Seit Oktober 2017 hat die AfD im Bundestag Gelegenheit, diese programmatischen Vorstellungen auch umzusetzen. Drei Ansätze sind dabei bisher dominierend: Erstens versucht die Fraktion, ihren antimuslimischen Rassismus als aktive Politik für den Schutz und die Rechte von Frauen zu verkleiden. Zweitens wird jede Form der systematischen Benachteiligung von Frauen von der AfD bezweifelt und alle Maßnahmen dagegen als Ausdruck der »Gender-Ideologie« diffamiert. Drittens arbeitet die AfD-Fraktion mit Anfragen, die ihre familienpolitischen Vorstellungen bestätigen sollen.
In Berlin organisierte sie zwei »Frauenmärsche«, auf denen Gewalt gegen Frauen und die Missachtung von Frauenrechten durch Muslime in Deutschland thematisiert wurden. Die Proteste gegen die erste dieser Demonstrationen nahm die Bundestagsfraktion der AfD zum Anlass für eine Aktuelle Stunde unter dem Titel »Freiheit und Gleichheit von Frauen stärken – Grundgesetz statt Parallelgesellschaft.« Die Abgeordnete Nicole Höchst nutzte zudem den mutmaßlichen Mord eines minderjährigen afghanischen Flüchtlings an seiner 15-jährigen Freundin in Kandel, um abermals den antimuslimischen Rassismus der AfD so zu präsentieren, als diene er dem Schutz der Rechte von Frauen. Die »Islamisierung Europas« sei verantwortlich dafür, dass Frauen schleichend und politisch unwidersprochen ihrer Grundrechte beraubt würden, wofür unter anderem das »Meinungskartell der Erziehungspresse« Verantwortung trage (Deutscher Bundestag 2018a, 585ff ). Der Abgeordnete Gottfried Curio argumentierte bei anderer Gelegenheit ähnlich:
»Wenn jetzt wegen verfehlter Zuwanderungspolitik unsere Frauen bald einer Mehrheit von jungen Männern aus archaischen, frauenfeindlichen Gesellschaften gegenüberstehen: Sollen Frauen dann erstauf kurze Röcke verzichten, dann besser ihre Haare mit einem Kopftuch verhüllen, um am Ende in einer Burka eingesperrt herumlaufen zu müssen? Sollen angstfreie Räume Mangelware werden und abendliches Joggen eine Mutprobe? Dahin darf es nicht kommen.« (Deutscher Bundestag 2018b, 1112)
In der Debatte zum Internationalen Frauentag wandte sich Nicole Höchst vehement gegen einen angeblichen »Gleichstellungstotalitarismus«, der mittels Quote und anderen Förderungen das »Ansehen Millionen freier, selbstbestimmter Frauen« zerstöre.Jede Form struktureller Benachteiligung von Frauen wurde von Höchst bestritten – »Die strukturelle Benachteiligung von Frauen gleicht einem Yeti: Jeder spricht darüber, aber noch niemand hat ihn ernsthaft gesehen.« (Deutscher Bundestag 2018c, 1387) –, um danach die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Islam als die eigentliche Gefährdung der Frauen in Deutschland darzustellen:
»Sie liefern uns aus der Geschlechtertrennung und der systematischen, strukturell in dieser sogenannten Religion angelegten Benachteiligung von Frauen. Sie hinterlassen unseren Töchtern und Enkelinnen einen islamisierten Bundesstaat Deutschland in einem zentral regierten islamischen Europa.« (Ebd.)
Marc Jongen, einer der ideologischen Vordenker der AfD-Bundestagsfraktion, klagte, mit dem »Gender-Mainstreaming« werde der »Geschlechterkampf in unseren Bildungseinrichtungen und Behörden staatlich verordnet auf Dauer gestellt. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern wurde damit einer permanenten unterschwelligen Vergiftung ausgesetzt.« Dahinter sieht er eine »Gesinnungsdiktatur von allmählich Orwellschen Ausmaßen« (Deutscher Bundestag 2018d, 985).
Die AfD nutzt vor allem das Instrument der Kleinen Anfragen, um ihre Ansichten zu demografischen Entwicklungen kundzutun. So fragte die Fraktion beispielsweise nach Möglichkeiten der »Steigerung der Geburtenrate in Deutschland mithilfe von familienpolitischen Maßnahmen« (Deutscher Bundestag 2018e). »Es werden zu wenig deutsche Kinder geboren« (ebd.), heißt es dort unmissverständlich. In einer Anfrage zu »Langzeitauswirkungen und Folgen der frühen Fremdbetreuung von Kindern« (Deutscher Bundestag 2018f) wird gleich das dazu passende Familien- und Rollenbild mitgeliefert:
»Eine der Gefahren für die Kinder [...] besteht darin, dass die Krippenbetreuung, wenn sie zu früh, zu oft und zu lange in Anspruch genommen wird, die mütterliche Empfindsamkeit schwächen kann – oder gar verhindert, dass sie sich überhaupt entwickelt. Letzteres passierte vor allem bei den Müttern, bei denen die Bindung zu ihrem Kind schon vorher schwach gewesen war.« (Ebd.)
