Steigende Mieten in den Ballungsräumen, familiäre Bindungen, Naturverbundenheit – aus ganz unterschiedlichen Gründen leben heute Menschen in ländlichen Räumen. Dabei gilt: je ländlicher der Wohnort, desto mehr Kilometer legen die dort lebenden Menschen im Schnitt für ihre Alltagswege zurück (Nobis/Kuhnimhof 2018, 48). Während in ländlichen Regionen bis zu 70 Prozent aller Wege mit dem Auto zurückgelegt werden, sind es in den Metropolen nur 38 Prozent (ebd., 47). Solange ein Pkw zur Verfügung steht und selbst gefahren werden kann, können die meisten Menschen auch in ländlichen Räumen wichtige Einrichtungen wie Supermärkte, Schulen oder medizinische Versorgungseinrichtungen innerhalb von 15 bis 20 Minuten erreichen (vgl. u. a. Neumeier 2017 u. 2018). Personen ohne Pkw haben allerdings einen deutlich kleineren Aktionsraum und legen in ländlichen Regionen nur halb so viele Kilometer pro Tag zurück wie Personen mit Pkw. In Großstädten liegt dieser Unterschied nur bei etwa einem Viertel (Nobis/Kuhnimhof 2018, 48) - dort befinden sich schlichtweg mehr Ziele in einer fuß- und fahrradgeeigneten Entfernung von fünf Kilometern.
Immer längere Wege für die gleichen Bedürfnisse
Wie Holz-Rau und Scheiner (2019) zeigen, war dies in Deutschland nicht immer so – aber die Zeit lässt sich nicht einfach durch politisch-planerische Maßnahmen zurückdrehen. In den vergangenen Jahrzehnten sind in Deutschland die Gesamtwegelängen pro Kopf und Tag stark gestiegen, während die Gesamtreisezeiten relativ konstant blieben (vgl. ebd., 127 f.). Dabei haben im Zeitraum 1976 bis 2008 die Wegelängen vor allem in kleinen Gemeinden stark zugenommen, in Großstädten hingegen nicht (ebd., 131). Die Ursachen dafür sind vielfältig und reichen von gestiegenen Einkommen über Arbeitsmarktveränderungen (gestiegene Bildungsabschlüsse, Spezialisierung, unsichere Arbeitsverträge) bis hin zu gleichberechtigteren Geschlechterverhältnissen und einer zunehmenden Digitalisierung und Virtualisierung (ebd.). Auch die Zentralisierung von Schulen und anderen Einrichtungen sowie der Rückgang kleiner, dezentraler Geschäfte haben in den letzten Jahrzehnten zu immer längeren Wegelängen beigetragen. Dabei ist wichtig, neben dem Nahverkehr auch Wege über 50 Kilometer mit zu betrachten, da diese besonders klimaschutzrelevant sind. Hier zeigt sich, dass es vor allem Personen mit höherem Einkommen und Bildungsabschluss sowie Großstadtbewohnerinnen und -bewohner sind, die zum Fernverkehrswachstum beitragen (Holz-Rau/Sicks 2013, 27).
Kostenwahrheit und Dezentralität
Bei der Verkehrswende geht es darum, das Verkehrssystem und die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass bereits innerhalb weniger Jahre ressourcen- und emissionsintensiver Verkehr unattraktiver wird als ressourcen- und emissionssparsame Varianten. Ganz konkret heißt das: Wir brauchen mehr Kostenwahrheit im Verkehr, sodass die volkswirtschaftlichen Kosten durch fossile Verbrennung (also insbesondere Umwelt- und Gesundheitsschäden) bereits beim Fahrzeug- und Kraftstoffkauf offenkundig werden. Dies betrifft vor allem die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Pkw-Produktion und -Nutzung. So begünstigt die aktuell beschlossene CO2-Steuer ausgerechnet Fernpendler und einkommensstarke Haushalte (vgl. Holz-Rau 2019), während sozial gerechtere und zugleich auch wirksamere Ansätze noch zu wenig Beachtung finden, wie zum Beispiel ein Bonus-Malus-System, das den Kauf leichter und verbrauchsarmer Fahrzeuge belohnt durch Einnahmen aus Strafzahlungen beim Kauf schwerer und verbrauchsstarker Fahrzeuge (u. a. Elmer 2018). Auch eine Reform des Dienstwagenprivilegs könnte nach diesem Muster für eine vergleichsweise schnelle Veränderung der Neuwagenflotte sorgen. Zudem müssen die Wege der Menschen (und der konsumierten Waren) wieder kürzer werden, vor allem in den industrialisierten Ländern. Ein wichtiger Ansatz ist hier Dezentralität. Deutschland hat dabei mit dem lange verfolgten Planungsleitbild der „dezentralen Konzentration“ grundsätzlich gute Voraussetzungen, die es zu erhalten und zum Teil wiederherzustellen gilt. Dafür müssen die Verkehrsangebote und die Versorgungsstandorte gemeinsam betrachtet und eng aufeinander abgestimmt werden (vgl. Rittmeier et al. 2018). Einzelne Maßnahmen für Dezentralität sind dann beispielsweise Direktvermarktung und Dorfläden,[1] mobile Dienstleistungen wie der Medibus[2] sowie die Förderung von Homeoffice und Co-Working-Räumen[3].