Nach Branchen gegliedert ist der Anteil der Kurzarbeiter*innen im Gastgewerbe am höchsten, gefolgt vom Verarbeitenden Gewerbe. Beim Vergleich beider Branchen geht es – zugespitzt formuliert – gleichsam ums Ganze:
Im Gastgewerbe dominieren Mittel-, aber vor allem Kleinbetriebe mit unsicheren, teilweise saisonal gebundenen Beschäftigungsverhältnissen, oft in Teilzeit, maßgeblich im Niedriglohnsektor, in der überwiegenden Mehrzahl ohne betriebliche Interessenvertretung, meist auch tariflich nicht erfasst.
Die Industrie verkörpert idealtypisch eine Gegenwelt: Groß- und Mittelbetriebe, Stammbelegschaften in mittleren Einkommenslagen, Vollzeit, mit zum Teil starker betrieblicher und gewerkschaftlicher Interessenvertretung.
Sicher, Niedriglohnsektoren finden wir auch in Teilen der Industrie, unter dort beschäftigten Leiharbeitskräften und anderen Formen prekärer Beschäftigung, denen als erste gekündigt wurde – womit im Betrieb eine Grenze nach außen hochgezogen wurde (Exklusion 1). Hinzu kommt eine Grenzziehung nach innen: Kurzarbeit sichert Beschäftigung, erhöht aber zugleich das Armutsrisiko (Exklusion 2). Betroffen sind aber vor allem Berufsfelder des Dienstleistungssektors mit großen Niedriglohnbereichen und geringer oder gar nicht vorhandener gewerkschaftlicher Organisationsmacht. Da wurde beispielsweise in Sub-Unternehmen der Logistikbranche von Freisetzungspraktiken berichtet, die an die Zero-Hours-Contracts in Großbritannien erinnern:
»In den Bereichen, wo wir teilweise keine Betriebsräte haben, also da werden die Leute einfach nach Hause geschickt und gesagt, ja, wir rufen Dich mal wieder an, wenn Arbeit da ist und Kapazität. Aber keine Lohnzahlung oder so…«
Der zentrale Punkt: Kurzarbeit ist in der gegenwärtigen Ausstattung ein Instrument, das auf männliche Facharbeit in der Industrie zugeschnittenes ist, nicht auf weite Bereiche des Dienstleistungssektors. Die sozialstaatliche Regulierung wurde zwar ausgeweitet durch die zweistufige Erhöhung des Kurzarbeitergeldes ab dem vierten und siebten Monat, doch greift dies zu spät. Betriebliche Aufstockungen wiederum folgen den bezeichneten Exklusionslinien. Zu denen gehört auch noch, dass geringfügig Beschäftigte und Scheinselbständige keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben – hier liegt dringender Reformbedarf in Richtung einer Erwerbstätigenversicherung.
3. Mobile Arbeit – Ausweitung des Konflikts um flexible Arbeit
Mobile Arbeit wurde in der Corona-Krise zum zentralen Instrument der Absicherung von indirekt Beschäftigten. In Deutschland arbeiteten 2019 gerade einmal vier Prozent der Beschäftigten außerhalb des Betriebs; auf dem Höhepunkt des Lockdown in der ersten Pandemiewelle waren es 27 Prozent, während der zweiten Welle im Januar 2021 erneut 24 Prozent.
Zweimal wurden die Beschäftigten aus den Büros relativ zügig und in großer Zahl in den privaten Haushalt zur Erledigung ihrer Arbeitsausgaben geschickt. In vielen Fällen ohne Abstimmung mit den Betriebsräten. Meist wurde dies von einem großen Teil der Belegschaften ausdrücklich eingefordert. Ihr schon früher vorhandener Wunsch, durch Homeoffice individuelle, private Bedürfnisse und Anforderungen besser abdecken zu können, ist durch die Corona-Krise gleich doppelt aktualisiert worden: aus Gründen des Gesundheitsschutzes und aufgrund der Notwendigkeit, den Lockdown von Kitas und Schulen kompensieren zu müssen.
