Derzeit sind mehr als 10000 nichttürkische Unternehmen in der Türkei aktiv, viele davon in Freihandelszonen. 90 Prozent der in diesen internationalen Unternehmen Beschäftigten sind nicht gewerkschaftlich organisiert.Überproportional werden Frauen beschäftigt, weil sie als folgsam gelten und aus Angst, sonst gar nicht in Erwerbsbeschäftigung zu kommen, geringe Entlohnung und schlechte Arbeitsbedingungen akzeptieren.

Der Kampf der Frauen bei Novamed

Die 1987 gegründete Freihandelszone in Antalya gehörte zu den ersten in der Türkei. Novamed, ein Ableger der deutschen Fresenius-Gruppe, stellt dort Dialyseprodukte her. In der Produktion arbeiten hauptsächlich Frauen, 315 im Jahr 2007. Sie wurden vielfach drangsaliert: Überwachung des Toilettengangs und Schikanen wie die Frage, warum sie so lange gebraucht hätten, waren die Regel. Sie waren de facto gezwungen, vor Beginn einer Schwangerschaft bei der Leitung vorzusprechen, um deren Genehmigung einzuholen. Am 26. September 2006 traten viele von ihnen in Streik. Mehr noch als um den geringen Lohn ging es um die Arbeitsbedingungen – etwa das Verbot, gegen die gesundheitsschädlichen Dämpfe eine Maske zu tragen, damit die Vorarbeiter das Sprechverbot besser kontrollieren können – und Schikanen, die sie von Vorgesetzten zu ertragen haben. Ein weiteres Ziel ist die Anerkennung des Karpaltunnel-Syndroms als Berufskrankheit, das häufig infolge jahrelanger Akkordarbeit auftritt. Um die Frauen zu organisieren, mussten nicht nur diese selbst, sondern auch ihre Ehemänner, Väter oder andere männliche Verwandte überzeugt werden. Es wurde ihnen vorgeworfen, sie könnten den Streik nur aufrechterhalten, weil sie über ihre Familien abgesichert seien. Einmal auf der Straße und im Gespräch, entwickelten die beteiligten Frauen ein neues Bewusstsein ihrer Lage und begannen ihre Würde und Unabhängigkeit auch in anderen Bereichen als der Erwerbsarbeit zu vertreten. Sie mussten – anders als Männer im Streik – ihre gesamte Lebensform hinterfragen, weil sie von ihrem Umfeld hinterfragt wurde. Die Eltern einer Verwitweten etwa konnten es nicht fassen, dass die Tochter über eine einigermaßen das Überleben sichernde Arbeitsstelle hinaus überhaupt Ansprüche an ihr Leben entwickelte (Saygılıgil 2010, 8ff). Der Streik erforderte Solidarität unter den Beteiligten: »›Ich verdiene hier mein Geld‹, […] alles andere interessierte mich nicht. Dann brach eines Tages eine Kollegin neben mir bei der Arbeit zusammen. Ich schaute mit einem Auge hin […]. Es war verboten, sich zu kümmern. […] Es gab so viel Ungerechtigkeit; da bin ich Gewerkschaftsmitglied geworden. Früher habe ich nur wenig gesprochen. Aber seit ich mich am Streik beteilige, spreche ich viel. Ich habe jetzt zu jedem Thema etwas zu sagen.« (3) Trotz vielfältiger Einschüchterungsversuche und Erschwernisse hielten die Frauen 448 Tage durch. Am Ende haben sie die Wiedereinstellung der Entlassenen erreicht, im Dezember 2007 wurde ein dreijähriger Tarifvertrag ausgehandelt.

Doch kein Grund zu romantischem Überschwang. Die Realität der nach Geschlecht diskriminierenden Arbeitsteilung und weitere patriarchale Mechanismen holten viele im Streik politisierte Frauen schnell wieder von der Straße. Es zeigte sich, dass die Frauen bei Novamed ihre Anliegen nicht nur gegenüber den Unternehmen, sondern auch gewerkschaftlichen Standards gegenüber erstreiten mussten: Ein Gewerkschaftsvertreter vor Ort musste z.B. abgelöst werden, weil er die streikenden Frauen eingeschüchtert und angeschrien hatte (Akgökçe 2009).

