Alle Demoskopen und Wahlbeobachter haben sich im Grunde verschätzt. Auch in der kritischen Wissenschaft und der Linken hatten die Wenigsten einen Wahlsieg Donald Trumps für möglich gehalten. Zwar war man sich insbesondere hier darüber im Klaren, dass die USA sich in einer tiefen Legitimations- und Repräsentationskrise befinden und die Präsidentschaftswahl 2016 eine »populistische Situation« mit einer starken Anti-Establishment-Stimmung. Es stand fest, dass in einer solchen Situation Hillary Clinton es schwer haben würde. Das Ausmaß des Vertrauensverlustes in die Funktionsfähigkeit der liberal-parlamentarischen Institutionen und die Tiefe der Krise des politischen Systems sind weithin unterschätzt worden. Die Präsidentschaftswahl 2016 ist im Grunde der Brexit-Moment der Vereinigten Staaten: Zwischenzeitlich waren im Grunde die gesamten ökonomischen und (außen-)politischen Eliten auf Abstand zu Donald Trump und seinen – mit dem transnationalen Machtblock inkompatiblen Positionen gegen Freihandel (NAFTA, TTIP, TPP) und für Protektionismus, gegen die Konfrontation mit Russland und die imperiale Politik der USA insgesamt – gegangen und ins Lager von Hillary Clinton übergewechselt: Clinton wusste fast sämtliche Medienkonzerne und staatlichen Nachrichtenkanäle hinter sich und führende Neocons (Neokonservative) aus der Bush-Administration sprachen sich für sie aus, während republikanische Außenpolitik-Experten und das Pentagon öffentlich erklärten, Trump gefährde die «nationale Sicherheit» und die «nationalen Interessen». Die Frage ist: Wie mies muss eigentlich eine Kandidatin der herrschenden Klasse sein, um unter diesen Bedingungen und mit diesen Machtressourcen gegen einen radaurassistischen, radausexistischen und chauvinistischen Kandidaten wie Donald Trump zu verlieren? Die populistische Wut, die sich in dieser Wahl die Bahn brach, hat eines gezeigt: Die Bourgeoisie hat – wenigstens zeitweilig und wie zuvor während des Brexit – die Kontrolle über die politische Entwicklung verloren. Und was wir jetzt beobachten können, sind ihre Versuche sie wiederzugewinnen und Trump in ihre Interessen einzupassen.
Bernie Sanders hätte die Wahl gewonnen
Mit Trump und Clinton traten 2016 die unbeliebtesten Kandidaten in der Geschichte der Datenerhebung in diese Richtung das Rennen um das Weiße Haus an. Noch nie zuvor stand fest, dass, egal, wer gewinnen würde, mit einem historisch niedrigen Zuspruch im Januar 2017 das höchste Amt im mächtigsten Staat der Erde antreten würde. Trump hat die Wahl nicht gewonnen. Die Wahl wurde vom neoliberal-imperialen Machtblock und seiner Kandidatin verloren. Tatsächlich hat Trump zwar durchaus Massen mobilisieren können. Auch zu seinen Wahlkampfauftritten kamen immer wieder Zuhörer in fünfstelliger Zahl. Dabei hatte er seine Wahlbasis vor allem unter den überdurchschnittlich wohlhabenden und überdurchschnittlich gebildeten, überdurchschnittlich männlichen, tendenziell älteren Weißen. (Die These vom «white trash» als Basis von Trump stimmt also grosso modo nicht; im Kleinen allerdings gelang es Trump mit seiner globalisierungskritischen Botschaft gerade in den Staaten des freihandelsverheerten Mittleren Westens doch deutlich bei der weißen Arbeiterklasse zuzulegen.) Dennoch erhielt Trump insgesamt sogar noch weniger Stimmen als der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain, der 2008 gegen Obama verlor, und als Mitt Romney, der 2012 gegen Obama unterlag. Er konnte realiter nur den Sieg davontragen, weil Hillary Clintons neoliberal-imperialer Weiter-wie-bisher-Wahlkampf von Anfang an keine Massen bewegen konnte. Die demokratische Wählerklientel, die vor allem in den unteren Einkommensklassen bis zu 50.000 US-Dollar zu finden ist, enthielt sich weitgehend der Wahl. Entsprechend ging in einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung kaum die Hälfte aller Wahlberechtigten wählen und enthielten sich vor allem die unteren Einkommensklassen der Wahl.
Tatsächlich zeigen bei der Suche nach Schuldigen alle Finger auf das neoliberal-imperiale Establishment – die vermachtete Demokratische Partei und seine Massenmedien – die alles daransetzten, den Wahlkampf von Bernie Sanders zu torpedieren, was durch die verschiedenen Leaks von Email-Korrespondenzen aus dem Parteiapparat heute hinreichend belegt ist und ja tatsächlich auch zum Rücktritt der Parteivorsitzenden Debbie Wasserman-Schultz führte. Der demokratische Sozialist Bernie Sanders, der mit seinem Wahlkampf, seiner Botschaft einer auf (Rück-)Umverteilung beruhenden solidarischen Exit-Strategie aus der Krise die Massen enthusiasmierte, ist bis heute der mit Abstand beliebteste Politiker in den USA. Schon im Wahlkampf zeigte Umfrage auf Umfrage, dass er die weitaus besseren Chancen haben würde, gegen Trump zu bestehen. Tatsächlich hätte Sanders die Wahlen gegen Trump mit an absolute Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemals verloren. Die Botschaft Sanders‘ an die Superdelegierten, dass eine Trump-Präsidentschaft mit einer Clinton-Nominierung viel wahrscheinlicher sei, verhallte. Die Partei blieb fest in der Hand des neoliberal-imperialen Establishments. Trotz der Massenmobilisierung hatte am Ende nur ein Senator und nur acht Repräsentantenhausabgeordnete Sanders ihre Unterstützung zugesagt. Die USA sind also mit der Trump-Wahl nicht gesellschaftlich und ideologisch, sondern lediglich politisch nach rechts gerückt, was auch – wie schon während der Zwischenwahl 2014 – der Ausgang der vielen sozial- und gesellschaftspolitischen Referenden, die parallel stattfanden, unterstreicht.
