Seit den Attentaten vom 11. September 2001 stellt die US-amerikanische Regierung Einwanderung zunehmend als Bedrohung dar. Zum ›Schutz‹ Amerikas etablierte George W. Busch 2008 unter anderem das Secure-Communities-Programm, das sowohl dem Ministerium für Innere Sicherheit (Department for Homeland Security, DHS) als auch der Einwanderungsbehörde (Immigration and Customs Enforcement, ICE) Zugang zu den biometrischen Daten lokaler Behörden erlaubt. Unter Barack Obama wurde dieses Programm ausgeweitet, was ihm den Spitznamen »Deporter-in-Chief« eingebracht hat. Donald Trump machte Einwanderung zu einem zentralen Punkt seines Wahlprogramms und behauptete unter anderem, Mexiko würde Vergewaltiger und Drogenhändler in die USA einschleusen. Er kündigte an, Muslimen künftig ganz die Einreise zu verweigern. Innere Sicherheit, so die Argumentation, sei ohne eine restriktive Einwanderungspolitik nicht zu haben.

Wenig überraschend war es, als Trumps erster Haushaltsentwurf dann auch verstärkt auf Einwanderungskontrollen setzte und 2,8 Milliarden US-Dollar des Verteidigungsetats für die Sicherung der Außengrenzen vorsah. In dem schließlich verabschiedeten Haushalt wurde der Posten zur Grenzsicherung zwar halbiert und enthielt überdies keine Mittel für die vom Präsidenten so geliebte Mauer. Maßnahmen zur Einwanderungskontrolle werden von der Regierung jedoch durchgängig als Maßnahmen zur Terrorbekämpfung ausgegeben. Trumps Sicherheitsregime fokussiert auf Mexikaner*innen und Muslime, die als größtes Sicherheitsrisiko bezeichnet werden.

Angehörige dieser Gruppen erleben die Konsequenzen dieses Politikwechsels hautnah. In einer Umfrage des Meinungsforschungszentrums Pew Research Center von 2007 gaben 53 Prozent der Muslime an, ihr Leben in den USA sei nach dem 11. September schwieriger geworden. Latin@s berichten gleichermaßen von einem Anstieg an rassistischer Diskriminierung. Während Muslime intensiveren Kontrollen an Grenzen und Flughäfen ausgesetzt sind, leiden Latin@s vor allem unter einem alltäglichen racial profiling, das durch das DHS-Programm 287(g) ermöglicht wurde. Es macht die Polizei auf lokaler Ebene zum ausführenden Organ einer restriktiven Einwanderungspolitik und erlaubt ihr, willkürliche Ausweiskontrollen bei all jenen vorzunehmen, die sie verdächtigt, keinen Ausweis zu haben. Latin@s sind außerdem Opfer einer intensivierten polizeilichen Zusammenarbeit über Staatsgrenzen hinweg. Beide Gruppen berichten von rassistischen Zwischenfällen und davon, häufig als Sündenböcke herhalten zu müssen.

Angesichts dieser gemeinsamen Erfahrungen gäbe es unzählige Gründe, sich zusammenzutun. Meine Recherchen von 2013 bis 2016 zeigen jedoch, dass weder Latin@s noch Muslime ihre jeweiligen Erlebnisse und Erfahrungen für vergleichbar halten – trotz aller Parallelen. In Arizona haben über einhundert Latin@s angegeben, einen Anstieg von racial profiling als Konsequenz der verschärften Sicherheitsmaßnahmen zu beobachten und den Einsatz der Grenzpolizei zur Bekämpfung des Terrorismus. Niemand hat jedoch erwähnt, dass Latin@s diese Erfahrung mit Muslimen teilen. Wenn ich diese Möglichkeit ins Spiel brachte, waren sich zwar alle Befragten einig, dass sie sich eigentlich mit anderen Gruppen zusammenschließen sollten, um gegen diese verschärfte Sicherheitspolitik mobil zu machen. Keiner kam jedoch von sich aus auf die Idee, dass Muslime dabei potenzielle Bündnispartner*innen sein könnten.

Ähnlich war es in New York City, wo ich 55 Latin@s befragte, von denen zwei Drittel angaben, dass sich ihr persönlicher Umgang mit den Sicherheitsbehörden nach dem 11. September verändert habe. Sie berichteten von ihrer Angst vor zunehmenden Kontrollen der örtlichen Polizei. Und dennoch: Auch sie beschrieben ihre Erfahrungen als einzigartig, niemand sah, dass Muslime als Gruppe auf ähnliche Weise diskriminiert werden. Und niemand kam auf die Idee, gemeinsam mit Muslimen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in den USA vorzugehen.

