Ein zentrales Problem beim Reden über kritisch-emanzipatorische Bildung besteht darin, dass hier drei Begriffe zusammengeführt werden, die schon deshalb dubios sind, weil sich kaum jemand finden lässt, der das durch sie Bezeichnete ablehnt. Kritik, Emanzipation und Bildung sind »Fahnenwörter«, wie der Linguist Clemens Knobloch bemerkt, also Floskeln, die etwas bezeichnen, das man gut finden soll.

Kritik, Emanzipation, Bildung. Dubiose Begriffe

Als vor einigen Jahren ein Handbuch Kritische politische Bildung (Lösch/Thimmel 2010) erschien, stießen dessen Herausgeber auf folgenden Einwand: »Kritik ist bekanntlich das Grundprinzip jeder Wissenschaft […] und in den Sozialwissenschaften gab es bekanntlich nicht nur die ›Kritische Theorie‹, sondern auch den ›Kritischen Rationalismus‹ der Popper-Schule.« (Sander 2013, 242) Was, so könnte man fragen, ist mit diesem Begriff anzufangen?

Ähnliches lässt sich auch zum Emanzipationsbegriff sagen. Im 19. Jahrhundert wurde er zunächst fast synonym zur rechtlichen Gleichstellung der Jüdinnen und Juden mit den ChristInnen verwendet, sodann als Bezeichnung einer anstehenden Befreiung der menschlichen Gattung aus den Zwängen feudaler und bürgerlicher Herrschaft. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezog man ihn zumeist auf die Befreiung der Frau. Bald ging fast alles Unangepasste als Emanzipationsbewegung durch, egal ob Haschischkonsum, die »Befreiung der Natur« oder die Nutzung von Fingerfarben und Holzspielzeug. Dass es dem Neoliberalismus in der Folge gelang, eine zunächst antikapitalistische »Künstlerkritik« in sein Projekt der Erneuerung des Kapitalismus zu integrieren, ist ein deutlicher Hinweis auf die Affinität des anarchistischen Individualismus zu liberalen Ideologieelementen. Spätestens die Entwicklung der Grünen Partei hat schließlich massiv zur Inflationierung des Emanzipationsbegriffs beigetragen.

Und Bildung? Fraglos lässt sich dieser Begriff in dem Sinn rekonstruieren, den Armin Bernhard (2001, 30) ihm in der Tradition Heinz-Joachim Heydorns zuspricht, wenn er schreibt: »Bildung ermöglicht erst die freiheitliche Auseinandersetzung des Heranwachsenden mit der umgebenden Wirklichkeit.« Häufiger wird Bildung jedoch mit Ausbildung synonym gesetzt, während man als Bildungssystem die Gesamtheit der Anstalten versteht, in denen Humankapital produziert wird. Geht man in der Geschichte des Begriffs weiter zurück, so wird seine Zwieschlächtigkeit noch deutlicher. Wie Georg Bollenbeck (1996) herausarbeitet, bildete der in der Spätaufklärung insbesondere von Alexander von Humboldt mit Bedeutung gefüllte Bildungsbegriff während des 19. Jahrhunderts – im Bund mit dem Begriff der Kultur – ein spezifisch deutsches Deutungsmuster, das im Kaiserreich zum Trauma ganzer Generationen von Gymnasiasten wurde, den dritten Kaiser eingeschlossen. »Schützt Humanismus denn vor gar nichts?« Alfred Anderschs Frage aus der Erzählung Vater eines Mörders ist rhetorisch. In ihr drückt sich die Bankrotterklärung einer »Bildung« aus, die in lateinisch ewige Werte beschwor, während – nach einer Empfehlung Wilhelms II. – die Anhänger der »abenteuerlichen Rebellion« (Hans Heinz Holz) beschlossen, nicht länger »junge Griechen und Römer« zu werden, sondern als »junge Deutsche« die Welt zu plündern.

Wenn hier dennoch von einer kritischemanzipatorischen Bildungsarbeit die Rede sein soll, so deshalb, weil all diese Begriffe letztlich politisch umkämpft sind und sie als Strategiekerne in der politischen Praxis wirken. Ihre Polysemantik verweist auf gesellschaftliche Hegemoniekämpfe (vgl. Salomon 2012, 9).

