Es ist eine perverse Logik, die das Verbrennen von Lebensmitteln als klimafreundliche Alternative zum herkömmlichen Verbrauch fossiler Treibstoffe propagiert. Palmöl, Sojabohnen, Mais oder Zuckerrohr anzubauen, um es in die Tanks zu kippen, ist angesichts der heutigen Zahl an hungernden Menschen, wie Jean Ziegler es formulierte, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Agrotreibstoffe waren laut IWF und Weltbank für den enormen Preisanstieg von Lebensmitteln 2006–2008 maßgeblich mitverantwortlich. Bis zu hundert Millionen Menschen zusätzlich sind dadurch in die Unterernährung gedrängt worden.
Auch die klimapolitischen Segen von Agrotreibstoffen sind mehr als zweifelhaft. Durch direkte oder indirekte (ersetzte landwirtschaftliche Produktion verlagert sich) Umwandlung von Waldflächen werden schon beim Anbau zusätzliche Mengen Kohlendioxid freigesetzt. In Südostasien werden durch die Rodung von Torfwäldern tausendjährige Kohlenstoffspeicher entwässert und abgebrannt. Die Dimensionen sind erschreckend. Dadurch werden pro Jahr zweitausend Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt: acht Prozent des globalen Ausstoßes. Anders ausgedrückt: Es würde 692 Jahre dauern, bis die Emissionen durch Torfwaldumwandlung über das Nichtverbrennen von fossilen Brennstoffen kompensiert würden.
Um eine wirksame Reduktion von Emissionen bis 2050 zu erreichen, taugen Agrotreibstoffe daher nichts. Allein was die Fläche angeht, ist ein Ersatz von Benzin und Diesel durch Agrotreibstoffe auch zukünftig unmöglich. Wenn man die weltweite landwirtschaftliche Produktion von Getreide, Mais und Zucker komplett in Ethanol verwandeln würde, wären immer noch nur 40 Prozent des heutigen Benzinverbrauchs abgedeckt. Die globale Ölproduktion (Soja, Raps, Palmöl usw.) würde nur 10 Prozent des Dieselverbrauchs ersetzen.
Warum also sind Agrotreibstoffe das wichtigste Element in der klimapolitischen Reform des Verkehrssektors in Europa? Ein Blick auf die Autoren der europäischen Agrotreibstoffpolitik ist erhellend. 2005 wurde von der Europäischen Kommission das Biofuels Research Advisory Council (BIOFRAC) ins Leben gerufen, in dem u.a. drei Automobilkonzerne (Peugeot, Volkswagen, Volvo) und drei Ölkonzerne (Neste Oil, Shell and Total) Mitglieder waren. Ihre »Vision« von 25 Prozent »Biofuels« bis 2030 versucht nun das Nachfolgekomitee European Biofuels Technology Platform (u.a. Total, Volvo, Airbus und befreundete universitäre Forschungszentren) politisch und technisch umzusetzen. Nicht die Ablösung der Öl- und Automobilgesellschaft ist ihre Agenda, sondern – mittels Agrotreibstoffen – ihre zeitliche Verlängerung und ihre mit der Rhetorik der Nachhaltigkeit her gestellte Legitimation.
Gegen diese Agenda ist auf europäischer Ebene eine Welle des Protests entstanden, die diese »Vision« etwas ausgebremst hat. Viele Umweltverbände und globalisierungskritische NGOs haben sich vernetzt, um ein Moratorium auf die Agrotreibstoffziele der EU durchzusetzen. Und auch wenn das Ziel von zehn Prozent nicht verhindert werden konnte, sind die nationalen Zielsetzungen von England, den Niederlanden und Deutschland heruntergeschraubt worden. Eine kritische Öffentlichkeit ist entstanden, die Agrotreibstoffe zunehmend als »falsche Lösung« für den Klimawandel betrachtet. Ein wesentliches Element der Kampagnen ist die transnationale Vernetzung mit Bewegungen aus den Regionen, in denen Agrotreibstoffe produziert werden sollen.