Andere Studien bestätigen dieses Bild. So konnte etwa ein Forschungsprojekt an der Sorbonne in Paris, das der Frage nachgeht, wie sich Diskriminierungserfahrungen von Migrant*innen durch die neuen Sicherheitspolitiken verändern, ebenfalls zeigen, dass es Muslimen in Boston und New York City nicht gelungen ist, ihre Erfahrungen mit den Sicherheitsbehörden nach dem 11. September mit denen von Latin@s in Verbindung zu bringen.[1] Beide Gruppen sehen nicht, wie ähnlich ihre Erfahrungen sind.

Seit Trumps Regierungsantritt sind Bewegungen gegen ein Einreiseverbot, gegen die geplante Grenzmauer und gegen die aggressiven Einsätze der Einwanderungsbehörde entstanden, die diesen Zusammenhang zunehmend thematisieren. Der immer lauter werdende Aufschrei im Netz #NoBanNoWallNoRaids bietet der US-amerikanischen Linken die Möglichkeit, die Solidarität zwischen den verschiedenen rassistisch diskriminierten Gruppen zu fördern, auf gemeinsame Erfahrungen von Muslimen und Latinos als Zielscheibe dieser Entwicklung hinzuweisen und schließlich eine landesweite Offensive für eine Reform der Immigrations- und Sicherheitspolitik zu starten.

Rückzug auf die städtische Ebene

Die letzte größere landesweite Bewegung gegen restriktive Einwanderungsbestimmungen gab es im Frühling 2006, als sich zwischen dreieinhalb und fünf Millionen Menschen gegen das Gesetz HR 4437 zusammenschlossen. Diese Gesetzesinitiative hatte zum Ziel, Einwanderer*innen ohne gültige Papiere zu kriminalisieren und die unrechtmäßige Einreise zu einer Straftat zu erklären, welche mit Gefängnis und Ausweisung zu ahnden gewesen wäre.

Latin@s unterschiedlicher Herkunft mobilisierten zu einem gemeinsamen landesweiten Protest und ernteten gewaltige öffentliche Unterstützung. Unter dem Motto »Wie wäre ein Tag ohne Einwanderer?« fanden am 1. Mai 2006 im ganzen Land Versammlungen und Demonstrationen für die Rechte von Migrant*innen und Beschäftigten statt.

Als die Demokratische Partei Millionen von Demonstrant*innen auf den Straßen sah, ergriff sie diese Initiative und verhinderte das Gesetz HR 4437. Ein Erfolg, seitdem ist jedoch keine landesweite Bewegung mehr entstanden, die sich den zunehmenden einwanderungsfeindlichen Maßnahmen entgegenstellen könnte. Stattdessen haben sich Aktivist*innen darauf konzentriert, mehr und mehr Städte zu sanctuary cities zu erklären, die Einwanderer*innen dadurch zu schützen versuchen, dass sie die Zusammenarbeit mit den bundesweiten Einwanderungsbehörden verweigern. Diese städtischen Initiativen vermitteln Migrant*innen eine positive Botschaft. Sie stellen heraus, dass Einwanderer*innen eine Bereicherung für die Stadt sind, und unterstreichen gleichzeitig das eigene Bemühen, für deren Sicherheit zu sorgen. Aber letztlich sie sind kaum mehr als eine temporäre Maßnahme: eine vorübergehende Lösung für ein gravierendes nationales Problem.

Schlimmer noch: Diese Bewegung, immer mehr Städte und Landkreisen zu Stätten der Zuflucht zu erklären, kann paradoxerweise zu einem echten Hindernis für eine landesweite Reform der Einwanderungsgesetzgebung werden – ja sogar eine Hürde auf dem Weg zu solidarischem Handeln. Zwar lebt die Mehrheit der Einwanderer*innen bereits in Orten wie Los Angeles, New York City und Chicago, die allesamt zugesagt haben, ihnen Schutz zu garantieren, aber Latin@s außerhalb dieser Ballungszentren bleiben meist auf sich allein gestellt. Natürlich sind alle Bemühungen, die Großstädte fortschrittlicher zu machen, willkommen. Aber die Linke kann sich nicht in die Großstädte und Enklaven an den beiden Küsten zurückziehen. Wir müssen eine landesweite Politik entwickeln, mit der es gelingen kann, die jüngste Welle an einwanderungsfeindlicher Gesetzgebung zurückdrängen.

