Das Szenario: Spätsommer 2025. Du bist auf einer Mitgliederversammlung der LINKEN und wirst um eine Bilanz der letzten fünf Jahre gebeten: Wie ging es weiter nach dem Parteitag 2020 – welche Weichen wurden dort gestellt? Und was kommt in der Zukunft auf die LINKE zu?

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Wir können uns als Mitglieder auf die Schultern klopfen dafür, dass wir beim Parteitag 2020 entschieden haben, dass … 

…wir die Bundestagswahl nutzen, um als Bewegungsorganisation aufzutreten und keine Regierungsbeteiligung, sondern eine wahrhafte Veränderung der Gesellschaft anstreben. Dabei waren wir uns einig, dass grundlegende Veränderungen der kapitalistischen Gesellschaft nicht über einen Regierungswechsel im Staatsapparat erfolgt. Dieser ist kein neutraler Apparat, sondern ein kapitalistischer Klassenstaat. Als solcher sichert er rassistische und patriarchale Verhältnisse und über das scheinbar unverrückbare Dogma der Wettbewerbsfähigkeit auch die imperiale Produktions- und Lebensweise ab. 

Denn heute, fünf Jahre nach dem Parteitag und vier Jahre nach der Bundestagswahl, hat die Partei es geschafft, dass…

 …wir eine neue gesamtgesellschaftliche Gegenbewegung als Hegemonieprojekt haben. Die Linke ist der Ort geworden, wo sich eine neue Bewegung der Lohnabhängigen formiert. Diese vereint gewerkschaftliche, ökologische, feministische, antirassistische, antikoloniale und indigene Kämpfe an der Basis und über Grenzen hinweg. Wir haben einen gemeinsamen Rahmen für emanzipatorisches, kritisches Handeln gesetzt. 

Mit Blick auf die vergangenen Jahre bist Du besonders stolz darauf, dass … 

…wir die „große“ Erzählung gefunden haben, die die kleinen Widerstandprojekte eint. Wir haben erkannt, welche Sprengkraft im Zusammenbringen von sozialen Bewegungen und Arbeitskämpfen steckt und auf den ersten Erfolgen in den Tarifverhandlungen im Nahverkehr und Öffentlichen Dienst aufgebaut. Das dortige Bündnis zwischen Fridays For Future, ver.di und NGOs war der Anfang, um sich bei den Verteilungskämpfen 2021 gegen Austeritätsmaßnahmen in der öffentlichen Daseinsvorsorge wehren zu können. 

Die LINKE hatte in der Wirtschaftskrise und den Verteilungskämpfen nach Corona richtig reagiert, sie … 

...hat dafür gesorgt, dass wir während und nach der Dreifachkrise nicht zur Normalität zurückgekehrt sind. 2020 haben wir gemerkt, dass innerhalb der Gesellschaft eine neue klassenbewusste Positionierung stattfindet. Wir haben die diversen Bewegungen zusammengeführt und die Verteilungsfrage in den Vordergrund gestellt. Kleine Widerstandskämpfe wurden in einer großen Strategiedebatte kontextualisiert, die hegemoniale Diskurse in Frage gestellt hat. 

Realpolitisch hat die LINKE wichtige Erfolge feiern können. Entscheidend war, dass sie … 

…die Gemeinsamkeit der Kämpfe in den Vordergrund gestellt und denselben Feind benannt hat. Jeder Kampf hat eigene Machtressourcen, Kompetenzen und Erfahrungen mitgebracht. Die Linke hat dabei eine relevante Rolle bei der Vernetzung als auch Bereitstellung von Infrastruktur und Know-How gespielt. Das wohl wichtigste war, dass die lange Sicht beibehalten wurde. Seitdem ist sie bekannt als Partei, die im Hier und Jetzt relevante Veränderungen erkämpft. Diese sind aber nicht systemstabilisierend und förderlich für das Wirtschaftswachstum, sondern kleine Schritte hin zu einer grundsätzlich anderen Lebensweise. 

