Die Industriepolitik erlebt in den westlichen Ländern eine Renaissance. Jahrzehntelang wurde sie entweder als wettbewerbsverzerrend abgelehnt oder unter dem Deckmantel der F&D policy oder der Innovationspolitik nur in der Vorphase der Kommerzialisierung von Erfindungen betrieben. Jetzt ist sie wieder da, und zwar offener und breiter angelegt denn je, von Chips and Science Act, Inflation Reduction Act bis European Chips Act und Green Deal Industrial Plan. Alle diese Programme versprechen gigantische staatliche Subventionen für diejenigen Sektoren, die politisch relevant sind, sei es für die nationale Sicherheit, geopolitische Rivalitäten oder den globalen Klimaschutz.
Ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung ist zweifellos China mit seiner wachsenden Handelsmacht (größter Handelspartner von über 100 Ländern) und der damit verbundenen Expansion chinesischer Staatskonzerne auf dem Weltmarkt, die erneut Kritik am Staatskapitalismus hervorgerufen hat. Ähnlich den Erfahrungen Japans in den 1980er Jahren wird die chinesische Industriepolitik inzwischen als systemische Herausforderung für die Marktwirtschaft etikettiert und die zunehmende Beteiligung staatlicher Akteure an der globalisierten Arbeitsteilung und Kapitalakkumulation als Rivale für die internationale Ordnung eingestuft. Diese Bezeichnungen dienen jedoch in erster Linie der Ideologisierung der Kritik und tragen wenig zum Verständnis der chinesischen Industriepolitik selbst bei. Der Artikel konzentriert daher auf die Fragen, was Chinas Industriepolitik kennzeichnet. Inwieweit ist die Kapital- und Investitionslenkung der chinesischen Regierung mit dem Staatskapitalismus vereinbar? Und kann das Wirtschaftswachstum Chinas auf die Industriepolitik zurückgeführt werden?
Investitionslenkung statt »picking the winners«
Industriepolitik ist weder neu noch eine Erfindung Chinas. Staatliche Instrumente wie Innovationsförderung, Steuererleichterung, Importsubstitution oder Schutzzölle werden in vielen Ländern eingesetzt. Eine Besonderheit liegt aber in der kontinuierlichen staatlichen Lenkung durch die chinesische Zentralregierung. Seit dem ersten Fünfjahresplan aus dem Jahr 1952 erklärt sie die Industrialisierung zum nationalen Ziel und fördert Leitindustrien entsprechend dem Entwicklungsstand, während andere Länder inzwischen von solchen zentralen Plänen abgerückt sind. Obwohl auch in China die Aufstellung von Fünfjahresplänen in den 1960er und 1970er Jahren durch die Kulturrevolution unterbrochen wurde, wurde die Tradition in den 1980er Jahren wiederaufgenommen und fortgeführt. Mit der Einführung der Marktwirtschaft 1993 wurde diese Prioritätensetzung durch die Fünfjahrespläne nicht aufgehoben. Allerdings änderten die Planer*innen in Peking den Planungsprozess grundlegend und konzentrierten sich fortan auf die technologische Entwicklung und weniger auf die Ambitionen der Parteiführung. Ausgangspunkt für diese Neuorientierung war die Einführung des Konzepts der Industriepolitik in das chinesische Planungssystem.
China führte das Konzept der Industriepolitik Ende der 1980er Jahre nach japanischem Vorbild zunächst als Übergangslösung für die Transformation der zentralen Planwirtschaft bis zur Herausbildung funktionierender Marktmechanismen ein. Die Industriepolitik verkörperte nach Ansicht der damaligen chinesischen Planer*innen einen neuen Plantypus, welcher nicht wie in der Kommandowirtschaft üblich auf imperativen Produktionszahlen beruhte, sondern auf langfristigen Prognosen des Strukturwandels, der durch die Herausbildung von Leitindustrien ausgelöst und vorangetrieben wurde. Die Förderung von Leitindustrien spielte daher eine zentrale Rolle. Die Auswahl der geförderten Unternehmen war demgegenüber zweitrangig, da sich die staatliche Förderung per se an die staatseigenen Unternehmen (SOE) richtete, denn private Unternehmen entstanden außerhalb des staatlichen Plansystems und waren nicht in die administrative Planhierarchie integriert. Insofern beschränkte sich die chinesische Industriepolitik von Anfang an auf den Staatssektor, an dieser Besonderheit hat sich bis heute nicht viel geändert. Wenn in den geförderten Leitindustrien auch erfolgreiche private Unternehmen entstanden sind, war dies eher eine nicht intendierte Folge der Politik. Die Zentralregierung toleriert ihre Existenz, solange diese privaten Unternehmen zum Wirtschaftswachstum beitragen und den nationalen Zielen nicht zuwiderlaufen.
