Der sich abzeichnende Erfolg rechtspopulistischer Parteien bei den Europawahlen im Mai 2014 bringt Dynamik in die politischen Allianzen der europäischen Rechten: Am 13. November 2013 verkündeten Geert Wilders von der niederländischen Partij voor de Vrijheid und Marine Le Pen vom französischen Front National, sie würden im Bündnis mit anderen rechten Parteien zu den Europawahlen antreten. Ziel sei es, eine neue Fraktion im Europa Parlament (EP) zu gründen, wofür 25 Abgeordnete aus sieben Mitgliedsstaaten nötig sind.
Diese neue Allianz ist das Ergebnis jüngster Entwicklungen. Erstens haben die Finanzkrise seit 2007, die Folgen der umstrittenen Euro-Rettungspolitik und die im Schnellverfahren durchgedrückte Vertiefung der EU-Integration (Vertrag von Lissabon, Europäische Finanzstabilisierungsfazilität/ EFSF, Europäischer Stabilitätsmechanismus/ ESM, die Memoranden, Fiskalpakt, Gesetzgebungen zum Stabilitäts- und Wachstumspaket, Europäisches Semester und Bankenunion) zu einer politischen Verunsicherung in vielen Mitgliedsstaaten geführt. Rechte Parteien können mit ihrer Rhetorik gegen »europäische Eliten«, Einwanderer und Minderheiten in dieser Situation punkten. Zweitens führt die verstärkte Integration der EU dazu, dass auch die radikale Rechte ihre Kräfte europäisch bündelt. Im Kampf für eine Auflösung der EU zugunsten souveräner Nationalstaaten begibt sie sich in widersprüchliche Bündnisse: »Europäische Nationalisten müssen darauf vorbereitet sein, auf kontinent-weiten Wahllisten zu kandidieren«, schreibt die British National Party (BNP), wenngleich natürlich »wahre Nationalisten gegen ein solches System« (BNP 2014) seien. Drittens beschränkt sich rechtspopulistische Politik nicht auf Parteien am sogenannten rechten Rand. Der sozialchauvinistische Diskurs in der Bundesrepublik, in dem Einwanderer als »Sozialtouristen« (Günter Krings/CDU) bezeichnet werden, deren Fingerabdrücke es zu speichern gelte (Elmar Brok/CDU) und in dem der »eurokratische Wahnsinn« einen »Selbstbedienungsladen Deutschland in Europa« (Andreas Scheuer/ CSU) eröffnen wolle, zeigt dies ebenso wie die völkisch-autoritäre Politik der Fidesz in Ungarn oder die Rehabilitierung der faschistischen Vergangenheit in Italien durch Berlusconi und dessen Rechtskoalitionen.
Wahlen zum Parlament der Nationalisten?
Wird es also tatsächlich einen coup de parlament geben, bei dem die Feinde der europäischen Einigung das EP übernehmen? So weit wird es voraussichtlich nicht kommen. Sollten sich die Umfragen bestätigen, wird das radikal rechte Lager aber in einigen Ländern größere Zuwächse bekommen. Die FPÖ könnte beispielsweise stärkste Partei in Österreich werden. In Frankreich erhielte der Front National (FN) bei geschätzten 20 Prozent 18 Mandate – ein Plus von 15 Sitzen. Kein Wunder, dass Marine Le Pen für Geert Wilders auf einmal eine attraktive politische Partnerin ist. Dessen Partij voor de Vrijheid (PVV) erhielte mit geschätzten 17 Prozent fünf Mandate; kein Gewinn gegenüber 2009. Die britische UKIP mit ihrem inzwischen europaweit bekannten Sprachrohr Nigel Farage kommt möglicherweise auf bis zu 27 Prozent, was ungefähr 21 Sitzen entspricht, also plus acht. Und die ungarische Jobbik legte zuletzt auf über 20 Prozent zu (ca. vier Mandate).