Doch mehr als das: Geschäftsleitungen, die immer noch auf strikte Arbeitsvorgaben und entsprechend ausgetüftelte Hierarchien gesetzt hatten, haben in Teilen erkannt, dass man durch das Verlassen der alten Pfade des betrieblichen Kommandosystems oft weiterkommt, unter anderem durch eine mit Zielvereinbarungen unterlegte »indirekte Steuerung«. Ein Betriebsrat aus dem Finanzdienstleistungssektor brachte das auf den Punkt:
»… es mag sein, dass unsere Geschäftsleitung sieht, dass die Leute trotzdem arbeiten, selbst wenn sie Homeoffice machen, ja? ...Die Chefin vermutet bei den Mitarbeitern nicht genug Reife für Homeoffice, sprich sozusagen es sind alles faule Arschlöcher und wenn der Chef nicht hinter einem steht und die Peitsche schwingt, dann macht man keinen Handschlag, ja?«
Der Umbruch vom »Kommandosystem« mit direktem Kontrollzugriff zu modernen flexiblen Steuerungssystemen mit höherer Autonomie für die Beschäftigten ist eine wesentliche strukturelle Voraussetzung dafür, dass mobile Arbeit breiter durchgesetzt werden kann – unabhängig von der Corona-Krise.
In mehreren Interviews wurde uns von einer Konfliktlage berichtet, die man als Wiederkehr der alten »Kragenlinie« bezeichnen könnte: zwischen Arbeitern und Angestellten, blue und white collar workers. Das gilt bezogen auf den Gesundheitsschutz ebenso wie für die Entgelte, wenn die Produktionsbeschäftigten in Kurzarbeit sind, während die Angestellten in Vollzeit im Homeoffice arbeiten. Was aus der Not geboren war, soll zum neuen Standard werden: Die pandemiebedingte Ausweitung mobiler Arbeit führt zu Überlegungen, die Arbeitsorganisation zu ändern, Geschäftsfelder online umzustellen. Neben Einsparungen bei Immobilien- und Reisekosten versprechen sich Unternehmen davon auch Flexibilitätsgewinne. Beschäftige wünschen sich hingegen individuelle Wahlmöglichkeiten in der Proportionierung von mobiler und stationärer Arbeit. Inhaltlich geht es um die Regulierung von Anspruchsrechten, um Zeitsouveränität (auf der Grundlage der Erfassung und Begrenzung der Arbeitszeit), um Arbeitsplatzgestaltung und natürlich um die Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten und die Partizipationsmöglichkeiten der Beschäftigten.
Zudem gilt es in stärkerem Umfang die sozialen Voraussetzungen der betrieblichen Arbeit (Kita, Schule, Pflege etc.) im Blick zu haben. Hier hat sich in der Not der alltäglichen Lebensführung gezeigt, wie wenig der Markt »regelt« und auf welche sozialen und infrastrukturellen Voraussetzungen das kapitalistische Lohnarbeitssystem zurückgreifen muss, um zu funktionieren, kurz: welche Alltagsrelevanz Sozialstaatlichkeit für die Erwerbsarbeit hat.
4. Infektionsschutz – ein umkämpftes Terrain
Schutz vor einer Vireninfektion ist mehr noch als jede andere Maßnahme des Gesundheitsschutzes ein Unternehmensinteresse, droht doch bei rasant steigenden Infektionszahlen möglicherweise eine Betriebsschließung. Tatsächlich wurden vor allem in großen Unternehmen umfangreiche Maßnahmen zum Schutz der Belegschaften durchgeführt. Eine Aussage, wie wir sie häufig gehört haben:
»… die machen alles, was ihnen einfällt, greifen jede Idee auf …, machen eigentlich mehr, wie sie von den Behörden her müssten... die Kantinen gesperrt, nur noch Take-away-Essen, Schutzmasken verteilt, überall Desinfektionsmittel aufgestellt, also die machen wirklich alles...«
Wird wirklich »alles Mögliche« getan? Was in dieser Interviewpassage aufgeführt wird, sind vor allem verhaltens- und hygienebezogene Maßnahmen. Die stehen laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in 66-88 Prozent der Fälle tatsächlich im Mittelpunkt. Technische und arbeitsorganisatorische Maßnahmen wurden hingegen nur einem Fünftel bis zu einem Drittel der Betriebe ergriffen. Diese sind im Schnitt deutlich kostenintensiver.
Zu Beginn der Pandemie waren es auch Proteste aus der Belegschaft, die zu Produktionseinstellungen führten. So beispielsweise Mitte März im weltgrößten LKW-Werk des Daimler-Konzerns in Wörth am Rhein (Die Rheinpfalz, 17.3.2020), wo unter normalen Bedingungen täglich 400 Lastkraftwagen vom Band laufen. In anderen europäischen Ländern waren solche Belegschaftsproteste noch häufiger. In Italien beispielsweise steht dafür der Slogan: »Non siamo carne da macello« – »Wir sind kein Schlachtvieh«. Dort kam es auch zu Streiks, etwa bei Fiat. Die Regierung griff ein und beschloss, alle nicht essentiellen Betriebe vorübergehend stillzulegen. Vergleichbares gab es in Deutschland nicht.