Apparate

Die »Bildungslandschaft« stellt sich heute als ausdifferenziertes soziales Feld dar. Da sind die klassischen Institutionen des öffentlichen Bildungswesens (Schulen, Universitäten usw.), deren Regulation Landesbehörden (Kultus- und Wissenschaftsministerien) und bundesweiten Gremien (etwa der Kultusministerkonferenz) obliegt. Neben der Schulstruktur im Ganzen wird auch das Unterrichtsgeschehen bildungspolitisch reguliert (Lehrpläne, Bildungsstandards usw.). Verhältnismäßig neu ist der Einfluss transnationaler Organisationen wie der OECD, der sich in den bekannten Schulleistungsvergleichen (PISA) und vor allem durch die weitreichende bildungspolitische Implementierung einer Kompetenzorientierung auswirkt, die ›Werte‹ wie ›Flexibilität‹ und ›Unternehmergeist‹ empfiehlt (vgl. OECD 2005, 10). Den öffentlichen Bildungssystemen im Kapitalismus kam freilich seit jeher eine ökonomische Funktion zu. Auch der Bildungsaufbruch der späten 1960er und 1970er Jahre brach keineswegs mit der ökonomischen Systemfunktionalität der Bildungsanstalten – trotz des etwa in der Gesamtschulreform aufscheinenden bildungspolitischen Egalitarismus. Paradigmatisch erscheint in diesem Kontext auch heute noch Heinz-Joachim Heydorns unter der Überschrift »Ungleichheit für alle« veröffentlichte Kritik der damaligen Bildungsreformen: »Die Gesellschaft stand unter dem Zwang, partiell progressiv zu sein und humanen Progress zu verhindern. […] Unter diesem Gesichtspunkt muss die Gesamtschulreform gesehen werden; sie ist das Pendant zur Universitätsreform, groß angelegter Versuch technokratischer Formierung.« (Heydorn 1969, 376) Sozialisatorische Bedeutung kommt dabei nicht allein den Inhalten des Unterrichts und der Unterrichtsgestaltung durch einzelne Lehrkräfte zu, sondern vor allem den Konkurrenzmechanismen, die der Schule institutionell eingeschrieben sind: Progressiver Unterricht (nicht nur in der explizit politischen Bildung) steht somit in steter Spannung zu diesem viel zitierten »Heimlichen Lehrplan«.

Neben den Institutionen des öffentlichen Bildungswesens existiert ein breites Feld außerschulischer und außeruniversitärer Bildungs- und Fortbildungsangebote in höchst unterschiedlicher Trägerschaft. Unternehmen treten hier ebenso als Akteure auf wie Gewerkschaften, Kirchen und politische Stiftungen. Historisch war das Entstehen eines außerschulischen Bildungssektors eng mit der Arbeiterbewegung verbunden (vgl. Werner 2013, 15f). Heute haben längst auch hier Tendenzen der Ökonomisierung ihre Spuren hinterlassen. Die Folge ist eine immer stärkere Konzentration auf funktionale oder organisationsinterne Qualifizierung.

Linke Bildungsarbeit? Ansätze und Fallen

Die Krise linker Bildungsarbeit ist Teil der Krise, in die die Linke mit dem Scheitern nicht allein des Realsozialismus, sondern auch des klassischen sozialdemokratischen »Reformismus« insgesamt verfiel. Im 19. und 20. Jahrhundert fokussierte sozialistische Programmatik und damit auch linke politische Bildungsarbeit auf Fragen der Vergesellschaftung von Produktionsmitteln. Sie adressierte vor allem die Industriearbeiterschaft als Trägerin eines sozialistischen Transformationsprojekts. Der Begriff des Politischen, der solcher Programmatik und Bildungsarbeit zugrunde lag, wurde konkret in der Orientierung auf Klassenkämpfe in der »antagonistischen Gesellschaft« (Wolfgang Abendroth). Angesichts einer diffuseren Klassenlage und einer erodierten Öffentlichkeit (vgl. Salomon 2014) hat die Debatte darüber, was heute eine kritisch-emanzipatorische politische Bildungsarbeit sein und leisten kann, erst begonnen. Im Kern kann die Antwort auf die Ökonomi-sierungstendenz, die sowohl schulische als auch außerschulische Bildungsformate erfasst, nur in einer konsequenten Politisierung politischer Bildungsarbeit liegen. Diese muss es im Sinne einer soziologisch fundierten Orientierung auf soziale Konflikte vermeiden, in jene Entpolitisierungsfallen zu tappen, die gerade im Bildungsbereich allerorten lauern.

So wird in der Bildungssoziologie und in der Erziehungswissenschaft derzeit viel über Bildungsungleichheiten debattiert, die es abzubauen gelte. Insbesondere die PISA-Studien haben aufgezeigt, dass Angehörige sozialer Unterklassen ebenso wie Jugendliche mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem systematisch benachteiligt werden. Aufgrund dieses skandalösen Befunds begrüßen Linke oft weitgehend unkritisch alle Anstrengungen zur Überwindung solcher Diskriminierungsformen. Dabei wird häufig nicht beachtet, dass diese Programme (von Gemeinschaftsschulentwürfen, über Ganztagsbetreuung bis hin zu speziellen Förderangeboten) keineswegs darauf zielen, das den Forschungen und dem Vergleich zugrundeliegende »sozialisationsbeachtende meritokratische Modell der Chancengleichheit« (Geißler/Weber-Menges 2008, 14) selbst zu problematisieren. Durch den hiermit unter-stellen Leistungsbegriff bleiben Forschung und Bildungsreform neoliberal anschlussfähig und erinnern weit eher an eine Neuauflage von »Ungleichheit für alle« als an eine wirklich auf Gleichheit zielende Politik.

