Die Inflation im Vereinigten Königreich stieg im Juli auf zehn Prozent. Dabei wurde erneut deutlich, wie ungleich die sozialen Auswirkungen sind, wenn die Preise von elementaren Gütern wie Energie, Wohnraum und Nahrung steigen: Gemessen am Einkommensanteil treffen die Belastungen den ärmeren Teil der Bevölkerung neunmal so stark wie die reichsten fünf Prozent. Dabei sind von Rassismus betroffene Bevölkerungsgruppen ungleich stärker belastet als weiße Menschen, Frauen stärker als Männer. 

Die Eingriffe der konservativen Regierung zur Entlastung der am stärksten betroffenen Haushalte gehen offensichtlich nicht weit genug. Ein allgemeiner Zuschuss zur Energierechnung von 400 Pfund, eine Einmalzahlung von 650 Pfund für Haushalte, die Sozialleistungen beziehen, sowie eine kürzlich eingeführte “Energiepreisgarantie” - all das kann die Folgen der galoppierenden Inflation zwar etwas abmildern. Es sind jedoch nur kurzfristige Maßnahmen, die die vollen Auswirkungen der Krise lediglich verzögern. Sie werden bei weitem nicht ausreichen, um Millionen von Menschen kurz- und langfristig vor dem Absturz in die Armut zu bewahren.

Streiken um unser Leben

Angesichts der fehlenden staatlichen Unterstützung organisiert sich inzwischen breite gesellschaftliche Gegenwehr. Eine der wichtigsten Bewegungen von unten ist Don`t Pay. Die Kampagne wurde im Juni gegründet und fordert dazu auf, die Energierechnungen schlicht nicht mehr zu bezahlen – angelehnt an den Widerstand gegen die Wahlsteuer aus dem Jahr 1990. Von der Regierung wird gefordert, die Energiepreise bis zum 01. Oktober auf ein erschwingliches Maß zu senken. Sollte die Forderung nicht erfüllt werden, ruft Don’t Pay zum Streik auf - sofern sich bis dahin mindestens eine Million Menschen der Bewegung angeschlossen haben.

Die Bewegung entstand damit, dass ein paar Freund*innen im Pub über die steigenden Lebenshaltungskosten klagten. Inzwischen hat sie eine beachtliche Größe erreicht. Die Frustration und Wut über die finanziellen Auswirkungen der Krise hat der Kampagne in kürzester Zeit enorme Unterstützung gebracht. Viele scheinen nur darauf gewartet zu haben, aktiv zu werden. Mittlerweile haben fast 200.000 Menschen erklärt, ihre Energierechnungen nicht mehr bezahlen zu wollen. Weitere 70.000 erklärten sich bereit, die Kampagne organisatorisch zu unterstützen, mehr als 260 Ortsgruppen wurden gegründet.

Derweil versuchen Gegner*innen von Don’t Pay, die Kampagne zu schwächen. Ein Kritikpunkt ist das vermeintlich zu hohe Risiko für die Menschen, die die Zahlungen verweigern. Die Kampagne stellt umfangreiches und laufend aktualisiertes Informationsmaterial zur Verfügung, um über den Umgang mit den Risiken aufzuklären. Entscheidend ist die bereits erwähnte Marke von einer Million Unterstützer*innen – nur eine große Zahl schafft tatsächliche Wirkmächtigkeit und schützt vor den Risiken.

Die jüngste Ankündigung der Regierung zur Einführung der “Energiepreisgarantie” (die von Don’t Pay als “Schwindel” bezeichnet wird) konnte den Zuspruch der Kampagne bislang nicht schmälern. Vielmehr wird das kleine Zugeständnis als ein Zeichen gewertet, dass Don’t Pay Wirkung zeigt. Diejenigen, die für die Kampagne mobilisieren, scheinen das eher als Ansporn zu sehen, ihre Anstrengungen zu verdoppeln und sich nicht zufrieden zu geben. Denn trotz der Preisgarantie wird ein durchschnittlicher Haushalt in diesem Winter doppelt so stark belastet sein wie im letzten Jahr. Die 170-Milliarden-Pfund-Gewinne der Energieunternehmen werden demgegenüber nicht angetastet werden.