Anknüpfungspunkte im Alltag
Trotz ihres offensichtlich reaktionären Charakters knüpft die AfD auch im Bereich der Familien- und Geschlechterpolitik an reale Bedürfnisse und Probleme an, fürdie die Partei mit ihren Positionen vermeintlich Lösungen bietet. So erscheint der allumfassende Anspruch des neoliberalen Kapitalismus an die Individuen, jederzeit deren Arbeitsleistung abrufen zu können, nicht immer und unbedingt als Chance zur Selbstverwirklichung und Emanzipation, sondern bedeutet gerade für Frauen häufig ausufernde Doppelbelastungen im Rahmen einer patriarchalen Arbeitsteilung, die Frauen nach wie vor den größeren Teil der Reproduktionsarbeit aufbürdet. Mit dem Zauberwort der »Wahlfreiheit« versucht die AfD hier auf vorhandene Wünsche nach einem – zumindest temporären – Ausstieg aus der ständigen Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt einzugehen. Die von der Partei favorisierte Rückkehr zu traditionellen Familienformen wird als entlastende Alternative zur angeblich einseitigen Propagierung von Emanzipationsmodellen präsentiert. Familie- und Sorgearbeit soll aufgewertet werden, jedoch in erster Linie dadurch, dass Frauen der »Rückzugsraum Familie« geboten wird. Forderungen, die Familienarbeit zwischen den Geschlechtern gerechter zu verteilen oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser zu unterstützen, werden von der AfD – trotz des oben zitierten Anspruchs der Fraktionsvorsitzenden – bisher nicht erhoben oder strikt abgelehnt. Im Grundsatzprogramm (AfD 2017b, 41) spricht sich die Partei gegen die Einmischung des Staates in Fragen der Kindererziehung aus:
»Die zunehmende Übernahme der Erziehungsaufgabe durch staatliche Institutionen wie Krippen und Ganztagsschulen, die Umsetzung des ›Gender-Mainstreaming‹-Projekts und die generelle Betonung der Individualität untergraben die Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit. Die Wirtschaft will Frauen als Arbeitskraft. Ein falsch verstandener Feminismus schätzt einseitig Frauen im Erwerbsleben, nicht aber Frauen, die ›nur‹ Mutter und Hausfrau sind. Diese erfahren häufig geringere Anerkennung und werden finanziell benachteiligt.«
Die Verbrämung ihres antimuslimischen Rassismus als Schutz von Frauen vor den Gefahren eines machistischen Islamismus kann ebenfalls an reale Erfahrungen mit patriarchaler Gewalt anknüpfen, die als »von außen« kommend imaginiert wird (vgl. Wischnewski in diesem Heft), sowie an Konflikte und Probleme einer weitgehend segregierten Einwanderungsgesellschaft. Spätestens seit den Silvesterereignissen in Köln 2015/16 stößt der Bedrohungsdiskurs der AfD auch in den Medien und einer breiteren Öffentlichkeit auf erhebliche Resonanz. Gewalttaten gegen junge Frauen, bei denen Geflüchtete die Täter waren, wie zum Beispiel die Morde in Freiburg und Kandel, haben diesen Trend, von einer ganz spezifischen Form der Bedrohung durch muslimische Männer auszugehen, noch verstärkt. Mit den oben erwähnten »Frauenmärschen« versucht die AfD, diese Stimmungen für sich auszunutzen und sich als eigentliche Garantin von Emanzipation und Frauenrechten aufzuspielen.
Schließlich knüpft die Partei mit ihren Positionen im Bereich der Familien- und Geschlechterpolitik an zentrale Verunsicherungen ihrer Hauptwählergruppe an: männliche Facharbeiter der mittleren Jahrgänge. Zu den sozialökonomischen Verunsicherungen kommen bei dieser Gruppe noch Irritationen hinsichtlich des eigenen Rollenverständnisses hinzu. Das Familienalleinernährer-Modell trägt schon länger nicht mehr, darüber hinaus findet eine Entwertung ihrer beruflichen Qualifikationen statt. Ein Teil der männlichen Wähler der AfD interpretiert dies als weiteren Angriff auf ihr eigenes Selbstverständnis. Die AfD vertritt hier vermeintlich klare Rollenmuster, die diesen Verunsicherungen entgegenwirken sollen und einen Teil der Attraktivität der Partei für ihre überwiegend männliche Anhängerschaft ausmachen.
Alternativen von links?
Obwohl die AfD also an reale Lebenserfahrungen anknüpft, arbeitet sie gleichzeitig an einer autoritären und rassistischen Deutung der Wirklichkeit, mit der sie den öffentlichen Diskurs gezielt nach rechts verschiebt. So taucht Gewalt gegen Frauen bei der AfD nur als Gewalt muslimischer Männer auf, die Antwort auf Zumutungen und Überforderungen der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse vonseiten der AfD lautet: Rückkehr zu tradierten Rollenmustern anstatt gesellschaftspolitische Alternativen.
Genau hier müssen ein linker Feminismus und linke Familienpolitik (vgl. Steckner in diesem Heft) ansetzen. Während die Rechte die gesellschaftspolitischen (Herrschafts-)Verhältnisse im Prinzip unangetastet lassen will, muss die Linke solidarische und inklusive Alternativen aufzeigen. Sie muss versuchen, die genannten Alltagserfahrungen der Menschen aufzugreifen, diese aber in einem progressiven Sinne interpretieren. Für die Entwicklung solidarischer Alternativen bedarf es eines Zugangs, der die gemeinsamen Erfahrungen der Subalternen in den Mittelpunkt stellt und damit individuelle und gesellschaftspolitische Emanzipationsvorstellungen zusammenbringt. Hier liegt eine Aufgabe von linkem Feminismus und der Linken generell.