Fridays for Future sind seit Monaten aktiv, aber wenn man das Klimapaket anschaut, habt ihr noch nicht so richtig was erreicht, oder?

Lara: Das ist zwiespältig. Ich denke schon, dass wir eine Diskursverschiebung in der Gesellschaft erreicht haben. Wir haben das Thema Klimawandel ganz oben auf die politische Agenda gesetzt, das ist nicht nichts. Aber es stimmt: Von den konkreten Forderungen wurde bisher keine umgesetzt. Obwohl im September 1,4 Millionen Menschen bei den Demonstrationen zum globalen Klimastreik waren.

Wie soll es weitergehen?

Lara: Es gibt jetzt unterschiedliche Ansätze. Der Kohleausstieg bleibt zentral, zum Beispiel mit Protesten gegen das Kohlekraftwerk Datteln 4. Ein wichtiger Fokus liegt aber auch auf der Mobilitätswende. Der Verkehrsbereich ist der drittgrößte ­Emissionssektor in Deutschland und der einzige, in dem der CO2-Ausstoß in den letzten 20 Jahren zugenommen hat. Im Klimapaket kommt er kaum vor. Außerdem zeigt sich hier deutlich, wie sehr die Klimafrage mit sozialen Fragen verknüpft ist. Ursprünglich waren Kontakte zu Beschäftigten oder Gewerkschaften kein Thema für Fridays for Future. Aber schon beim globalen Klimastreik im September 2019 gab es die Idee einer Vernetzung, die über Studierende und Schüler*innen hinausgeht. Daher der Hashtag #allefürsklima. Es passt perfekt, dass mit der Tarifrunde in ­Nahverkehr im Sommer eine Auseinandersetzung bevorsteht, an die wir anknüpfen können.

Ihr habt bei der BVG letztes Jahr erfolgreich für mehr Lohn gestreikt, wieso schon wieder eine Tarifrunde?

Erdoğan: Diesmal geht es nicht um die Löhne, sondern um Forderungen zu Urlaub, Zuschlägen sowie zu Ruhe- und Wendezeiten. Unsere Arbeitsbedingungen haben sich extrem verschlechtert. Die Ruhezeiten zwischen den Diensten sind kürzer und die Dienste länger geworden, der Stress nimmt zu, Kolleg*innen werden anfällig, Erkrankungen häufen sich. Auch die Wendezeiten, also die Zeiten, in denen wir an den Endhaltestellen unsere Pausen machen, werden immer kürzer. Die Toiletten sind oft weit entfernt, sodass es teils schwierig ist, zwischen den Fahrten mal aufs Klo zu gehen. Die sanitären Anlagen und die Pausenräume sind außerdem in einem unwürdigen Zustand. Außerdem klopfen immer wieder Fahrgäste an die Tür klopfen und bitten um Auskunft. Da ist keine Entspannung möglich. Die Zustände sind bundesweit ähnlich.

Wie sieht es mit dem Leben jenseits der Arbeit aus? Ihr fahrt ja auch am Wochenende und in der Nacht.

Erdoğan: Ja, außerdem haben wir oft lange Dienste, bis zu 14 Stunden. Ein Tag hat aber nur 24 Stunden. Wir haben wenig Zeit für Familie, Freunde, Schlaf und Ernährung. Das macht auf Dauer krank.

Ein 14-stündiger Dienst?

Erdoğan: Wir haben geteilte Dienste. Zwischen den beiden Teilen liegen mehrere Stunden, die aber nicht bezahlt werden. Du stehst dem Unternehmen also 14 Stunden zur Verfügung, wirst aber nur für die reine Dienstzeit bezahlt. Früher war der Tageszuschlag dafür 18 Mark – dem würden heute 9 Euro entsprechen. Tatsächlich bekommen wir aber nur 2 Euro. Das ist ungerecht und sehr belastend.

Lara: Solche Bedingungen machen den Job extrem unattraktiv. Das ist auch ein Grund, warum wir diese Tarifrunde wichtig finden: Wegen der schlechten Arbeitsbedingungen entscheiden sich immer weniger junge Leute für eine Ausbildung im öffentlichen ­Personennahverkehr (ÖPNV). Ohne Beschäftigte wird es jedoch keine Verkehrswende geben.

Ihr seid aus Berlin, die Auseinandersetzung findet aber bundesweit statt, oder?

