Lange galt Familienpolitik als eher marginalisiertes Politikfeld oder, wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder es formulierte, als »Gedöns«. Seit ihrer Verknüpfung mit demografischen Zielen rückte sie jedoch im letzten Jahrzehnt ins Zentrum medialer und politischer Aufmerksamkeit. Zu einem Projekt staatlicher Bevölkerungsverwaltung geworden, reicht es nicht aus, Familienpolitik als umkämpftes Terrain der Geschlechterpolitik zu verstehen. Aus dem Blick gerät, dass unter massivem Einsatz demografischer Daten die bevölkerungspolitische Leitidee des Staates als steuerndem und planendem Haushälter der Qualität und Quantität von Bevölkerung rehabilitiert und wieder zwischen erwünschten und unerwünschten Bevölkerungsgruppen unterschieden wird. 1

Auf welche Weise verbinden sich hier Achsen gesellschaftlicher Hierarchisierung und Ungleichheit? Die »Demografisierung« sozialer Probleme ist Voraussetzung für die Renaissance einer aktiven Bevölkerungspolitik, die ausdrücklich Bevölkerungsgröße und -zusammensetzung gestalten will. Demografie dient hier dazu, gesellschaftliche Konflikte in einen Sachzwang umzuformulieren und damit zu entpolitisieren. In welchem Verhältnis steht das zur Politisierung von Betreuungsarbeit in der familienpolitischen Diskussion? Schließ- lich: Welche Bevölkerungsgruppen geraten mit ihren Kinderwünschen und Gebärmotivationen in den Blick?

Mehr »Humanvermögen« durch Geburtenpolitik

Seit 2002, seit der zweiten Legislaturperiode der rot-grünen Regierung, gilt Familienpolitik als »nachhaltig« oder auch »bevölkerungsorientiert«. Nachfolgende Regierungen behielten diese Politik in ihren Grundzügen bei und setzten sie um. Eine Kombination aus arbeitsmarktorientierter, geschlechter- sowie familienpolitischer Programmatik soll den »demografischen Wandel« angehen.

Dieser erlebte seinen Aufstieg zum politischen Kampfbegriff mit der Rentendiskussion in den 1990er Jahren, die zur Teil-Privatisierung der gesetzlichen Rente und Heraufsetzung der Altersgrenze führte. Dass in Deutschland mehr Menschen länger leben, wurde zu einer »wachsenden Alterlast«, die die produktiven Jüngeren »zu schultern« hätten und die sie zu »erdrücken« drohte. Die Frage, ab welchem Alter jemand dem Arbeitsmarkt, also dem Verwertungsprozess, ohne relevante Eingriffe in seinen Lebensstandard nicht mehr zur Verfügung stehen muss, wurde nicht als Frage sozialer Verteilung, sondern als Frage der »Überalterung« und der »Schrumpfung« skandalisiert. Dem demografischen Wandel soll nun auch mit Maßnahmen in der Familienpolitik entgegengesteuert werden, indem die Geburtenrate der deutschen Bevölkerung erhöht werden. Gleichzeitig gilt es, die Frauenerwerbsquote beizubehalten bzw. auszuweiten: Denn die Mobilisierung »stiller Ressourcen«, also der Arbeitskraft von Jugendlichen, Frauen und Alten, wird ebenfalls als Strategie gegen die »Überalterung« präsentiert. Dieses Projekt ist nicht nur pronatalistisch, sondern selektiv pronatalistisch: Familienpolitik zielt hier auf die Vermehrung spezifischer Bevölkerungsgruppen ab. Im Zentrum steht die Verbesserung des »Humanvermögens«. Laut Familienministerium betrifft dies nicht nur die Bevölkerungszahl an sich, sondern auch qualitative Faktoren wie arbeitsmarktrelevante Qualifikationen, Bildung und Gesundheit sowie »soziale Daseinskompetenz« und »Werthaltungen« (BMFSFJ 2006, 5).

Solche Qualitätsansprüche übersetzen sich zunächst in eine klassenpolitische Differenzierung: Es geht nicht darum, diese qualitativen »Vermögen« in der Bevölkerung insgesamt zu steigern. Das BMFSFJ erklärte etwa gemeinsam mit Industrieverbänden: »Eine anhaltend hohe Kinderlosigkeit unter Akademikerinnen kann die bildungspolitischen Probleme weiter verschärfen und zu Engpässen beim Fach- und Führungskräfte-Nachwuchs führen.« (BMFSFJ et al. 2004, 16) Die genannten Indikatoren sollen also nicht durch den Abbau sozialer Ungleichheit und ein egalitäreres Bildungssystem, sondern durch die Steigerung der Geburtenrate derjenigen erhöht werden, bei deren Nachwuchs diese Eigenschaften bereits als quasi naturgegeben vorausgesetzt werden.

