Am Wochenende vom 3.-4. Juni 2016 fand in Wien die Aufbruch Aktionskonferenz[1] statt. 

Aufbruch[2] will die verschiedenen linken Spektren in Österreich zusammenbringen in einer erstmals groß angelegten Organisierungskampagne. Aber Aufbruch will noch mehr: Ziel ist es explizit, Menschen anzusprechen, die bisher nicht oder nicht mehr politisch organisiert sind. 

Das Motto dafür ist „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten!“ Aufgrund steigender Mieten, zunehmender Privatisierung im Gesundheitssektor und vielen weiteren unsozialen Entwicklungen, ist es an der Zeit, dieses Projekt anzugehen. Denn auch viele bisher nicht direkt politisch engagierte Menschen sind davon betroffen. Aufbruch ist aus einem längeren Prozess im Vorfeld entstanden, ausgehend von der Blog-Plattform „Mosaik“[3]

Seit letztem Jahr gab es dann mehrere so genannte Ratschläge, auf denen immer um die 100 Personen teilnahmen aus verschiedenen Spektren wie attac Österreich, feministisch, LGQTBI und migrantische Organisierte, Gewerkschaften, die Offensive gegen Rechts, alternativen Wahlbündnissen, KPÖ, ehemalige Grüne, Unorganisierte und vielen mehr. Der Prozess wurde gestartet, um über Möglichkeiten der politischen Mobilisierung österreichweit nachzudenken. Zunächst war es wichtig, Vertrauen zwischen den verschiedenen Gruppen und Menschen aufzubauen. So gelang es, über 1000 Menschen zu erreichen, die zur Aufbruch Aktionskonferenz kamen, um langfristig die Politik in Österreich zu verändern.[4] Nach den Erfahrungen aus dem „Sommer der Migration“ 2015 sahen wir es als wichtig an, auch die vielen Menschen anzusprechen, die sich in der Flüchtlingshilfe organisiert hatten.

 

Bekanntlich entstehen soziale Bewegungen nicht in den „Hinterzimmern“ linker Projekte und Initiativen, sondern, wie die jüngsten Entwicklungen in Europa zeigen, auf der Straße und auf den Plätzen der Städte und Gemeinden. Es braucht auch, wie wir aus Erfahrungen gelernt haben und wie uns historische Beispiele zeigen, eine Form von Organisierung, die dauerhafter trägt und die auch in den Stadtteilen und Gemeinden aktiv ist. Deshalb setzt Aufbruch auf eine breite Einbindung von Menschen: In den ländlichen Gebieten und Gemeinden, von denen es in Österreich viele gibt, bis hin zu den größeren Städten wie Innsbruck, Graz, Salzburg, Linz und Wien.

Angesichts der derzeitigen politischen Lage in Österreich ist dies auch dringend notwendig. Aber es geht Aufbruch nicht nur um die zunehmende politische Stärke der FPÖ angesichts steigender Wählerschaft und der Bundespräsidentenwahl, die zuletzt in deutschen und internationalen Medien verstärkt Aufmerksamkeit fand. Offenbar interessieren sich die deutschen Medien oft nur dann für Österreich, wenn erstmals ein bekannter rechtsextremer Kandidat für das höchste Amt im Staat kandidiert. Österreich ist knapp daran vorbei ‚geschrammt‘, einen Bundespräsidenten zu haben, der mit perfiden rhetorischen Mitteln den Wahlkampf geschickt beeinflusst hat. Aber dazu später mehr.

Was will Aufbruch?[5] 

Menschen aus sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, frustrierte linke Parteimitglieder, Umweltgruppen, linken, migrantische, LGQTBI und feministische Kontexten zusammenbringen. Erklärtes Ziel ist, langfristig tragfähige und demokratische Strukturen aufzubauen, um möglichst viele Menschen einzubinden in eine Kampagne, die soziale Ungleichheit thematisiert; auch jene, die vielleicht jetzt noch FPÖ wählen. Das ist ein hohes Ziel, denn zumindest bis jetzt kommen viele Menschen, die bei Aufbruch aktiv sind, eher aus dem akademischen Milieu oder aus bereits organisierten politischen Strukturen. Eine kluge Analyse dazu hat Sebastian Kugler von der Sozialistischen LinksPartei – SLP geschrieben.[6] 

