Der Papst, der frühere UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, Madonna und viele andere sind sich einig: Wir sitzen in der „Coronakrise“ alle in einem Boot. Aber wie heißt es so schön: Die einen rudern und die anderen steuern. Schauen wir uns die deutsche Politik in dieser Krise unter dem Blickwinkel an, wie sie sich auf die verschiedenen sozialen Klassen auswirkt.

Am 27. Februar 2020 hat die Bundesregierung einen „Corona-Krisenstab“ eingerichtet und begonnen, Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu ergreifen. Kurz darauf folgte eine Reihe von wirtschafts- und fiskalpolitischen Maßnahmen, welche die ökonomischen Auswirkungen kompensieren sollten, die durch die Einschränkungen der Erwerbsarbeit verursacht werden. Letztere sollen hier analysiert werden, wobei es sich um eine Momentaufnahme handelt, denn die Krisenpolitik entwickelt sich laufend weiter und basiert auf dem ständig bewegten Kräfteverhältnis zwischen den sozialen Klassen und Klassenfraktionen. Sie ist also ebenso sehr Moment wie Resultat des Klassenkampfes. Ich konzentriere mich auf die Analyse von Maßnahmen, die die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen getroffen haben, angefangen mit den Beschlüssen des Koalitionsausschusses vom 8. März 2020. Außen vor bleiben die unterschiedlichen Maßnahmen der Bundesländer sowie die internationale Dimension der Regierungspolitik einschließlich ihrer EU-Politik.

Nicht ganz in einem Boot

Doch wem nützen die beschlossenen „Hilfspakete“ eigentlich genau? Wem helfen sie, und wer geht leer aus? In der deutschen Gesellschaft sind fünf soziale Klassen zu unterscheiden: Die Kapitalistenklasse, die mittlere Bourgeoisie, das Kleinbürgertum, die lohnabhängige Mittelklasse und die Arbeiterklasse (vgl. Milios/Economakis 2014).

1. Die Kapitalistenklasse: Hier handelt es sich um jene, die aufgrund ihres Eigentums an Kapital, an Produktionsmitteln in der Lage sind, von der Aneignung fremder Arbeit zu leben, ohne selbst arbeiten zu müssen, und diejenigen, die als Träger des Kapitalverhältnisses fungieren, indem sie die aus dem Kapitaleigentum resultierenden Machtbefugnisse unmittelbar ausüben, also das Topmanagement der Unternehmen. Die erste und wichtigste Maßnahme, die die Bundesregierung zugunsten der Kapitalistenklasse ergriffen hat, war ähnlich wie in der Krise 2008/2009 die großzügige Ausdehnung der Regelungen zur Kurzarbeit. Dadurch werden die Kapitalisten in die Lage versetzt, ihren Bedarf an Arbeitskräften flexibel der Krisendynamik anzupassen. Sie können die regulären Arbeitsverträge aussetzen und ihre Kosten senken, ohne ihre lohnabhängig Beschäftigten zu entlassen. Sie können die Arbeitszeiten beliebig reduzieren und einen Teil oder alle Beschäftigten freistellen. Im Vergleich zur Entlassung der Beschäftigten hat die Kurzarbeit den Vorteil, dass die Kapitalisten, wenn sich die Lage normalisiert, unmittelbar wieder auf ihre Beschäftigten zurückgreifen können. Bereits in der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009 hat es sich bewährt, Massenentlassungen soweit wie möglich zu vermeiden, um die Beschäftigten mit ihrem firmenspezifischen Know-how an die Unternehmen zu binden und dann die Produktion nach der Krise schnell wieder aufnehmen zu können.

