Der Begriff »kalifornische Ideologie« feiert dieses Jahr seinen 20. Geburtstag. Die Medientheoretiker Richard Barbrook and Andy Cameron kritisierten 1995 in ihrem Aufsatz The Californian Ideology die »Verschmelzung der kulturellen Boheme aus San Francisco« mit den »Hightech-Industrien des Silicon Valley« zu einem radikalen »Dot.com-Neoliberalismus«. Im Fokus ihrer Kritik stand das ambivalente Freiheitsversprechen dieser Bewegung. Der Text erschien während des ersten digitalen Booms in der Bay Area, wo das Silicon Valley liegt. Die Firmen, die wir inzwischen damit assoziieren, steckten damals noch in den Kinderschuhen, so es sie überhaupt schon gab. Was bis heute unverändert ist, ist ein grundlegender Technikdeterminismus, der Glaube daran, dass die Apps, Programme und Gadgets, die diese Firmen verkaufen, die Welt quasi von allein besser machen (vgl. Morozov in diesem Heft). Diese Überzeugung wurde auch nicht erschüttert, als Ende des 20. Jahrhunderts die Dot.Com-Blase platzte.
Die Gründer und CEOs aus dem Silicon Valley sowie ihre Propagandisten wollen nichts weniger, als die Welt zu verändern, und sehen sich als Speerspitze einer solchen Bewegung. So kündigt etwa Rachel Botsman in ihrem viel beachteten Buch What’s Mine is Yours das Ende aller gesellschaftlichen Probleme an. Die ehemalige Managerin und Unternehmensberaterin hat es sich Aufgabe gemacht, die Idee des collaborative consumption (gemeinschaftlicher Konsum) in die Welt zu tragen. Der bekannte Io-Programmierer Steve Dekorte hat den Rechtsstreit, den Uber in den USA führt, bereits mit der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung verglichen. In einem Tweet schrieb er: »Ja, Uber hat das Gesetz missachtet. Genau das Gleiche hat auch [die afroamerikanische Bürgerrechtlerin] Rosa Parks getan.« Einen ähnlichen Ton schlägt Brian Chesky, Mitgründer und CEO von Airbnb, an. Im Februar 2015 twitterte er: »Gandhi ist während seines Salzmarschs in Häusern untergekommen. Glücklicherweise gab es damals keine Regierung, die einen Mindestaufenthalt von 30 Tagen festgelegt hatte.« Chesky bezog sich auf eine neue Regelung in New York, die bezweckt, die Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen einzudämmen. Als Vergleiche müssen mindestens Ikonen des politischen Widerstands herhalten, darunter machen es kalifornische Ideologen nicht.
Es ist wichtig zu wissen, dass die »kalifornische Ideologie« ein Erbe der USamerikanischen Hippie-Bewegung ist, die genau wie Teile der antiautoritären deutschen Linken in den 1960er und 1970er Jahren das konventionelle Leben ihrer Eltern verteufelte. Der damals prägende Wunsch nach Selbstverwirklichung ist heute nicht nur Bestandteil linker Gegenentwürfe, sondern ist weit in den neoliberalen Mainstream eingewandert.
Die Hippies hatten schon damals nur wenig mit linker Praxis zu tun. Nach den Protesten gegen den Vietnamkrieg spaltete sich die damalige Gegenkultur in den USA in zwei maßgebliche Strömungen. Die eine war die New Left, die der neuen Linken in der Bundesrepublik ähnelte, die andere waren die Hippies, die sich nicht nur von der Politik abwandten, sondern glaubten, eben diese sei die Ursache allen Übels. Sie zogen sich in Kommunen zurück und dachten, die Welt zu verändern, indem sie ›eins‹ mit ihr wurden. Verkürzt gesprochen war ihr erstes Mittel der Wahl das LSD, das zweite der Computer. Im Gegensatz zur New Left, die technologische Entwicklungen in erster Linie als Machtinstrumente des Staats betrachteten und diesen skeptisch gegenüberstanden, glaubten die Hippies, darin ihr Mittel zur Heilung der Menschheit gefunden zu haben.
Fred Turner, Professor an der Stanford University, hat in seinem Buch From Counterculture to Cyberculture die Verbindung zwischen Hippiekultur und dem Aufkommen der Arbeits- und Lebenskulturen der New Economy eindrücklich dargestellt. In einem Interview sagte er: »Der Traum der ›New Communalists‹ war es, eine Welt zu schaffen, die das Gegenstück zur industriellen, bürokratischen Welt der fünfziger und sechziger Jahre ist. Leben und Arbeit waren damals getrennt, man ging einer Arbeit nach, mit der man sich in aller Regel nicht identifizieren konnte. Man verlieh seinen Körper an eine Firma und fühlte sich fremdbestimmt, wie eine Maschine. Im Kommuneleben sollten Körper und Geist, Leben und Arbeit, Familienleben und Produktionsstätte eine Einheit bilden.
Der Kapitalismus, in dem wir heute leben und nicht mehr formell gekleidet zur Arbeit gehen, in dem die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit immer fließender werden, ist ein Erbe dieser Kommunenträume. Das ist einerseits sehr befreiend, aber andererseits sperrt es uns auch ein, weil die Arbeit nie endet.«2