Dass wir uns in solch einer Lage befinden, sollte offensichtlich sein. Wir stehen einem Moment von unerhörter historischer Wichtigkeit gegenüber, in dem die Entscheidungen, die wir treffen, und die Möglichkeiten, die wir nutzen oder nicht nutzen, die Form bestimmen, die der morgige Tag für uns alle annehmen wird. Dieser Moment ging hervor aus der Überschneidung der Krisen des Neoliberalismus, der sozialen Reproduktion, der Klimakatastrophe und der Coronavirus-Pandemie, die sich verbunden haben und zu einer kombinierten Krise unabsehbaren Ausmaßes verschmolzen sind. Solange diese objektive Krise ungelöst bleibt, bietet sich uns eine objektiv revolutionäre Gelegenheit, doch um sie zu ergreifen, müssen wir uns zu einer subjektiven Kraft zusammenfinden, die den Moment auch zu nutzen versteht. Die US-amerikanische Historikerin Sheila Fitzpatrick illustriert das Gewicht einer solchen historischen Aufgabe, wenn sie über das Dilemma der Linken in Russland inmitten der Krise der zaristischen Autorität im Jahr 1917 schreibt: Im Juni, beim Ersten Nationalen Kongress der Sowjets, fragte jemand rhetorisch danach, ob es eine Partei gebe, die bereit sei, allein die Verantwortung zu übernehmen – voraussetzend, dass die Antwort negativ sein würde. „Es gibt solch eine Partei!“, warf Lenin dazwischen. Für die meisten Delegierten klang dies eher wie zur Schau getragen als nach einer ernsthaften Herausforderung. Doch die Geschichte sollte etwas Anderes beweisen. Weil uns heute aber jeglicher organisierte Parteiapparat von vergleichbarer Erfahrung, Größe oder Verbindung zu einer Massenbasis fehlt, stellt sich uns die Frage, wie wir uns am besten vorbereiten können, um den Anforderungen unserer historischen Aufgabe zu begegnen. Seit Beginn der Krise des Neoliberalismus haben sich neue linke Kräfte und organisatorische Formationen gebildet. Wie können wir eine Stabilisierung der Kraft und der Fähigkeiten dieser Organisationen inmitten der fortschreitenden Krise erreichen? Ich biete fünf Thesen an, von denen ich hoffe, dass sie uns helfen werden, auf diesem Weg ein Stück voranzugehen.

These 1: Das Organisierungsproblem ist die zentrale Aufgabe, der radikal Linke heute gegenüberstehen

Die Organisierung eines kohärenten politischen Subjekts, das in der Lage ist, einen sozialistischen Weg aus dem derzeitigen Interregnum zu finden, ist die Aufgabe der Stunde. Die Organisierungsfrage war seit Beginn der sozialistischen Bewegung das Thema langer Debatten, und sie hat seit dem jetzigen, von den Bewegungen der Platzbesetzungen 2011ff eingeläuteten Zyklus von Kämpfen aufs Neue an Bedeutung gewonnen. Dieser Zyklus wurde einerseits definiert durch strikt horizontale Organisationsweisen und andererseits durch eine parallele Erkundung massenhafter Organisierungsformen, darin eingeschlossen Parteien und Gewerkschaften. Damit verbunden gab es eine Bewegung weg von den Diskursen der Spontaneität und Organisationslosigkeit und hin zu Fragen von Organisierung und Organisation. Wo wir alle uns zuvor in Gesellschaft von „Aktivist*innen” fanden, sind wir nun von Kampfgefährt*innen umgeben, die sich als Organizer*innen betrachten. Diese diskursive Bewegung wurde von einem neuen Repertoire an Praxen begleitet, die nicht so sehr auf unmittelbar direkte Aktionen, sondern auf nachhaltiges organization building abzielen. Nun ist es nicht so, dass sich von direkten Aktionen abgewendet wurde. Vielmehr ist es so, dass sich zusätzliche Aufgaben als entscheidend für eine höhere Stufe direkter Aktionen erwiesen haben. Wo früher der Fokus auf Eventplanung lag, liegt er nun auf Organisationsaufbau. Hierfür versuchen sich Organizer an der Entdeckung von Praxen, die auf die Unorganisierten zielen. Dies wirft notwendigerweise eine Reihe von Problemen rund um Reichweite, Aufbau einer