Eng mit diesem »meritokratischen« Leistungsbegriff verbunden ist auch eine zweite Falle, bei der mit großen Begriffen wie ›Empowerment‹ im Kern nichts anderes gemeint wird als ein ›Rhetorik-Coaching‹, das den Einzelnen befähigen soll, sich in Konkurrenzverhältnissen besser zu behaupten. An die Stelle kollektiver Bewusstseinsbildung und der Ausweitung von politischen Handlungsräumen tritt ein – mit aufwendigen Methoden realisiertes – Individualförderprogramm. Subjektorientierung wird auf Teilnehmerorientierung reduziert: »Teilnehmerorientierung kann niemand besser als das Fernsehen, das noch die inhaltsleerste Show zum Renner macht. […] Subjektorientierung will aber nicht gefallen, Bedürfnisse befriedigen oder unterhalten, sondern Subjekten den häufig unbequemen Weg der Selbstveränderung öffnen, was etwas anderes ist, als Teilnehmeroder Kundenorientierung.« (Werner 2013, 52)

Die Orientierung auf kollektive Bewusstseinsbildung und Handlungsfähigkeit steht ihrerseits vor der Gefahr, in gruppendynamische Formen der Gemeinschaftsbildung abzugleiten, die letztendlich ebenfalls entpolitisierend wirken. So neigen insbesondere demokratiepädagogische Konzepte dazu, ein friedfertiges Miteinander zum politischen Erziehungs- und Bildungsziel zu erklären und Demokratietheorie in eine aparte Gemeinschaftsideologie, ja letztlich in ein Training zu erwünschtem Sozialverhalten zu transformieren (vgl. Edelstein 2009). Demgegenüber ist die Aufgabe linker Bildungsarbeit, konsequent an einem Konfliktbegriff des Demokratischen in antagonistischen Gesellschaften festzuhalten.

Ebenfalls als Fahnenwörter fungieren die Begriffe Partizipation und Engagement, die in Bildungskontexten häufig als Ziel gehandelt werden. Sofern freilich unter Engagement und Partizipation nicht der Kampf um politische Beteiligungsrechte, sondern lediglich soziale ›Aktivierung‹ verstanden wird, drohen emanzipatorisch anmutende Bildungskonzepte, in einer »Mitmachfalle« (vgl. Wagner 2013) zu enden: »Wie in vergangenen ›schwierigen Zeiten‹ (Wiederaufbau und Wiedervereinigung) soll bürgerschaftliches Engagement auch heute einspringen: Es soll auffangen, was Staat und Kommunen aufgrund der klammen Haushaltslage nicht mehr zu leisten im Stande seien, und somit klassische Aufgaben des Sozialstaats übernehmen.« (Wohnig 2014, 215)

Nur jenseits dieser Fallen kann eine linke politische Bildungsarbeit ein Profil im bildungspolitischen Hegemoniekampf gewinnen und schärfen. Gerade außerschulische Bildungsarbeit kann durch ihre verhältnismäßig starke institutionelle Gestaltungsfreiheit Gegenakzente zum »heimlichen Lehrplan« setzen und deutlich machen, dass sich Lernprozesse anders organisieren lassen als in der Form zertifizierter Fortbildungen. Linke politische Bildungsarbeit setzt dann einen Kontrapunkt zu dem in den Bildungsanstalten üblichen Ökonomiesierungstraining mit seinen heimlichen Schlüsselkompetenzen des Konkurrenz-Lernens und der Ungleichheitstoleranz. Gleichwohl darf eine solche Bildungsarbeit sich nicht darin erschöpfen, Wohlfühlräume zu organisieren und in Stuhlkreisen vermeintlich solidarische gruppendynamische Prozesse zu generieren. Die kollektive Bewusstseinsbildung, um die es in linker politischer Bildungsarbeit gehen sollte, muss sich davor hüten, in gemeinschaftsduselige Sozialpraktiken abzugleiten. Sie muss ihren politischen Gehalt behaupten: Einerseits geht es um Reflexionsräume, darum, gesellschaftliche Entwicklungstendenzen zu durchdringen und zu verstehen. Zugleich geht es um Handlungsfähigkeit in der bestehenden antagonistischen Gesellschaft. Die Gleichheitsperspektive, die unter den Bedingungen einer ökonomisierten Konkurrenzorientierung zur bloßen Chancengleichheit ausgedünnt wird und bei der Ungleichheit bereits akzeptiert ist, lässt sich nicht im Seminar einlösen. Sie muss als politische Forderung begriffen werden, um die soziale Auseinandersetzungen zu führen sind. Aus diesem Grund kann sich die politische Handlungsperspektive linker Bildungsarbeit auch nicht auf die Aktivierung von Individuen zu sozialem Engagement oder zur Partizipation an Wahlen und Abstimmungen beschränken. Linke Bildungsarbeit muss auf kollektive Formen der Kampf- und Widerstandsfähigkeit orientieren, die sowohl dem Mantra der Alternativlosigkeit als auch den Sonntagsreden von sozialem Frieden etwas entgegensetzen können.