Rechter Autoritarismus wird die «Programmatik» Trumps bestimmen
Zu sagen, dass die Trump-Wahl der Brexit-Moment des neoliberal-imperialen Machtblocks ist, heißt jedoch nicht, dass Donald Trump keine Machtbasis hat oder haben wird. Ihm fehlt zwar letztlich die Basis, um seine Antifreihandels- und Antiimperialpolitik, die ja – im Kampf gegen den «IS», wo er auch vor dem Gebrauch vor Nuklearwaffen nicht zurückschreckt – auch nicht ungebrochen ist, umzusetzen. Es wird mit Trump weder einen Austritt aus dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA noch aus den Strukturen der NATO geben. Trumps politisches Ziel bestand in Donald Trump. Im Gegensatz zu früheren globalisierungs- und «isolationistischen» Paläokonservativen wie dem mehrfachen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Patrick J. Buchanan, der dem global konkurrenzunfähigen Kleinbürgertum und dem binnenorientierten Kapital eine Stimme gab, waren diese eher «linken» Programmpunkte kaum mehr als Wahlkampfrhetorik und taktischer Natur, weil die USA freihandels- und kriegsmüde sind. Entsprechend werden die nun laufenden Bemühungen seitens der republikanischen Parteielite, zu Trump zurückzurudern, seine Unterstützung aus Teilen der Staatsapparate und die Bemühungen der politischen Herrschaftsklasse im Inland wie im Ausland, Trump nun als demokratisch gewählten Präsidenten die Legitimität zuzusprechen und sich um «vertrauensvolle Zusammenarbeit» zu bemühen, letzten Endes wohl erfolgreich sein. Der Narzisst Trump wollte das höchste Staatsamt der Welt im Grunde für die Verwirklichung seiner Geltungssucht und wird sich leicht einhegen und einfangen lassen und schon jetzt hört man aus seinen Reden ja den unbedingten Willen heraus, als großer Staatsmann von den Eliten anerkannt zu werden.
Entsprechend wird Trumps Präsidentschaft die schlimmsten Seiten seines und des Programms von Clinton im Grunde vereinen: Er wird am Ende – bei allen Turbulenzen und auch Unberechenbarkeiten – nach innen eine neoliberale Wirtschaftspolitik gegen die Gewerkschaften und mit Steuersenkungen für Reiche wie sich selbst verfolgen und nach außen, kaum weniger als Clinton es gewesen wäre, ein – aus Sicht der ökonomisch Herrschenden – verlässlicher Vertreter des Empire sein, dessen Zweck darin besteht, die Globalisierung des Kapitalismus weltweit durchzusetzen und aufrechtzuerhalten und die Widersprüche dieser Politik (auch) kriegerisch unter Kontrolle zu halten. Indes wird von seiner «Programmatik» vor allem der rechte Autoritarismus bestimmend sein – als gesellschaftspolitischer Rollback gegen Errungenschaften des Feminismus, gegen die zarten Versuche Obamas in Richtung einer Energiewende usw. usf. Zugleich wird er seiner Basis entgegenkommen und wenigstens teilweise seine nationalistischen und einwanderungsfeindlichen Versprechen einzulösen versuchen müssen. Dazu gehört auch sein Versprechen etwa, die 12 Millionen undokumentierten Arbeiterinnen und Arbeiter lateinamerikanischer Herkunft, «zusammenzutreiben» und zu deportieren. Gleichwohl wird er hier auf den Widerstand insbesondere des Kapitals stoßen, da die Agrarkonzerne und auch die Immobilienbranche auf diese überausbeutbaren Arbeitskräfte nicht verzichten kann und nicht verzichten werden will. Hier wird es – ähnlich wie mit der illusionären Totalabschottung gegenüber Mexiko – am Ende wohl vor allem zu (dadurch aber nicht minder gefährlicher) Symbolpolitik kommen.
Kritik an Neoliberalismus und neuem Imperialismus wird Auftrieb bekommen
Die Linke in den USA wird sich im Widerstand gegen Trump neu sortieren. Es wird sich eine Situation wiederholen wie sie schon nach 2000 unter George W. Bush existierte, als – mit dem offenen reaktionären Charakter der neuen Regierung – die Kritik an Neoliberalismus und neuem Imperialismus Auftrieb erlangte. Die Risse zwischen dem neoliberal-imperialen Demokraten-Establishment, das mit Clinton eine krachende Niederlage erlitten hat, und der antineoliberalen Linken, die mit Sanders den beliebtesten Politiker der USA jetzt als Quasi-Oppositionsführer im Senat hat, werden sich in dem Maße vertiefen, wie das Demokraten-Establishment jetzt einschließlich der «linken» Ikone Elizabeth Warren auf Trump zugeht und auf technokratische Aushandlungsprozesse in einem parlamentarischen System, in das die Massen kein Vertrauen mehr haben, setzt – und zwar mit einem Mann, den dieses Establishment vor Kurzem im Wahlkampf noch (und ja tatsächlich nicht grundlos) als «Faschisten» und Ausgeburt des Bösen bekämpfte. Eine Erneuerung der Partei von oben steht nicht zu erwarten; wenn sie käme, würde sie durch die Mobilisierung sozialen Drucks an der Basis und im Widerstand gegen die Trump-Präsidentschaft entstehen.