Die Geschäftsführung des kommunalen Klinikverbundes in Bremen, Gesundheit Nord (GeNo), hat im Februar 2021 Personalkürzungen angekündigt: Mehrere hundert Stellen sollen in den nächsten drei Jahren gestrichen werden, um das millionenschwere Defizit auszugleichen. Auch der Rot-Grün-Rote Senat und die LINKE Gesundheitssenatorin, Claudia Bernhard, die außerdem Aufsichtsratsvorsitzende der GeNo ist, sehen keine Alternative zum Personalabbau. Spätestens Ende 2024 soll beim Klinikverbund eine schwarze Null stehen (siehe dazu den Beitrag von Christoph Spehr). Ver.di kritisiert die Pläne. Im Gespräch begründen der Landesbezirksfachbereichsleiter, David Matrai, und der zuständige Gewerkschaftssekretär, Jörn Bracker, warum sie die Entscheidung für verfehlt halten.
Was hält ver.di von den Plänen, mitten in der Pandemie Stellen im Krankenhaus zu streichen?
Jörn: Wir lehnen das ab. Es ist nicht sinnvoll, eine Diskussion über die notwendige Sanierung der GeNo damit einzuleiten, dass Stellen und Betten abgebaut werden sollen, um das selbstgesteckte Ziel einer schwarzen Null zu erreichen. Die GeNo würde dadurch zulasten der Arbeitsbedingungen und der Versorgungsqualität auf Wirtschaftlichkeit getrimmt. Zumal gleichzeitig die Zahl der zu behandelnden Fälle gesteigert und die Verweildauer der Patient*innen gesenkt werden sollen. In dieser Logik könnte dann auch noch über Klinikschließungen oder weitere Ausgliederungen nachgedacht werden – und ich befürchte, manche tun dies bereits.
Die GeNo argumentiert, die Pflege sei vom Stellenabbau nicht betroffen.
Jörn: Das ist nicht ganz richtig. In der Pflege sollen zwar keine Stellen gestrichen werden, aber auch Kürzungen in der Verwaltung oder in anderen nichtmedizinischen Bereichen können eine zusätzliche Belastung der Pflegekräfte bedeuten, weil bei ihnen dann mehr Aufgaben landen. Außerdem sind sehr wohl Streichungen bei der Leiharbeit und von Hilfskräften geplant. Das würde die Pflegekräfte natürlich unmittelbar betreffen. Ich sehe zudem die Gefahr, dass die eine Beschäftigtengruppe gegen die andere ausgespielt wird. Alle Krankenhausbeschäftigten leisten aber einen wichtigen Beitrag zu einer guten Versorgung.
Bei den Ärzt*innen und in medizinisch-technischen Bereichen hat es in den letzten Jahren – im Gegensatz zu vielen anderen Berufsgruppen im Krankenhaus – einen Zuwachs gegeben. Wie kommt das?
Jörn: Die GeNo hatte sich zum Ziel gesetzt, ihre medizinischen Leistungen auszuweiten, um die Fallzahlen und somit die Erlöse zu steigern. Dafür wurden Ärzt*innen eingestellt – auch noch, als bereits absehbar war, dass diese Strategie nicht aufgeht und die Fallzahlen nicht steigen. Hier haben sich mehrere Geschäftsführungen schlicht verkalkuliert. Die Zeche für diese Fehlkalkulation können aber jetzt nicht die Beschäftigten bezahlen. Das Beispiel zeigt einmal mehr, dass die betriebswirtschaftliche Logik in Krankenhäusern zu widersinnigen Maßnahmen führt. Jetzt aus finanziellen Gründen erneut kurzsichtig zu handeln, würde bereits gemachte Fehler wiederholen.
Als zuständige Gesundheitssenatorin unterstützt Claudia Bernhard das Ziel, das über Jahre angehäufte millionenschwere Defizit der Kliniken bis 2024 auszugleichen, um den Standort zu sichern. Auch sie hält den Stellenabbau für einen gangbaren Weg. Seht ihr Alternativen?
David: Natürlich unterstützen auch wir das Anliegen, gründlich zu prüfen, wo unnötige Ausgaben reduziert und Strukturen verbessert werden können. Und zwar sowohl bei den einzelnen Standorten, als auch hinsichtlich der häuserübergreifenden Kooperation. Und dass die Geschäftsführungen der letzten Jahre Fehler gemacht haben, bestreitet niemand.