Darüber hinaus wurden die konventionellen Planungsmethoden und -verfahren nach der Einführung des industriepolitischen Konzepts schrittweise reformiert. Formal war der konventionelle Planungsprozess in China durch einen Top-Down-Ansatz gekennzeichnet. In der Praxis hing die Festlegung der Planziele jedoch von den vorformulierten Sektoralplänen der Branchenministerien sowie von der Bereitstellung von Informationen durch die staatlichen Betriebe ab. Unter diesen Umständen wurde die Nationale Planungskommission de facto zu einem Sekretariat der Dokumentenverwaltung degradiert. Mit der Einführung der Industriepolitik wurde dieses Verfahren durch ein neues ersetzt, das auf eigenständige Informationsbeschaffung, Prognose des langfristigen Strukturwandels und Prioritätensetzung durch die Planer in Peking beruht. Auf diese Weise sollte der Einfluss branchen- oder unternehmensspezifischer Partikularinteressen, die häufig auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtet sind, möglichst minimiert werden.
In den darauffolgenden Jahren entwickelte die chinesische Wirtschaftsbürokratie eine Reihe von Instrumenten, um Ressourcen, v.a. Kapital, in die Leitindustrien zu lenken. Das prominenteste Beispiel ist der Prioritätskatalog für Investitionen, der von der Nationalen Reform- und Entwicklungskommission (ehemals Nationale Planungskommission, kurz NDRC) verabschiedet und regelmäßig aktualisiert wird. Dieser Katalog dient nicht nur als Leitlinie für die Zulassung ausländischer Investitionen, sondern auch als Leitfaden für die Kreditvergabe durch staatseigene Geschäftsbanken und für die Finanzierung lokaler Projekte durch lokale Regierungen. Die Branchen, Produkte und Technologien, welche als besonders förderungswürdig eingestuft wurden und in die Prioritätsliste eingingen, wurden mit zinsgünstigen Bankkrediten, der bevorzugten Aufnahme ausländischer Direktinvestitionen oder einem vereinfachten Börsengang, Steuerbegünstigungen etc. gezielt unterstützt.
Alle genannten Förderinstrumente hängen sehr eng mit dem unterentwickelten chinesischen Steuer- und Bankensystem zusammen, das sich erst in den 1980er Jahren herausgebildet hatte. Nach dem sozialistischen Umbau in den 1950er Jahren wurde das traditionelle Steuer- und Banksystem in China abgeschafft, der Staatshaushalt wurde ausschließlich durch direkte Abgaben von den staatseigenen Betrieben finanziert. Diese starke Abhängigkeit von den Industrien besteht auch heute noch, wobei beispielsweise die Körperschaftssteuer 2022 bis zu 15 Prozent der gesamten Steuereinnahmen ausmachen. Daher konnten Steuererstattungen, -befreiungen und -ermäßigungen durch die Regierungen hohe Anreize für Unternehmen schaffen.
Im Gegensatz zur hohen Belastung der Unternehmen bleibt die Besteuerung der privaten Einkommen seit ihrer Wiedereinführung im Jahr 1980 auf einem niedrigen Niveau. So machte die Einkommensteuer 1994, dem Jahr der offiziellen Einführung der Industriepolitik in China, gerade einmal 1,5 Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus. Seitdem stiegen die Spareinlagen der Stadt- und Landbevölkerung auf 41 Prozent des BIP, wovon über 90 Prozent bei Banken angelegt wurden. Die Kanalisierung dieser Ersparnisse für passende Investitionen war daher von Anfang an eine der wichtigen Aufgaben der chinesischen Industriepolitik. Deswegen legte die Zentralregierung für die Banken quantitative Ziele für die Kreditvergabe an subventionierte Sektoren fest. Gleichzeitig kontrolliert sie die Zinssätze für Einlagen und Kredite. Obwohl die Zinssätze im Jahr 2015 teilweise liberalisiert wurden, verfolgt China nach wie vor keine rein zinsbasierte Kreditpolitik und greift weiterhin auf quantitative Instrumente zurück.
