Herbert Diess‘ Abschied bei Volkswagen lag – so jedenfalls der Tenor der Berichterstattung – auch an dessen mangelndem Erfolg beim China-Geschäft. Doch die Probleme liegen tiefer. Zunächst können die deutschen Hersteller im Segment der batterieelektrischen Fahrzeuge nicht an ihre Erfolge auf dem für sie so wichtigen chinesischen Markt anknüpfen. Zweitens sind sie bei Batterietechnik und Software derzeit nicht konkurrenzfähig und auf die Kollaboration mit chinesischen Herstellern und Digitalkonzernen angewiesen. Obendrein drängen asiatische Hersteller, insbesondere Start-Ups aus China demnächst auf den deutschen Markt und greifen die etablierten Hersteller auf ihrem Heimatmarkt an, wo sie mit Tesla in Grünheide schon genug zu tun haben. [1]

Der chinesische Markt ist wichtig

Der chinesische Markt ist der wichtigste für die deutschen Hersteller, mehr als jedes dritte Fahrzeug wird dorthin verkauft. Im letzten Jahr kamen die deutschen Hersteller in China gemeinsam auf einen Marktanteil von circa 20 Prozent – trotz Corona und Lieferkettenproblemen. Tendenz allerdings fallend, im Jahr davor waren es noch fast 24 Prozent. Das gilt insbesondere für Volkswagen, nach wie vor der erfolgreichste ausländische Hersteller mit 3,3 Millionen verkauften Fahrzeugen 2021, trotz eines Rückgangs von 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 

Doch China elektrifiziert schnell: 2021 machten vollelektrische Fahrzeuge (BEVs) 13,3 Prozent der Autoverkäufe aus (Deutschland 13,6 Prozent). Im Monat Mai 2022 erreichte der Elektroanteil einen Rekordwert von 23 Prozent, für 2022 wird mit einem Anteil von mindestens 25 Prozent gerechnet. Geht die Entwicklung so weiter, dürfte es in nur wenigen Jahren schwer werden, überhaupt noch Verbrenner in China loszuwerden.

Und hier sieht es für die deutschen Hersteller mau aus. Der Marktanteil aller deutschen Hersteller zusammen auf dem bedeutendsten E-Auto Markt der Welt – zwei Drittel aller batteriebetriebenen Fahrzeuge werden hier zugelassen – lag 2021 bei gerade einmal vier Prozent – das ist nur ein Fünftel des Marktanteils bei Verbrennern. Volkswagen ist 2021 in China ganze 70 000 E-Fahrzeuge in China losgeworden und erzielt damit einen homöopatischen Marktanteil von gerade einmal 1, 4 Prozent. Stärkster ausländischer Hersteller von E-Autos ist Tesla mit 6,6 Prozent und 319 102 verkauften Fahrzeugen.


Die deutschen Hersteller haben auf dem chinesischen E-Auto-Markt derzeit nichts zu melden.

Der chinesische Markt wird elektrisch – ohne die Deutschen

Die chinesische Regierung will nicht nur schnell elektrifizieren, sie haben auch klare Vorstellungen, wer die Fahrzeuge bauen und verkaufen soll: Ihre Vorgabe ist ein Anteil heimischer Hersteller von 80 Prozent. Und chinesische Hersteller, zumal die Startups, die nicht aus der Verbrennerwelt kommen, haben Elektrifizierungsziele, die mit diesen Zielvorgaben synchronisiert sind. Geely etwa peilt für 2023 einen Anteil an E-Autos von 50 Prozent des Gesamtverkaufs an. Um die restlichen 20 Prozent Marktanteil streiten sich dann Tesla mit dem Rest der Welt.

Und die Deutschen? Bei Volkswagen hieß es im Sommer 2021: „Volkswagen wird bis 2025 Marktführer bei Elektrofahrzeugen sein.“ Starke Worte für einen Konzern, bei dem in 2021 19 von 20 produzierten Fahrzeugen einen Verbrennungsmotor ausgestattet waren. Der Konzern strebt nach eigenen Angaben für 2025 eine Erhöhung des Anteils elektrischer Fahrzeuge auf gerade einmal 20 Prozent an. 