Aber wenn es gelingt, langfristig eine breite Mobilisierung auf Dauer zu stellen, könnte auch über ein neues Parteiprojekt links der SPÖ weiter nachgedacht werden, was viele jetzt schon fordern. Ob es dazu kommen wird, darüber wird auch weiter diskutiert. Wichtig erscheint mir, dass dieses Wahlprojekt nur gelingen kann, wenn das Wahlprojekt schafft, breitere Spektren auch der Gewerkschaften einzubinden. Denn dass „die Linke“ österreichweit nicht über knapp 2 Prozent hinauskommt, ist bekannt. Aufbruch will bisher nicht wie bereits Europa Anders oder Wien Anders ein neues Wahlbündnis sein. Vielmehr ist jetzt erst einmal ‚Basisarbeit‘ angesagt. Dazu kommen die vielen verschiedenen Themen, die noch aufgegriffen werden sollen in der Kampagne. Hier stellt sich die Frage, wie wir klug Querschnittsthemen zusammenbringen können, denn es gibt viel zu diskutieren und zu mobilisieren gegen alltäglichen Rassismus, Antisemitismus, Hetze und Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte, Muslima, Benachteiligungen von LGQTBI*, Frauen, den sozialen Abstieg. Die Liste lässt sich lang fortsetzen. Und wie schaffen wir es, die gesellschaftlichen Widersprüche so aufzugreifen, dass wir nicht jetzt schon neue Ausschlüsse produzieren? Wie Rubia vom Autonomen Zentrum für Migrantinnen – maiz[7] auf der Konferenz sagte: „Es gibt kein gutes Leben für alle, solange Menschen im Mittelmeer ertrinken!“ 

Deshalb reicht es natürlich nicht, nur die sozialen und politischen Widersprüche in Österreich zu thematisieren. Und solange Muslim*innen in Österreich auf der Straße bespuckt werden, gibt es kein gutes Leben für alle. Wenn die Identitären vermehrt Veranstaltungen stören[8], an denen auch Flüchtlinge teilnehmen, dann ist es allerhöchste Zeit, wie die Offensive gegen Rechts immer schon warnt, viel in diesem Land zu tun. 

Genau diesen Herausforderungen will sich Aufbruch stellen und hat daher auch schon mehrere bundesweite öffentlichkeitswirksame Aktionen gestartet: die „Bundesweiten Aktionstage“ (nach dem Nationalfeiertag) vom 27. Bis 29. Oktober 2016 haben sich vor allem auf die soziale Frage konzentriert und nach leistbarem Wohnen und sich gegen Wohnraum als Spekulationsobjekt gewehrt. So gab es z.B. in mehreren Bezirken in Wien Stadtspaziergänge zu so genannten Spekulations- und Räumungsobjekten, wo Wohnhäuser verkauft und zu Hotels umgewandelt oder teuer umgebaut werden sollen, und weitere öffentlichkeitswirksame Aktionen zum Thema „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“. Im November und Dezember gab es dann weitere Mobilisierungen zum Tag gegen Gewalt an Frauen und natürlich zur Bundespräsidentenwahl. Diese ist nach einem nochmaligen Wahlkampf und durch die Wiederholung der 2. Stichwahl am 4. Dezember 2016 gerade nochmal ‚gut‘ ausgegangen zugunsten Alexander Van der Bellen mit 53,79 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 74,2 Prozent. Mehr als beim ersten Anlauf der Stichwahl im Mai. Er und FPÖ-Kontrahent Norbert Hofer lieferten sich im Vorfeld immer abstrusere mediale Wahlkampfszenen. Aber was diese Wahl natürlich nicht nur symbolisch bedeutsam gemacht hat, ist die Stimmung, die sie wiedergibt: FPÖ-Wähler*innen sehen sich von Flüchtlingen und Asylwerber*innen in ihrem alltäglichen Leben bedroht und geben in Umfragen an, eher schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht zu haben (vgl. Ö1-Mittagsjournal vom 6.12.2016). Auch in jenen Gemeinden, die selbst kaum oder gar nicht Flüchtlinge aufgenommen haben. Selbst Menschen, die einen gesicherten Job und ein gutes durchschnittliches Einkommen haben, sind z.T. von der Rhetorik gegen Flüchtlinge radikalisiert. Auch die Regierung schwenkt stärker nach rechts: ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz schürte in seinen Statements die Fremdenfeindlichkeit, in denen er Obergrenzen einforderte, die nun auch von der Regierung umgesetzt werden.

Ganz „normaler“ Alltagsrassismus?

Gleichzeitig ist die soziale Frage diejenige, die auch in Österreich immer virulenter wird bei steigender Arbeitslosigkeit: derzeit liegt sie um die sechs Prozent[9] und verzeichnet somit seit 2011 einen kontinuierlichen Anstieg. 

