Dafür soll es einen Strompreisdeckel für einen nicht näher bestimmten Grundverbrauch geben, der „Strompreisbremse“ genannt wird. Die Höhe des angestrebten Strompreises bleibt unklar, ebenso wann diese „Strompreisbremse“ eingeführt wird. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, eine gemeinsame Vereinbarung in der EU zu erreichen und nur wenn dies nicht gelinge, eine nationale Regelung umzusetzen. Wann die Regelung also kommt, bleibt unklar. Im Strombereich sollen Übergewinne, von der Ampelkoalition „Zufallsgewinne“ genannt, abgeschöpft werden. Auch hier bleibt unklar, ab welcher Höhe die „Zufallsgewinne“ abgeschöpft werden sollen. Die FDP konnte sich außerdem mit ihrem Veto gegen eine Übergewinnsteuer für andere Bereiche durchsetzen. Es handelt sich also eher um eine „Übergewinnsteuer light“, deren technische Realisierung nicht als Steuer (über das Steuerrecht) funktioniert, sondern über bestimmte Rahmensetzungen im Strommarktdesign (also im Energierecht) vollzogen werden soll. Somit bleibt das von Lindner aufgestellte Tabu hinsichtlich einer Besteuerung von Übergewinnen bestehen und es werden ausgerechnet Übergewinne der Mineralöl- und Gaskonzerne geschützt, sofern sie nicht bei der Stromerzeugung anfallen.
Die Koalition verschiebt im Übrigen die nächste Stufe der CO2-Bepreisung von Wärme und Mobilität um ein Jahr. Damit fließt auch weniger Geld in den Klima- und Transformationsfonds.
Maßnahmen für untere Einkommensgruppen
Es gibt im Wesentlichen drei Maßnahmen für die unteren Einkommensgruppen: eine Erhöhung der Regelsätze für das Sozialgeld und das ALG II, eine Ausweitung des Wohngelds und Einmalzahlungen.
Der Regelsatz für das Sozialgeld und das ALG II ALG II (Hartz4) wird zum 1.1.2023 um rund 10 Prozent von 449 Euro auf dann „etwa 500 Euro“ (Ergebnis des Koalitionsausschusses vom 3. September 2022, S. 7) angehoben (und das ganze bekommt einen neuen Namen: Bürgergeld). Das ist, wie Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband zurecht anmerkt, „nicht einmal ein Inflationsausgleich und deshalb überhaupt nicht akzeptabel.“ (RND, 4.9.2022)
Die Verachtung der Ampelkoalition für die Ärmsten in der Gesellschaft kommt hier besonders deutlich zum Ausdruck. Denn bis zum 1. Januar nächsten Jahres bleibt es bei den alten Sätzen, die auch vor dem Teuerungsschub nicht reichten, und die Betroffenen müssen sehen, wie sie die Löcher mit den unzureichenden Einmalzahlungen stopfen. Die Ampelkoalition weigert sich zudem, die Höhe des „neuen“ Bürgergelds nach dem realen Bedarf zu richten, sondern setzt eine politische Zahl (500 Euro) fest. Die Koalitionsparteien tun hier so, als habe es die letzten knapp 20 Jahre Kritik am ALG II, an dessen willkürlicher Berechnung und den zu niedrigen Regelsätzen nie gegeben.
Das Wohngeld wird – ebenfalls erst zum 1. Januar 2023 – so reformiert, dass der Kreis der Anspruchsberechtigten von aktuell rund 600 000 auf 2 Millionen erweitert wird und um eine Heizkostenkomponente ergänzt. Bis es soweit ist, gibt es eine Einmalzahlung als Heizkostenzuschuss (450 Euro). Da Wohngeld von den Betroffenen bei ihren Kommunen beantragt und Anträge geprüft werden müssen, droht hier ein Flaschenhals in der Verwaltung für diese Form der Hilfe. Der Präsident des Deutschen Mieterbundes zeigte sich unzufrieden: „Wo sind das Kündigungsmoratorium, der Energiepreisdeckel und die Heizkostenzuschüsse für einkommensschwache Haushalte ohne Wohngeldanspruch?“, kommentierte Lukas Siebenkotten. Zudem wies er darauf hin, dass die Ampelkoalition weiterhin Maßnahmen zum Schutz von Mieterinnen und Mietern vor immer höheren Mieten schuldig bleibe (Mieterbund). Ohne solche Maßnahmen wirkt das Wohngeld immer auch als indirekte Subventionierung der Renditen der Immobilienbranche durch den Staat. Dieser springt ein, um die für Mieterinnen und Mieter nicht mehr tragbaren Mieten zu subventionieren.