Führung, Vertrauensbildung, Entscheidungsfindung, organisationsinterne Auswertung, Konfliktlösung etc. auf. Die Politikwissenschaftlerin Alyssa Battistoni hat den schmerzhaften, jedoch grundlegend transformativen Prozess herausgestellt, durch den aus einer Generation von Aktivist*innen eine Generation von Organizer*innen werden kann. Die Probleme und Versuche, die Battistoni aufzählt, bilden die Wirklichkeit aller radikal Linken ab, die versuchen, den Sprung zur massenhaften Organisierung zu schaffen. Dies wird dadurch erschwert, dass wir die individualisierten und entfremdeten neoliberalen Subjektivitäten hinter uns lassen müssen, wenn wir versuchen wollen, zu kollektiv organisierten Subjekten zu werden. Hier stehen wir vor einem großen Problem dieser Generation: Wir wollen organisiert sein, doch die große Mehrheit von uns weiß schlicht nicht, wie das geht, und wie wir dahinkommen. Zweifellos gibt es in unseren Reihen einige, die dieses Knowhow bereits entwickelt haben und über Elemente eines solchen Wissens verfügen, doch bisher gelingt die Verallgemeinerung solcher Erfahrungen und solchen Wissens kaum.

These 2: Ein Schlüsselproblem, das sich radikalen Sozialist*innen stellt, ist die Frage kämpferisch-organisatorischen Wissens.

In verschiedensten lokalen Kontexten ringen radikal Linke um den Aufbau dauerhafter, belastbarer und widerstandsfähiger Organisationen. Dieses Ringen ist zunächst unabhängig von der speziellen organisatorischen Form, die sie nutzen oder entwickeln. Ob sie darum kämpfen, autonome Kollektive zu bilden, oder den akademischen Mittelbau gewerkschaftlich zu organisieren, stets versuchen sie, eine effektive Organisierung zu erreichen: die Reihen der Mitglieder anwachsen zu lassen, sinnvolle Kommunikationswege zu Kolleg*innen zu finden und diese fortzubilden; dialogische Verfahren zu finden, die es Mitgliedern ermöglichen, einander in ihre Probleme und Wünsche einzubeziehen; das Produkt dieser dialogischen Verbindungen in Forderungen zu überführen und politische Vorschläge zu erarbeiten, die mehr Kontrolle über die (Re-)Produktion ermöglichen, transformative Kampagnen zu entwickeln, die die systemische und organisatorische Macht der Betroffenen stärkt, Praxen zu fördern, durch die sich Menschen über Differenzen hinweg begegnen können, und die im Fall von Konflikten untereinander mediative Funktionen haben können; organisatorische Mechanismen zu entwickeln, durch die eine Ungerechtigkeit gegenüber Einem als Ungerechtigkeit gegenüber Allen verstanden wird. Über politische Kontexte hinweg stoßen radikal Linke oft auf ein unterschwellig vorhandenes praktisches und methodisches Wissensfeld. Doch oft gelingt es nicht, dieses in lokalen organisatorischen Prozessen weiterzuentwickeln oder zirkulieren zu lassen. In einem speziellen Fall, den ich beobachten konnte, ergab sich dieses Problem, als es zu Konflikten im organisatorischen Kern meiner gewerkschaftlichen Mittelbauinitiative kam. Hier ging es um die Frage, ob wir “Organizing” betreiben sollten oder nicht. Selbstverständlich nahmen wir alle für uns in Anspruch, “Organizing” zu betreiben, also das zu tun, was dich effektiver statt weniger effektiv macht. Doch für einige, eingeschlossen mich selbst, wurde bald klar, dass wir keine Ahnung hatten, was dieses ‘das’ – ein Repertoire an Praxen und Methoden – war. Als wir mit dem „Organisieren” begannen, hatten wir keine Vorstellung davon, wie wir dorthin kommen sollten. „Organisieren“ hieß, unseren Kolleg*innen zuzuhören, aber wie? Es hieß, Probleme zu identifizieren, die aus Sicht der Basis das Kämpfen lohnten, aber wie? Es hieß Bündnisse zu schaffen, aber wie, und mit wem? Was macht dies deutlich? Zum einen bedeutet der Wille zum Organisieren nicht, dass wir wissen, wie es zu machen ist. Um die komplexen Apparate aufzubauen, die ein