Der selektive Zuschnitt spiegelt sich in allen wichtigen familienpolitischen Maßnahmen: Die wohl progressivste Reform, das Tagesbetreuungsausbaugesetz, sieht seit 2005 den Ausbau von Kitaplätzen vor – mit einem Vorrang für allein erziehende oder doppelverdienende Erwerbstätige bei der Vergabe der Plätze. Das verschlechtert den Zugang von Kindern prekär beschäftigter und erwerbsloser Mütter und damit von sozial benachteiligten Gruppen zur Kinderbetreuung. Offen klassenpolitisch sind die Steuerfreibeträge für Kinderbetreuung seit 2006, von denen Doppelverdienende mit höherem Einkommen am meisten profitieren. Der deutlichste klassenpolitische Einschnitt ist aber sicherlich das 2007 eingeführte Elterngeld. Es begünstigt gerade die Eltern, deren Einkommen vor der Geburt hoch war, indem 65 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens (und höchstens 1800 Euro) ausgezahlt werden. Gleichzeitig verkürzt sich der Zeitraum der Basisförderung von zwei Jahren (wie beim vorherigen Erziehungsgeld) auf ein Jahr (bzw. mit »Vätermonaten« auf 14 Monate) und verringert somit die Förderung für gering Verdienende oder Erwerbslose um (fast) die Hälfte. Eine weitere drastische Verschärfung ist, dass seit 2011 das Elterngeld auf das Arbeitslosengeld II angerechnet und so faktisch für die ärmeren Bevölkerungsschichten ganz abgeschafft wurde.

Die aktuelle Familienpolitik hat zudem rassistische Züge. Grundsätzlich beruht sie auf einer nationalistischen Logik, die der Bevölkerungspolitik immanent ist: Bezugsgröße ist die national erfasste Bevölkerung, ihre Größe oder Zusammensetzung soll verändert werden. Darüber hinaus wird derzeit die Erhöhung der Geburtenrate in Deutschland gegen eine konkurrierende demografische Option in Stellung gebracht – nämlich die Bevölkerungszahl und/oder -zusammensetzung durch Immigration zu erhöhen. Das Projekt eines demografisch angeleiteten Immigrationsmanagements stößt auf Ablehnung oder reduziert sich auf wenige, eher arbeitsmarktpolitische Instrumente temporärer Fachkräfteanwerbung. Entsprechende Expertisen weisen entweder auf »kulturelle« Grenzen der »Integration« hin oder darauf, dass langfristig eine Anpassung des »reproduktiven Verhaltens« der Zugezogenen an die deutsche Bevölkerung dazu führe, dass sich die Alterszusammensetzung der Bevölkerung nicht verändere.

Zwischen demografischem Sachzwang und Geschlechterpolitik

Der staatliche Zugriff auf Bevölkerung entlang rassistischer und klassenpolitischer Logiken gehört zu den Grundstrukturen moderner Biopolitik und ist an sich nichts Neues. Es ist aber ein neues Phänomen in der deutschen Familienpolitik, dass demografische Begründungen explizit und an zentraler Stelle auftauchen. Dies war nach dem Nationalsozialismus zumindest in der alten Bundesrepublik lange diskreditiert, auch wenn bestimmte Kreise deutscher BevölkerungswissenschaftlerInnen nach dem NS-Regime ihre Disziplin weiter betrieben2. Die Rehabilitierung der demografischen Wissenschaft und Politikberatung nach der Wiedervereinigung förderte das Selbstbewusstsein einer neuen Generation von DemografInnen so weit, dass der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Demografie 2011 gar ein Demografie-Ministerium als »strategisches Zentrum« von Regierungspolitik forderte (Mayer 2011). Die 2012 veröffentlichte »Demografiestrategie« der Bundesregierung zeugt davon, dass solche Bestrebungen keine skurrilen Phantasien sind (www.demografiestrategie.de). Hier fließen demografisch begründete Politikansätze aus diversen Ministerien zusammen, um sie – und das ist im Sinne einer allgemeinen Bevölkerungsverwaltung auch konsequent – als kohärente Politik zu präsentieren.