Wo liegt dann der Dissens?
David: Wie Jörn schon gesagt hat: Im Kern ist es die betriebswirtschaftliche Betrachtung, die zu kurz greift. Und die sich eine LINKE Regierung nicht zu Eigen machen sollten. Bundesweit schreiben viele Krankenhäuser rote Zahlen. Das zeigt, dass es strukturelle Probleme in der Krankenhausfinanzierung gibt – das ist ja inzwischen ein offenes Geheimnis. Die Fallpauschalen erhöhen zwar den Kostendruck, führen aber nicht zu einer auskömmlichen Finanzierung und Erstattung der medizinisch gebotenen Ausgaben. Eine LINKE Landesregierung müsste sich deshalb für einen Systemwechsel in der Finanzierung einsetzen, hin zu einer echten Selbstkostenfinanzierung der tatsächlichen Ausgaben. Krankenhäuser sollten weder Verluste noch Gewinne machen. Sie sollen als soziale Infrastruktur die pflegerisch notwendigen Leistungen erbringen und diese refinanziert bekommen.
Was genau würde das für Bremen heißen?
David: Das Land müsste einerseits das Defizit ausgleichen und andererseits bundesweit – mit ver.di und den vielen Krankenhausbündnissen an der Seite – für eine funktionierende Krankenhausfinanzierung kämpfen.
Und konkret, wie könnte das finanzielle Problem der GeNo anders gelöst werden, als durch Stellenabbau?
Jörn: In der Dienstplangestaltung etwa dürfte viel Verbesserungs- und auch Einsparpotential liegen. Das müsste man sich gründlich anschauen, allerdings sollten da die Betriebsrät*innen eng einbezogen werden, schließlich sind sie die Expert*innen mit dem besten Einblick in die täglichen Abläufe. Sie wissen genau, wo es hausgemachte Probleme gibt und wie diese beseitigt werden können.
Das würde reichen?
Jörn: Nein, es gibt noch mehr strukturelle Probleme. Zu einer guten Gesundheitsversorgung gehört auch, die notwendigen Investitionen in Gebäude und Medizintechnik zu leisten. Die Investitionsquote sollte bei etwa neun Prozent vom Umsatz liegen – in Bremen liegt sie bei weniger als der Hälfte. Hier entsteht also ein dauerhaftes Defizit. Die Kliniken lenken deshalb Gelder, die eigentlich für die Personalausstattung vorgesehen sind, in Baumaßnahmen um.
Dieses Defizit müsste die Landesregierung ausgleichen?
David: Ja, im Grunde schon. Für 2021 stehen etwas 38,7 Millionen Euro für die Investitionen in allen Bremer Kliniken zur Verfügung. Die Bremische Krankenhausgesellschaft geht aber von einem jährlichen Investitionsbedarf in Höhe von rund 80 Millionen Euro aus. Nach unseren Schätzungen hat sich außerdem in den letzten Jahrzehnten ein Investitionsstau von mehr als 700 Millionen Euro gebildet. Das ist auch Teil der GeNo-Geschichte. Wir fordern den Senat deshalb auf, im nächsten Doppelhaushalt jährliche Investitionsmittel von rund 80 Millionen Euro bereitzustellen und so den realen Bedarf auszugleichen.
Es heißt außerdem, dass die GeNo sich auf veränderte Bedingungen in der Gesundheitsversorgung einstellen müsse – etwa mehr ambulante Behandlungen, statt klinischer Leistungen. Die Pläne der GeNo-Geschäftsleitung sehen daher auch vor, die Bettenzahl um etwa 10 Prozent zu reduzieren. Haltet ihr das für angemessen?
Jörn: Wir können derzeit nur Vermutungen darüber anstellen, ob die sogenannte Ambulantisierung oder eine geänderte Bedarfslage der Grund ist, Krankenhausbetten abzubauen. Klar ist, dass die GeNo weniger Betten bräuchte, wenn die Verweildauer der Patient*innen reduziert würde. Ob diese Überlegungen schlüssig sind, muss sich aber erst noch zeigen. Die demografische Entwicklung einer älter werdenden Gesellschaft spricht eher dagegen, da die Verweildauern bei älteren Patient*innen in der Regel über dem Durchschnitt liegt. Die Bedarfslage kann also – trotz Ambulantisierung – in wenigen Jahren bereits eine andere sein als jetzt. Mit dem Projekt „BravO - Bremen ambulant vor Ort“ ist die GeNo übrigens selbst als ambulanter Dienst im Bereich der Psychiatrie aktiv. In einigen Bereichen der Psychiatrie werden also tatsächlich weniger stationäre Plätze benötigt.
