Ausmaß und Dringlichkeit der gegenwärtigen sozial-ökologischen Krise sind wissenschaftlich hinreichend dokumentiert. Ökologisch steht die Erde kurz vor einem irreversiblen Kollaps, sozial kommt es zu einer sich immer weiter verschärfenden Polarisierung zwischen Arm und Reich. Die in immer neu aufgelegten internationalen Abkommen und nationalen »Klimapaketen« gebetsmühlenartig wiederholte Kombination aus Emissionshandel und Ökosteuern erweist sich jedes Mal aufs Neue als unzureichend. Der Verkauf von Verschmutzungsrechten treibt die Privatisierung der Natur weiter voran und festigt damit den kapitalistischen Wachstumszwang, der die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Grenzen strukturell ausschließt. Die Besteuerung von Umweltverbrauch (etwa Benzinsteuern) hingegen fällt stets entweder so gering aus, dass sie keine ausreichenden Effekte hat, oder so hoch, dass sie die unteren Klassen in existenzielle Nöte bringt, was regelmäßig zu sozialen Protesten führt. Marktförmige Nachhaltigkeit ist in der Folge nicht nur sozial ungerecht, sondern auch ökologisch unwirksam (Kern 2019).
Im Folgenden skizzieren wir deshalb eine mögliche Umgangsweise mit der sozial-ökologischen Krise, die über die Sachzwänge des Wirtschaftswachstums hinausweist. Konkret geht es uns um die Potenziale, die die rasante Entwicklung der digitalen Technologien für eine nachhaltige und demokratische Wirtschaftssteuerung bietet. Die digitale Steuerung eröffnet neue Möglichkeiten der Planung, die Probleme bisheriger nicht-kapitalistischer Ökonomien, insbesondere deren Effizienz- und Demokratiedefizite, beheben könnte. Diese Utopie stützt sich auf reale aktuelle Entwicklungen: In Zeiten von Big Data und eines sich immer weiter ausbreitenden »Überwachungskapitalismus« (Zuboff 2018), welcher den Firmen ein umfassendes Wissen über die Bedürfnisse der Kund*innen gewährt (und deren intensivierte Manipulation ermöglicht), werden Marktmechanismen systematisch durch neue Formen einer kybernetischen Steuerung der Ökonomie abgelöst. Diese Entwicklungen liefern, wenn sie demokratisch angeeignet werden, die objektiven Voraussetzungen für eine dezidiert politische Transformation, die wir als Steuerungswende bezeichnen.
Wie die kapitalistische Digitalisierung den Markt überwindet
In den Sphären der Distribution und Konsumption ist eine weitreichende Informationssammlung sowohl über die globalen Lieferketten als auch über die einzelnen Kund*innen zu konstatieren. Ein Beispiel für eine auf solcher Informationsverarbeitung basierende avancierte kybernetische Wirtschaftsplanung ist das System des Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR) des Walmart-Konzerns. Das Besondere an dieser riesigen satellitengestützten Datenbank ist, dass hier nicht nur alle Verkäufe in den Waltmart-Supermärkten erfasst sind, sondern diese mit den ebenfalls in das System einfließenden Produktionsdaten aller Zulieferer verrechnet werden. So verbindet die Datenbank Bedarfsprognosen mit den Lieferanten und verteilt in Echtzeit Verkaufsdaten aus den Kassen entlang der gesamten Lieferkette. Durch dieses kollaborative Vorgehen wird sowohl die Produktion als auch die Distribution der Güter an den tatsächlichen Verbrauch gekoppelt. Eine solche Kollaboration widerspricht jedoch den grundlegenden Prinzipien der Marktwirtschaft, nach denen Planung nur im einzelnen Unternehmen stattfinden kann, während Märkte von der Konkurrenz zwischen diesen Unternehmen geprägt sein müssten.
Auch die Preisbildung selbst löst sich im Zuge der Digitalisierung immer weiter von den klassischen Marktmechanismen. So vertraut beispielsweise Amazon, aber auch andere Konzerne mit datengetriebenem Geschäftsmodell, keineswegs den Mechanismen von Angebot und Nachfrage. Stattdessen wird ein System des dynamic pricing eingesetzt, das jedem Kunden individuelle Preise anzeigt. Während Marktpreise immer das Resultat des Verhältnisses der aggregierten Nachfrage zum aggregierten Angebot sind, beruht das dynamic pricing auf Informationen über die einzelnen Kund*innen. Die Preisbildung wird zum Resultat eines groß angelegten Datenerhebungsprozesses 1. Zusammenfassend sei an dieser Stelle festgehalten, dass die Grundannahme der neoliberalen Ideologie, dass nur der Markt einen umfassenden Informationssammlungsprozess ermöglicht, sich heute in Zeiten von Big Data als obsolet erweist. Der Kapitalismus entwickelt Steuerungskräfte (Jochum/Schaupp 2019), was die immer schon ideologische Annahme einer Notwendigkeit des freien Marktes als zentraler Steuerungsinstanz endgültig relativiert. Zugleich erfordert die ökologische Krise eine die expansive Landnahmelogik des Kapitalismus begrenzende bzw. beendende Steuerung der Ökonomie.