Neu hineinkommen könnten den Wahlumfragen zufolge die Schwedendemokraten (ca. 9 Prozent; zwei Mandate), die griechische Goldene Morgenröte (ca. 10 bis 14 Prozent; zwei bis drei Mandate) und – da die 5-Prozent-Hürde wegfällt – auch die NPD (zuletzt 1,3 Prozent; ein Mandat). Auch die tschechische Partei Úsvit přímé demokracie (Dämmerung der direkten Demokratie) mit ihrem Anführer Tomio Okamura, die bei den Parlamentswahlen 2013 mit romafeindlichen Parolen knapp sieben Prozent der Stimmen holte, könnte zum ersten Mal ins EP einziehen (ca. 6 Prozent; ein Mandat).
Prognosen für die Wahren Finnen (ca. 19 Prozent; drei Mandate), die bulgarische Ataka (ca. 4 Prozent; ein Mandat) und die Dänische Volkspartei (ca. 23 Prozent; drei Mandate) sagen gleichbleibende Stärke voraus. Vlaams Belang (ca. 5 Prozent; ein Mandat) könnte einen Sitz verlieren. Schlecht sieht es für die slowakische SNS und die Lega Nord (bisher zwei bzw. zehn Mandate) aus, die unter die Vier-Prozent-Hürde rutschen und den Wiedereinzug ins EP verpassen könnten. Großrumänienpartei und BNP (bisher jeweils zwei Abgeordnete) werden wohl draußen bleiben.
Drei rechte Bündnisse in Konkurrenz
So viel zu den Umfragen und Zahlenspielen – politisch interessant ist die damit einhergehende Konstellation möglicher Allianzen. Denn wachsende Prozentpunkte übersetzen sich nicht automatisch in stabile Bündnisse, das rechte Lager ist in sich gespalten.
Es gruppiert sich derzeit um drei offizielle europäische Parteien und die noch bestehende Fraktion im EP. Die jüngste der drei Europaparteien, die erst 2012 gegründete Bewegung für ein Europa der Freiheiten und der Demokratie (MELD), ist weitgehend deckungsgleich mit der aktuell bestehenden EU-Parlamentsfraktion Europa der Freiheit und Demokratie (EFD). Daneben gibt es die 2010 entstandene Europäische Allianz für Freiheit (EAF), das Bündnis von Le Pen und Wilders. Schließlich mischt noch die 2009 gegründete Allianz der Europäischen Nationalen Bewegungen (AENM) mit, bei der es sich um die radikalste der rechtsextremen Europaparteien handelt. Einerseits grenzen sich die Gruppen voneinander ab, wobei wichtige Streitpunkte der Extremismus der anderen und das Verhältnis zum Antisemitismus sind. Gleichzeitig sind die ideologischen Übergänge fließend und Wechsel von Parteien und Einzelpersonen von einem Bündnis ins andere häufig. Fest steht, dass das Bündnis von Marine Le Pen und Geert Wilders nicht konkurrenzlos die europäische Rechte repräsentiert.
An der Gründung der AENM als radikalster der drei Formationen wirkten 2009 auch prominente Figuren des offen antisemitischen Flügels des FN mit (z.B. der ehemalige Vorsitzende Jean-Marie Le Pen). Teil dieser Kooperation sind außerdem klassisch antisemitische Parteien wie die BNP, Jobbik und Fiamma Tricolore aus Italien. Die ukrainische Svoboda wurde 2013 ausgeschlossen. Die AENM hält die EU für eine »heimtückische kommunistische Intrige« (BNP TV 2014). Sie habe Pläne »für einen Völkermord an der weißen europäischen Rasse« (AENM 2013). Zudem pflegen die AENM-Parteien gute Kontakte zu Neonazis wie der deutschen NPD und der Goldenen Morgenröte aus Griechenland.