Der abgeschlossene Tarifvertrag brachte zwar bedeutende Verbesserungen wie höhere Löhne und einige Sozialleistungen. Auch von Vorgaben zu Toilettengang und Schwangerschaft ließ die Arbeitgeberseite nach dem Streik zunächst ab. Gesundheitsschutzmaßnahmen oder die Anerkennung des KarpaltunnelSyndroms als Berufskrankheit konnten jedoch nicht erstritten werden – von Kinderbetreuung oder einem freien 8. März ganz zu schweigen – insofern, so Akgökçe (2009), könne nicht von einem »Frauenstreik« gesprochen werden. Wie effektiv der Druck auf die Frauen über männliche Angehörige funktioniert, konnte nur durch die feministische Solidarisierung und Dokumentation des Arbeitskampfes bei Novamed ins Blickfeld rücken.

Bereits 2009 war die Situation bei Novamed in Antalya wieder prekär: Es kam zu Entlassungen, Frauen wurden durch Anrufe bei ihren Vätern oder Ehemännern erpresst, die Gewerkschaftsmitgliedschaft zu kündigen. Die Frauen mobilisierten erneut, um das Vertretungsrecht nicht zu verlieren. Es gelang kaum, an die Auseinandersetzungen von 2007 anzuknüpfen, die Forderungen nachrückender Arbeiterinnen bezogen sich ausschließlich auf finanzielle Vergünstigungen. Im Jahr 2011 hat Novamed in Antalya 450 Beschäftigte, davon 420 Frauen; die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder ist soweit gesunken, dass die Aushandlung eines weiteren Tarifvertrags in weite Ferne rückt.2

Ausbeutungsformen weiblicher Arbeitskraft

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Türkei liegt inzwischen bei 9 Prozent (Toksöz, 2007, 94). Und nur zehn Prozent dieser wenigen gewerkschaftlich Organisierten sind Frauen – Devrim Göktas (2008) spricht von 10 bis 15 Prozent. Eine Gewerkschaft darf erst gegründet werden, wenn 10 Prozent aller Beschäftigten in einem Sektor – türkeiweit und sozialversichert – gewerkschaftlich organisiert sind. Um das Recht auf Tarifverhandlungen zu erhalten, müssen im Betrieb über 50 Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert sein. In kleinen Betrieben, in denen flexibilisiert und dereguliert gearbeitet wird, ist das kaum zu erreichen.

Typisch weibliche Beschäftigungsverhältnisse wie Heimarbeit entziehen sich dem gewerkschaftlichen Zugriff bzw. fallen aus der gesetzlich vorgeschriebenen, branchenspezifischen Organisierungsform von Gewerkschaften heraus: Heimarbeitende Frauen bekommen Aufträge aus verschiedenen Fabriken; sie sind einen Tag im Textil-, einen Tag im Chemie- oder Metallsektor beschäftigt. Zwischenzeitlich erledigen sie private Aufträge, z.B. einen Bettüberwurf für die Nachbarin. Oder wenn keine sonstige Arbeit da ist, verstrickt die Frau die Wollreste im Haus und trägt das Produkt auf den Markt, wodurch sie eine Selbständige wird.

Immer noch sind 45 Prozent aller arbeitenden Frauen in der Landwirtschaft beschäftigt, 98 Prozent davon unregistriert. Ihr Anteil sinkt mit allgemeiner Landflucht und Flucht vor dem Krieg in den kurdischen Gebieten, aber der städtische Arbeitsmarkt kann sie nicht auffangen (Vgl. keİg 2009, 10ff). Als »mitarbeitende Familienangehörige«, die manchmal nicht einmal über einen Identitätsnachweis verfügen, arbeiten viele Frauen bar jeglicher sozialer Rechte, nur gegen Verpflegung. Am schlechtesten gestellt sind kurdische Wanderarbeiterinnen, die zudem noch mit nationalistischen Ressentiments konfrontiert sind (vgl. Türker 2011).

