Ausbeutungsformen weiblicher Arbeitskraft
Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Türkei liegt inzwischen bei 9 Prozent (Toksöz, 2007, 94). Und nur zehn Prozent dieser wenigen gewerkschaftlich Organisierten sind Frauen – Devrim Göktas (2008) spricht von 10 bis 15 Prozent. Eine Gewerkschaft darf erst gegründet werden, wenn 10 Prozent aller Beschäftigten in einem Sektor – türkeiweit und sozialversichert – gewerkschaftlich organisiert sind. Um das Recht auf Tarifverhandlungen zu erhalten, müssen im Betrieb über 50 Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert sein. In kleinen Betrieben, in denen flexibilisiert und dereguliert gearbeitet wird, ist das kaum zu erreichen.
Typisch weibliche Beschäftigungsverhältnisse wie Heimarbeit entziehen sich dem gewerkschaftlichen Zugriff bzw. fallen aus der gesetzlich vorgeschriebenen, branchenspezifischen Organisierungsform von Gewerkschaften heraus: Heimarbeitende Frauen bekommen Aufträge aus verschiedenen Fabriken; sie sind einen Tag im Textil-, einen Tag im Chemie- oder Metallsektor beschäftigt. Zwischenzeitlich erledigen sie private Aufträge, z.B. einen Bettüberwurf für die Nachbarin. Oder wenn keine sonstige Arbeit da ist, verstrickt die Frau die Wollreste im Haus und trägt das Produkt auf den Markt, wodurch sie eine Selbständige wird.
Immer noch sind 45 Prozent aller arbeitenden Frauen in der Landwirtschaft beschäftigt, 98 Prozent davon unregistriert. Ihr Anteil sinkt mit allgemeiner Landflucht und Flucht vor dem Krieg in den kurdischen Gebieten, aber der städtische Arbeitsmarkt kann sie nicht auffangen (Vgl. keİg 2009, 10ff). Als »mitarbeitende Familienangehörige«, die manchmal nicht einmal über einen Identitätsnachweis verfügen, arbeiten viele Frauen bar jeglicher sozialer Rechte, nur gegen Verpflegung. Am schlechtesten gestellt sind kurdische Wanderarbeiterinnen, die zudem noch mit nationalistischen Ressentiments konfrontiert sind (vgl. Türker 2011).
Die Zahl der Frauen, die – zumeist als Tagelöhnerinnen – in Privathaushalten arbeiten, geht in die Hunderttausende. Hausarbeiterinnen sind oft Migrantinnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, denen vom Haushaltsvorstand oft die Verfügung über ihren Pass entzogen wird. Aus Angst, jede Möglichkeit zum Verdienst zu verlieren, akzeptieren sie die erniedrigendsten Arbeitsbedingungen: Untergebracht bei der Familie, die sie beschäftigt, beginnt ihr Arbeitstag mit dem Aufstehen und endet mit dem Zubettgehen. Es sind Verhältnisse wie Leibeigenschaft, in denen viele Frauen in der Türkei arbeiten. Offiziell sind sie nur für die Kinder angestellt, doch oft wird ihnen die gesamte Hausarbeit aufgehalst. Der Klassenkontrast birgt besondere psychische Belastungen: Die Frau bewegt sich oft zwischen Luxus und Armut, manchmal werden im Haushalt unterschiedliche Mahlzeiten gegessen oder die eigenen Kinder bekommen kein Fleisch, während beim Arbeitgeber feinste Lebensmittel verbraucht werden. Übergriffe durch im Haus anwesende Männer sind ein allgegenwärtiges Risiko. Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle werden nicht als solche anerkannt.
So greifen patriarchale und kapitalistische Aneignungs- und Ausbeutungsstrategien ineinander. Auch staatliche Maßnahmen wie die Möglichkeit zur Frühverrentung zielten stets darauf ab, dass von einem gewissen Alter an von Frauen erwartet wird, die Pflege ihrer Elterngeneration zu übernehmen (keİg 2009, 63). Eine typisch weibliche Erwerbsbiographie, die von Sorge für Kinder und andere Familienmitglieder geprägt ist und dadurch Pausen und Teilzeitarbeit aufweist, läuft nach geltender Gesetzgebung darauf hinaus, dass zu wenig Rentenbeiträge eingezahlt wurden, um im Alter eine unabhängige Existenz zu gewährleisten. Es besteht lediglich ein »Recht auf Verschuldung«, wie feministische Gruppen eine gesetzliche Neuregelung bewerten: »Fehlende Beiträge dürfen zusätzlich eingezahlt werden, ein Ausgleich erfolgt nicht.
Frauen in Gewerkschaften
Von insgesamt 489 leitenden Gewerkschaftsmitgliedern in der Türkei sind nur 19 weiblich. Die gleichen Gründe, welche die Organisierung von Frauen so schwer und so notwendig machen, verhindern ihre Einbindung auf Funktionärsebene. Vollzeiterwerbstätige Frauen in der Türkei verwenden dreimal so viel Arbeitszeit auf Hausarbeit wie vollzeiterwerbstätige Männer. Frauen, die sich gewerkschaftlich engagieren, ohne dafür freigestellt zu sein, müssen demnach kinderlos oder zumindest ohne kleine Kinder bzw. verwitwet oder alleinstehend sein.
Einige Gewerkschaften haben Stellen für Frauenbelange eingerichtet, aber diesen fehlt oft Handlungskompetenz und/oder Budget. Die Erwartungen von Frauen an die Gewerkschaften sind entsprechend. Eine Untersuchung des Internationalen Gewerkschaftsverbandes icftu benennt fünf Hauptgründe für Frauen, sich nicht gewerkschaftlich zu organisieren:
- Sie wissen nicht, was die Gewerkschaft ihnen anzubieten hätte,
- sie haben aufgrund der täglichen Hausarbeit keine Zeit,
- niemand von der Gewerkschaft hat sich um Kontakt zu ihnen bemüht,
- sie haben Vorurteile gegen Gewerkschaften,
- sie glauben, dass die Gewerkschaft ihre Bedürfnisse nicht vertreten könne.3