Indem der Staat Kurzarbeitergeld zahlt, können die Kapitalisten die Zahlung der Löhne teilweise oder ganz auf den Staat bzw. die Steuerzahler abwälzen. Im Vergleich zur letzten Finanz- und Wirtschaftskrise wurde die Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld nochmals erleichtert. Es genügt nun bereits, dass 10% der Beschäftigten eines Unternehmens von Arbeitsausfall betroffen sind. Der Staat entlastet diesmal die Unternehmen auch von der Zahlung des Arbeitgeberanteils für die Sozialversicherungsbeiträge. Anders als bisher kann Kurzarbeit auch für Leiharbeiter in Anspruch genommen werden. Gleichwohl gibt es noch Kritik aus den Reihen der Wirtschaftsverbände, weil die neue Regelung zur Kurzarbeit zunächst auf ein Jahr befristet ist. Da viele Unternehmen schon im Frühjahr und Frühsommer 2019 Kurzarbeit beantragt hatten, als der konjunkturelle Abschwung einsetzte, läuft die bewilligte Kurzarbeit für sie schon bald aus. Daher wird gefordert, die Regelung zur Kurzarbeit ähnlich wie in der Krise von 2008/2009 auf zwei Jahre zu verlängern.

Die Kapitalistenklasse profitiert auch von den staatlichen Krediten und Bürgschaften, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat. Zunächst wurden drei Kreditprogramme der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) eingerichtet, um Unternehmen mit Zahlungsschwierigkeiten in der Krise zu helfen: 1. ein Kreditprogramm für Unternehmen mit einem Umsatz von bis zu 500 Mio. Euro, die bereits länger als fünf Jahre bestehen und Kredite bis zu 1 Mrd. Euro zu vergünstigten Zinsen erhalten können; 2. ein Kreditprogramm für jüngere Unternehmen zu ähnlichen vergünstigten Konditionen; 3. ein weiteres Sonderprogramm, mit dem sich die KfW an Konsortialfinanzierungen (d.h. großen, von mehreren Banken gemeinsam vergebenen Krediten) ab einer Höhe von 25 Mio. Euro beteiligt. Die KfW kann als staatliche Förderbank, die vom Staat refinanziert wird und für deren Verbindlichkeiten letztlich der Staat haftet, im Prinzip unbegrenzt Kredite vergeben, so lange der Staat zahlungsfähig ist. Sie hat für die Sonderprogramme in der Coronakrise zunächst 50-100 Mrd. Euro veranschlagt. Bei Krediten bis 3 Mio. Euro verzichtet sie ganz auf eine Prüfung, bei Krediten bis 10 Mio. Euro gibt es eine vereinfachte Prüfung. Die Unternehmen müssen allerdings nachweisen, dass ihr Finanzbedarf durch die Corona-Krise entstanden ist, dass sie zu Jahresbeginn solvent waren und dass der Kredit ihnen als Finanzierung bis zum Jahresende reichen würde. Die Kredite im Rahmen der beiden erstgenannten Programme laufen über fünf Jahre; im ersten Jahr fallen keine Tilgungszahlungen an, in den folgenden vier Jahren sollen jeweils 25% des Kredits getilgt werden. Die Konsortialfinanzierungen laufen über bis zu sechs Jahre. Es gibt einen großen Haken an diesen staatlichen Kreditprogrammen: Die Unternehmen können die Kredite bei der KfW nicht selbst, sondern nur über ihre Hausbank beantragen. Die Kreditvergabe durch die KfW setzt voraus, dass sich auch die Hausbanken der Unternehmen an den Krediten beteiligen. Bei größeren Unternehmen übernimmt die KfW die Haftung für 80%, bei kleineren Unternehmen für 90% des Kredits; den Rest muss die jeweilige Hausbank übernehmen.

Die staatlichen Kredite sind also davon abhängig, dass andere Geschäftsbanken bereit sind, auch weiterhin Kredite zu vergeben. Gerade in Krisen sinkt jedoch die Bereitschaft der Banken, Kredite zu vergeben, da sich viele als „faul“ erweisen, d.h. nicht zurückgezahlt werden können, weil viele Unternehmen trotz der Kredite im Verlauf der Krise in die Insolvenz gehen. Selbst Großunternehmen mit hoher Bonität müssen nun wesentlich höhere Zinsen am Kapitalmarkt zahlen. Die Spreads für Unternehmensanleihen, also die Zinsaufschläge im Verhältnis zu den Zinsen für Bundesanleihen (d.h. den Krediten, die die Bundesregierung am Kapitalmarkt aufnimmt und die für Kapitalanleger aufgrund der vergleichsweise sicheren Rückzahlung als Vergleichsmaßstab für alle anderen Arten von Kapitalanlagen gelten) haben sich verdoppelt. Der Markt für riskantere, hochverzinsliche Anleihen ist praktisch zusammengebrochen. Umso wichtiger sind die staatlichen Kreditprogramme für die Kapitalisten.