Unbeabsichtigte Folgen der staatlichen Investitionslenkung: Beispiel Photovoltaik
Obwohl die chinesische Industriepolitik von Planer*innen in Peking entworfen wird, ist ihre Umsetzung dezentralisiert und obliegt Tausenden von Lokalregierungen und SOEs, sodass mangelnde Koordination oft zu übermäßigem Wettbewerb untereinander führt. Hinzu kommt, dass dieses Umsetzungschaos die gelenkten Kapitalströme immer in die gleiche Richtung treiben, sodass in fast allen als Priorität festgelegten Industrien Überkapazitäten bestehen. Folglich befinden sich viele Kommunen in einem Subventionswettlauf und erhalten "Zombie-Unternehmen" im staatlichen Sektor mit billigen Krediten künstlich am Leben, was dazu führt, dass beide überschuldet sind. Nach Angaben des International Monetary Fund (IMF) ist Chinas Gesamtverschuldung im Verhältnis zum BIP von etwa 70 Prozent Mitte der 1980er Jahre auf 272 Prozent im Jahr 2022 gestiegen, wobei der Großteil auf den Staatssektor und die Lokalregierungen (160 Prozent des BIP) zurückging. Die Kosten für solche Fehlallokation werden jedoch nicht von den Entscheidungsträgern selbst getragen, sondern auf die gesamte Volkswirtschaft abgewälzt. Nach dem von der Bank for International Settlements berechneten Indikator für Schuldendienstquote ist die Schuldenlast Chinas (20,7 Prozent) fast doppelt so hoch wie die Deutschlands (11 Prozent) und deutlich höher als die der Vereinigten Staaten (13,7 Prozent). Der weitaus größte Teil dieser Schulden besteht aus Krediten, die von den chinesischen Banken vergeben wurden. Diese Schulden werden daher innerhalb Chinas bedient. Die Überkapazität in der Produktion hat dagegen unmittelbare Auswirkungen auf die globalen Märkte.
China ist derzeit nicht nur größter Produzent von Stahl und Aluminium (50 Prozent des Weltmarktanteils), sondern auch von Windturbinen (60 Prozent), Power-Batterien (70 Prozent) und Solarpaneelen (80 Prozent). Deren Kapazitäten übersteigen die eigene Nachfrage bei Weitem, insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien ist diese Diskrepanz noch größer. In den traditionellen Industriezweigen wie Stahl und Aluminium war der explosive Anstieg der Produktion vor allem auf den neuen Markteintritt zahlreicher privater Produzenten zurückzuführen, obwohl viele SOEs bereits präsent gewesen waren. Diese privaten Produzenten wurden durch die Liberalisierung des chinesischen Immobilienmarktes und die Urbanisierung angetrieben, während ihre staatlichen Konkurrenten durch politische Zielsetzungen entstanden. So treiben die "unsichtbare Hand" des Marktes und die "sichtbare Hand" des Staates den Kapitalfluss in dieselbe Richtung und förderten das Produktionswachstum. Das gleiche Muster ist nun auch im Bereich der erneuerbaren Energien zu erkennen, aber im Unterschied zu den traditionellen Branchen floss in diesen Sektor nicht nur das chinesische, sondern auch das internationale Kapital, das ebenfalls zunehmend unter politischem Einfluss steht. Die Überkapazitäten in China werden somit internationalisiert und lösen eine neue Debatte aus, nämlich die starke Konzentration der Produktion in China und die daraus resultierende starke Abhängigkeit. Ein prominentes Beispiel dafür ist die chinesische Photovoltaikindustrie.
Derzeit befinden sich die meisten Produktionskapazitäten in China, vom Rohstoff (90 Prozent des Weltmarktanteils) über Vorprodukte wie Ingots und Wafer (97 Prozent) bis hin zu fertigen Solarzellen und Paneelen (80 Prozent). Im Gegensatz dazu betrug der Anteil der Solarenergie an der Stromerzeugung in China im Jahr 2022 nur 5 Prozent, während der Anteil der Wasserkraft 15 Prozent und der der Windkraft 9 Prozent betrug. Die beiden letzten Energiequellen waren politisch priorisiert, wurden bevorzugt gefördert und in ihnen waren SOEs damals dominant. Die chinesischen Solarunternehmen waren dagegen zum großen Teil in Privatbesitz und konzentrierten sich bis zu Beginn der 2000er Jahre vornehmlich auf die solarthermischen Anlagen zur Warmwasserbereitung, welche für den durchschnittlichen chinesischen Haushalt erschwinglich waren. Aufgrund des hohen Preises und des relativ geringen Wirkungsgrades stand die photovoltaische Stromerzeugung jedoch zunächst weder politisch noch wirtschaftlich im Mittelpunkt des Interesses.
