Die YPG wurde von den Friedensverhandlungen um Syrien ausgeschlossen, und folglich auch von einer künftigen Regierung – obwohl sie einen großen Teil Nordsyriens kontrollieren, obwohl sie die einzige Kraft sind, die sich erfolgreich dem Islamischen Staat (IS) entgegenstellt, und obwohl sie in der Gunst sowohl der Vereinigten Staaten als auch Russlands stehen.
Am 17. März entschieden die KurdInnen Syriens über ihre Antwort auf diesen Außenseiter-Status: nämlich über die Gründung einer neuen Föderation des nördlichen Syrien, die die kurdisch dominierten Gegenden von Cizir
e, Kobane und Afrin – bekannt als Rojava –, umfassen würde, plus einiger arabischer Städte, die derzeit unter kurdischer Kontrolle stehen.
Syriens Regierung, die in Genf präsente Opposition und regionale Mächte lehnten das neue System mit der Begründung ab, die KurdInnen hätten kein Recht, Syrien für ihre eigenen Zwecke zu zerstückeln.
Salih Muslim Mohammed jedoch, Co-Vorsitzender der Partei der Demokratischen Union (PYD), der größten kurdischen Partei in Syrien, hielt fest, dass die neugegründete Föderation nicht als Region eines autonomen Kurdistans, sondern eher als Blaupause für ein künftiges, dezentralisiertes und demokratisches Land zu sehen sei, in dessen Regierung alle Bevölkerungsteile repräsentiert sein sollten.
»Es gibt keine autonome kurdische Region, insofern gibt es auch keine Frage, ob diese anzuerkennen ist oder nicht, « sagte er. »Die Föderation ist Teil eines demokratischen Syriens, und sie könnte sich über ganz Syrien hinweg ausdehnen. Wir wollen ein dezentralisiertes Syrien, in dem jede und jeder Rechte hat. Der Name ist nicht wichtig, wir nennen es einen demokratischen syrischen Föderalismus«, sagte er gegenüber
Middle East Eye.
„Der Föderalismus, über den wir reden, entspricht nicht einer geographischen Linie. Vielleicht wird er sich schon morgen bis nach Rakka (derzeit unter IS-Kontrolle) ausdehnen, und weiter bis zu anderen Orten«, fügte er hinzu. »Womöglich werden sich sogar die Leute aus Darʿā im äußersten Südwesten Syriens anschließen. «
Am Donnerstag, dem 17. März, wählten zweihundert Delegierte, darunter KurdInnen, AraberInnen, TurkmenInnen und ChristInnen aus den kurdisch dominierten Gebieten Syriens sowie syrischen Städten wie Manbidsch oder Aleppo, einen Rat mit 31 Mitgliedern für das demokratisch-föderale System Rojavas und Nordsyriens.
Hediya Yousef, eine Kurdin, und Mansur Selam, ein Araber aus Tall Abyad (Nordsyrien), wird Rojava repräsentieren. Sechs Monate wird es brauchen, bis das föderalistische System etabliert ist.
Wie Abdulsalem Mohammed, ein kurdischer Lehrer und Aktivist aus Qamischli, betont: »Es ist das erste derartige System in der Region. Dies geschieht nach dem Scheitern der diktatorischen Regime, die das Recht anderer Nationalitäten jenseits ihrer eigenen zu ignorieren pflegten. Es beruht auf unserem System des Co-Vorsitzes und auf unterschiedlichen Nationalitäten, und auf der Gleichheit zwischen Frauen und Männern.«
Die syrischen KurdInnen sagen, dass sie Rojava bereits kontrollieren, diese Kontrolle in den letzten Monaten jedoch in arabische Städte ausgeweitet haben – wie etwa im Fall von Shaddadi, das im Februar eingenommen wurde, und im Fall Tall Abyads, das im Juni 2015 unter kurdische Kontrolle kam.
Das ist die Entwicklung, aufgrund derer die syrischen KurdInnen, nun die kurdische Selbstverwaltung überschreitend, ein föderales, demokratisches Syrien anstreben.
Ein strategischer Schritt
Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Pläne für einen Föderalismus den westlichen Alliierten zusagen. Die USA haben klar ausgedrückt, dass sie keine semi-autonome kurdische Region in Syrien befürworten. Wie Mark Tonor, Sprecher des Außenministeriums, vor der Wahl des Rates verlauten ließ: »Wir haben davon gehört, dass syrische Kurden auch in Syrien eine föderalistisch verfasste Region errichten wollen. Zur Antwort darauf geben würde ich lediglich, dass wir die Anerkennung jeglicher selbstverwalteter oder halbautonomer Zonen in Syrien stets sehr klar verneint haben.« Solch ein Schritt sei während der Friedensgespräche in Genf zu diskutieren. Beide dort anwesenden Parteien sind jedoch gegen den kurdischen Plan und die KurdInnen selbst nicht eingeladen.