Wie das zur beanspruchten Führungsrolle im E-Sektor passen soll, bleibt das Geheimnis des Wolfsburger Autobauers. Tatsächlich zeichnet sich an der Spitze von VW ab, dass man selber nicht mehr an eine Führungsposition im elektrischen Massenmarkt glaubt. Angesichts der Zahlen aus China nur verständlich. Selbst auf dem heimischen Markt blieben die ID-Fahrzeuge ein Nischenprodukt. Im Juni belegten sie die Plätze 15 und 17 in der Zulassungsstatistik.


Die deutschen Hersteller klammern sich an ein liebgewonnenes Produkt: übermotorisierte Verbrenner.

Joint ventures in der Autoindustrie

Wie konnten die deutschen Hersteller ihre Führunsrolle in China verlieren? Autos mit Verbrennungsmotoren in hoher Qualität und Stückzahl zu bauen, gehört schließlich zu den komplexesten Herausforderungen in der Industrie überhaupt. Die Automobilindustrie in China hat es nie geschafft, internationales Qualitätsniveau zu erreichen. China setzte in seiner wirtschaftlichen Entwicklung auf Joint Ventures mit ausländischen Firmen. Diese bekamen Zugang zum chinesischen Binnenmarkt, im Austausch dafür konnten chinesische Partner von Technologie- und Know-How-Transfer profitieren. Dieses Modell der industriellen Partnerschaft war in vielen Bereichen, z.B. bei Telekommunikation, erneuerbaren Energien und Elektromobilität, sehr erfolgreich. Hier gehören chinesische Unternehmen heute zur Weltspitze.

Beim Automobilbau – darüber ist sich die Forschung weitgehend einig – hat das lange nicht geklappt: So kommt eine Arbeit von Qiu (2013) zu dem Schluss, „chinesische Autohersteller haben noch keine Technologien von ausländischen Autoherstellern gelernt“. Eine weitere Untersuchung von Dong und Mah (2020) schlägt in die gleiche Kerbe: „In der Zwischenzeit war der Technologietransfer durch ausländische Direktinvestitionen (FDI) nicht so erfolgreich.“ 

Derzeit beobachten wir in der Tat ein Abrücken von der Strategie (vgl. Anderson 2021). Ein Beispiel ist das verblüffende Aufstieg von Geely als ernstzunhmender Elektroauto-Hersteller: ein Unternehmen, das als Hersteller von Kühlschränken begann und jetzt Volvo besitzt. Grzegorz Lechowski, der am Wissenschaftszentrum Berlin forscht: „Der interessante Punkt hier ist, dass sich die Regierungspolitik weiterentwickelt und dass die Regierung mittlerweile auch private Unternehmen unterstützt (anstatt nur SOEs).“


Was in der Verbrennerwelt nicht funktionierte hat, gelingt der chinesischen Autoindustrie im Elektrozeitalter und dank innovativer Startups: Der Sprung an die Spitze.

Es mangelt am Know-How – das Beispiel Mercedes-Benz Group AG 

Das zweite systemische Problem der deutschen Autohersteller liegt beim Know-How in der Produktion und dem Vertrieb von Elektroautos. Zu spät hat man hier Batterien als wichtigen Teil der Wertschöpfungskette erkannt. Das hat sich seit ca. 2020 geändert. Seitdem wird fieberhaft versucht, aufzuholen, insbesondere durch das Eingehen von Joint-Ventures mit chinesischen Herstellern.