Vom 23. März, dem Tag, als die Programme eingerichtet wurden, bis zum 2. April wurden etwa 3200 Kreditanträge bei der KfW mit einem Volumen von insgesamt rund 11 Mrd. Euro gestellt. Etwa 2700 Anträge mit einem Volumen von 960 Mio. Euro wurden bereits bewilligt. Ob die Anträge einfach in der Reihenfolge des Eingangs abgearbeitet werden oder nach welchen Kriterien sie bewilligt oder abgelehnt werden, ist unklar. Unbekannt ist die Anzahl der von den Banken zurückgewiesenen Kreditanträge, die nicht an die KfW weitergeleitet wurden. Inzwischen gibt es deutliche Anzeichen, dass sich trotz der staatlichen Hilfen eine Kreditklemme entwickelt, weil die privaten Banken ihre Kreditvergabe massiv einschränken. Diese Kreditklemme trifft vor allem kleine und mittlere Unternehmen. Als Reaktion darauf hat die Regierung am 6. April ein weiteres Kreditprogramm der KfW ermöglicht, bei dem der Bund die Haftung für die Kredite zu 100% übernimmt. Diese Kredite können Unternehmen mit mehr als 10 Beschäftigten erhalten. Sie haben eine Laufzeit von 10 Jahren und sollen ohne Risikoprüfung vergeben werden. Der maximale Kreditbetrag liegt bei drei Monatsumsätzen des Jahres 2019. Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten erhalten bis zu 500.000 Euro, Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten erhalten bis zu 800.000 Euro. Die Höhe der einzelnen Kredite soll dabei auf 500.000 Euro pro Unternehmen begrenzt sein; das Gesamtvolumen der von der KfW zu übernehmenden Haftung im Rahmen dieses Programms soll bei bis zu 300 Mrd. Euro liegen.

Es zeichnet sich ab, dass die Gelder der KfW zum größten Teil von einigen wenigen Großunternehmen in Anspruch genommen werden, während auf die Masse der kleinen und mittleren Unternehmen nur ein geringer Teil des Kreditvolumens entfällt. Von den 443 Kreditanträgen, die in den ersten Tagen bis zum 26. März abends gestellt wurden und die zusammengenommen ein Volumen von 7,4 Mrd. Euro hatten, entfielen 7,2 Mrd. Euro auf nur 11 Anträge, während die restlichen 432 Anträge zusammen nur ein Volumen von 220 Mio. Euro hatten. Alleine die Daimler AG verhandelt gegenwärtig mit verschiedenen Banken über eine Kreditlinie von 10 Mrd. Euro. Dieses Beispiel macht deutlich, dass die Kredite und Bürgschaften, die der Staat mobilisiert, zwar im Vergleich zu den sonstigen Staatsausgaben riesig sind, dass sie sich aber im Vergleich zu dem Kreditbedarf der privaten Großunternehmen klein ausnehmen und schnell ausgeschöpft sein könnten.

Ausschließlich für größere Unternehmen vorgesehen ist der „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ (WSF) der Bundesregierung in Höhe von 600 Mrd. Euro, der bis Ende 2021 befristet ist. Hiervon sind 400 Mrd. für Bürgschaften vorgesehen, um Großunternehmen die Finanzierung am Kapitalmarkt zu erleichtern, wobei es um die Absicherung von Anleihen mit einer maximalen Laufzeit von fünf Jahren geht. Der Löwenanteil des Programms zielt also darauf, der Tendenz entgegenzuwirken, dass die Großunternehmen in der Krise für ihre Refinanzierung am Kapitalmarkt höhere Zinsen zahlen müssen. Weitere 100 Mrd. Euro fließen an die KfW, um deren Refinanzierung zu unterstützen. Die restlichen 100 Mrd. Euro sind für direkte Beteiligungen des Staates an Unternehmen, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten, vorgesehen. Dabei geht es wie in der letzten Finanzkrise vor allem um stille Einlagen, bei denen der Staat bewusst auf das Mitspracherecht bei der Unternehmensleitung verzichtet. Möglich sind aber auch Aktienkäufe, die mit Stimmrechten verbunden sind. Im Gegenzug müssen die Unternehmen bestimmte Auflagen für die Verwendung der Mittel akzeptieren, etwa die Managergehälter und Dividendenzahlungen begrenzen. Die Entscheidung, welche Unternehmen Eigenkapitalhilfen erhalten, trifft das BMWi in Absprache mit dem BMF. Um die Mittel des WSF in Anspruch nehmen zu können, müssen Unternehmen in den letzten zwei Geschäftsjahren vor dem 1. Januar 2020 mindestens zwei der folgenden drei Kriterien erfüllt haben: 1. eine Bilanzsumme von mehr als 43 Mio. Euro; 2. einen Umsatz von mehr als 50 Mio. Euro; 3. mehr als 249 Beschäftigte im Jahresdurchschnitt. Kleinere Start-up-Unternehmen können die Hilfen in Anspruch nehmen, wenn sie in einer früheren Finanzierungsrunde mindestens 50 Mio. Euro Kapital von privaten Kapitalgebern eingeworben hatten.