Zudem gibt es noch weitere Einmalzahlungen, die dieses Mal auch an Rentner*innen (300 Euro) und Studierende (200 Euro) gehen. Die Einmalzahlungen sind für Rentner*innen einkommensteuerpflichtig, womit diese sich für die Betroffenen in vielen Fällen noch einmal reduzieren.
Verkehr
Das 9-Euro-Ticket wird nicht fortgeführt. Die Ampelkoalition schiebt die Verantwortung an die Länder ab. In dem Papier heißt es trocken: „Die Verantwortung für den Öffentlichen Nahverkehr liegt bei den Ländern und Kommunen.“ Für das 9-Euro-Ticket hatte der Bund den Ländern und Kommunen die ausfallenden Ticketgebühren über eine entsprechende Erhöhung der Regionalisierungsmittel ersetzt. Das kostete 2,5 Milliarden für 3 Monate; bei einer dauerhaften Fortführung des 9-Euro-Tickets wären es also 10 Milliarden Euro pro Jahr gewesen. Zum Vergleich: Die Ampelkoalition versucht sich nun mit einer vergleichsweise geringen Summe (1,5 Mrd. Euro pro Jahr) aus der Affäre zu ziehen, die auch nur dann fließen soll, wenn die Länder bereit sind, noch einmal den gleichen Betrag aufzubringen – wobei bei vielen Ländern, die teilweise auch ihre vom Bund kaputt gesparten Kommunen (Pleitekommunen) unterstützen müssen, unklar ist, wo das Geld herkommen soll. Als Zielmarke stellt sich die Ampelkoalition ein bundesweit gültiges Ticket in der Preisspanne von 49 Euro bis 69 Euro monatlich vor. Damit wird die Zielgruppe deutlich verkleinert, für Empfänger von ALG II („Hartz 4“) etwa sind im Regelsatz aktuell nur Ausgaben von 40,27 Euro für Verkehrsmittel vorgesehen.
Die Ausgaben für die Schiene sollen zudem einmalig um 500 Millionen Euro gesteigert werden; hinzu kommen eine Milliarde Euro an Kreditermächtigungen für Investitionen. Eine Investitionsoffensive für den ÖPNV „mit Wumms“, verbunden mit einem attraktiven Nachfolger des 9-Euro-Tickets sähe anders aus. Neben dem fehlenden Gaspreisdeckel ist das für viele die zweite große Enttäuschung im Entlastungspaket.
Konzertierte Aktion
Die Regierung ermuntert die Gewerkschaften, in den anstehenden Tarifauseinandersetzungen auf Einmalzahlungen statt dauerhafter Lohnsteigerungen zu orientieren. Dafür will sie eine Regelung schaffen, dass Einmalzahlungen bis zu 3000 Euro steuerfrei bleiben. Die IG Metall, die nächste Woche in die Tarifverhandlungen startet und deren Tarifabschluss vermutlich Signalwirkung haben wird, hat sich offen für solche Lösungen gezeigt. Die IG Metall hatte sich bisher eine Lohnsteigerung von 8 Prozent zum Ziel gesetzt, die mittlerweile jedoch absehbar nicht einmal die Inflation kompensieren würde. Wenn die Gewerkschaften dem Druck von Arbeitgebern und Regierung nachgeben sollten und die Lohnabhängigen sich mit Einmalzahlungen anstelle dauerhafter Lohnerhöhungen, die mindestens der Höhe der Inflationsrate und des Produktivitätsfortschritts entsprechen, abspeisen lassen, dann sinkt die Kaufkraft weiter und die Umverteilung von unten nach oben wird fortgesetzt.
Einige Schritte, mit denen Menschen, die in so genannten Midi-Jobs arbeiten, „entlastet“ werden sollen, sind ein vergiftetes Angebot der Ampelkoalition. So werden die Abgaben für die Sozialversicherung reduziert, wobei den Beschäftigten damit Rentenpunkte entgehen, die ihnen von der Bundesregierung auch nicht ersetzt werden. Die Verdienstgrenze für Midi-Jobs soll von 1 300 Euro auf 2 000 Euro angehoben werden.
