sprachen aufgezogen, haben mit Multiplikator*innen in den jeweiligen Stadtteilen gearbeitet, um alle Communities erreichen zu können. Wir haben also das Ziel, wirklich alle erreichen zu wollen, ernst genommen und entsprechend gehandelt.
Was sind Impfbotschafter*innen? Was müssen die können?
Impfbotschafter*innen sind Menschen, die eine Botschaft weitertragen können, die aber auch für Fragen zur Verfügung stehen. Es sind Menschen, die in ihren Communities ein gewisses Standing haben, und die viele andere erreichen und überzeugen können. Das können ganz unterschiedliche Personen sein.
Warum gibt es bundesweit so viele Leute, die sich nicht impfen lassen wollen? Sind das alles „Impfgegner*innen“?
Nein, ich bin der festen Überzeugung, dass das nicht alles Impfgegner*innen sind. Wenn wir uns angucken, was mit der Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, verbunden wird, ist das ganz häufig Protest. Wir sehen hier ein tiefes Misstrauen in den Staat und seine Institutionen. Dieses Misstrauen ist in der Pandemie noch mal gewachsen.
Was wurde in der öffentlichen Ansprache bisher falsch gemacht?
Ich glaube, dass das Ziel, alle Menschen in Deutschland mit der Impfung erreichen zu wollen, nur formuliert, aber nicht umgesetzt wurde. Große Impfzentren, die zu erreichen eine halbe Tagesreise ist, schreckt ab. Kompliziert formulierte Informationen und Debatten schrecken ab. Immer neue Empfehlungen schrecken ab. Wir müssen viel mehr noch zu den Menschen hingehen. Wir müssen die Impfung konkret anbieten – und wir müssen sie erklären. Wir müssen erklären, warum eine Impfung wichtig ist, wovor sie schützt. Warum sich Empfehlungen ändern. Dass eine Impfung auch ein solidarischer Akt ist. Dafür müssen wir aus unseren Komfortzonen herauskommen, in die Auseinandersetzung gehen. Und wir müssen so sprechen, wie es viele tun. Viele Menschen sprechen nicht nur Deutsch, und nicht nur akademisch.
Habt ihr mit diesem Ansatz auch das Vertrauen in die LINKE stärken können? Wird das überhaupt als linkes Projekt wahrgenommen?
Ja, ich denke schon, dass dieser Erfolg auch als linkes Projekt wahrgenommen wird. Ich bin aber auch der Überzeugung, dass wir als ganze Partei noch viel mehr über unsere Erfolge reden müssen.
Nun sind auch in der Linken viele Leute für eine Impfpflicht – zuletzt hat sich der Parteivorstand mehrheitlich dafür ausgesprochen. Wie schätzt du das ein?
Ich finde diese Entscheidung nicht richtig. Unsere Aufgabe als LINKE sehe ich nicht darin, ein staatliches Versagen durch die Forderung nach einer Impfpflicht zu überpinseln. Wir sollten viel mehr darauf drängen, dass in allen Bundesländern gute, umfangreiche proaktive Impfangebote gemacht werden. Dass der Staat seine Verantwortung endlich richtig annimmt und das möglich macht. Eine Impfpflicht kaschiert am Ende all die Fehlentscheidungen, die in den letzten 20 Monaten gefällt wurden, und das ist sicherlich nicht der richtige Ansatz.
Was wären die Konsequenzen?
Wir müssen als LINKE nicht nur dort, wo wir regieren, sondern generell lauter werden in dieser Debatte. Wir müssen noch stärker einfordern, dass überall die soziale Frage mitgedacht wird, auch bei dem Zugang zur Gesundheitsversorgung. Diese ist in unserer Gesellschaft sehr ungleich verteilt.
Wäre es überhaupt möglich, eine Impfpflicht relativ zeitnah umzusetzen?
Nein, das glaube ich nicht. Leider fehlen bundesweit konkrete Daten dazu, wer geimpft ist und wer nicht. Das Robert-Koch-Institut kann uns nicht sagen, in welchem Stadtteil wir die größten Impflücken haben, diese Daten liegen nicht vor. Das halte ich auch für ein großes Versagen in dieser Pandemie: Wir wissen viel zu wenig über das Infektionsgeschehen und eben auch über die durchgeführten Impfungen. Daraus müssen wir wirklich lernen.
Könnte eine Impfpflicht womöglich das Virus zurückdrängen, aber dafür andere Probleme verschärfen?
Eine Impfpflicht hätte keinen nachhaltigen Wert. Wir sehen jetzt ja, dass wir die Impfungen vermutlich regelmäßig wiederholen müssen. Wahrscheinlich wird es auch nicht allzu lange dauern, bis wir das nächste Virus haben, das uns vor Herausforderungen stellt. Und was machen wir dann? Die nächste Impfpflicht?
Was schlägst du also vor?
Es muss viel mehr darum gehen, dass ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von Impfungen entsteht und für ihren Nutzen. Wir brauchen in ganz Deutschland viel mehr Gesundheitsbildung. Das muss jetzt ganz akut passieren. Wir können und müssen aber jetzt schon den Grundstein dafür legen, dass wir auch künftig mehr mit globalen Gesundheitsrisiken zu tun haben werden und mit diesen umgehen müssen. Information und Aufklärung sind hier der Schlüssel.
Und letzte Frage: In Bremen liegt zwar die Impfquote über 80 Prozent und die Inzidenzen niedriger als in den meisten Teilen des Landes, aber auch das reicht ja offensichtlich noch nicht. Was sind bei euch die nächsten Schritte? Wie macht ihr weiter?
Wir werden beim Impfen nicht nachlassen. Auch wir wollen und müssen noch Impflücken schließen. Aktuell geht es aber auch ums Boostern, das ist jetzt einer der wichtigsten Bausteine, um diese Welle zu brechen. Und danach muss der Blick sofort auf die weitere Planung gerichtet werden. In Bremen zeigt sich der Wert und Erfolg von staatlichen Impfangeboten, vor allem direkt in den Stadtteilen und Quartieren. Ich denke, dass wir darüber nachdenken müssen, solche Angebote zu verstetigen.
Das Gespräch führte Barbara Fried.