Am 1. April 2020 hat die Bundesregierung ein zusätzliches Unterstützungsprogramm für Start-up-Unternehmen und für Fonds, die diese finanzieren, in Höhe von 2 Mrd. Euro aufgelegt. Zu den bereits genannten Maßnahmen kommen noch steuerliche Erleichterungen wie z.B. die Stundung von Einkommens- und Körperschaftssteuern. Die Bundesregierung stützt die Unternehmen nicht nur finanziell, sie hat auch die marktwirtschaftlichen Spielregeln temporär geändert. Für Unternehmen, die bankrottgehen, ist die Insolvenzantragspflicht vorerst bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Unter normalen Umständen wäre die Insolvenzverschleppung eine Straftat, nun ist sie erlaubt. Auch das Recht der Gläubiger, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen, wird bis zum 30. September 2020 eingeschränkt. Diese Regelung kann per Verordnung bis zum 31. März 2021 verlängert werden.

Nebenbei wurde auch die befristete Möglichkeit geschaffen, Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften online, also ohne Präsenz der Aktionäre durchzuführen. So können sich Vorstände und Großaktionäre unter anderem der spektakulären Aktionen entledigen, mit denen Konzernkritiker und kritische Aktionäre in der Vergangenheit gelegentlich bei Hauptversammlungen interveniert haben. In der Frankfurter Allgemeine Zeitung wurde bereits gefordert, nicht mehr zum Status quo ante zurückzukehren, sondern diese Regelung beizubehalten.

2. Die mittlere Bourgeoisie: Hier handelt es sich um Unternehmer, die zwar lohnabhängig Beschäftigte ausbeuten, aber in einem so geringen Umfang, dass sie nicht ausreichend Kapital akkumulieren können und gezwungen sind, selbst in ihrem Betrieb zu arbeiten. Die Beschäftigtenzahl bzw. die Größe des Kapitals, die mindestens notwendig sind, um den Sprung von der mittleren Bourgeoisie zur Kapitalistenklasse zu vollziehen, lassen sich nicht allgemein angeben. Sie variieren von Branche zu Branche. Näherungsweise kann man aber davon ausgehen, dass die Programme der Bundesregierung, die sich an Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten richten, vor allem der Kapitalistenklasse zugutekommen, während die Programme für Unternehmen mit einem bis zehn Beschäftigten sich eher an die mittlere Bourgeoisie richten. Es ist aus klassenanalytischer Sicht jedenfalls kein Zufall, dass sich einige Programme der Bundesregierung an Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigte richten und andere Programme an Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten. Die mittlere Bourgeoisie kann ebenso wie die Kapitalistenklasse Kurzarbeit beantragen. Sie kann formell auch die Kreditprogramme der KfW mit 90-prozentiger Staatshaftung in Anspruch nehmen. In der Praxis dürfte sie dabei jedoch vielfach an mangelnder Unterstützung seitens der privaten Banken scheitern. Die mittlere Bourgeoisie kann im Unterschied zur Kapitalistenklasse auch nicht das am 6. April beschlossene Kreditprogramm mit 100-prozentiger Staatshaftung in Anspruch nehmen.