Im vergangenem Jahr hat die GeNo Verluste von gut 46 Millionen Euro gemacht, etwa die Hälfte geht auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie zurück. Wie kommen solche Verluste zustande?
David: Ja, die Pandemie hat in vielen Krankenhäusern finanzielle Probleme verursacht. Behandlungen mussten verschoben und Intensivbetten mussten für Covid-Patient*innen freigehalten werden, das mindert die Erlöse, führt also zu Einnahmeverlusten. Aber auch im Hygienebereich sind zusätzliche Kosten entstanden. Außerdem wurde der gestiegen Personalbedarf über Leiharbeit eingekauft. Im Jahr 2020 haben sich die Ausgaben für die Leiharbeit, nach Angaben der Geschäftsführung, gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Von 6,8 Mio. auf 15 Mio. Euro allein in den ersten drei Quartalen.
Spricht das nicht eher dafür, dass die GeNo Personal aufbauen müsste, um Kosten zu sparen und trotzdem eine gute Personalausstattung und Versorgung zu gewährleisten?
Jörn: Es ist kein Geheimnis, dass Leiharbeit in der Pflege aus Sicht der Klinikleitungen kein Instrument zur Kostensenkung mehr ist. So oder so ist es aus unserer Sicht notwendig, das Stammpersonal aufzustocken, anstatt die Leiharbeit auszuweiten. Die Arbeitsbedingungen müssen dann natürlich so sein, dass die Kolleg*innen auch bereit sind, in eine Festanstellung zu gehen oder zu wechseln. Denn das ist ja ein Teil des Problems. Dazu gehören planbare und kürzere Arbeitszeiten, höhere Löhne und zwingend Entlastung. Ver.di fordert – übrigens gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Pflegerat – eine gesetzliche Personalbemessung, die sich am pflegerischen Bedarf orientiert. Konkrete Vorschläge liegen auf dem Tisch, werden aber von der Bundesregierung bislang nicht aufgegriffen.
Wäre es überhaupt möglich, genug Personal zu finden, sofern eine bedarfsgerechte Personalausstattung vorgeschrieben werden würde?
Jörn: Eine aktuelle Studie, die von der Uni Bremen zusammen mit der Arbeitnehmerkammer Bremen erstellt wurde, zeigt, dass tausende Pflegekräfte in den Beruf zurückkehren oder Stunden aufstocken würden, wenn die Arbeitsbedingungen besser wären.
Politisch steht die GeNo noch vor einem weiteren Problem: Die coronabedingte Defizite werden ja noch bis Ende April 2021 vom Bund kompensiert. Was passiert danach?
David: Ja, es bräuchte hier dringend einen neuen Rettungsschirm für die Krankenhäuser – dieser wurde aber bisher nicht verabschiedet. Der Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft der Freien Hansestadt Bremen, Uwe Zimmer, befürchtet, dass nicht nur die GeNo sonst in weitere wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, sondern alle Bremer Kliniken. Das verdeutlicht einmal mehr die Fehlsteuerung des Fallpauschalen-Systems: Wenn ein Finanzierungssystem lebenserhaltende Maßnahmen bestraft und weder dem Normalbetrieb noch einer Pandemie gewachsen ist, ist es bankrott und muss verändert werden. In dieser Situation Personal abzubauen, um die Defizite zu kompensieren, ist einfach falsch. Die pandemiebedingten Kosten dürfen nicht von den Beschäftigten getragen und zulasten der Versorgungsqualität ausgeglichen werden.
Was könnte die Gesundheitssenatorin in dieser Situation tun?
David: Es ist, wie gesagt, unbedingt notwendig, vom Bund finanzielle Unterstützung einzufordern und – wenn notwendig – in den Konflikt mit der Bundesregierung zu gehen. Sowohl die Krankenhausgesellschaft in Bremen wie auch die in Niedersachsen fordern erneute staatliche Hilfen. Der Bremer Senat könnte auf länderübergreifende Unterstützung zählen. Das Gespräch führte Julia Dück