revolutionäres Szenario erfordern wird, braucht es Organizer*innen, genauer: Organizer*innen mit bestimmten Qualitäten, die im Besitz eines bestimmten Wissens sind. Und genau an jenem spezifischen kämpferisch-organisatorischen Wissen fehlt es oft. In anderen Worten, die lokale Erfahrung von Ausbeutung und Unterdrückung bringt nicht automatisch effektive politische Befähigung und organisatorisches Wissen hervor. Dies zeigt, dass eine Lücke zu jenem Wissen besteht, das ich als kämpferisch-organisatorisches bezeichne: Wissen, das sich auf Kenntnisse über Praktiken, Techniken und Mechanismen bezieht, die es den Arbeitenden ermöglichen, sich nicht nur in Form einer kämpfenden und durchsetzungsfähigen Kraft zu organisieren, sondern auch zu einer autonomen und kreativen Kraft zu werden, die in der Lage sein wird, einst die Produktionsmittel operativ zu kontrollieren. Die Schaffung von kämpferisch-organisatorischem Wissen erfordert also etwas anderes. Wie kann es gezielt entwickelt werden?

These 3: Kämpferisch-organisatorisches Wissen kann durch Erfahrung oder durch Bildung vermittelt werden. Wir müssen beides so kombinieren, dass sich dieses Wissen in konkrete politische Aktivität niederschlägt.

Kämpferisch-organisatorisches Wissen kann auf zwei Weisen vermittelt werden. Auf der einen Seite organisieren Arbeitende den Konflikt mit ihrem Gegner und können unmittelbar daraus lernen und ihre Fähigkeiten weiterentwickeln. Aber andererseits können sie in diesen Fähigkeiten auch unterrichtet werden. Beispielsweise können Arbeitende auf einer Baustelle kämpferisch-organisatorisches Wissen entwickeln, wenn sie sich in einer kollektiven Form (z. B. als Gewerkschaft) organisieren. Dieser Prozess braucht notwendigerweise Zeit, da die Arbeitenden dialogische Verfahren entwickeln müssen, die sie untereinander in Verbindung bringen. Wir können dialogische Verfahren als demokratische kommunikative Prozesse, Räume und Praxen begreifen, die es den Arbeitenden erleichtern, sich über die Koordinierung kollektiver Aktion zu beraten. Ausgehend von Paulo Freire können wir diese dialogischen Verfahren als Prozesse betrachten, die „auf gegenseitiger Kommunikation beruhen und Beziehungen von ‚Empathie‘ zwischen zwei ‚Polen‘ herstellen, die gemeinsam auf der Suche sind.” Dies unterscheidet sich von monologischen Verfahren, die auf vertikalen Beziehungen beruhen, von daher anti-dialogisch sind und die Schaffung einer empathischen Beziehung ablehnen. Um also kämpferisch-organisatorisches Wissen zu entwickeln, müssen die Arbeitenden eine organisatorische Infrastruktur entwickeln und aufrechterhalten, die es ermöglicht, über die offensiven und defensiven Prozesse, die in ihrer Hand liegen, einen Dialog zu führen. Darüber hinaus müssen diese Arbeitenden bereit sein, die Auswirkungen all dessen kritisch und offen zu bewerten, sie in ihren einzelnen Komponenten einer kollektiven dialogischen Kritik zu unterziehen. Dies ist ein notwendigerweise experimenteller Prozess von Versuch und Irrtum. Wenn es funktionieren soll, muss eine Anpassung der Praxis das Ergebnis sein. Einmal mehr ist es Freire, der uns an die Notwendigkeit erinnert, dass die Arbeitenden nicht nur „über ihre konkrete Situation nachdenken“ müssen, sondern dass dies auch mit „Handlungsaufforderungen“ einhergehen muss, die „nur dann eine authentische Praxis bilden, wenn ihre Folgen zum Gegenstand kritischer Reflexion werden.