Amberin Zaman, Fellow des Wilson Centre in Washington DC, bezeichnete die Deklaration als strategischen Schritt der syrischen KurdInnen, um »für den Moment, wenn das neue Syrien gegründet wird, internationale Legitimität und Einfluss zu gewinnen«. Die syrischen KurdInnen hätten von den KurdInnen im Irak gelernt, die nach Erreichen des Autonomiestatus 1991 wor allem mit schiitischen arabischen DissidentInnen und SunnitInnen gearbeitet hätten, um eine letztlich auch verfassungsmäßige Anerkennung zu erreichen: »Die syrischen Kurden wissen, dass das Wort Kurdistan radioaktiv wirkt – es versetzt alle in Alarm und löst Reaktionen aus, die ihnen das Leben schwerer machen – bei den Türken offensichtlich ganz besonders, aber auch bei den Arabern. Sie erkennen die Notwendigkeit an, Koalitionen mit den Arabern aufzubauen, da sie sich immer weiter über ihre angestammten Gebiete hinweg ausbreiten. Nur durch die Bildung solcher Koalitionen können sie ihren Einfluss und ihre Stärke erhalten und mehr Legitimität gewinnen, sowie auch die Unterstützung der westlichen Partner wie den Vereinigten Staaten.«
Laut Jonathan Spyer, dem Leiter des Rubin Centre in Israel, handelt es sich bei der Erklärung um ein Vabanquespiel der PYD und ihrer Verbündeten. »Es ist offensichtlich, dass die de facto regierenden Autoritäten die Thematik abgewogen haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Sie haben die Angelegenheit seit Dezember 2015 diskutiert und betont, dass Rojava die Rolle zufällt, ein Beispiel für die föderale Zukunft Syriens abzugeben.« Nichtsdestoweniger sind sich Regime und anerkannte Opposition weiterhin darüber einig, dass eine Teilung des Landes die rote Linie darstellt. »Das Ironische an dieser Position ist, dass eben der Krieg zwischen dem Regime und den Rebellen für die faktische Teilung Syriens verantwortlich ist«, so Spyer.
Geteilt durch die gemeinsame Sache
Problematisch sind die schwierigen Beziehungen zwischen der kurdischen Autonomieregion unter Präsident Masud Barzani im Irak und der PYD-Administration in Nordsyrien. So verwehrten die lokalen kurdischen Autoritäten etwa dem Vorsitzenden des Kurdischen Nationalkongresses (KNC), Ibrahim Biro, die Einreise vom Irak – nachdem die kurdischen Autoritäten des Irak dem Gouverneur von Slemani, Aso Faridoon, untersagt hatten, zur Teilnahme an einer Zeremonie in Kobane nach Rojava einzureisen.
Der von Barzani unterstützte Kurdische Nationalkongress liegt mit der PYD überkreuz; beide Seiten scheiterten seit 2012 dreimal daran, eine Vereinbarung über die Teilung der Macht zu treffen.
Wiewohl KNC als auch PYD von Föderalismus sprechen, strebt der KNC nach eigener Aussage ein System ähnlich der autonomen Region Kurdistan im Irak an, während die PYD auf einen ethnisch nicht gebundenen 'syrischen Föderalismus' für alle in Nordsyrien Lebenden zielt.
Irakisch-Kurdistan beruht auf ethnischem kurdischem Nationalismus und schließt keine AraberInnen oder TurkmenInnen in der eigenen Führung ein, während die PYD erfolgreich AraberInnen und ChristInnen in Führungspositionen gebracht hat. So wurde beispielsweise Humaydi Daham al-Assi al-Jarba, ein Araber, im Juli 2014 zum Co-Gouverneur in Hasakah.
Auch sind die kurdischen Regionen in Syrien stärker durchmischt mit arabischer und christlicher Bevölkerung, während die irakisch-kurdische Region überwiegend nur von KurdInnen bewohnt wird. Im Ergebnis ist die PYD dazu gezwungen, stärker mit AraberInnen und anderen Minoritäten zusammenzuarbeiten.
»Der Föderalismus der PYD und unserer sind verschieden«, sagte Mustafa Sino, ein Funktionär des KNC in Erbil. »Wir treten für kurdischen Föderalismus ein – sie wollen einen nordsyrischen Föderalismus.«
Der PYD zufolge sei es dem KNC niemals ernsthaft um die Teilung der Macht gegangen, sondern vielmehr um eine Trennung der Machtsphären auf Basis eines 50-50-Modells.
Hinzu kommt, dass die kurdische Autonomieregion im Irak (KRG) gute wirtschaftliche Beziehungen zur Türkei hat – zur Türkei, die seit dem Bruch des Waffenstillstandes im Juli 2015 brutal gegen einen Aufstand der Kurdischen Arbeiterpartei PKK vorgeht.
»Der Punkt ist, dass die KRG unter Barzani ein Alliierter der Türkei ist, und ohne eigenen Meereszugang von dieser abhängig, um ihr Öl durch das Mittelmeer nach draußen zu transportieren«, so Spyer. »Und die Türkei nimmt Rojava als Ausdehnungsbereich der PKK wahr. Wenn Barzani also existenziell davon abhängt, sich seine guten Beziehungen zur Türkei zu erhalten, dann muss er in Sachen Rojava sehr vorsichtig sein – gerade jetzt, da der Friedensprozess zwischen der Türkei und der PKK zu Ende ist.«
Dieser Artikel erschien am 17. März 2016 bei Middle East Eye. Aus dem Englischen von Corinna Trogisch