In der MELD sind die meisten Parteien und unabhängigen Abgeordneten der EUParlamentsfraktion EFD organisiert. Nur UKIP, als dominierende Kraft in der EFD-Fraktion, ist an der MELD nicht beteiligt. Zu stark ist ihr Selbstverständnis gegen jegliche EU-Strukturen gerichtet. Die EFD-Fraktion ist ein reiner Zweckzusammenschluss, bei Abstimmungen im EP liegt die inhaltliche Übereinstimmung unter 50 Prozent (vgl. Votewatch EU 2014). Es ist deshalb fraglich, ob die Fraktion nach der Europawahl fortbesteht. Einigen Mitgliedern wird der Wiedereinzug nicht gelingen, andere, wie Lega Nord und SNS haben sich dem Bündnis um Le Pen und Wilders angeschlossenen. Damit brechen der UKIP wichtige Partner für einen Erhalt der EFD-Fraktion weg, und die Briten laufen Gefahr, in der kommenden Legislatur ohne eigene Fraktion dazustehen. Der heutige EFD-Fraktionsvorsitzende Nigel Farage könnte dann in Plenarsitzungen nicht mehr an prominenter Stelle dem Kommissions- oder Ratspräsidenten antworten, was UKIP bisher ein breites Medienecho eingetragen hat. Möglicherweise könnten neue Parteien wie die des Tschechen Okamura oder Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung aus Italien Farages Zukunf retten.
Die vom FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache als »patriotische Freiheitsparteien« titulierten EAF-Mitglieder um Le Pen und Wilders scheinen hingegen gute Chancen auf eine Fraktionsgründung zu haben. Das Bündnis basiert auf der strategischen Vorarbeit von Le Pen sowie von Europaabgeordneten der FPÖ (Andreas Mölzer, Franz Obermayr) und des Vlaams Belang (Philip Clays) seit 2010. Auch der UKIP-Abgeordnete Goodfrey Bloom sowie Kent Ekeroth von den Schwedendemokraten wirkten daran mit. FPÖ, Vlaams Belang und FN waren bereits an der 2007 gescheiterten Fraktion Identität, Tradition und Souveränität (ITS) beteiligt und sind derzeit fraktionslos, weil sie den EFD/ MELD-Parteien (noch) als zu radikal erscheinen. Die an der EAF beteiligten Europaabgeordneten zogen aus dem Scheitern der ITS-Fraktion ihre Schlüsse: Es dürfen sich nur Parteien an der EAF beteiligen, deren Konfliktpotenzial untereinander gering ist (Krisztina Morvai von Jobbik wurde beispielsweise auf Betreiben der FPÖ als Mitglied abgelehnt). Über den gemeinsamen Anti-EU-Kurs hinaus gibt es möglichst wenig inhaltliche Festlegungen. Und das Bündnis wird zunächst nicht von den Parteien und ihren Apparaten aufgebaut, sondern von einzelnen Europaabgeordneten, die sich gut kennen und regelmäßig sehen. Bloom schrieb dazu: »Keiner von uns repräsentiert seine jeweilige Partei oder kommt mit kulturellem oder sozialem Gepäck. Dies hat die meisten Gründe für Uneinigkeit beseitigt«. (Bloom 2012) Erst als diese Art der Zusammenarbeit ein paar Jahre reibungslos funktionierte und feststand, dass die jeweiligen Parteien zur Europawahl 2014 tatsächlich mit Stimmzuwächsen rechnen konnten, schloss sich Geert Wilders mit seiner PVV an.
Der neu entstandene Zusammenschluss versucht mit einer strategischen Diskursverschiebung aus der rechten ›Schmuddelecke‹ herauszukommen und anschlussfähiger zu werden: In einem von der EAF im Dezember 2013 vorgestellten Manifest zur Europawahl (EAF 2013) wird betont, es gehe in der Politik nicht mehr um »links und rechts«, sondern um »falsch oder richtig«. Richtig ist es in den Augen der EAF, die »Souveränität jener Nationen Europas, die durch den Zentralismus der Europäischen Union und die sogenannte Globalisierung immer mehr ausgehöhlt wurde«, wiederherzustellen. Sie übt Kritik an einem »EU-Establishment, das die Fundamente der Gesellschaften und Familien in der EU bedroht«, und warnt vor dem »Aufstieg radikalislamistischer Tendenzen« und »Masseneinwanderung«. Nationalstaaten müssten das Asyl- und Einwanderungsrecht selbst gestalten dürfen. Zudem will die EAF eine geregelte Auflösung der Eurozone ermöglichen, nationale Volksentscheide einführen und die Jugendarbeitslosigkeit jeweils national bekämpfen.