Die Bundesregierung stellt Zuschüsse für Kleinunternehmer mit bis zu zehn Beschäftigten (Vollzeitäquivalente) in Höhe von insgesamt bis zu 50 Mrd. Euro bereit. Unternehmer mit bis zu fünf Beschäftigten können eine Einmalzahlung in Höhe von bis zu 9.000 Euro für drei Monate erhalten, Unternehmer mit sechs bis zehn Beschäftigten können eine Einmalzahlung in Höhe von bis zu 15.000 Euro für drei Monate erhalten. Diese Zuschüsse sind ausdrücklich nicht für den Lebensunterhalt der Unternehmer gedacht, sondern nur um die Zahlung von fortlaufenden Betriebskosten wie Miete für Gewerberäume, Kredit- und Leasingraten zu ermöglichen. Die Zuschüsse sollen auf der Basis der Angaben der Antragsteller ohne weitere Prüfung ausgezahlt werden. Falsche Angaben bei der Antragstellung gelten allerdings als Straftat (Subventionsbetrug). Die für die Auszahlung zuständigen Landesbehörden haben zum Teil angekündigt, stichprobenartige Kontrollen im Hinblick auf falsche Angaben oder die zweckentsprechende Verwendung der Mittel durchzuführen. Die Zuschüsse müssen versteuert werden. Sofern der Vermieter die Miete um mindestens 20 Prozent reduziert, können gegebenenfalls nicht ausgeschöpfte Zuschüsse auch für zwei weitere Monate verwendet werden. Die Landesregierungen haben außerdem zusätzliche Hilfsprogramme aufgelegt, die sich in der Höhe der Beihilfen unterscheiden. Inwieweit die Zuschüsse von Bund und Ländern die Fixkosten der Betriebe der mittleren Bourgeoisie decken können, hängt primär von der Höhe der Fixkosten ab, die von Branche zu Branche und von Ort zu Ort sehr unterschiedlich ist. Man kann davon ausgehen, dass die Zuschüsse in vielen Betrieben nicht lange reichen werden.

Für ihren privaten Lebensunterhalt können bzw. müssen die Kleinunternehmer gegebenenfalls Grundsicherung beantragen. Die Regierungskoalition schätzt, dass das bis zu 300.000 der etwa 1,6 Mio. Eigentümer von Kleinunternehmen mit 1 bis 10 Beschäftigten betreffen könnte. Dafür wurde der Zugang zur Grundsicherung erleichtert. Für neue Anträge auf Grundsicherung, die zwischen dem 1.März und dem 30. Juni 2020 gestellt werden, entfällt die Vermögensprüfung für die ersten sechs Monate des Leistungsbezugs. Die Kosten für die Unterkunft werden im selben Zeitraum in der tatsächlichen Höhe anerkannt. Beim Antrag auf Kinderzuschlag ist nur noch das Einkommen im letzten Monat ausschlaggebend, nicht mehr das Einkommen der letzten sechs Monate

3. Das Kleinbürgertum. Es umfasst die „Soloselbständigen“, die keine Beschäftigten haben, also keine Lohnarbeiter ausbeuten, sondern ausschließlich von ihrer eigenen Arbeit leben. Ein Teil der „Soloselbständigen“ sind allerdings Scheinselbständige, die keine Produktionsmittel besitzen und von einem Auftraggeber abhängig sind, also eher den Lohnabhängigen als dem Kleinbürgertum zuzuordnen sind. Die Kleinbürger können einen Zuschuss zu ihren Betriebskosten als Einmalzahlung von bis zu 9000 Euro für drei Monate erhalten. Hier gilt ebenfalls, dass dieser Zuschuss ausdrücklich nicht für den privaten Lebensunterhalt verwendet werden kann. Auch dem Kleinbürgertum kommt der erleichterte Zugang zur Grundsicherung zugute. Hier gelten die gleichen Regeln, wie oben in Bezug auf die mittlere Bourgeoisie ausgeführt. Die Regierungskoalition schätzt, dass etwa 700.000 der ca. 1,9 Millionen Soloselbständigen gezwungen sein könnten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu beantragen. Die Soloselbständigen können zudem beantragen, dass ihre Beiträge zur Sozialversicherung oder zur Künstlersozialkasse vorübergehend gestundet oder herabgesetzt werden.