Die technisch verstandene Lösung in Europa verwandelt sich über die Verräumlichung der Produktion Richtung Süden zu einem sozio-ökologischen Konfliktfeld, in dem neue »Naturverhältnisse« (Görg) durchgesetzt werden. Die Landnahme für die spezifische Produktionsform von Agrotreibstoffen – große Monokulturen, die in transnationale Wertschöpfungsketten eingebettet sind – ist ein Großangriff auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft und damit auf die Ernährungssouverä- nität im Süden. Zum Teil werden Kleinbauern gewaltsam vertrieben: In Kolumbien etwa wurden tausende afrokolumbianische Bauern von Paramilitärs zur Flucht gezwungen, um Palmölplantagen anlegen zu können. Kleinbauernorganisationen des globalen Netzwerkes La Vía Campesina (vgl. Luxemburg 1/2010), wie die Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra (MST) in Brasilien oder die Serikat Petani Indonesia (SPI) in Indonesien führen daher den sozialen Widerstand gegen die Ausweitung der Agrotreibstoffplantagen an. Auch hier sind Erfolge zu verzeichnen. So stehen die Drahtzieher der Vertreibung in Kolumbien inzwischen vor Gericht, in Indonesien und Brasilien führten Bauern Landbesetzungen und Wiederaneignungen von Plantagen durch, um eigene Nahrungsmittel anzubauen.
Eine zweite Dimension des Konfliktfeldes ist die Verschränkung mit den Rechten indigener Völker und dem Kampf um Umweltgerechtigkeit. Weil die großen Expansionen in peripheren Gebieten stattfinden, in denen Indigene Wälder noch nutzen und schützen, kooperieren hier Plantagenfirmen und Staatsgewalt, um privates Landrecht und die Hoheit des Staates gegen das Gewohnheitsrecht durchzusetzen. So wurde in Papua Neu – guinea kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das das Gewohnheitsrecht indigener Völker im Falle von Großinvestitionen (wie Konzessionen für Agrotreibstoffe) aussetzt. In Indone sien ist der Kampf für die lokale Kontrolle entlang von traditionellen Institutionen (das Adat Recht) über Waldressourcen ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit des Umweltforums Wahana Lingkungan Hidup Indonesia (WALHI). Die Umweltfrage ist eine soziale Frage.
Die Kämpfe von Kleinbauern, Indigenen und Umweltaktivisten prägen die transnationalen Kampagnen mit den europäischen NGOs. Zwar wird so eine rein auf Artenschutz fokussierte Argumentation überwunden, gleichzeitig stellt sich eine Arbeitsteilung ein, die durchaus problematisch ist. Stereotyp ließen sich die Kampagnen so charakterisieren: dort die Indigenen, Kleinbauern und Orang-Utans, hier die Autofahrer und Konzerne; dort die Opfer, hier die kritischen Konsumenten und die professionellen NGOs, die die Stimme der Entrechteten in die Politik hineintragen. So wird die komplexe soziale Realität nicht erfasst und die Opposition gegen Agrotreibstoffe in bestimmten Mustern festgeschrieben, die eine Weiterentwicklung bremsen können.
Eine große Schwäche der bisherigen Kampagnen ist, dass die neuen gesellschaftlichen Naturverhältnisse der Agrotreibstoffproduktion in der Gleichung kaum auftauchen. In Indonesien beispielsweise beruht die Expansion nicht nur auf Gewalt und Vertreibung, sondern wesentlich auf der freiwilligen Teilnahme von Kleinbauern, die als Kleinproduzenten der Wohlstandsverheißung von Palmöl folgen. So sind die meisten Palmölkonflikte inzwischen Auseinandersetzungen um die Vertragsbedingungen der Produktion, nicht aber gegen die Palmölproduktion an sich gerichtet. Auch die Millionen von Plantagenarbeitern spielen in den transnationalen Kampagnen bisher keine Rolle. Hier konkretisiert sich das Problem in Form von Weltmarktabhängigkeiten und Niedrigstlöhnen. Kompliziert wird das Ganze dadurch, dass die führenden Unternehmen Großkonzerne des Südens sind (z.B. aus Malaysia) und dass die Regierungen in Malaysia, Indonesien oder Brasilien die Agenda der Agrotreibstoffe als nationalen (und klimapolitischen) Entwicklungspfad offensiv vertreten.