“ Dies ist im Wesentlichen ein Prozess gemeinsamer Forschung, der die situierte Erfahrung der Arbeitenden untersucht, ihr Verhältnis zur Macht theoretisch aufarbeitet und durch Identifikation der Mechanismen ihrer untergeordneten Positionierung ein Ausbrechen aus dieser Position versucht. Doch braucht dieser Prozess Zeit, und er hängt davon ab, die Interessen und die moralische Verfassung einer bestimmten sozialen Basis von Arbeitenden zu wahren, um aus diesen strategischen Begegnungen zu lernen und sie auswerten zu können. Zudem: Aufgrund der Zeit, die er braucht, erfordert er stabile und dauerhafte Beziehungen zwischen dieser jeweils besonderen sozialen Basis und den Strukturen, in denen sie verankert ist, und gegen die sie kämpft. Busfahrer*innen, die ihr ganzes Leben lang an ihrem Arbeitsort bleiben, sind z.B. strukturell weitaus besser hierzu in der Lage als Doktorand*innen, deren Verhältnis zu ihrer Universität viel vorübergehender ist. Das Verhältnis zwischen dem Zusammenbleiben (Organisation) über strategische Begegnungen im Laufe der Zeit (Kampf) und dem Lernen ist eine der entscheidenden Lehren aus Lenins Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus. Lenin legt den Grundstein des Erfolgs der Bolschewiken durch Betonung von Erfahrung, Erfahrung und nochmal Erfahrung. Wie vermochte es die Partei, eine disziplinierte und fähige Streitmacht zu bilden? Durch die Entwicklung militanter Subjektivität der Arbeitenden, durch das Vermögen, eine starke und anhaltende Verbindung zur Basis der arbeitenden Klasse zu erhalten, und die Bewertung von Strategie und Taktik mittels Kampferfahrungen. Diese kämpferisch-organisatorische Kapazität wurde nur durch „langwierige Anstrengungen und mühsam gewonnene Erfahrung“ entwickelt. Ihre Schaffung wurde „durch eine korrekte revolutionäre Theorie vereinfacht, die ihrerseits kein schieres Dogma ist, sondern ihre endgültige Form erst in enger Verbindung zur praktischen Aktivität einer wirklich massenhaften und wirklich revolutionären Bewegung annimmt.” Lenin betont „die Qualen ..., die im Laufe eines halben Jahrhunderts beispielloser Qualen und Opfer erlebt wurden“, die Erprobung „aller programmatischen und taktischen Blickwinkel“ durch die Aktion der Massen, „zu lernen, wie anzugreifen ist“ und „wie sich geordnet zurückzuziehen“, „wie legal in den reaktionärsten Parlamenten, in den reaktionärsten Gewerkschaften gearbeitet wird“, etc. Was nochmals unterstrichen werden muss, ist die Entwicklung einer „richtigen Theorie“, die sich aus den Ergebnissen einer notwendigerweise experimentellen Praxis ergibt. Dies ist ein Punkt, den Mao in seiner Abhandlung „Über die Praxis“ wiederholt, in der die Anfangsstadien des Klassenkampfes sich durch Verlust und Niederlage definieren. Allein durch „die Erfahrung gewonnener und insbesondere verlorener Kämpfe“ können Militante „den inneren Faden des gesamten Krieges, und zwar die Gesetze dieses spezifischen Krieges, verstehen, ebenso seine Strategie und Taktik, und folglich den Krieg mit Selbstvertrauen führen.“ Es war diese Betonung von Experiment und Adaptation – des Ausprobierens und des Korrigierens, des Gehens und des Kaugummikauens, wie es Fred Hampton erläuterte – die es der Black Panther Party ermöglichte, innovative Infrastrukturen wie ihre berühmten Frühstücksprogramme zu entwickeln. Sind wir zu 50 Jahren „langwieriger Anstrengungen und mühsam gewonnener Erfahrung“ verdammt, wie es Lenin und seine Partei waren? Zweifelsohne, aber das bedeutet nicht, dass dieser Prozess nicht ein wenig beschleunigt werden kann. Wie Jane McAlevey hervorhebt, ist Organisierung am Arbeitsplatz (die als Bestandteil von kämpferisch-organisatorischem Wissen bezeichnet werden kann) eine „ganzheitliche Fähigkeit“, ein „Handwerk für sich“, das gelehrt werden kann. Entlehnt bei William Z. Fosters Organisierungsmethoden in der Stahlindustrie, schreibt sie: „Organizer*innen wissen nicht aus Instinkt, wie zu organisieren ist, es muss ihnen sorgfältig beigebracht werden.“ Die Geschichte der Linken liefert zahlreiche Beispiele dafür, wie Organisationsinfrastrukturen, die dieses Wissen weiterverbreiten können, durch verschiedene Organisationsformen zu entwickeln sind.