4. Die lohnabhängige Mittelklasse. Hier handelt es sich zum einen um alle lohnabhängig Beschäftigten, die nicht innerhalb eines Kapitalverhältnisses ausgebeutet werden, d.h. vor allem die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sowie in Unternehmen des Non-Profit-Sektors oder in privaten Haushalten. Zum anderen umfasst die lohnabhängige Mittelklasse jene lohnabhängig Beschäftigten, die in den Betrieben selbst Herrschaftspositionen einnehmen, also die an sie von den Kapitalisten delegierten Herrschaftsbefugnisse gegenüber der Arbeiterklasse ausüben: von den Meistern über Techniker und Ingenieure in entsprechenden Aufsichtsfunktionen bis zum mittleren Management der Unternehmen. Verschiedene Teile der lohnabhängigen Mittelklasse sind von der Krise sehr unterschiedlich betroffen. Während z.B. die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes vorerst sichere Arbeitsplätze haben und nicht von Einkommenseinbußen betroffen sind, sind Hunderttausende von Beschäftigten in den privaten Haushalten, die aus dem Ausland kommen, häufig in informellen und befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind und zwischen Deutschland und ihren Herkunftsländern pendeln, massiv von den Grenzschließungen und Quaratänemaßnahmen verschiedener Staaten betroffen. Dies gilt vor allem im Bereich der häuslichen Altenpflege. Einkommenseinbußen betreffen auch jene Teile der lohnabhängigen Mittelklasse, die in privaten Unternehmen gearbeitet haben und nun von Kurzarbeit oder gar Erwerbslosigkeit betroffen sind.

Für alle diese Lohnabhängigen gibt es im Unterschied zu den Selbständigen keine zusätzlichen finanziellen Leistungen des Staates in dieser Krise – außer dem erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld. Mögliche Lohnausfälle aufgrund der Betreuung von Kindern unter 12 Jahren können teilweise ausgeglichen werden, falls der Arbeitgeber mitspielt, d.h. den Lohn auszahlt und einen Erstattungsantrag bei der zuständigen Landesbehörde stellt. Außerdem darf den Lohnabhängigen wie auch den Selbständigen ihr Mietverhältnis nicht gekündigt werden und der Bezug von Leistungen der Grundversorgung (Strom, Gas, Telekommunikation) darf ihnen nicht verweigert werden, wenn sie vorübergehend mit Zahlungen in Rückstand geraten. Diese Regelung gilt aber auch nur bis zum 30. Juni 2020.

5. Die Arbeiterklasse. Hier handelt es sich um die lohnabhängig Beschäftigten, die innerhalb eines Kapitalverhältnisses ausgebeutet werden und selbst keine Herrschaftspositionen im Betrieb einnehmen. Die Arbeiterklasse ist massiv von Einkommenseinbußen durch Kurzarbeit und zunehmende Erwerbslosigkeit betroffen. Im Unterschied zu den Selbständigen gibt es für sie keine zusätzlichen staatlichen Leistungen, außer dem erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld. Dieses erhalten allerdings auch nur diejenigen, die in der Arbeitslosenversicherung, aus der das Kurzarbeitergeld bezahlt wird, versicherungspflichtig sind. Die so genannten geringfügig Beschäftigten (Minijobber) sind vom Kurzarbeitergeld ausgeschlossen. Haushalte mit Kindern können allenfalls noch einen erleichterten Zugang zum staatlichen Kinderzuschlag in Höhe von bis zu 185 Euro monatlich pro Kind in Anspruch nehmen, falls ihr Bruttoeinkommen über 900 Euro (Paare) bzw. 600 Euro (Alleinerziehende) liegt. Die Arbeiterklasse dürfte wenig von dem erleichterten Zugang zur Grundsicherung haben, der eher auf das Kleinbürgertum und die mittlere Bourgeoisie zielt, denn die Arbeiter*innen, die jetzt erwerbslos werden, erhalten zunächst das Arbeitslosengeld I, während diejenigen, die bereits Arbeitslosengeld II bzw. Grundsicherung erhielten, auch weiterhin den repressiven Bedürftigkeitsprüfungen unterliegen. Allenfalls diejenigen, deren Einkommen durch die Kurzarbeit so tief sinkt, dass sie dieses durch „Hartz IV“ aufstocken müssen, können den erleichterten Zugang dazu in Anspruch nehmen.