5. Von der »Systemrelevanz« zur Aufwertung von Arbeit
Nicht der Hedge Fond oder die Bank, sondern die Arbeit hat sich als »systemrelevant« erwiesen. Die Verhältnisse sind gleichsam vom Kopf auf die Füße gestellt worden. Mehr noch: »Die Menschen, die uns halfen, die Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten, befinden sich am unteren Ende der Skala, während diejenigen, die am oberen Ende angesiedelt sind, im Großen und Ganzen nutzlos waren«, schreibt die Soziologin Eva Illouz (Illouz 2020, 53).
Nun sind es die prekären und in höherem Maße verletzbaren Berufs- und Tätigkeitsfelder, die von besonderer Bedeutung für das Überleben von Mensch und Gesellschaft sind. Niedrig- bis Armutslöhne, miserable Arbeitsbedingungen und fehlende gesellschaftliche Anerkennung sind Kennzeichen systemrelevanter Beschäftigtengruppen. Es findet eine Aufwertung der Arbeit gegenüber Kapitallogiken statt, während zugleich in der Krisenbearbeitung Prekarität fortgeschrieben wird. Von den Beschäftigten wird die ungewohnte öffentliche Anerkennung ihrer Arbeit durchaus registriert, aber zwiespältig gesehen. Eine Pflegekraft in einem Krankenhaus in München bringt das auf den Punkt:
»Die Leute haben noch mal auf eine andere Art und Weise verstanden, wie unfassbar relevant dieser Beruf ist und wie viele Missstände es da eigentlich gibt. Das kann man extrem gut nutzen und ich hoffe auch, dass wir das extrem gut für uns nutzen also.«
Angespielt wurde hier auf die Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes 2020. Dort gelang es ver.di, aus der Aufwertung der Arbeit Kraft und öffentliche Unterstützung zu ziehen. Neben deutlichen Verbesserungen in der Pflegearbeit konnten untere Gehaltsklassen überdurchschnittliche Einkommensanhebungen verzeichnen.
Der Preis fürs Heldentum ist jedoch hoch: weil man gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt wird, sich über Grenzen hinaus belastet, große Leidensfähigkeit zeigt und sich für andere – den Kunden, die Patientin, die Allgemeinheit – einsetzt, wenn nicht aufopfert. Wir haben in drei Dienstleistungsfeldern Befragungen durchgeführt, in denen diese »Held*innen« zu finden waren.
Am wenigsten überraschen bestimmte Merkmale des »Heldentums« in den Pflegeberufen, denn dort gehören sie gewissermaßen zum Berufsethos. Vor allem zu Beginn der Pandemie waren die Beschäftigten in den Krankenhäusern extremen Risiken ausgesetzt, weil im Neuaufbau der Stationen große Unsicherheit herrschte: Die notwendige Schutzausrüstung war nicht verfügbar, die Qualifikationen für die Betreuung auf Intensivstationen waren unzureichend und der Umgang mit Covid-19-Patienten musste erst erlernt werden.
Auch Paketzusteller*innen wurden als »Held*innen der Arbeit« gefeiert, die das Versandgeschäft mit den online eingekauften Waren kaum bewältigen konnten:
»… also die Arbeitsbelastung in den Paketdiensten ist brutal. … Wir haben ein Riesenproblem gehabt, dass Menschen mit den Masken nicht richtig atmen und arbeiten können, also gerade in Bereichen der körperlichen Höchstbelastung, wie wenn man jetzt zum Beispiel Pakete irgendwo schichtet. «
Ferner haben die Verkäufer*innen im Lebensmitteleinzelhandel in der Corona-Krise eine besondere, von Beifall begleitete »Heldenrolle« gespielt. Sie selbst haben gerade in der ersten Corona-Phase, in der die Kunden noch ungehinderten Zugang zu den Geschäften hatten, sehr negative Erfahrungen gemacht,
»… weil die Kunden zum Teil ihre gesamte Angst und Panik in Hamsterkäufen zum Ausdruck brachten. In der Phase sind die Kunden so aggressiv gewesen: Die Beschäftigten wurden angespuckt, sie wurden aktiv angegangen, zum Teil haben die mit Toilettenpapier nach den Beschäftigten geschlagen...«
In der politischen Auswertung der Corona-Krise gilt es die Systemrelevanz von Arbeit weiter in den Blick zu nehmen. Die Sicherung einer qualitativ hochwertigen gesellschaftlichen Reproduktion hat sich als letztlich ausschlaggebend gegenüber dem kapitalistischen Renditesystem erwiesen (vgl. Detje/Sauer/Schumann 2021, 177-183).
