Alle sprechen vom Mietendeckel. Kannst du kurz erläutern, worum es genau geht?

Die LINKE Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen hat letzte Woche ihren in der rot-rot-grünen Koalition abgestimmten Entwurf für den so genannten Mietendeckel vorgelegt. Dieser soll aus einem Mieterhöhungsstopp und einer absoluten Deckelung bestehen. Konkret heißt das, dass es für die nächsten fünf Jahre in Berlin keinerlei Mieterhöhungen geben soll. Selbst bei Neuvermietungen wird die Miete auf die Höhe der Vormiete begrenzt. Außerdem – und das ist das zweite Element – wird eine absolute Miet-Obergrenze definiert – eben ein Deckel. Liegt die Miete für bestimmte Wohnungen bereits jetzt oberhalb dieser Grenze, gilt im Fall von Neuvermietung die Vormiete als absolute Grenze, die nicht weiter überschritten werden darf. Bei völlig überhöhten Bestandsmieten kann ein Antrag auf Absenkung gestellt werden. Wird dieser genehmigt, wird die Miete auf das Deckelniveau abgesenkt. Modernisierungsumlagen müssen ab einer bestimmten Höhe genehmigt werden, und nachweisen, dass sie ‚effizient’ sind, also real zur Einsparung von Betriebskosten führen. Die Erstvermietung von Neubauwohnungen ist von diesen Regelungen ausgenommen, weil angesichts der derzeitigen Bodenpreise und Baukosten Neubau nicht zu den anvisierten Preisen zu realisieren ist. Außerdem es wird eine Härtefallregelung geben für Vermieter, deren Haus durch das neue Gesetz „unwirtschaftlich“ wird.

Es waren unterschiedliche Modelle zur Mietenreduktion im Gespräch. Warum hat sich Berlin für genau diese Kombination von Instrumenten entschieden?

Es wurde viele Elemente durchgespielt: Beispielsweise nur ein Mietenstopp. Dafür sprach, dass je schlanker der Eingriff, desto weniger anfällig ist die Regelung im Fall von Klagen. Die Konsequenz ist aber,  dass Personen und Haushalte mit alten Mietverträgen quasi zu Mietbremsen werden, was den Anreiz bietet, sie rauszudrängen. Neue Mietverträge hingegen bleiben extremer Preistreiber. Hätte man als Alternative nur eine Deckelung eingeführt, könnten gerade niedrige Mieten unterhalb dieser Obergrenze weiter steigen. Das ist nicht sinnvoll, denn grade deren Niveau soll ja gehalten werden. Schließlich wurde noch überlegt, das Element zur Modernisierung rauszulassen. Das wäre aber fatal, da man dann hier Anreize schaffen würde Modernisierung weiterhin als Möglichkeit der Mietsteigerung zu nutzen. Umstritten war die Frage, ob es möglich ist, sehr hohe Bestandsmieten abzusenken. Das ist ein harter Eingriff. Verzichtet man aber auf diese Option, würden sehr hohe Mieten legitimiert, die von der Mietpreisbremse des Bundes nicht tangiert werden. Interessanterweise hat sich nach langer Diskussion in der Koalition die härteste, weil vernünftigste Variante durchgesetzt – nämlich eine Kombination aus allen Elementen. Wir wollten den preisdämpfenden Effekt möglichst wirkungsvoll gestalten und keine Schlupflöcher anbieten.

Das klingt insgesamt nach einem tollen Projekt, das sich aber im Koalitionsvertrag gar nicht findet. Wie kommt das?

Als der Koalitionsvertrag geschlossen wurde, war es allgemein geteilte Ansicht, dass eine solche Mietpreisregulierung nicht auf der Ebene von Landesrecht umzusetzen wäre. Im November 2018 hat dann der Berliner Jurist Peter Weber einen Artikel in einer juristischen Fachzeitschrift veröffentlicht, in dem er als erster auf die Option hinweist, dass nach der Föderalismusreform II von 2006 die Länder die Kompetenz haben, eine Preisregulierung auf dem Wohnungsmarkt über öffentliches Recht einzuführen. Vor Genies ist man niemals gefeit! Der SPD gebührt der Verdienst, diese Idee Anfang 2019 auf ihre politische Agenda gesetzt zu haben.

Wann soll der Mietendeckel in Kraft treten?