Fazit

Die Maßnahmen der Bundesregierung sind klassenspezifisch strukturiert. Die Kapitalistenklasse darf sich über 600 Mrd. Euro staatliche Unterstützung sowie Kredite der KfW in potentiell unbegrenzter Höhe freuen. Die mittlere Bourgeoisie und das Kleinbürgertum erhalten 50 Mrd. Euro vom Staat, während die lohnabhängige Mittelklasse und die Arbeiterklasse bei dem Maßnahmenpaket der Bundesregierung praktisch leer ausgehen. Allerdings beziehen sich die staatlichen Programme teilweise nicht auf eine Klasse, sondern auf mehrere Klassen gleichzeitig. So können bestimmte Kreditprogramme der KfW der Form nach (aber nicht unbedingt real) sowohl von der Kapitalistenklasse als auch von der mittleren Bourgeoisie in Anspruch genommen werden; die einmaligen Zuschüsse zu den Betriebskosten in Höhe von 9.000 Euro kommen potentiell sowohl dem Kleinbürgertum als auch der mittleren Bourgeoisie zugute; das Kurzarbeitergeld erhalten im Prinzip sowohl Angehörige der Arbeiterklasse als auch der lohnabhängigen Mittelklasse. Durch die staatliche Politik erfolgt somit eine klassenübergreifende Blockbildung; unterschiedliche Klasseninteressen werden auf die staatlichen Programme hin ausgerichtet und vereinheitlicht. Durch diese staatliche Blockbildung artikuliert sich die Hegemonie der Kapitalistenklasse, sie ist ein wesentliches Moment ihrer Herrschaft. Dabei spielt natürlich die strukturelle Selektivität der Staatsapparate eine wesentliche Rolle, also die je nach Klassenlage unterschiedlichen Möglichkeiten, die jeweiligen Klasseninteressen durchzusetzen. Die Vorstandsvorsitzenden der führenden Großunternehmen und die Vertreter der maßgeblichen Wirtschaftsverbände haben in der Regel einen unmittelbaren Zug,ang zur Bundesregierung und können ihre Willensbildung direkt beeinflussen. Die Wirtschaftsverbände haben unterschiedliches Gewicht; der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat z.B. mehr Gewicht als die verschiedenen Mittelstandsverbände, und im BDI dominieren wiederum die Interessen der Großunternehmen. In den Mittelstandsverbänden werden Interessen der Kapitalistenklasse und Interessen der mittleren Bourgeoisie zusammengeschlossen. Aus dem Kleinbürgertum und der mittleren Bourgeoisie gab es rasch verschiedene Petitionen, die eine Einkommenssicherung, etwa in Form eines temporären Grundeinkommens, gefordert haben. Die Zuschüsse für das Kleinbürgertum und die mittlere Bourgeoisie sowie der erleichterte Zugang zur Grundsicherung für diese Klassen dürften auch ein Resultat des öffentlichen Drucks aus diesen Klassen sein. Die ökonomischen Interessen der Arbeiterklasse werden vor allem durch die Gewerkschaften repräsentiert, die z.B. durch öffentliche Stellungnahmen und Zeitungsanzeigen kritisiert haben, dass das Kurzarbeitergeld nicht weiter aufgestockt wird. Dies ist auch eine Forderung der Partei DIE LINKE. Inzwischen scheint die Kritik Wirkung zu zeigen. Auch aus der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft und aus der SPD wurden nun unterschiedliche Konzepte für eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes vorgelegt.

Die dargestellten Maßnahmen der Bundesregierung zielen vor allem darauf, den Zusammenbruch des Kreditsystems zu verhindern und die sozialen Verwerfungen in der Krise dadurch abzumildern, dass ein Teil der wegbrechenden Einkommen durch den Staat ersetzt wird und dass Zahlungen befristet aufgeschoben werden können. Die staatliche Einkommenssicherung ist allerdings höchst unvollkommen. Während in den Mittelklassen (mittlere Bourgeoisie, Kleinbürgertum, lohnabhängige Mittelklasse) oft noch Ersparnisse vorhanden sein dürften, die nun in der Krise aufgezehrt werden, verfügt die Arbeiterklasse nur in relativ geringem Maße über Ersparnisse und leidet insofern unmittelbar unter dem Einbruch der Einkommen.