Erst die europäische und US-amerikanische Subventionspolitik in den späten 1990er löste eine auf Photovoltaik spezialisierte Massenproduktion in China aus. Das erste erfolgreiche chinesische PV-Unternehmen, Suntech, wurde z.B. von Shi Zheng Rong, einem chinesischen Forscher im Jahr 2000 gegründet. Während seines Promotionsstudiums in Australien meldete Shi auf dem Gebiet der PV ein Patent an, nach seiner Rückkehr in seine Heimat erhielt er dann von der Regierung ein Startkapital, mit dem er Produktionsanlagen aus Europa importieren konnte. Dank der günstigen Arbeitskosten in China wurden die PV-Produkte von Suntech in Europa und Nordamerika zu einem sensationellen kommerziellen Erfolg. Suntech ging 2005 in New York erfolgreich an die Börse und avancierte zum damals weltgrößten Hersteller von Solarmodulen. Durch den Erfolg des Unternehmens erkannten viele Privatinvestoren in China das Potenzial der PV und stiegen in die Produktion ein. Lokale Regierungen unterstützten sie häufig mit großzügigen Steuererleichterungen, zinsgünstigen Darlehen sowie mit kostenfreiem Land für neue Fertigungswerke. Der erste Boom der PV-Produktion endete jedoch abrupt 2010, als Europa und Nordamerika die Subventionen für Solarstrom abschafften und es zu einem Überangebot an PV-Produkten auf dem Weltmarkt kam. Darüber hinaus hatten die USA und die EU 2012 Strafzölle gegenüber PV-Produkten aus China verhängt, in dessen Folge gingen mehr als 200 chinesische Hersteller, darunter auch Suntech, in Konkurs. Vor diesem Hintergrund begann die chinesische Zentralregierung 2013 zunächst damit, die Solarenergie in das staatseigene Stromnetz zu intergrieren und nach dem Vorbild des deutschen Stromeinspeisungstarifs zu fördern, um die Überangebote der PV-Produkte abzubauen.
Die künstlich angekurbelte Inlandsnachfrage gab den chinesischen PV-Unternehmen die Möglichkeit, sich zu konsolidieren, aber das allein brachte noch keinen zweiten Gründungsboom. Entscheidend war vielmehr der technologische Durchbruch, welchen einige neu gegründete PV-Unternehmen bei der Raffinationstechnologie für monokristallines Silizium (der wichtige Rohstoff) erzielten. Diese neue Technologie reduzierte die Produktionskosten um 30 bis 40 Prozent und erhöhte zugleich die Effizienz der Stromerzeugung. Mit der Unterstützung des Pionier-Programms, das 2015 von der chinesischen Energiebehörde zur Förderung technologischer Innovationen ins Leben gerufen wurde, hat sich diese zweite Generation der PV-Produkte auf dem chinesischen Markt durchgesetzt. Dies bedeutet, dass Solarmodule, die mit älteren Polysiliziumtechnologien hergestellt werden, weiterhin auf die Weltmärkte exportiert werden müssen.
Dieser kurze Rückblick macht deutlich, dass der Aufstieg der chinesischen PV-Industrie nicht allein auf die chinesische Industriepolitik zurückzuführen ist. Ein wichtiger Impuls ging auch von den politischen Entscheidungsträgern in der EU und den USA aus, die ehrgeizige Ziele für die Energiewende setzten, während die heimischen Hersteller an ihre Kapazitätsgrenzen stießen. Chinesische Solarhersteller erkannten diese Marktlücke sofort und füllten sie mit preisgünstigen Produkten. Als die Nachfrage auf dem Weltmarkt zurückging, überzeugten die chinesischen Solarhersteller die Zentralregierung davon, einen heimischen Markt zu schaffen und weitere Unterstützung zu gewähren. Als Folge dieses internationalen Subventionswettlaufs konzentriert sich die PV-Produktion mehr und mehr auf China. Dies schürt in Europa und den USA die Ängste vor einer zusätzlichen Abhängigkeit von China und lässt weitere Handelskonflikte erwarten.