Erdoğan: Aktuell gibt es 15 verschiedene Tarifverträge in über 100 kommunalen ­Verkehrsbetrieben. Die laufen alle zum 30. Juni aus, dann steigen wir in die Tarifverhandlungen ein. Unser Ziel ist es, bundesweit zu einheitlichen Standards zu kommen und wieder mehr gemeinsam zu kämpfen. Nur so werden wir stärker. In Berlin geht es außerdem um Arbeitszeiten – in einer Umfrage haben sich unsere Kolleg*innen 2018 für eine Arbeitszeitverkürzung ausgesprochen.

Wie ist es zu dieser Aufsplitterung der Tarifverträge gekommen?

Erdoğan: Ursprünglich war der öffentliche Nahverkehr Teil des Flächentarifvertrags des öffentlichen Dienstes. Um Kosten zu sparen, wurden Anfang der 2000er Jahre einzelne Bereiche aus dem Flächentarif herausgebrochen. Der personalintensive und damit teure Verkehrsbereich gehörte dazu. Jetzt haben wir diese zersplitterten Tarife und die einzelnen Verkehrsunternehmen versuchen, uns gegeneinander auszuspielen. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben!

Welche Rolle spielen Privatisierungen?

Erdoğan: Bei den privaten Verkehrsbetrieben sind die Arbeitsbedingungen und Löhne noch schlechter. Das übt Druck auf die Kommunalen aus, und Privatisierung ist eine ständige Bedrohung. Aus Angst davor haben wir 2005 bei der BVG einen Absenkungs­tarifvertrag verhandelt und darin freiwillig auf Geld und auf Rechte verzichtet. So ähnlich ist es überall gelaufen.

Wie könnte sich Fridays for Future in die Tarifrunde einbringen?

Lara: Die Klimabewegung bringt den gesellschaftlichen Rückhalt mit, den die Streikenden im ÖPNV oft nicht haben. Wir kennen das: Am ersten Tag findet ein Streik Zustimmung – die Leute unterstützen die Forderung nach höheren Löhnen. Am zweiten Tag ärgern sie sich aber schon, wenn ihr Bus nicht kommt. Deshalb wollen wir uns mit den Beschäftigten solidarisieren, um ihnen den Rücken zu stärken und gleichzeitig den Fokus aufs Klima zu legen: Eine Mobilitätswende wird es nur geben, wenn der ÖPNV massiv ausgebaut wird.

Erdoğan: Ja, wir haben viele Überschneidungen mit den Forderungen der Klimabewegung. Ein Doppeldeckerbus kann bis zu 100 Autos ersetzen. Viele Kolleg*innen sehen das genauso, weshalb es auf regionaler und auch auf Bundesebene Verbindungen zu Fridays for Future gibt. Am 20. September haben wir uns mit 100 Kolleg*innen von der BVG und auch bundesweit am Klimastreik beteiligt. Die Zusammenarbeit wollen wir ausbauen.

Was fordert ihr konkret?

Lara: Der Individualverkehr muss zurückgedrängt werden, und das geht nur durch einen Ausbau des ÖPNV. Damit ist aber zwangsläufig die Frage der Finanzierung verknüpft. Ich denke, wir brauchen eine Unternehmensabgabe, um die Konzerne an den Kosten für öffentliches Fahren zu beteiligen. In Frankreich funktioniert ein ticketloser ÖPNV durch Unternehmensabgaben schon in über 20 Verkehrsverbünden. Langfristig sollte der ÖPNV natürlich zum Nulltarif sein.

Die Kommunen sind oft klamm. Sie müssen abwägen, welche Aufgabenbereiche sie finanziell besser ausstatten.

Erdoğan: Ein Problem ist, dass der ÖPNV im Klimapaket der Bundesregierung leer ausgegangen ist. In der Berliner Landesregierung besteht durchaus Interesse, den ÖPNV auszubauen und besser zu finanzieren. Aber die Umsetzung lässt zu wünschen übrig. 2019 haben wir mit ver.di einen guten Tarifabschluss erreicht, der den Betrieb logischerweise Geld kostet. Die ursprünglichen Versprechungen hat der Senat dann aber doch zurückgezogen. Jetzt ist unklar, ob und wie die BVG an anderen Stellen sparen kann, um die höheren Löhne zu zahlen.
In Berlin sieht man die Verheerungen der Schuldenbremse, die bricht den Kommunen das Genick. Letztlich müsste die Finanzierung auch über eine stärkere Besteuerung der Reichen geregelt werden. Mit dieser Bundesregierung stehen aber weder Vermögenssteuer noch andere Möglichkeiten auf der Tagesordnung. Wir sind ein reiches Land. Geld ist da – es ist nur nicht gerecht verteilt. Da müssen wir ran.