6. Die Stunde der Exekutive oder das Mitbestimmungsvakuum
In der ersten Welle der Pandemie schlug in den Betrieben wie auch im politischen System die »Stunde der Exekutive«. Vielen betrieblichen Interessenvertretungen fiel es ausgesprochen schwer, Mitbestimmungsrechte offensiv wahrzunehmen. In einer Reihe von Interviews wird berichtet, dass Betriebs- und Personalräte die Krise als »Notfall-« oder »Ausnahmesituation« verstanden und Mitbestimmungsrechte zurückgestellt haben. Von anfänglicher »Überforderung« ist die Rede. Ein Betriebsrat aus einem mittelständischen Metallbetrieb beschreibt die Situation:
»Wo das hier angefangen hat…, da hatten wir drei Wochen lang eigentlich so ein Mitbestimmungsvakuum, weil der Werksleiter halt einseitig hergegangen ist und Arbeitszeiten geändert hat, Umkleideräume geschlossen hat, Kantinen nicht mehr betreten werden durften, Leute ins Homeoffice per Direktive reingeschickt hat usw.«
Meist ging dies ohne Konflikte vonstatten, die Entscheidungen des Managements wurden abgenickt. Hier bestätigt sich eine schon länger anhaltende Transformation der früheren Konfliktpartnerschaft zu einer »Partnerschaft ohne Konflikt« (Streeck 2016, 47-60).
Einigen Betriebsräten gelingt es gleichwohl, ihr Mandat offensiv wahrzunehmen. Doch die Hürden waren hoch: In Kurzarbeit und Homeoffice ist der Betrieb als Ort kollektiver Erfahrung herabgesetzt; auch Betriebsratsarbeit fand zum Teil im Homeoffice und im virtuellen Raum statt; Ansprache und Kommunikation über Betriebsversammlungen waren ausgesetzt; die Mobilisierung der Belegschaft ist unter Auflagen des social distancing massiv erschwert.
Die Corona-Krise veränderte die Bedingungen der Arbeit der betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretung: weniger Präsenz, Unterbrechung der traditionellen Verständigungswege, mehr digitale Kommunikation. Die erzwungene Digitalisierung wird von den befragten Betriebsräten in ihrer Bedeutung für die zukünftige Arbeit unterschiedlich eingeschätzt:
Ein Teil sieht in der mangelnden persönlichen Kommunikation eher eine Schwächung der Interessenvertretung, die auf Face-to-Face-Kontakte angewiesen sei. Andere sehen in der notwendigen Nutzung digitaler Medien eine sinnvolle Ergänzung auch für zukünftige Arbeitsweisen, aber keinen Ersatz. Wieder ein anderer Teil sieht in der Nutzung der neuen Medien die Zukunft der Gewerkschaftsarbeit und neue Chancen für eine aktivierende, beteiligungsorientierte Interessenpolitik.
7. Potenziale von Demokratie und Solidarität in der Corona-Krise
Noch ist offen, welche Schlussfolgerungen Beschäftigte und Interessenvertretungen aus ihren Erfahrungen ziehen. Einige haben in ihrem Erfahrungsumfeld mit Evaluierungen begonnen, um das, was passiert ist, zu verstehen und einzuordnen. Vielleicht wird hier auch die Tatsache, dass über sie verfügt wurde, dass ihre Beteiligung nicht gesucht wurde und dass Mitbestimmungsrechte missachtet wurden, ein Grund zum Nachdenken sein. Ein Personalratsvorsitzender aus einem Krankenhaus, das von Covid 19-Fällen überrollt wurde und an die Grenze des Leistbaren gelangte, um die vielen Patient*innen zu versorgen, blickt auf die erste Welle der Pandemie zurück:
»… jetzt merken die eigentlich, hey, ich bin da eigentlich gar nicht wirklich gefragt worden. Ich bin da in was reingeschmissen worden. Die sind da eingewiesen worden, die haben eigentlich gar nicht gewusst, was sie tun.«
Auf der anderen Seite wissen sie, dass ihr Funktionieren in Extremsituationen und ihre aufopfernde Einsatz- und Leistungsbereitschaft die Basis für die Bewältigung von bis dahin nicht gekannten Herausforderungen war. Vielleicht resultiert daraus ein neues Selbstbewusstsein und es wird eine aktivere Beteiligung in den Arbeitsprozessen eingefordert. Ausnahmesituationen müssen nicht zwangsläufig autoritär bewältigt werden, Effizienz muss nicht in Kommandostrukturen erzeugt werden. Selbstständiges Handeln der Beschäftigten wird in demokratischen Strukturen produktiv – vielleicht hat die Corona-Krise ja auch Lernprozesse angestoßen, die in diese Richtung gehen.