These 4: Organe und Institutionen kämpferisch-organisatorischen Wissens haben in vorangegangenen Kampfzyklen entscheidende Rollen gespielt. Wir müssen diese ausbauen, sie verbinden und die Lehren an die gewonnenen Erkenntnisse anpassen.

Während für Lenin der Apparat, der dieses kämpferisch-organisatorische Wissen entwickelt, die Partei selbst war, haben sich seitdem verschiedene organisatorische Formationen als in der Lage erwiesen, dieses Wissen zu entwickeln. Zweifellos ist es nicht diese eine kommunistische Partei, die es entwickeln muss; es ist eher so, dass dies jede Organisation tun muss, wenn sie politisch effektiv sein will. Wie Agustín Guillamón in seiner Geschichte der Verteidigungskommittees der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT in Barcelona während des spanischen Bürgerkriegs ausführte, waren spanische Anarchist*innen in der Lage, einige Zeit vor der Revolution ausgefeilte und durchdachte Organisationsstrukturen für den Fall einer Revolution zu entwickeln, und dies wenige Jahre bevor der Bürgerkrieg ausbrach. Diese Organisationsstrukturen schlossen Prozesse ein, durch die ganze Städte in Bezirke unterteilt wurden, denen je ein Komitee zugewiesen wurde, das nicht nur die Menschen dort organisierte, sondern auch die Gebiete im physischen Sinn, um sie im Fall eines revolutionären Szenarios verteidigen zu können. Was wir hier sehen, ist die Übertragung von Organisierungsmethoden für den Arbeitsplatz in die Stadt selbst – umso interessanter angesichts der militärischen Ursprünge kapitalistischer Arbeitsplatzorganisation. Gewerkschaften sind ebenso wie Parteien in der Lage dazu, Vorgehensweisen zu schaffen, die notwendig sind, um kämpferisch-organisatorisches Wissen an die bevorstehende Aufgabe anzupassen. Über Parteien und Gewerkschaften hinaus bietet das Beispiel der Highlander Folk School in Tennessee während der Weltwirtschaftskrise eine weitere Form, durch die kämpferisch-organisatorisches Wissen produziert und verbreitet wurde. Gegründet anhand des Beispiels der beliebten Volksschulen der Jahrhundertwende in Dänemark, versuchte Highlander, organische Führungspersonen aus den Reihen der Industrie- und Landarbeiterschaft im Süden der USA auszubilden. Nach vielfachen Versuchen und Irrtümern wurde Highlander zu einem wichtigen Bestandteil der organisatorischen Infrastruktur des Klassenkampfes im amerikanischen Süden, und zu einem frühen Schauplatz der Tendenzen zur Desintegration von Schulen. Tatsächlich fanden sich in der Leitung des Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) mehrere Mitglieder, die durch Highlander ausgebildet waren, und diese schufen ihre eigenen Infrastrukturen für die Verbreitung von kämpferisch-organisatorischem Wissen durch die Entwicklung von Freedom Schools. Allerdings bedeutet die Existenz einer Schule für den Aufbau von Bewegungen nicht, dass kämpferisch-organisatorisches Wissen in Umlauf gebracht würde. Derartige Organe müssen an Prozesse der Bewegungsentwicklung angeschlossen werden. Der Soziologe Aldon D. Morris hebt hervor, wie die Highlander Folk School als offenes Haus für soziale Bewegungen fungierte und diesen dabei half, „eine Batterie von Ressourcen für soziale Veränderung wie qualifizierte Aktivist*innen, taktisches Wissen, Medienkontakte, Workshops und Wissen über vergangene Bewegungen sowie eine Vision einer zukünftigen Gesellschaft“ zu entwickeln. Er erklärt, dass sie insbesondere „für neue Bewegungen wertvoll sind, weil sie zusätzliche Ressourcen bereitstellen können“, die „die Bewegung bei der für ein nachhaltige kollektive Aktion erforderlichen raschen Entwicklung der internen Organisation unterstützen können.