Sie versucht sich – ähnlich wie beispielsweise der FN auf nationaler Ebene – an einer Strategie der »Entdämonisierung« (The Economist 2012), in der sich die EAF als seriöses Politikangebot präsentiert.
Partnersuche der EAF: Wer spielt mit den Schmuddelkindern?
Theoretisch hat das Bündnis die benötigten sieben Partner für eine Fraktionsgründung zusammen: PVV, FN, FPÖ und Vlaams Belang sind sicher dabei. Die Schwedendemokraten wollen sich erst nach den schwedischen Parlamentswahlen anschließen, obwohl die Parteijugend bereits einen gemeinsamen Jugendverband mit FPÖ, FN und Vlaams Belang gegründet hat: die Young European Alliance for Hope (YEAH). SNS und Lega Nord haben zwar ihre Mitarbeit zugesagt, verpassen jedoch vielleicht den Wiedereinzug ins EP. Die Annäherungsversuche der EAF gegenüber der Dänischen Volkspartei und der UKIP blieben ohne Erfolg. Die dänischen Rechtspopulisten – in deren Parteiprogramm es heißt, sie könnten keine »multiethnische Gesellschaft« in Dänemark akzeptieren, denn »Dänemark gehört den Dänen« – lehnten die Zusammenarbeit mit »Rechtsextremisten« wie dem FN ab und zeigten sich enttäuscht, dass ihre Schwesterpartei, die Schwedendemokraten, sich an dem Bündnis beteiligt (Politiken vom 18.11.2013).
2010 veröffentlichte die EAF eine Studie, die zeigen sollte, wie groß die Abstimmungsübereinstimmung zwischen EAF- und UKIP-Abgeordneten im EP sei (vgl. Janssen 2013, 12). Nigel Farage antwortete nach dem Kooperationsangebot von Wilders und Le Pen im Dezember 2013 jedoch unverzüglich, mit dem Front National werde UKIP weder jetzt noch in Zukunft zusammenarbeiten, egal was Marine Le Pen anstelle. Der Antisemitismus sei zu tief in der Partei verankert (The Telegraph vom 15.11.103). Le Pen interpretierte Farages Haltung als wahltaktisches Manöver: Sollte UKIP die EFD nicht wieder aufbauen können, werde sie sich dem Bündnis schon noch anschließen (The Telgraph vom 9.1.2014).
Auch die neue deutsche Rechtspartei AfD (vgl. Wiegel in diesem Heft) erteilte der EAF eine Absage. Mit ihrem Spitzenkandidaten, dem ehemaligen BDI-Vorsitzenden Hans-Olaf Henkel, werden sich die deutschen Euro-Gegner wohl der Konservativen Partei Großbritanniens anschließen. Diese dominiert derzeit die nationalkonservative Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR). Die ECR, die im Mai 2014 um ihren Fraktionsstatus fürchten muss, ist sehr an der AfD interessiert. Henkel hielt dort mehrere Vorträge zur Auflösung der Euro-Zone. Doch auch dieses Bündnis ist fragil: An der AfD-Basis erhitzte insbesondere die Mitgliedschaft der türkischen Regierungspartei AKP in der Europapartei AECR die Gemüter.
In den letzten Jahren hat die Kooperation der radikalen Rechten auf EU-Ebene eine neue Qualität erreicht. Sie wird bei den Europawahlen in jedem Fall Stimmen gewinnen. Die Fragmentierung des rechten Feldes wird die Bildung einer neuen radikal rechten Fraktion im EP jedoch zumindest verzögern. Das Bündnis um Le Pen und Wilders mit seinem auf ›seriös‹ getrimmten Rechtspopulismus muss dennoch ernst genommen werden.
Was kann eine europäische Linke dazu beitragen, eine rechte Monster AG zu verhindern? Ein erster Schritt wären Diskursinterventionen – wenn möglich bis hinein in eine linksliberale Öffentlichkeit: Das neue Bündnis um Le Pen und Wilders muss als radikal rechts markiert werden. Das könnte die weitere Partnersuche erschweren, den Kurs der Entdämonisierung behindern und dazu führen, dass sich die Fragmentierung der Rechten entlang der bisherigen Spaltungslinien fortsetzten wird.