Unabhängig davon, ob die Kampagne die erforderliche Marke von einer Millionen Unterstützer*innen erreicht, die für den offiziellen Streikaufruf notwendig sind – Millionen Haushalte werden in den kommenden Monaten Mühe haben, ihre Energierechnungen zu bezahlen und ganz allgemein ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Hier können die vielen Netzwerke, die sich rund um Don’t Pay gebildet haben, eine wichtige Rolle der gegenseitigen Unterstützung und Solidarität spielen. Sollten die Energieunternehmen etwa versuchen, erpresserische Wucher-Stromzähler in Wohnungen zu installieren, könnten lokale Gruppen dagegen gemeinsam vorgehen – so wie bei Aktionen gegen Zwangsräumungen.

Den Widerstand ausweiten

Don’t Pay ist jedoch nicht die einzige radikale Antwort auf die aktuelle Situation. Im August entstand die übergreifende Kampagne Enough is Enough, gegründet von Gewerkschafter*innen und Nachbarschaftsaktivist*innen. Sie fordern ein Ende der steigenden Lebenshaltungskosten und bessere Lebensbedingungen für alle.

Enough is Enough gewann nach seiner Gründung rasend schnell Zuspruch. Schon am ersten Tag kam es aufgrund der hohen Zugriffszahlen zu einer Überlastung der Website-Server. 500.000 Menschen unterzeichneten die Forderungen. Hierzu gehören echte Lohnerhöhungen, niedrigere Energierechnungen, ein Ende der Lebensmittelarmut, menschenwürdiger Wohnraum für alle und eine höhere Besteuerung der Reichen. Öffentliche Unterstützung erhielt die Kampagne unter anderem von Mick Lynch, dem Generalsekretär der nationalen Eisenbahn- und Transportgewerkschaft, den Labour-Abgeordneten Zarah Sultana und Ian Byrne, der Gewerkschaft der Communication Workers und der Mieter*innengewerkschaft ACORN.

Um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, organisiert Enough is Enough landesweite Kundgebungen, greift die Unternehmen und Superreichen an, die von der Armut der Menschen profitieren, gründet lokale Aktionsgruppen und unterstützt gewerkschaftliche Streiks.

Und in der Tat rollte in diesem Sommer eine Streikwelle über das Vereinigte Königreich. Postangestellte, Müllentsorgungsbetriebe und Busfahrer*innen legten ihre Arbeit nieder - viele andere Sektoren könnten ihrem Beispiel folgen. Die Streikunterstützung von Don’t Pay, Enough is Enough und anderen war ein wichtiges Zeichen des gemeinsamen Widerstands. Um die Unterstützung besser zu koordinieren, rief eine Gruppe von Aktivist*innen die Website Strike Map ins Leben, um die landesweiten Streiks besser verfolgen und Solidaritätsaktionen planen zu können.

Wie erfolgreich die Kampagnen letztlich sein werden, wird sich erst zeigen. Aktuell schlägt sich das Land mit einer neuen Premierministerin herum und die Schlagzeilen werden vom Staatsbegräbnis der Queen dominiert, für das sogar elementare Dienstleistungen, etwa im Gesundheitswesen, unterbrochen wurden. Doch schon jetzt haben die Menschen in Großbritannien deutlich gemacht, dass sie mehr verdienen als nur die Brosamen der Reichen, die weiter Profite scheffeln. Sie schließen sich zusammen und leisten Gegenwehr - der Widerstand wächst.

 

Übersetzt aus dem Englischen von Lennart Zipf. Der Text erschien im Original auf der englischsprachigen Website der Rosa-Luxemburg-Stiftung.