Abgesehen davon können die sanctuary cities auch nicht immer halten, was sie versprechen, wie die jüngsten Razzien in Chicago und New York City gezeigt haben. Die Infrastrukturen, die die lokalen Polizeibehörden mit ICE und DHS vernetzen, existieren bereits und ermöglichen den Bundesbehörden ohne Weiteres Zugriffe beispielsweise auf die Daten der New Yorker Polizei. Dass es hierbei erhebliche lokale Unterschiede gibt, sendet widersprüchliche Signale und trägt dazu bei, dass sich Latin@s alleingelassen fühlen und über Spaltungen berichten und dass kaum eine landesweite Mobilisierung entsteht.

Vielleicht liegt dies auch daran, dass die wenigen Reformen der Obama-Regierung gerade ausgereicht haben, um eine massenhafte politische Mobilisierung zu verhindern. Obama nutzte seine Exekutivbefugnisse, um eine Verordnung zu erlassen, die Minderjährigen einen temporären Schutz vor Abschiebung garantiert (Deferred Action for Childhood Arrivals, DACA). Während viele diese Verordnung zu Recht als einen Sieg der Bewegung für die Rechte von Einwanderer*innen lobten, wurde trotz breiter Unterstützung kurz darauf der sogenannte DREAM-Act (Development, Relief and Education for Alien Minors Act) gekippt, der die Bildungschancen migrantischer Jugendlicher substantiell hätte verbessern sollen.

Seitdem die Regierung Trump mit der Abschiebung von Jugendlichen begonnen hat, die eigentlich durch DACA geschützt wären, ist die Dringlichkeit, eine ähnliche Bewegung wie 2006 wiederzubeleben, offensichtlich geworden. Und tatsächlich ist es in den ersten einhundert Tagen unter der Regierung von Trump nicht nur zu einem Wiedererstarken von Initiativen, die einen Reform des Einwanderungsgesetzes verlangen, gekommen, sondern auch zu neuen Formen der Solidarität zwischen verschiedenen Einwanderergruppen.

Ein neues Bündnis

Während der ersten Wochen nach dem Regierungsantritt Trumps schien die Bewegung rund um den Slogan #NoBanNoWallNoRaids die Möglichkeit zu eröffnen, ein neues Bündnis zu schmieden. Eines, das vor Trump nicht bestand und das auch ohne seine Präsidentschaft nicht denkbar wäre. Ein solches Bündnis sollte klassenübergreifend sein. Untersuchungen zeigen, dass Muslime in den USA in einem hohen Maße gesellschaftlich ‚integriert‘ sind und sich im Vergleich zu anderen Einwanderergruppen sowohl schneller einleben als auch die Staatsbürgerschaft früher erhalten. Der sozioökonomische Status muslimischer Migrant*innen in den USA wie auch ihr Ausbildungsgrad sind überwiegend vergleichbar mit dem einheimischer US-Amerikaner*innen.

Bei Latin@s verhält es sich anders. Soziodemografische Daten belegen, dass diese Gruppe in sozioökonomischer Hinsicht und in Bezug auf ihren Schulbildung unter dem Bevölkerungsdurchschnitt liegt. Lediglich 15 Prozent aller Latin@s verfügen über einen Hochschulabschluss, das Einkommen und Vermögen sogenannter weißer Haushalte ist etwa elfmal so hoch wie das von Latin@s. Ihre Einbürgerungsquote ist geringer als die anderer Einwanderergruppen und sie bemühen sich zugleich später um ihre Einbürgerung. Worin sich die beiden Gruppen jedoch nicht unterscheiden, ist ihre im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung geringe Wahlbeteiligung: Sie gehen weniger oft wählen und nehmen auch generell seltener am politischen Geschehen teil. Beide Gruppen verfügen über ein verhältnismäßig geringes soziales und politisches Kapital, insbesondere seit dem 11. September 2011.