Das Gesetz wird Anfang 2020 in Kraft treten. Die Regelungen sollen aber sofort, also rückwirkend ab dem Beschluss der Eckpunkte durch den Berliner Senat am 18. Juni 2019 gelten. Es ist natürlich Eile geboten, da man Vermieter*innen nicht ein halbes Jahr Vorlauf lassen will, um noch schnell Mieterhöhungen vorzunehmen.

Die Immobilienwirtschaft scheint überrascht worden zu sein. An den Tagen nach der Veröffentlichung der Pläne sind die Aktienkurse börsennotierter Immmobilienunternehmen deutlich gesunken. Die Deutsche Wohnen verlor beispielsweise innerhalb von 2 Tagen satte 15 Prozent ihres Kurses. Der Branchenverband Haus&Grund rief seine Mitglieder auf, sofort flächendeckend Mieterhöhungsbriefe an die Berlinerinnen und Berliner zu schicken, "um ein Zeichen zu setzen". Habt ihr mit dieser Reaktion gerechnet? 

Steigende Börsenwerte beispielsweise bei der Deutsche Wohnen beruhen auf der spekulativen Annahme, dass weitere Renditesteigerungen durch Mieterhöhungen erzielt werden können. Entfällt diese Option, platzt die Blase, der Kurs fällt und passt sich tendenziell den realen Sachwerten an. Dieser Effekt ist also intendiert, denn im Fall einer Enteignung sinkt so indirekt auch die Entschädigungszahlung, für die die real erzielbare Miete eine wichtige Berechnungsgrundlage ist. Und es zeigt meines Erachtens, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Was den Eigentümerverband Haus&Grund angeht, fasst man sich nur an den Kopf. Erstens schaffen sie damit selbst den besten Beleg für die Notwendigkeit der geplanten Preisregulierung. Zweitens sind sie zwar an Rendite interessiert, aber rechtlich offenbar zu schlecht informiert, um diese für ihre Mitglieder zu erzielen. Denn einem Mieterhöhungsgesuch muss der Mieter oder die Mieterin zustimmen. Dafür hat er oder sie mehrere Wochen Zeit. Wir werden natürlich die Mieter*innen informieren, dass sie dies tunlichst unterlassen sollten. Und ab 18. Juni heißt es dann: aus die Maus. 

Glaubst du das Projekt könnte ein Vorbild auch für andere Bundesländer sein? 

Ja, unbedingt! Gelingt es Berlin, geraten alle in den Sog. Zunächst die Länder, dann der Bund. Landesgesetze zur Mietenregulierung sind sicherlich das wirksamste Mittel, um der lahmen Ente Bund Beine zu machen. Der Bund wird mit seinem wirkungslosen Mietrecht auf der Strecke bleiben. Dann muss er sich entweder an die Spitze setzen und endlich ein mieterfreundliches Recht schaffen oder er muss sich auf dem Politikfeld als überflüssig verabschieden. 

In den Zeitungen stand, es gebe jetzt den Mietendeckel "statt" Enteignungen. Wie ist das Verhältnis? 

Wie gesagt, der Mietendeckel und die Idee der Rekommunalisierung von Wohnraum sind zwei sich ergänzende Wege zum Ziel. Die LINKE unterstützt das Volksbegehren und trägt ihren Teil dazu bei, dass eine Vergesellschaftung der marktbeherrschenden Unternehmen möglich wird. Dies ist auch mit Mietendeckel noch nötig, weil der zunächst nur eine zeitlich befristete Entlastung auf dem angespannten Wohnungsmarkt bringt. Das Grundproblem bleibt jedoch bestehen: Die Finanzialisierung des Wohnungsmarktes macht privaten Wohnraum zur heiß gehandelten Ware mit hoher Verwertungsrate. Diesen Mechanismus können wir mit dem Deckel zwar zeitweilig abbremsen, aber nicht außer Kraft setzen. Indem wir die Hauptakteure in Berlin vom Markt nehmen, haben wir den Mechanismus aber empfindlich und nachhaltig gestört. Gelöst ist das Problem dann immer noch nicht, aber es ist ein wichtiger Schritt getan. 

Das Gespräch führte Moritz Warnke, Referent für Soziale Infrastrukturen und verbindende Klassenpolitik im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung Mehr rund um das Thema Mieten, Eigentum und Wohnungspolitik in der nächsten Ausgabe der Luxemburg, die im Juli erscheinen wird.