In unseren Interviews berichten zahlreiche Betriebs- und Personalräte von den autoritären Durchgriffsversuchen des Managements, aber auch vom Widerstand der Interessenvertretungen, die auf ihren Mitbestimmungsrechten beharrten und sich zur Wehr setzten. Auch wenn in der Corona-Krise keine Fortschritte in Sachen Demokratisierung erkennbar sind, wurden zum Teil erfolgreiche Abwehrkämpfe zur Sicherung der Mitbestimmung als Gegenmachtressource geführt. Manche Betriebs- und Personalräte sind daraus mit gestärktem Selbstbewusstsein hervorgegangen. Denn auch in der Krise werden kollegialer Zusammenhalt und gemeinsame Sinnstiftung erlebt, wird Arbeit als solidarischer Zusammenhang erfahren. Eine Pflegerin im Krankenhaus berichtet:
»… es war gigantisch, dieser Zusammenhalt in der Pflege. Es wurde dieser Zusammenhalt einfach im Mensch gefördert und ich hab kein einziges Mal gehört, ich mach das nicht, ich will das nicht, im Gegenteil. Jeder ist über sich selber hinausgewachsen und das war auch von dem ganzen Team das Feedback … also hätte ich mir nie so vorstellen können. Ich hab mir eher das Schlimmste ausgemalt und das war wirklich das Schöne an dem Ganzen, obwohl es so schlimm war.«
Von den Beschäftigten wird – ob im Krankenhaus oder im Produktionsbetrieb, an der Kasse beim Discounter oder bei der Paketzustellung – verantwortliches Handeln in riskanten Situationen verlangt. Sie wissen, dass die Folgen der Pandemie nur mit ihrer Hilfe bewältigt werden können. Dieses (Selbst-)Bewusstsein bricht sich an der Einordnung in ein autoritäres Betriebssystem, das durch die pandemische Notfallsituation noch verstärkt wird. In unseren Interviews ist die Nachdenklichkeit über diese Diskrepanz deutlich geworden.
Es gibt noch andere Hinweise auf neue Kollegialitäts- und Solidarerfahrungen: Bei ausgedehnter Kurzarbeit und mobiler Arbeit außerhalb des Betriebs wird die betriebliche Arbeit als ein »Teil von Gemeinschaft« vermisst. Der Betrieb ist durchaus auch ein positiv besetzter Ort des sozialen Zusammenlebens, ein wichtiger Teil des individuellen und kollektiven Alltags. Dieser wird vermisst. Ein Betriebsrat in einem Metallbetrieb findet dafür drastische Worte:
»… der Betrieb ist mehr als nur Arbeit, das ist auch ein Ort der sozialen Interaktion, das ist so etwas wie Familie und deswegen wollen auch viele Leute auch wieder arbeiten, … sie vermissen ihre Betriebsfamilie. Das ist ein Teil von Gemeinschaft und da scheißen sie dann auch ein Stück weit auf die Sicherheitsvorkehrungen …«
Wir wissen nicht, was von diesen Erfahrungen in Post-Corona-Zeiten bleibt und was schnell wieder im alltäglichen Leistungsdruck und in Konkurrenzsituationen verschwindet. Aber im Betrieb stoßen wir anders als im öffentlichen Diskurs nicht nur auf Beschwörungsformeln des »gesellschaftlichen Zusammenhalts«, sondern auf konkrete kollegiale Erfahrungen in der alltäglichen Arbeit.
Trotz des autoritären Durchgriffs zu Beginn der Pandemie ist die Corona-Krise nicht einfach als demokratische Regression zu begreifen. Bei genauerem Blick in die Welt der Betriebe, den unsere Untersuchung ermöglicht, trägt der Krisenverlauf doch sehr viel widersprüchlichere Züge, in denen durchaus demokratische und solidarische Potenziale zu finden sind. Deshalb enden wir mit einem Aufruf von Wissenschaftler*innen, den sie vor knapp einem Jahr auf den Höhepunkt der ersten Pandemiewelle an die Weltöffentlichkeit gerichtet haben:
»Demokratisieren wir die Unternehmen … hören wir auf, Menschen als Ressourcen zu behandeln – damit wir uns gemeinsam um die Erhaltung des Lebens auf diesem Planeten kümmern können.«
(Thomas Piketty und andere am 18. Mai 2020 in DIE ZEIT)