Unter Bezug auf Demografie lassen sich Programme des Sozialabbaus als Sachzwang darstellen und soziale Konflikte durch neu heraufbeschworene Konfliktlinien ersetzen – wie die zwischen den Generationen oder zwischen Eltern und Kinderlosen. Die Frage, ob es überhaupt richtig und notwendig ist, die deutsche Bevölkerung zu vermehren oder zu »verjüngen«, steht nicht mehr selbst zur Diskussion. Einzig die Frage, wie dieses Ziel am besten zu erreichen ist und welche familien- oder geschlechterpolitischen Instrumentarien dafür sinnvoll sind.

Die neue Geburtenpolitik erscheint somit als Politik für Frauen oder, vermeintlich geschlechtsneutral, als Politik für Familien – und wird zudem von den Regierungen als progressiver Befreiungsschlag liberaler Politik gegen konservative Restbestände gefeiert. Feministinnen haben daran vieles kritisiert: Erstens steht weiterhin im Zentrum, wie Frauen – und nicht Männer – zu einem Leben mit Kindern motiviert werden könnten, und welche Reformen dafür wünschenswert wären. Dieser Geschlechterbias trifft erst recht auf die geschlechtsneutrale Variante der Diskussion über »Kinderlose« zu, insofern hier Ungleichheiten in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung völlig ausgeblendet werden. Der Fokus auf die »Vereinbarkeit von Familie und Beruf« hat gleichstellungspolitische Strategien (wie eine Politik des gleichen Lohns oder einer Umverteilung von Haus- und Sorgearbeit) zurückgedrängt. Im progressiven Glanz der »Vereinbarkeitspolitik« wird zudem unsichtbar, dass viele Elemente des konservativen Familienernährer-Modells der westdeutschen Nachkriegspolitik intakt geblieben sind – insbesondere für die unteren sozialen Schichten.Das Modell des Alleinverdieners wurde durch das des Hauptverdieners mit zuverdienender Ehefrau ersetzt, indem geringfügige Beschäftigungs- und schlecht bezahlte Teilzeitarbeitsmöglichkeiten für Frauen ausgebaut wurden. Auch die aktuelle Debatte um das Betreuungsgeld und die breite Front gegen dieses eher widerwillige Zugeständnis der CDU-Führung an wertkonservative Koalitions-Verpflichtungen unterstreicht den vermeintlich progressiven Ruf der Vereinbarkeitspolitik. Abwehrkämpfe gegen das Nur-Hausfrauen-Modell sind wichtig. Aus dem Blick gerät jedoch nicht nur, dass das westdeutsche Ernährermodell modifiziert fortbesteht, sondern auch, dass wie beim Elterngeld ALG-II-EmpfängerInnen wieder leer ausgehen.

Die Kritik an den genannten Maßnahmen ist ein wichtiger Teil des Kampfes um geschlechtliche Arbeitsteilung. Wird jedoch ihr Zusammenhang mit den pronatalistischen Programmen einerseits und der klassenspezifischen Selektivität andererseits nicht hergestellt, verfehlt sie den Kern der neuen Familienpolitik. Die Geschlechterdebatte müsste mit einer Kritik demografischer Problemformulierungen und bevölkerungspolitischer Ziele selbst gekoppelt werden. Nur so kann sie sich von der Debatte darüber abgrenzen, wie individuelle Biografien von Frauen oder aktuelle Geschlechterarrangements in Familien im Sinne demografischer Ziele am besten zu steuern sind.

Gebärmotivation für manche

Im Vordergrund der demografischen Wissensproduktion steht die Motivation von Frauen der oberen und mittleren sozialen Schichten, Kinder zu bekommen, und folglich die Frage, wie staatliche Maßnahmen darauf Einfluss nehmen können. Besonderes Interesse gilt der »kinderlosen Akademikerin« und ihrem reproduktiven Verhalten. Dabei wird über Lebensplanung, Subjektivität und Begehren der zu beeinflussenden Frauen spekuliert. Die demografischen Expertisen operieren entweder mit unterstellten Kosten-Nutzen-Kalkülen in der Familienplanung oder mit normalisierenden Schlussfolgerungen aus empirischer Forschung: Aus dem Umfrageergebnis, dass viele Frauen unter den gegebenen Umständen eine Kombination von Teilzeit-Arbeit und Kindererziehungszeiten als bestes Modell familiärer Arbeitsteilung befürworten, wird gefolgert, dass – ganz im Einklang mit den arbeitsmarktpolitischen Erfordernissen – weder das Hausfrauenmodell noch das Vollzeitarbeitsmodell, sondern der Status einer (zuverdienenden) Erwerbstätigen in der Kleinfamilie der Lebensentwurf sei, der Frauen motiviere, Kinder zu bekommen.