Der neue SPÖ Bundeskanzler Christian Kern nimmt dabei eine ambivalente Rolle ein: Einerseits knüpft er rhetorisch an linkes Wording an und forderte z.B. eine „Maschinensteuer“, was so viel wie eine Wertschöpfungsabgabe von Unternehmen sein soll.[10] 

Andererseits traut er sich bei CETA keine konsequente Linie zu verfolgen. Auch die bisherige Regierungsarbeit spiegelt eher die Uneinigkeit und eher die Kompromisse wieder, die die SPÖ/ÖVP-Regierung derzeit betreibt. Nicht zuletzt ist dies der Nährboden, aus denen die FPÖ ihr Wählerpotenzial schöpft, denn wenn nicht ein Wandel innerhalb der österreichischen Politik stattfindet, der die soziale Frage in ihren verschiedenen Dimensionen aufgreift, ist es sehr wahrscheinlich, dass die FPÖ bei der voraussichtlich bereits kommenden Herbst stattfindenden Nationalratswahl stärkste Kraft werden wird. Umfragen zufolge liegt sie bei um die 33 Prozent. Nicht zuletzt deshalb war die Bundespräsidentenwahl jetzt ein Seismograph für die nächsten Wahlen, da die SPÖ nur mehr auf um die 27 Prozent und die ÖVP gar nur bei etwa 19 Prozent läge.[11] 

Für die Linke in Österreich, die sich weder mit der Politik der SPÖ, noch der den Grünen zufrieden geben kann, die bei etwa 12 Prozent bundesweit liegen, heißt dies, entweder die SPÖ nach links zu treiben, oder wirkliche Alternativen aufzuzeigen. Dass Ersteres kaum möglich sein wird, zeigen die Machtverhältnisse innerhalb der SPÖ, die bereits jetzt Gespräche mit der FPÖ zuletzt öffentlich führte, so z.B. traf sich Bundeskanzler Kern bereits im Sommer zu einem Gespräch unter vier Augen mit Parteiobmann H.-C. Strache von der FPÖ und führte neulich eine öffentliche Fernsehdiskussion mit ihm, in der Kern Strache ein Bewusstsein für die Politik des Landes zusprach, die sie beide angeblich teilten. Ob dies reine Rhetorik oder ein Liebäugeln mit der FPÖ als möglichem Koalitionspartner der Zukunft sein soll, bleibt dahingestellt. Es gibt z.B. bereits im Burgendland eine Koalition von SPÖ und FPÖ, und genügend Kräfte innerhalb der SPÖ, wie auch Verteidigungsminister Doskozil, die offen für ein solches Bündnis wären. Nach der Bundespräsidentenwahl am Sonntag war jedenfalls Hofers Bemerkung, dass Reinhold Mitterlehner (Wirtschaftsminister, ÖVP) sich offen für Van der Bellen aussprach, noch zu seinem Nachteil werden kann, eine weitere der subtilen Drohungen, die Hofer schon oft im Wahlkampf anführte.

Aufbruch ist es ein wichtiges Anliegen, die Verbindungen Hofers zur rechten Szene aufzuzeigen. Noch wichtiger ist aber die Frage, wie die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien umzulenken wäre. Ein Schlüssel wird dabei sein, ob es gelingt die soziale Frage in den Mittelpunkt zu stellen, die durch den Bundespräsidentenwahlkampf in den Hintergrund geriet. Dies wird sicherlich mit die größte Herausforderung, um eine FPÖ Regierung nach der kommenden Nationalratswahl mit zu verhindern. Wohin die Reise unter einer FPÖ Regierung gehen würde, lässt sich mit Blick auf das Hype-Alpe-Adria-Bank-Desaster, an dem die FPÖ wesentlich Mitverantwortung trug, bereits erahnen: mehr Privatisierung, mehr Sozialabbau, weniger Rechte für Asylwerber*innen. Bereits jetzt sind die Mindestsicherungsbezüge nicht nur für Asylwerber*innen im Land Oberösterreich (ÖVP/FPÖ-Regierung) und im Burgendland (SPÖ/FPÖ-Regierung) gekürzt worden. Dies sind Bundesländer, in denen neben Kärnten und der Steiermark eine zum Teil hohe Affinität für die FPÖ herrscht. Obwohl Kärnten derzeit unter einer SPÖ-Regierung steht, könnte auch dies sich wieder wandeln. Wie sich die Stimmung im nächsten halben Jahr in Österreich entwickeln wird, und selbst wenn es der ÖVP und der SPÖ gelingen sollte, Wähler*innenstimmen dazuzugewinnen, werden sie doch weiterhin als die Parteien gelten, die das Bestehende repräsentieren. Nicht zuletzt an ihrer angeblichen Kritik daran knüpft die FPÖ erfolgreich an.

 

Weitere Beiträge

Am Wochenende wählt Sachsen-Anhalt als letztes Land vor der Bundestagswahl. De-Industrialisierung und Strukturwandel haben die Alltagserfahrungen vieler Menschen hier geprägt.