“ Doch insofern als dass diese offenen Häuser der Bewegungen „nur zum Teil in eine größere Gesellschaft integriert sind” und „in relativer Isolation von der Gesellschaft als ganzer einer Massenbasis mangeln“, müssen sie aktiv in andere Prozesse eingewoben werden. Was den Prozess organisatorischer Stabilisierung und aktivistischer Fähigkeiten beschleunigen kann, ist deswegen die Verbindung von Organisationen für politisches Handeln mit Organisationen für kämpferisch-organisatorisches Wissen. Der Punkt ist, dass es vielfältige Infrastrukturen gibt, die kämpferisch-organisatorisches Wissen produzieren und verbreiten können, und dass diese innerhalb und zwischen Organisationen in mehr oder weniger großem Ausmaß existieren. Organisationen können Abteilungen für infrastrukturelle Arbeit entwickeln, um das Wissen intern zu schaffen und zu verbreiten, während andere sich auf eben diese Funktion spezialisieren und das Wissen nach außen gerichtet verbreiten können. Wenn wir auf jene Momente einer unfassbaren historischen Transformation zurückblicken, so zeigt sich, dass solche Strukturen wesentlich für die Entwicklung transformativer politischer Prozesse waren.

These 5: Die nötigten Elemente, um Apparate für kämpferisch-organisatorisches Wissen zu schaffen, existieren bereits. Wir müssen sie miteinander artikulieren, um Ressourcen zu teilen und transnationale Organisierung zu produzieren.

Ohne solche expliziten Institutionen, Strukturen und Praktiken, die Erfahrungen in kämpferisch-organisatorisches Wissen verwandeln, zirkuliert das Gelernte nicht, und die Lehren aus dem Kampf bleiben in den Köpfen Einzelner gefangen. Diese Einzelnen haben zweifellos ihre Rolle in der Zirkulation von Kämpfen, „in denen ähnliche Organisationsformen und Handlungsrepertoires gleichzeitig in vielen verschiedenen Kontexten entstehen“, woran Keir Milburn uns erinnert. Die Kenntnisse und Praxen, die Menschen aus translokalen und transnationalen Prozessen mitbringen, können lokale Prozesse bedeutend unterstützen und tun dies auch. Weniger leicht zu verbreiten sind allerdings die Mikropraxen und kleinen Lektionen aus diesen Kämpfen, die sich auf Feinheiten der Organisation und des politischen Kampfes beziehen. Wenn wir uns dem historischen Moment stellen wollen, müssen wir solche Strukturen entwickeln, damit wir uns nicht nur auf Einzelne mit Know-how verlassen und nicht darauf warten, dass längere Prozesse Ergebnisse bringen. Wir müssen jetzt Institutionen und Infrastrukturen zur Produktion und Verbreitung von kämpferisch-organisatorischem Wissen entwickeln. Da der Countdown zu laufen begonnen hat, ist es umso dringlicher, dass wir ein kohärentes, bewusst hierauf ausgerichtetes Netzwerk der Wissenszirkulation koordinieren, das in der Lage ist, die Bemühungen zur Zerstörung des Kapitals und zur kollektiven Verwaltung der Gesellschaft zu stützen. Eine ökosozialistische Hegemonie ist ein Erfordernis von epochalem Ausmaß, wenn wir die Klimakatastrophe verhindern wollen. Das Intergovernmental Panel on Climate Change gab uns Zeit bis 2030, um die Kohlenstoffemissionen in den Griff zu bekommen, wenn wir den Kollaps des Planeten verhindern wollen. Eine Katastrophe, die nicht als Einzelereignis, sondern in Form eines langen Prozesses von Unglück und Elend auftreten wird, der nicht nur von der Menschheit, sondern auch dem planetarischen Lebenssystem als Ganzem erlitten werden wird. Dies ist bereits im Gange und hat seine brutalsten Auswirkungen insbesondere auf die Bevölkerungsgruppen im