Die Daimler Benz AG gab im Juli 2020 eine „strategische Partnerschaft inklusive Kapitalbeteiligung“ mit dem chinesischen Batteriezellenhersteller Farasis Energy bekannt (Dietz 2022, 456). Einen Monat später folgte dann eine ähnliche Allianz mit CATL: „Mercedes-Benz und CATL wollen in einer nächsten Stufe ihrer strategischen Partnerschaft innnovative Batterietechnologien entwickeln“, so das Unternehmen. Contemporary Amperex Technology Co. Limited, kurz CATL, ist ein 2011 gegründetes Technologieunternehmen, das sich auf die Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien spezialisiert hat. Zehn Jahre nach Gründung war CATL bereits der größte Zellhersteller der Welt, 2021 produzierten sie eine Kapazität von 170 GWh, das entspricht einem Weltmarktanteil von 32,5 Prozent – beileibe kein Junior-Partner.

Das Potenzial des deutschen Markts haben die Chinesen früher erkannt, bereits vor drei Jahren begann CATL mit dem Bau einer Batteriefrabrik in Erfurt, im Herbst beginnt die Produktion von Lithium-Ionen-Zellen, die unter anderem für BMW bestimmt sind. Ein weiteres Problem: Daimler (seit 1. Feburar 2022 in Mercedes-Benz Group umbenannt) droht die Übernahme. Der chinesische Partner CATL ist fast doppelt so viel wert wie die Stuttgarter, das zu 20 Prozent bereits chinesischen Investoren gehört, Geely hält 9 Prozent, BAIC, ein weiterer chinesischer Autohersteller, 5 Prozent.


Mercedes-Benz muss also ein Joint-Venture mit einem mächtigen Partner eingehen und riskiert, übernommen zu werden.

Fehlende Expertise – das Beispiel Volkswagen

Bei VW sieht es nicht besser aus: Beim Thema Batterien braucht man Nachhilfe. Mitte Juli 2022 wurde der Grundstein für die erste konzerneigene Batteriezellfabrik in Salzgitter gelegt. Ziel ist eine Gesamtkapazität von 40 Gigawattstunden – ausreichend für eine halbe Million Autos. In einem Jahr sollen die ersten Anlagen aufgestellt werden, 2025 wird die Produktion starten. Der Partner für Salzgitter kommt aus China: Der Batteriespezialist Gotion, an dem VW beteiligt ist, liefert maßgebliche Technologie für die Zellproduktion. Für die Branche ungewöhnlich: Der Entwicklungschef kommt nicht etwa von VW, sondern vom chinesischen Partner. „Wir werden das nicht aus eigener Kraft stemmen können, dafür brauchen wir Partner“, sagte Thomas Schmall, Konzernvorstand Technik der Volkswagen AG, auf einer Belegschaftsversammlung (Winter 2020). Jetzt muss VW ein chinesisches Unternehmen auf den Heimatmarkt lassen, und hoffen, vom Partner zu lernen – eine neue Situation für den einst größten Autohersteller der Welt.

VW baut nach dem Vorbild von Tesla im Stadtteil Warmenau in Wolfsburg ein neues Werk. Hier sollen ab 2026 die ersten Trinity-E-Limousinen von den Bändern laufen. Vorbildfunktion haben dabei zwei Werke aus China. Das E-Werk von VW im chinesischen Anting ist ausschließlich auf die Herstellung von rein elektrischen Fahrzeugen der MEB-Plattform (Modulare E-Antriebs-Baukasten) ausgerichtet. In Foshan wiederum hat VW mit seinen Joint Ventures Erfahrungen gesammelt, wie man eine laufende Verbrennerproduktion umbauen kann. Beide Projekte wurden im zweiten Halbjahr 2018 begonnen und innerhalb von nur zwei Jahren vollständig bis zur Serienproduktion gebracht.


Auch Volkswagen braucht technologische Unterstützung beim E-Autobau. Und China dreht den Joint-Venture-Spieß um.

Chinesische Hersteller drängen auf den Markt

Als würde das alles nicht reichen, planen chinesische Firmen auch noch den Einstieg in den deutschen Markt mit eigenen Fahrzeugen. Ganze acht chinesische Autofirmen planen demnächst ihre Autos auf dem deutschen Markt zu verkaufen. Von kleinen Elektroautos über Mittelklasse-SUVs bis hin zu sportlichen Limousinen ist alles dabei. Der Konzern Great Wall hat angekündigt, noch in diesem Jahr einige Modelle nach Europa zu bringen. Dies geschieht in Kooperation mit der Emil Frey Gruppe, einem der größten Autohändler Deutschlands. 