Subventionen für Unternehmen
Für Unternehmen erhöhen sich aufgrund der Inflation die Kosten für Produktionsmittel. Sie können allerdings steigende Kosten auf die Preise der von ihnen angebotenen Waren umlegen oder die Preise sogar über die Kostensteigerungen hinaus erhöhen, sofern die Konkurrenzverhältnisse dies zulassen. Da sich die Konkurrenzverhältnisse in den einzelnen Branchen durchaus unterscheiden, gibt es Unternehmen, deren Profitraten durch die Inflation sinken, während die anderer Unternehmen steigen. Die Bundesregierung will nun nicht nur die bisher eingeführten Hilfsprogramme zugunsten von Unternehmen (Ausweitung des Kurzarbeitergeldes, günstige Kredite der staatlichen KfW, staatliche Bürgschaften für Kredite, Entlastungen für Unternehmen mit besonders hohem Energieverbrauch, Eigenkapitalzuschüsse für „Unternehmen mit großer volkswirtschaftlicher Bedeutung“) fortführen, sondern diese auch noch ausweiten und durch neue Subventionen ergänzen. Es ist absehbar, dass weiterhin nicht nur Unternehmen mit Liquiditätsengpässen, sondern auch hochprofitable Unternehmen subventioniert werden.
Politische Konstellation und Dynamik
Ein Blick ins Ausland zeigt, welche Möglichkeiten die momentane Situation bietet. Spanien hat unter der Mitte-Links-Regierung bereits die Strom- und Gaspreise nahezu halbiert, eine Übergewinnsteuer und vom 1. September bis (mindestens) Ende des Jahres ein 0 Euro-Ticket eingeführt (Der Standard, 4.9.2022). In Schottland kündigte die Ministerpräsidentin bereits ein Verbot von Mieterhöhungen („rent freeze“) sowie ein Moratorium für Zwangsräumungen an (The Guardian, 6.9.2022). Beides soll bis mindestens Ende März gelten. In Großbritannien läuft eine Kampagne, die dazu aufruft, ab dem 1. Oktober die Strom- und Gasrechnungen nicht mehr zu bezahlen, sollten die Preise nicht gesenkt werden (die kollektive Zahlungsverweigerung soll erst starten, wenn sich mindestens eine Millionen Menschen angeschlossen haben). Die Kampagne hat bereits über 170 000 Unterstützter*innen. In Neapel haben Menschen Anfang der Woche angefangen, vor dem Rathaus ihre Rechnungen öffentlich zu verbrennen (The London Economic, 3.9.2022).
Die politische Konstellation für den heißen Herbst in Deutschland bleibt spannend. Der Auftakt am 5. September in Leipzig war für die Partei DIE LINKE ein Erfolg, weil sie mit über 5 000 Personen eine ordentliche Kundgebung abgeliefert und sich erfolgreich gegen eine rechte Vereinnahmung verwehrt hat. Dies ist nur gelungen, weil eine breite und bunte Szene der gesellschaftlichen Linken an den Protesten teilnahm und die Antifa ihren Job hervorragend gemacht hat. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Gewerkschaften verhalten. Nach der Tarif-Auseinandersetzung der IG Metall steht Anfang 2023 eine weitere im Öffentlichen Dienst an. Wirtschaftlich bleibt die Lage ohnehin extrem angespannt. Wirtschaftsexpert*innen sind sich einig, dass Deutschland in eine Rezession rutschen wird. Durch steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Wirtschaftsleistung wird es sicher nicht einfacher, die Zustimmung der Bevölkerung für die Politik der Bundesregierung zu generieren. Laut Deutschlandtrend von Anfang September sind mehr als zwei Drittel der Bevölkerung mit der Arbeit der Bundesregierung nicht zufrieden. Drei Viertel der Befragten stimmten jedoch den äußerst populären Instrumenten eines Gaspreisdeckels, einer (richtigen) Übergewinnsteuer und einer Fortführung des 9-Euro-Tickets zu. Die Ampelkoalition hat hier auf ganzer Linie enttäuscht. Die Verarmung bzw. Absenkung des Lebensstandards für breite Teile der Bevölkerung (der unteren Einkommensgruppen) wird durch Einmalzahlungen, die (unzureichende) Ausweitung des Wohngelds und eine (ebenfalls unzureichende) Inflationsanpassung beim ALG II (Hartz4) abgefedert, aber nicht gestoppt. Die oberen Einkommen werden vor zu großen Belastungen geschützt (die Steuersenkung für die obersten 20 Prozent: 8 Milliarden pro Jahr [taz, 5.9.2022]). Und die viel beschworene Zeitenwende reichte zwar aus, um über Nacht ein 100 Milliarden Euro Sondervermögen für Rüstungsausgaben aus dem Hut zu zaubern, aber für die Fortführung des 9-Euro-Tickets (Kosten 10 Milliarden pro Jahr) und einen Gaspreisdeckel bis Ende 2024 (Kosten ca. 17 Milliarden pro Jahr) ist angeblich kein Geld da.