In linken Debatten wird häufig zwischen queeren Identitäts- und Klassenpolitiken unterschieden. Im richtigen Leben ist das Ganze freilich komplizierter. Denn auch queere Subjekte gehören sozialen Klassen an. Das Prekariat ist weder durchweg heterosexuell, noch lässt es sich immer nur einem von zwei binären Geschlechtern zuordnen. Aber auch in der Debatte um »verbindende Klassenpolitiken« bleiben queere Perspektiven bislang meist ausgeblendet. Ein Problem der Bestimmung neuer Klassenpolitiken ist, wer als Klasse vorgestellt wird. Politiken der Repräsentation sind dabei bedeutsam: Repräsentation meint Darstellung, Vorstellung und Vertretung, die Spannweite des Begriffs reicht von der Ästhetik bis zur Politik (Schaffer 2008, 83). Diese Ebenen sind ohne einander nicht zu denken.
Identität – auch Klassenidentität oder die Vorstellung, die wir uns davon machen können – ist, wie es Stuart Hall (1999, 94) formulierte, »innerhalb der Repräsentation«, entsteht teils erst dadurch. Fehlende Verfügungsgewalt über die Mittel zur ästhetischen Repräsentation, zur Produktion des eigenen Bilds, ist jedoch häufig mit dem Ausschluss von politischer Repräsentation verbunden (vgl. Schaffer 2008, 89f). Das ist auch eine Klassenfrage. Vor dem Hintergrund neoliberaler Sparpolitiken in Großbritannien beschreibt die Kulturwissenschaftlerin Rhian E. Jones die derzeit viel diskutierte politische Krise der Repräsentation der Klasse auch als Problem ihrer kulturellen Repräsentation. An der Figur der chav (Proll), etwa der Vicky Pollard aus der Serie »Little Britain«, zeigt sie auf, wie stereotype, dämonisierende Repräsentationen einer vermeintlichen Unterschicht dazu beitragen, gesellschaftliches Scheitern zu individualisieren und zu moralisieren. Solche Darstellungen produzieren ein verworfenes ›Anderes‹ und dadurch ein weißes, heteronormatives Mittelklasseideal der Lebensführung, von dem sie abgegrenzt sind. Jones (2013, 20) macht diese medialen Repräsentationen als Teil neoliberaler Herrschaftstechniken greifbar, die die Möglichkeiten eines machtvollen Handelns ›von unten‹ einschränken (vgl. ebd). Emanzipatorischen Repräsentationspolitiken muss es darum gehen, Bilder prekären Lebens zu entwerfen, die mehr Gegenwehr ermöglichen, indem sie (Selbst-)Repräsentationen der verworfenen Anderen, die bislang in Vorstellungen und in Darstellungen von Klasse fehlen, stärken und unwahrscheinliche Solidarität über Grenzen hinweg vorstellbar machen. Dazu müssen auch derzeit dominante queere Diskussionen und Repräsentationen verändert werden, in denen Klasse selten eine Rolle spielt.
Ein Beispiel dafür, wie so etwas aussehen kann, ist der schwedische Film »Folkbildningsterror« (2014). Die Konzepte der queeren Utopie und der Disidentifikation von José Esteban Muñoz sind anregend, um zu zeigen, wie der Film queere Repräsentationen von Klasse entwickelt. Der 2013 leider viel zu früh verstorbene Queertheoretiker kritisierte den verengten politischen Horizont der US-amerikanischen Gay-Rights-Bewegung seiner Zeit: Ihre Forderungen nach Homoehe und rein formaler, staatsbürgerlicher Gleichstellung – die auch weiter den Kurs mainstream-schwul-lesbischer Politiken bestimmen – zielten auf einen kleinen, ökonomisch privilegierten Kreis. Nur für diesen verspreche Integration in die nordamerikanische (Mittelklasse-)Kultur ein besseres Leben (Muñoz 2009, 20).
Queerness werde dabei vor allem als sexuelle Identität verstanden, von anderen Verhältnissen wie race, gender, Klasse abgetrennt und so zur dominanten, oft einzigen Differenz gemacht. Dagegen besteht Muñoz darauf, Queerness als Kollektivität oder als konkrete Utopie zu denken – ein Konzept, das er vom Philosophen Ernst Bloch übernommen und weiterentwickelt hat: Solange bessere Zukünfte für die meisten Queers – und durch die Überwindung von Herrschaftsverhältnissen wie race, Klasse und gender für die meisten Menschen – nicht verwirklicht sind, sei die Funktion von Queerness vor allem die eines handlungsleitenden Ideals: Bislang noch nicht erreicht, erscheine sie am Horizont zugleich als Möglichkeit oder Versprechen auf andere Zukünfte (ebd., 1). Muñoz erhält das notwendig Identitätsbezogene queerer Politiken, die von Erfahrungen geschlechtlicher und sexueller Marginalisierung ausgehen. Zugleich beinhaltet sein Queer-Begriff eine umfassende Kritik von Macht- und Herrschaftsverhältnissen.
Für ihn sind queere ästhetische Entwürfe unverzichtbar, um über Heteronormativität, Rassismus und Kapitalismus hinauszudenken. Wie Ernst Bloch misst er künstlerischen Arbeiten ein emanzipatorisches Erkenntnispotenzial bei – eine »Dämmerung nach vorn« (Bloch 1959, 86). In ihnen, so Muñoz (2009,1), würden queere Zukünfte oft schon flüchtig wahrnehm- und dadurch kollektiv imaginierbar. Solche Entwürfe – auch die in »Folkbildningsterror« – vermögen dadurch, über die Restriktionen der Gegenwart hinauszuweisen und besseren Zukünften auf die Spur zu kommen.
Trans-Gespenster gehen um in Europa...
Der glitzernd bunte, punkige Film changiert zwischen Musical, Fantasy-Komödie und linksautonom-queerem Agitprop.Er wurde über drei Jahre von einem Göteborger Freundes- und aktivistischen Zusammenhang gemeinsam entwickelt. Humorvoll bringt »Folkbildningsterror« queere Lebensweisen, Aktivismus, Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse und subkulturellen Chic zusammen. Im Mittelpunkt stehen die Trans-Charaktere 1 Theo und Kleopatra sowie ein namenloser, notorisch angespannter Hase.