Bis zum letzten Sommer konnte man denken, dass die Kritik am politischen Programm und an der Praxis der Sammelunterbringung von geflüchteten Menschen in Deutschland langsam aber sicher fruchtet. So war eine Lagerunterbringung von Flüchtlingen – meist in leer stehende Gebäude, in unattraktiver Randlage und schlechtem baulichen Zustand – zwar weiterhin bundesdeutsche Normalität. Aber die Situation hatte sich vielerorts leicht verbessert. Eine Reihe von Bundesländern, darunter Berlin-Brandenburg, hatte sich entschieden, die sogenannte Residenzpflicht auszusetzen und den betroffenen Flüchtlingen ein Mindestmaß an selbstbestimmter Mobilität zu ermöglichen. In einigen Bundesländern war es den Flüchtlingen zumindest formal möglich, die Sammelunterbringungen zu einem relativ frühen Zeitpunkt zu verlassen, und sich eine eigene Wohnung zu suchen. Und auch die entwürdigende Versorgung über Sachmittel und Gutscheine war zu Gunsten von Bargeld aufgegeben worden.
Wer hätte gedacht, dass all diese kleinen Erfolge binnen weniger Monate wieder zunichte gemacht würden. Mit der derzeitigen massenhaften Unterbringung von Flüchtlingen in Sammelunterkünften – oftmals höchst prekäre Lager im eigentlichen Sinne des Wortes – und den jüngsten Verschärfungen des Asylrechts ist die Frage nach einem Zugang zu menschenwürdigem Wohnraum für Flüchtlinge wissenschaftlich und politisch leider wieder hoch aktuell. So stieg allein in Berlin die Anzahl der Sammelunterkünfte von sieben im Sommer 2010 auf 129 im Dezember 2015 (Muy, im Erscheinen). Seit Oktober 2015 sind dort mehrere tausend Menschen in den Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof untergebracht – allein schon aus baulicher Sicht eine problematische Situation. Auch die Verweildauer der Menschen in den Lagern – darunter viele alte Menschen und Familien mit Kindern – dürfte sich mit dem im Oktober 2015 in Kraft getretenen Asylpaket 1 noch einmal erheblich verlängern und sich entpsrechend die Lebensbedingungen weiter verschärfen (vgl. Pelzer in LuXemburg 1/2016). So sollen Asylbewerber_innen nun bis zu sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben. Die Residenzpflicht wurde auf bis zu sechs Monate erhöht, ein Arbeitsverbot verhängt und die Versorgung nur noch über Sachleistungen gewährt.
Nicht nur gilt es diese Entwicklungen aus menschenrechtlicher Perspektive zu kritisieren. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht lässt sich zudem argumentieren, dass die Frage nach der Unterbringung Geflüchteter in Sammelunterkünften von Anfang an falsch gestellt ist. Denn Turnhallen, Traglufthallen und Containerdörfer sind – selbst als pragmatisches Provisorium – die schlechtesten aller denkbaren Alternativen, sieht man von Obdachlosigkeit ab. In der sogenannten ‚Unterbringungskrise’ verdichten sich eine ganze Reihe von politischen Dynamiken, von denen viele überhaupt nichts mit den Flüchtlingen selbst zu tun haben. Vielmehr spitzt sich durch die aktuellen Migrationsbewegungen die Krise der öffentlichen Daseinsvorsorge zu, die im Zuge neoliberaler Umstrukturierungsprozesse seit Jahren politisch forciert wurde.
Lager fungieren als Orte der sozialräumlichen Kontrolle und Entrechtung
Angefangen mit Ervin Goffmans berühmten Arbeiten über Psychiatrien (Goffman, 1972), und Foucaults Schriften zu Schulen und Kasernen (Foucault, 1994) bis hin zu Analysen städtischer Segregation (Häußermann & Oswald, 1997), Ghettobildung (Wacquant, 2004) und ethnografischen Studien zu Flüchtlingslagern (Inhetveen, 2010) gibt es eine lange Forschungstradition, die sozialräumliche Konzentration marginalisierter Bevölkerungsgruppen in den Fokus rückt. Wir können heute mit Sicherheit sagen, dass das Lager – ob intendiert oder nicht – unabhängig von der pragmatischen Frage der Unterbringung und Versorgung, eine gefährliche soziale Wirkung entfaltet (ausführlich dazu Landesflüchtlingsräte, 2011; Täubig, 2009).
Nach innen unterwerfen die organisatorischen Abläufe im Lager – gemeinsame Essensausgabe, gemeinsame Waschzeiten, gemeinsame Schlaf- und Ruhezeiten – die Insassen einer enormen Kontrolle und Gleichschaltung. Hinzu kommt der Mangel an Platz und Rückzugsraum sowie eine fehlende Privatsphäre. In Sammelunterkünften in Bayern soll „eine durchschnittliche Wohn- und Schlafraumfläche von sieben Quadratmetern regelmäßig nicht unterschritten werden“, heißt es in der entsprechenden Verordnung aus dem Jahr 2010 (Staatsministerium, 2010). Aktuell werden sogar diese Minimalstandards noch unterlaufen, beispielsweise in den Berliner Notunterkünften im Tempelhofer Flughafen. Für die in den Hangars untergebrachten Flüchtlinge beträgt die Wohnfläche derzeit zwischen 1,5 und 2 Quadratmeter pro Person (Flüchtlingsrat, 2016a). Notweniger Weise führt dies zu Konflikten.
Hinzu kommt, dass im Spannungsfeld der strukturell widersprüchlichen Interessen, die sich im Lager verdichten, weder die physische Sicherheit der Geflüchteten garantiert werden kann, noch eine angemessene sozialarbeiterische Betreuung. Dies haben nicht zuletzt die zahlreichen Vorfälle der vergangenen Monate erneut gezeigt – darunter so dramatische Fälle wie der brutale Übergriff auf den Leiter einer Berliner Unterbringung durch sein eigenes Security Personal[1] und die ‚Enttarnung’ eines Heimleiters im sächsischen Ort Clausnitz als Mitglied der rechtsradikalen Partei Alternative für Deutschland (AfD).[2]