Mythos und Wirklichkeit
Seit dem Aufstieg Japans in den 1980er Jahr hat es immer einen Mythos um die Industriepolitik gegeben, um die wirtschaftliche Entwicklung in Ostasien zu erklären, China ist nun Teil davon. Aber bis heute kann diese direkte Kausalität zwischen Industriepolitik und hohem Wirtschaftswachstum wissenschaftlich nicht belegt werden. Nach dem Platzen der Immobilienblase Anfang der 1990er Jahre fiel Japan in eine lange Phase der wirtschaftlichen Stagnation, ob China dem japanischen Weg folgen wird, wird derzeit ebenfalls diskutiert. So setzte die chinesische Industriepolitik bei der Investitionslenkung ähnlich wie in Japan stark auf hohe inländische Spareinlagen und beeinflusste die Kreditvergabe der Banken durch quantitative Vorgaben aus der Politik. Ein solches System begünstigt die Entstehung eines Entwicklungsmodells, das im Wesentlichen schuldenfinanziert und nicht nachhaltig ist. Wie Japan vor drei Jahrzehnten ist auch das chinesische Entwicklungsmodell an seine Grenzen gestoßen, und die chinesische Regierung steht nun am Scheideweg: Sie muss ihr Steuer- und Bankensystem grundlegend umstrukturieren. Andernfalls droht sowohl den SOEs als auch der Regierung eine lange Zukunft des Schuldendienstes statt des Wachstums.
Darüber hinaus konzentrierte sich die chinesische Industriepolitik fast ausschließlich auf den Staatssektor, während die Entwicklung des Privatsektors in China praktisch laissez faire erfolgte. Zudem wurde das 2007 verabschiedete Antimonopolgesetz in der Praxis nicht konsequent umgesetzt, da die chinesische Regierung weiterhin Wirtschaftswachstum vor Wettbewerbsförderung stellt. Unter diesen Bedingungen haben private Unternehmen einerseits eine scheinbar unbegrenzte Freiheit, Gewinnchancen zu entdecken und zu expandieren. Andererseits sind sie ständig mit politisch-rechtlichen Unsicherheiten konfrontiert, so dass sie möglichst alle Produktionsstufen kontrollieren wollen, um ihre Marktmacht zu maximieren, die ihnen in einem unsicheren Umfeld einen gewissen Schutz bietet. Die Überlebensregel, dass größer sicherer ist, prägt die privaten Unternehmen in China viel stärker als in einer regulierten Marktwirtschaft.
Trotz politischer Benachteiligungen ist der chinesische Privatsektor in den letzten drei Jahrzehnten rasch gewachsen und hat die staatliche Wirtschaft überholt. Offiziellen chinesischen Statistiken zufolge macht der Privatsektor 2023 60,5 Prozent des BIP und 80 Prozent der Gesamtbeschäftigung aus. Noch wichtiger ist, dass 70 Prozent der technologischen Innovationen im privaten Sektor stattfinden, was bedeutet, dass private Unternehmen in vielen aufstrebenden Branchen eine führende Rolle spielen. Wie die oben skizzierte Photovoltaik-Industrie, die ursprünglich nicht Teil der staatlichen Pläne war, sondern von chinesischen privaten Investoren vorangetrieben wurde, die mit den internationalen Märkten (Rohstoff- und Aktienmärkten) vertraut waren.
Aufgrund der Größe des chinesischen Binnenmarktes bildet sich in vielen Branchen eine oligopolitische Struktur heraus. Im Gegensatz zu den staatlichen Oligopolen, deren Fusionen häufig durch administrative Hierarchien behindert werden, können private Oligopole vertikale Produktionsketten durch Marktfusionen rasch integrieren. Sie bevorzugen auch den direkten Wettbewerb gegenüber Joint Ventures mit transnationalen Unternehmen und neigen zu Marktprotektionismus, wenn sie angesichts international auferlegter Zölle oder anderer Beschränkungen staatliche Unterstützung suchen. Diese chinesischen Unternehmen, die außerhalb des staatlichen Plans entstanden sind, haben sich im Zuge der Globalisierung internationalisiert und sind zu einer Wirtschaftsmacht in der chinesischen Gesellschaft geworden, die in der Kritik am chinesischen Kapitalismus nicht außer Acht gelassen werden darf. Wie das obige Beispiel der PV-Industrie zeigt, können private PV-Hersteller, die auf dem Weltmarkt auf Schwierigkeiten gestoßen waren, ihre Größe und die damit verbundene volkswirtschaftliche Bedeutung nutzen, um staatliche Unterstützung einzufordern und politische Prioritäten zu ihren Gunsten zu verändern. Aus der Sicht des internationalen Handels sind Oligopole mit einer hohen Konzentration der Produktion in einem Land ebenfalls gravierend, da diese die Macht haben, Preise und Produktion zu bestimmen, was selbst dann noch möglich wäre, wenn der Staat Handelsschranken wie Zölle einführen würde, um den Wettbewerb auf dem heimischen Markt zu schützen. Insofern darf die Kritik am chinesischen Staatskapitalismus den privaten Kapitalismus nicht aus den Augen verlieren. Die chinesische Industriepolitik selbst ist eher ein Mythos.