Dies könnte sich nun ändern, wenn das Potenzial hinter #NoBanNoWallNoRaids endlich dafür genutzt würde, um ein intersektionales Bündnis zu schließen bzw. auszuweiten. Es müsste – bei aller Unterschiedlichkeit beider Gruppen – die Gemeinsamkeiten betonen: die besondere Verletzlichkeit von Latin@s und Muslimen unter der Trump-Regierung und ihr Interesse, dagegen Widerstand aufzubauen. Die politische Aktivierung beider Gruppen bietet für die Linke eine besondere Chance, gegen die verschiedenartigen Formen der Unterdrückung zu mobilisieren und ein klares Signal für eine Politik der Solidarität zu setzen: Unsere Befreiung ist ohne eure Befreiung nicht möglich.

Wo Einwanderung zunehmend im Kontext von innerer Sicherheit diskutiert wird, ist solidarisches Handeln von Latin@s und Muslimen umso notwendiger, weil sich viele Menschen mit besonders prekärem Status an zahlreichen politischen Aktionen erst gar nicht beteiligen können. Eine intersektionale Organisierung von unten hat Latin@s, Muslime, sonstige Einwanderergruppen und deren Unterstützer*innen bereits jetzt bei einer Reihe von landesweiten Protesten zusammengeführt. Sichtbar wurde diese Koalition während des Women’s March auf Washington im Januar 2017, bei den Aktionen rund um das Bündnis »Wie wäre ein Tag ohne Einwanderer?« im Februar, beim Internationalen Women’s Strike im März und bei den jüngsten Protesten am 1. Mai.

Aus dem Bündnis zwischen Mexikaner*innen und Muslimen sind gemeinsame Pressekonferenzen entstanden, gemeinsame Demonstrationen und Aktionen, bei denen Initiativen und Netzwerke gegen die Mauer und das Einreiseverbot öffentlich erklärten, ein Angriff auf die eine der beiden Gruppen bedeute immer auch einen Angriff auf die jeweils andere Gruppe. Gemeinsam verurteilen sie Trumps Fremdenfeindlichkeit. So haben etwa Vertreter*innen von hispanischen NGOs in New Mexico Trumps Vorhaben kritisiert, bereits in der ersten Woche seiner Amtszeit großangelegte Abschiebungen vollziehen zu lassen. Eine weitere Konsolidierung dieses Bündnisses kann beide Gruppen politisch stärken. Obwohl sie einzeln kaum über politisches Kapital verfügen, könnten sie gemeinsam erfolgreich sein.

Die strategische Orientierung am Gedanken der Intersektionalität erinnert uns daran, die Bedürfnisse der anderen ernst zu nehmen. Die politische Konstanz hintern den Demonstrationen gegen Trump ermöglicht es wiederum, die Kritik auf allgemeine Machtstrukturen auszuweiten. #NoBanNoWallNoRaids ist keine Ein-Punkt-Bewegung, nicht allein eine Reaktion auf Trump, sondern eine Möglichkeit, die Linke wieder stärker zu einigen. Neben all dem Negativen, das eine Regierung Trump mit sich bringt: Sie eröffnet auch neue Chancen für eine Politik der Solidarität. Die breite Ablehnung von Trumps Politik erlaubt uns nicht nur, gegen Institutionen wie das DHS und ICE vorzugehen. Er hat es auch geschafft, dass sich marginalisierte Gruppen wie Latin@s und Muslime nun aktiv in sozialen Bewegungen engagieren.

#NoBanNoWallNoRaids ist ein gemeinsamer Aufschrei gegen jede Form der Unterdrückung. Der Women’s March auf Washington bot all jenen, die sich normalerweise nicht politisch engagieren, eine Gelegenheit, dies zu tun. Aber das war nicht alles, sie waren explizit aufgefordert, waren Adressat*innen des Aufrufs, sich den Widerstandsbewegungen anzuschließen. Angela Davis hat es in ihrer Rede auf dieser Demonstration folgendermaßen formuliert: »Ein inklusiver und intersektionaler Feminismus ist eine Aufforderung an uns alle, uns an dem Widerstand gegen Rassismus, Islamophobie, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit und kapitalistischer Ausbeutung zu beteiligen.« Trumps fremdenfeindliche Politik ist eine Katastrophe für sehr viele Migrantengruppen und people of color. Aber sie kann eine Gelegenheit sein, diese Gruppen zusammenzubringen und kollektives solidarisches Handeln zu stärken.

Dieser Artikel erschien zuerst im Mai 2017 in der Zeitschrift Jacobin. Aus dem Amerikanischen von Gerhard Wolf

[1] Vgl. Securitization of Migrant Integration (SOMI); www.sciencepo.fr/public/en/node/1150

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