Wenn man heute Linkspartei googelt, kommt als weiteres Schlagwort … 

4,5 von 5 Sternen bei Tripadvisor. 

Die größte gesellschaftspolitische Herausforderung ist nun …

…die gesellschaftlichen und politischen Mehrheiten zu nutzen, um einen Hegemonieübergang zu gestalten. Wir haben den Begriff der sozial-ökologischen Transformation alltagstauglich gemacht und Allianzen gebildet. Nun brauchen wir ausformulierte Übergangsstrategien, die zu einer vollständigen Demokratisierung der Wirtschaft und des Alltagslebens beitragen. 

Deswegen schlägst Du Deinem Ortsverband für 2035 vor, sich für die kommende Zeit noch stärker auf 

Intersektionalität… 

 zu konzentrieren, denn dadurch… 

…wird klar, dass die gesellschaftliche Machtverteilung nicht nur auf dem Neoliberalismus, sondern auch auf gesellschaftlichen Praxen wie Sexismus, Rassismus und Klassismus basiert. Als Linke ist es unsere Aufgabe, Personen mit Diskriminierungserfahrungen in ihrem Kampf zu unterstützen und die gemeinsame Praxis für Selbstreflexion zu nutzen. Gleichzeitig sollten wir politische Bildungsarbeit machen, die die Menschen bei ihren unterschiedlichen Lebensbedingungen abholt und gemeinsame Handlungsoptionen aufzeigt. 

Am Ende Deines Beitrags willst Du noch mal Folgendes loswerden: 

In den letzten Jahren haben sich zahlreiche junge Menschen politisiert. Aufgabe der Linken ist es, die Klimakrise, Rassismus, Sexismus und die anderen Gründe gesellschaftlichen Engagements auf ihre strukturellen Ursachen zurückzuführen, Wege der langfristigen Organisierung zu bieten und Instrumente für einen Strukturwandel zu vermitteln. Dabei hat der SDS in den letzten Jahren immense Arbeit geleistet und viele Mitglieder sind inzwischen zu erprobten und erfahrenen Organizer*innen geworden. Auf diesem Wissens- und Erfahrungsschatz sollten wir aufbauen, um eine Selbstermächtigung und Radikalisierung von unten zu unterstützen. 

Nach der Mitgliederversammlung trefft ihr euch im Biergarten, ein paar Interessierte sind auch gekommen, um euch Genoss*innen kennen zu lernen. Du unterhältst Dich mit einer ...

Klimagerechtigkeitsaktivist*in. 

Dein zentrales Argument, warum deine Gesprächspartner*in an diesem Abend in die LINKE eintreten soll, ist: 

Die Partei ist inzwischen der einzige Ort, an dem sich dafür eingesetzt wird, dass Freiräume verteidigt (Liebig 34 steht wieder!) und Ideen für eine neue Art des Zusammenlebens jetzt schon ausgetestet werden. Zugleich sorgt sie dafür, dass wir einerseits einen Wandel in Einstellungen und Lebensweisen erfahren und andererseits jetzt schon für ein gutes und faires Leben für alle kämpfen. Sie erkennt an, dass Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus durch den Neoliberalismus zwar verstärkt, aber nicht allein durch ihn verursacht werden. Deswegen erkämpft sie ein diverses Profil. Denn wahre Demokratie erkennt an, dass für eine geeinte Menschheit Unterdrückungsmechanismen wahrgenommen und abgebaut werden müssen. Schlussendlich versucht sie jetzt schon das Wachstumsparadigma zu umwandern, Eigentumsverhältnisse anzugreifen und Gegenmacht aufzubauen, um strukturelle Veränderungen durchzusetzen. 

Auf Deinem Spazierweg nach Hause denkst Du Dir: 

Krass, dass TVN der Beginn für ein Umdenken in der Partei war… Eidadaus, was für ein Tag! 

Das Gespräch führte Rhonda Koch.