Gerade die Verbindung von Industrie und Staatsmacht im Süden spielt eine maßgebliche Rolle in der Entwicklung des Nachhaltigkeitsdiskurses, der Agrotreibstoffe mit einem anti-kolonialen Beigeschmack belegt (Umweltschutz als Protektionismus des Nordens). Nicht der Nord-Süd-Gegensatz ist hier zentral, sondern die grundlegende Analogie der agroindustriellen Agenda, die aus drei wesentlichen Elementen besteht. Erstens wird das vorherrschende, auf Straßen, Individual- und Luftverkehr aufgebaute Mobilitätssystem beibehalten und expandiert (hier als Wachstumsparadigma, dort als Recht auf nachholende Entwicklung). Zweitens werden Agrotreibstoffe als grundsätzlich nachhaltig (da nachwachsend) definiert und daher als Zukunftsweg deklariert. Drittens wird die Kritik an Agrotreibstoffen aufgenommen und als Problem der Umsetzung – als Art und Weise der Produktion im Einzelfall – umdefiniert, dem dann mit Nachhaltigkeitskriterien und Zertifizierungsprogrammen begegnet werden kann.
In diesem letzteren Feld soll die Zivilgesellschaft als Stakeholder etwas beitragen und so in das Herrschaftsprojekt integriert werden. Das kann schnell die Achilles-Ferse der Bewegung werden, denn die Zertifizierung eignet sich hervorragend dazu, älteren Plantagen (für die Waldrodung und Landkonflikte in der Vergangenheit liegen) eine Nachhaltigkeit zu bescheinigen, während die Expansion trotzdem weiterläuft und für andere Märkte bestimmt wird. Die marktförmigen, auf kritischen Konsumenten aufgebauten Kampagnen entpuppen sich in diesem Kontext als umgekehrter Warenfetischismus. Denn die Betonung des Kaufverhaltens von Konsumenten im Norden vernachlässigt die Produzenten der transnationalen Wertschöpfungsketten der Agrotreibstoffindustrie. Um Prinzipien, Kriterien und Zertifizierungsmodelle auszuhandeln, gehen die Nord-NGOs ein Dauerverhältnis mit den PR- und Zivilgesellschaftsbeauftragten der Großkonzerne ein und reden in den runden Tischen fortwährend mit Managern. Mit den Arbeitern der Plantagen, Raffinerien, Schifffahrt und Tankstellen reden sie nicht.
Auch die Programmatik der Ernährungssouveränität reicht als Alternative nicht aus, u.a. weil Kleinbauern hoffen, mit Agrotreibstoffen reich zu werden. Sie muss verknüpft werden mit den Zukunftsfragen von Energie, Mobilität und industrieller Produktion. Im Süden hieße das, statt ein auf Agrotreibstoff basierendes Entwicklungsmodell zu verfolgen, in den klimapolitischen Auseinandersetzungen die kostenlose Bereitstellung von Zukunftstechnologien (wie Solarenergie) und die notwendigen Investitionen in diesem Bereich als Begleichung der Klimaschulden des Nordens einzufordern. Gerade der Ansatz der industriellen Konversion kann hier hilfreich sein, um nicht als Nachhaltigkeitskorrektiv der Agrotreibstoffagenda zu enden, sondern die Prämissen in Frage zu stellen (Agrotreibstoffe als Greenwashing der Automobilgesellschaft) und Alternativen zu entwickeln. Ein transnationaler »social (and environmental) movement unionism« könnte der zentralen Rolle der Arbeitenden in jeder Konversionsstrategie Rechnung tragen. Hierfür müssten die neu entstehenden Allianzen in der Konversionsbewegung systematisch um eine Nord-SüdPerspektive erweitert werden.