Globalen Süden, und auf die arbeitende Klasse im Allgemeinen. Bis dahin und im Kontext dieser Krise müssen wir radikal linke Gruppen entwickeln, die das notwendige Wissen verbreiten können, um das Jahrzehnt zu nutzen, bevor es Mitternacht schlägt. Aus der Perspektive kämpferisch-organisatorischen Wissens heißt dies zwangsläufig, dass die Verfahren und Infrastrukturen, um dieses Wissen innerhalb der eigenen Basis zu entwickeln und zu verbreiten, mit Mitteln der arbeitenden Klasse entwickelt werden müssen. Gleichzeitig nimmt dieses kämpferisch-organisatorische Wissen in dem Maße, in dem es in unserem Kampf darum geht, die Bourgeoisie zu kontrollieren und zu dominieren, auch einen politischen und demokratischen Managementcharakter an. Es geht also um Kampf und Organisation auf Ebene der jeweiligen Nachbarschaft oder des Arbeitsplatzes, aber auch auf Ebene der Gesellschaft und der arbeitenden Klasse insgesamt. Daher muss sich das kämpferisch-organisatorische Wissen auch auf den Bereich der Politik und der Instrumente des Staates sowie der kollektiven Selbstverwaltung beziehen, wenn es zu kollektivem, demokratischem und ökologischem Management beitragen soll, welches als Instrument gegen die Bourgeoisie dienen kann. Dies bedeutet zwar, dass jeder Koch das Potenzial zum Regieren hat, doch angesichts der Komplexität der Probleme, denen wir uns gegenübersehen, nicht, dass jeder Koch bereits über diese Fähigkeit verfügt. So verlangt es der historische Imperativ, dass wir unsere eigenen, von bürgerlichen Akademien und Bildungsprozessen unabhängigen und breitangelegten Programme des Lernens und zur Entwicklung von Fähigkeiten entwickeln, die in professioneller Hinsicht kompetente Arbeitende erzeugen. Eine unserer vielen Aufgaben ist es insofern, Kenntnisse und Fähigkeiten zu entwickeln und zu verbreiten, die die Arbeitenden in die Lage versetzen, ihre eigenen Kämpfe selbst zu führen, was immer das Szenario oder Schlachtfeld sei. Wir brauchen Militanz in einer Qualität, die einerseits ermöglicht, einen effektiven Klassenkampf und andererseits eine funktionierende und befreiende sozialistische Regierungskunst zu entwickeln. Zum Glück existieren solche Infrastrukturen in quasi stillgelegter Form; sie müssen aber in wirkliche Artikulation versetzt werden. Think Tanks wie Autonomy und Common Wealth bieten ganze Werkzeugkisten an praktisch-politischen Vorschlägen, die uns helfen können, wieder vorstellbar zu machen, wie linke soziale Organisation aussehen kann. Indessen stellen sich auch Institutionen wie die Rosa Luxemburg Stiftung und das European Community Organizing Network als wirksam in der Verbreitung und Zirkulation kämpferisch-organisatorischen Wissens über den gesamten Globus dar. Bewegungsschulen wie Training for Change in Philadelphia und Tools for Change in Toronto spielen bereits aktive Rollen in der Ausbildung von Organizer*innen, während das New Economy Organizers Network zeigt, was ein Training ausrichten kann, um diese auf Kämpfe inmitten feindseliger Medien vorzubereiten. Organisationen mit massenhafter Mitgliedschaft wie DSA, Die Linke und Momentum haben bereits beeindruckende Basen mit dem Drang zur [gesellschaftlichen] Transformation aufgebaut. Und zugleich bringen Netzwerke wie Symbiosis und Progessive International politische Organisationen und Medienunternehmen zusammen. Ein riesiger Pool an Arbeitskräften und Kenntnissen ist bereits vorhanden. Es geht darum, bereits vorhandene Elemente neu zu kombinieren und zu experimentieren, wie diese Rekombination dem historischen Moment angemessen aktualisiert werden kann.