Den demografischen Expertisen ist gemeinsam, dass sie einfache behaviouristische Modelle und statistische Korrelationen zwischen Kinderzahl und gesellschaftlichen Bedingungen behaupten, um »fertilitätsfördernde« Faktoren zu isolieren, die in staatliche Maßnahmen übersetzbar sind. Komplexe Perspektiven auf die gesellschaftliche Organisation von Sorge- und Erwerbsarbeit und das Leben mit Kindern sind nicht gefragt.

Die Motivationslagen von Arbeiterinnen, Hartz-IV-Empfängerinnen oder Bewohnerinnen von Asylbewerberheimen, Kinder zu bekommen, stehen in den aktuellen Expertisen nicht zur Debatte – obwohl über die Motive zum Gebären als »allgemeine« gesprochen wird. Das Pendant zur öffentlich problematisierten »kinderlosen Karrierefrau« ist die »überforderte Hartz-IV-Bezieherin«, die ihre Kinder verwahrlosen lasse oder gar misshandele. Entsprechend wird für Frauen der unteren sozialen Schichten auch nicht gefragt, welche Wünsche sie mit Kindern verbinden und wie sie zu einer entsprechenden Lebensgestaltung und Geburtenplanung angeregt werden könnten; sie stehen vielmehr im Mittelpunkt repressiver Kontrollstrategien der Sozialbürokratien. Anreize zum Gebären wie das Elterngeld wurden für sie gestrichen und sind auch beim Betreuungsgeld nicht vorgesehen. Für erwerbslose oder einkommensschwache Frauen wurden außerdem ökonomische Zwänge verstärkt und familiäre Abhängigkeiten ausgeweitet: durch die Anrechnung des Partnereinkommens in der Bedarfsgemeinschaft, die Verschärfung der Zumutbarkeit bei der Annahme von Erwerbstätigkeit, den Zwang zu Ein-Euro-Jobs und allgemein durch die Ausweitung des Sektors geringfügiger Beschäftigung.

In der aktuellen Familienpolitik werden doppelte Ausschlüsse produziert: Der Fokus auf Familien, Kinderlose oder Frauen blendet Geschlechterverhältnisse entweder ganz aus oder zementiert die Zuständigkeit von Frauen für Kinderbetreuung und Hausarbeit. Die Rahmung als familien- oder geschlechterpolitische Frage macht zudem unsichtbar, dass hier die Situation von sozial Privilegierten diskursiv verallgemeinert wird. Die Lage derjenigen, die von den aktuellen familienpolitischen Anreizen benachteiligt werden, wird ausgeblendet.

Kritik der Demografie

Für eine emanzipatorische Politik reicht es nicht aus, das Programm der Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Fortschreibung eines konservativen Familienernährer-Modells zu problematisieren. Vielmehr muss ins Zentrum rücken, wie Gebär-Motivationsanreize einerseits, ökonomisch-institutionelle Zwänge, sozialpolitische Umverteilung und migrationspolitische Ausgrenzung andererseits soziale Gruppen (von Frauen) unterschiedlich betreffen. Den utilitaristischen und rassistischen Maximen einer Bevölkerungsverwaltung ist entgegenzutreten. Statt die demografische Debatte selbst zu nutzen, um frauenpolitische Anliegen auf die Agenda setzen zu können, bedarf es einer Kritik demografischer Problemstellungen und Strategien. Eine gesellschaftskritische, egalitäre und emanzipatorische Kritik an den Politiken des Kinderbekommens muss »Demografisierung« an sich in Frage stellen. Sie zementiert soziale Ungleichheit und rassistische Exklusion und stellt letztlich die Existenzberechtigung bestimmter Bevölkerungsgruppen – vermittelt über ihre »Fortpflanzung« – in Frage.

1 Eine ausführliche staatstheoretisch verankerte Analyse erscheint in Sänger/Rödel (2012, 108–12).

2 In der DDR gab es eine explizit pronatalistische Familienpolitik. In der alten Bundesrepublik gab es zwar vereinzelt Erwägungen dazu, eine solche zu etablieren, im Vordergrund stand aber eine Abgrenzung zu nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik und das Postulat, dass der Staat nicht in diese »persönliche Angelegenheit« eingreifen dürfe, so etwa im Dritten Familienbericht von 1979.

3 Das Ehegattensplitting und die Familienmitversicherung in der gesetzlichen Krankenkasse als wesentliche Säulen familiärer Abhängigkeit von Frauen blieben erhalten; neue Elemente der Abhängigkeit, wie die Einführung der Bedarfsgemeinschaft durch Hartz IV, kamen hinzu.

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