Die staatlichen Maßnahmen stehen zum Teil in einem widersprüchlichen Verhältnis zueinander. So könnte die befristete Lockerung der Insolvenzregeln das Bemühen konterkarieren, die Banken durch die staatlichen Bürgschaften und die KfW-Kreditbeteiligungen zur fortgesetzten Vergabe von Krediten an die Unternehmen zu bewegen. Die Probleme werden durch die staatlichen Maßnahmen größtenteils nur in die Zukunft verschoben, denn irgendwann müssen die aufgeschobenen Zahlungen nachgeholt und die aufgenommenen Kredite zurückgezahlt werden. Die ausgefallene Produktion lässt sich jedoch nicht einfach nachholen. Es ist also eine Welle von Insolvenzen in der Zukunft zu befürchten.

Der Regierungskoalition ist es bisher gelungen, sich so darzustellen, als würde sie nach sorgfältiger Abwägung der verschiedenen Interessen und Handlungsoptionen die notwendigen Maßnahmen im Interesse des Gemeinwohls ergreifen. Die extreme Krise und die Notstandsmaßnahmen haben ihrerseits die diskursive Figur, wir säßen alle in einem Boot, gestärkt. Es entsteht dadurch eine Situation, in der es schwer ist, sich gegen die Maßnahmen der Regierung zu stellen, ohne Unverständnis in der Öffentlichkeit zu riskieren. Dennoch war es meines Erachtens falsch, dass die Fraktion der Partei DIE LINKE im Bundestag zwar einige Änderungsanträge und zusätzliche Entschließungsanträge zu dem Maßnahmenpaket der Bundesregierung eingebracht hat, den Gesetzentwürfen der Regierungskoalition am 25. März aber letztlich zugestimmt hat – obwohl viele linke Abgeordnete ihre Bedenken geäußert haben. Im Fernsehen erschien es so, als sei die AfD, deren Fraktion sich enthielt, die einzige Opposition.

Es ist aus linker Sicht nicht akzeptabel, dass die Unternehmen durch das Kurzarbeitergeld bis zu 100 Prozent von den Lohnkosten und Sozialbeiträgen entlastet werden, während die Arbeiterklasse und zum Teil auch die lohnabhängige Mittelklasse in Kurzarbeit hohe Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Es ist auch falsch, großzügige Kreditprogramme für Großunternehmen zu finanzieren, die in den letzten zehn Jahren riesige Gewinne gemacht haben und teilweise über Rücklagen in Milliardenhöhe verfügen. Diese Unternehmen sollten in der Krise zunächst einmal ihr Eigenkapital aufzehren. Wenn dann der Staat einspringt, um Unternehmen zu retten, dann nur im Austausch gegen entsprechende Eigentumsrechte. Die Rettung von Unternehmen und die Vergesellschaftung privater Verluste sollten nur nach Maßgabe einer demokratischen, sozialökologischen Politik vollzogen werden. Die Krise ist auch eine Chance, den ohnehin notwendigen sozialökologischen Umbau der Produktion zu vollziehen. Die Rüstungsproduktion sollte beispielsweise beendet werden; die Automobilproduktion sollte deutlich reduziert werden, insbesondere im Bereich der ökologisch besonders verheerenden SUVs und Luxuslimousinen (vgl. dazu die demnächst erscheinende Ausgabe „BAHN FREI! – LuXemburg 1-2020). Die freiwerdenden Produktionskapazitäten sollten für die Herstellung sozial nützlicher Produkte verwendet werden. Die gegenwärtige Krise zeigt in drastischer Weise, dass die soziale Infrastruktur im Gesundheitswesen, in der Altenpflege und in anderen Bereichen erheblich ausgebaut werden muss und dass viel mehr Arbeit in diese Bereiche fließen muss, während wir die Arbeit in sozial und ökologisch schädlichen Bereichen durchaus reduzieren können, ohne auf einen hohen Lebensstandard zu verzichten (vgl. u.a. Dück und Gernhardt auf LuXemburg-Online).