Auch BYD (Build Your Dreams), derzeit Marktführer in China und der vielleicht wichtigste Hersteller batteriebetriebener Nutzfahrzeuge als auch einer der größten Hersteller von Akkus drängt im Herbst ebenfalls mit seinen PKWs nach Deutschland. Das Unternehmen hat 2003 begonnen, Elektroautos zu entwickeln. BYD beherrscht zudem die gesamte Kette der Rohstoffversorgung – besitzt seit Anfang des Jahres Förderrechte für Lithium in Chile, über den Bau von Akkus in seinen eigenen Batteriefabriken bis zum fertigen Fahrzeug. Die Akkus von BYD enthalten zudem dem Unternehmen zufolge kein Kobalt, ein seltenes Metall, das wegen der fragwürdigen Förderbedingungen in der Kritik steht.

Die Mitbewerber sind alles andere als kleine Klitschen, gemeinsam stellen sie mehr E-Autos her als alle deutschen Konzerne zusammen. Sie haben Erfahrung auf dem heimischen Markt, Software- und Batteriekompetenz. Und während viele E-Modelle deutscher Hersteller aufgrund der anhaltenden Chipknappheit erst nach langer Wartezeit zu bekommen sind, ist dies bei den chinesischen Herstellern nicht der Fall, sie agieren bereits jetzt auf einem weit dynamischeren, schneller skalierenden Markt, als das in Deutschland der Fall ist.

Doch nicht nur die Hersteller, auch die Zulieferer aus China machen laut einer Studie der Unternehmensberatung Berylls Boden gut. Noch ist das Gewicht chinesischer Anbieter in der Branche gering, nur neun chinesische Anbieter schafften es unter die Top 100. Sie profitieren jedoch von der heimischen Industriepolitik, und ihre Bedeutung wächst. Lag ihr Anteil am internationalen Umsatz 2018 noch bei fünf Prozent, waren es 2021 schon neun Prozent – wenig im Vergleich zu den 21 Prozent Anteil der deutschen Zulieferer. Doch die Tendenz ist klar: „Schreiben die Chinesen ihre Erfolgsgeschichte konsequent fort, werden sie im Jahr 2028 die Vorreiterrolle im weltweiten Zulieferer-Ranking einnehmen und die deutsche Konkurrenz aus der Spitzengruppe verdrängen“, so das Fazit.

Dreifache Elektrokrise der deutschen Autoindustrie

China dreht den Spieß um: Technologietransfer gegen Marktzugang – dieser Deal läuft jetzt anders herum. Und noch eine Entwicklung zeichnet sich immer deutlicher ab: Die deutschen Hersteller ziehen sich aus dem Volumengeschäft zurück, müssen sich mit Nischenmärkten und Luxuskundschaft begnügen: Bei Mercedes wird die A-Klasse eingemottet. 

Und der neue CEO des Volkswagen Konzerns, Oliver Blume, gibt auf einer Management-Konferenz in Lissabon Anfang September die Marschrichtung vor: „Wir leben Unternehmertum und streben danach, die nachhaltigste Luxusautomarke aufzubauen.“ Volkswagen verabschiedet sich damit von der Vorstellung, zum großen E-Autohersteller zu werden. 2021 stellte VW 8,3 Millionen Autos her, so wenig wie zuletzt 2010 und ein Rückgang um satte 25 Prozent gegenüber dem Jahr 2018, als mit elf Millionen die historische Spitze erreicht wurde. 

Es sieht so aus, als stünde der deutschen Autoindustrie eine dreifache chinesisch verantwortete Schrumpfung bevor. Aus Verkehrswendeperspektive eine gute Nachricht. Und Anlass genug, über Alternativen nachzudenken, z.B. über einen Umbau zu einer ernsthaft nachhaltigen Mobilitätsindustrie (vgl. Candeias/Krull 2022).