Lara: Ja, Geld ist vorhanden! Es muss anders verteilt werden. Zum Beispiel sollten wir aufhören, weiterhin fossile Energien oder konkret die Autoindustrie zu subventionieren. Aktuell wird mit massiven Steuer­vorteilen der Kauf von luxuriösen Dienst­wagen angekurbelt, die einen hohen Ausstoß haben. Ganz zu schweigen vom Straßenbau, in den irre viel öffentliches Geld gesteckt wird, ganz im Gegensatz zu Schienen – die werden vielerorts sogar abgebaut. Skandalös ist auch, dass die Autokonzerne davon ausgehen, dass die Ladeinfrastruktur, die für einen Umstieg auf E-Mobilität nötig ist, aus Steuermitteln finanziert wird. Hier droht eine ökologisch sehr zweifelhafte Technologie viel Geld zu verschlingen, das für den Ausbau des ÖPNV dringend gebraucht würde.

Das geht ja über Tarifverhandlungen hinaus. Wie wollt ihr hierfür den nötigen politischen Druck aufbauen?

Erdoğan: Wir brauchen eine Bewegung, die weit über ver.di hinausgeht. Auch die anderen Gewerkschaften müssen sich beteiligen und die Zivilgesellschaft. Deshalb ist die Klimabewegung so ein wichtiger Partner.

Lara: Ja, für die Mobilitätswende bedarf es einer breiten gesellschaftlichen Allianz aus Gewerkschaften, Klimabewegung, NGOs und linken Parteien. In Bezug auf die Gewerkschaften läuft da schon vieles. Ende Februar hatten wir ein Treffen mit etwa 100 Teilnehmer*innen von Fridays for Future und jüngeren Kolleg*innen von ver.di, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und der IG Metall. Es wurde klar: Viele Gewerkschafter*innen – besonders im Verkehrssektor – machen sich für die Verkehrswende stark.
Wenn die Tarifauseinandersetzung näher rückt, überlegen wir, einen Freitagsstreik unter das Motto Verkehrswende zu stellen und gemeinsam mit Gewerkschaftskolleg*innen zu demonstrieren.

Aber es gibt ja auch Widersprüche. Bei der Forderung nach einem Nulltarif zum Beispiel haben Beschäftigte Angst, dass noch weniger Leute eingestellt werden und sich die Arbeit weiter verdichtet.

Erdoğan: Es gibt auch kritische Stimmen zur Bewegung. Wir unterstützen die ­Klimabewegung nicht zu 100 Prozent. Aber wir diskutieren über ihre Positionen im Betrieb. Und wir sehen, dass die jungen Menschen in der Klimabewegung nicht nur an ihre eigene, sondern auch an unsere Zukunft denken. Es gibt immer auch diejenigen, die weiterhin glauben, dass Klimabewegung und Gewerkschaft keine gemeinsamen Interessen haben. Vielleicht ändert sich das im Laufe des nächsten Jahres ja noch.

Lara: Ja, die Ängste gibt es. Wir müssen deutlich machen, dass wir eine ökologische und sozial gerechte Mobilitätswende wollen. Für uns ist zentral, dass die Beschäftigten die Klimabewegung nicht als Gegner begreifen, sondern wir zusammen für den Erhalt unseres Planeten kämpfen. Für uns ist klar, ein Nulltarif darf nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen. Das geht nur, wenn wir die Forderung nach Klimaneutralität mit der nach finanzieller Absicherung – also nach gesellschaftlicher Umverteilung – verbinden. Und es hängt davon ab, ob wir so viel Druck entfalten können, dass ein echter gesellschaftlicher Umbau in den Blick kommt – nicht nur eine »Antriebswende«. Mit Schuldenbremse und den derzeitigen Steuerkonzepten, das hat Erdoğan ja schon gesagt, wird es nicht gehen.