Die Zahl der Frauen, die – zumeist als Tagelöhnerinnen – in Privathaushalten arbeiten, geht in die Hunderttausende. Hausarbeiterinnen sind oft Migrantinnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, denen vom Haushaltsvorstand oft die Verfügung über ihren Pass entzogen wird. Aus Angst, jede Möglichkeit zum Verdienst zu verlieren, akzeptieren sie die erniedrigendsten Arbeitsbedingungen: Untergebracht bei der Familie, die sie beschäftigt, beginnt ihr Arbeitstag mit dem Aufstehen und endet mit dem Zubettgehen. Es sind Verhältnisse wie Leibeigenschaft, in denen viele Frauen in der Türkei arbeiten. Offiziell sind sie nur für die Kinder angestellt, doch oft wird ihnen die gesamte Hausarbeit aufgehalst. Der Klassenkontrast birgt besondere psychische Belastungen: Die Frau bewegt sich oft zwischen Luxus und Armut, manchmal werden im Haushalt unterschiedliche Mahlzeiten gegessen oder die eigenen Kinder bekommen kein Fleisch, während beim Arbeitgeber feinste Lebensmittel verbraucht werden. Übergriffe durch im Haus anwesende Männer sind ein allgegenwärtiges Risiko. Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle werden nicht als solche anerkannt.

So greifen patriarchale und kapitalistische Aneignungs- und Ausbeutungsstrategien ineinander. Auch staatliche Maßnahmen wie die Möglichkeit zur Frühverrentung zielten stets darauf ab, dass von einem gewissen Alter an von Frauen erwartet wird, die Pflege ihrer Elterngeneration zu übernehmen (keİg 2009, 63). Eine typisch weibliche Erwerbsbiographie, die von Sorge für Kinder und andere Familienmitglieder geprägt ist und dadurch Pausen und Teilzeitarbeit aufweist, läuft nach geltender Gesetzgebung darauf hinaus, dass zu wenig Rentenbeiträge eingezahlt wurden, um im Alter eine unabhängige Existenz zu gewährleisten. Es besteht lediglich ein »Recht auf Verschuldung«, wie feministische Gruppen eine gesetzliche Neuregelung bewerten: »Fehlende Beiträge dürfen zusätzlich eingezahlt werden, ein Ausgleich erfolgt nicht.

Frauen in Gewerkschaften

Von insgesamt 489 leitenden Gewerkschaftsmitgliedern in der Türkei sind nur 19 weiblich. Die gleichen Gründe, welche die Organisierung von Frauen so schwer und so notwendig machen, verhindern ihre Einbindung auf Funktionärsebene. Vollzeiterwerbstätige Frauen in der Türkei verwenden dreimal so viel Arbeitszeit auf Hausarbeit wie vollzeiterwerbstätige Männer. Frauen, die sich gewerkschaftlich engagieren, ohne dafür freigestellt zu sein, müssen demnach kinderlos oder zumindest ohne kleine Kinder bzw. verwitwet oder alleinstehend sein.

Einige Gewerkschaften haben Stellen für Frauenbelange eingerichtet, aber diesen fehlt oft Handlungskompetenz und/oder Budget. Die Erwartungen von Frauen an die Gewerkschaften sind entsprechend. Eine Untersuchung des Internationalen Gewerkschaftsverbandes icftu benennt fünf Hauptgründe für Frauen, sich nicht gewerkschaftlich zu organisieren:

  1. Sie wissen nicht, was die Gewerkschaft ihnen anzubieten hätte,
  2. sie haben aufgrund der täglichen Hausarbeit keine Zeit,
  3. niemand von der Gewerkschaft hat sich um Kontakt zu ihnen bemüht,
  4. sie haben Vorurteile gegen Gewerkschaften,
  5. sie glauben, dass die Gewerkschaft ihre Bedürfnisse nicht vertreten könne.3

Eine Hoffnungsträgerin war die Gewerkschaftskonföderation der öffentlichen Bediensteten kesk. Hier sind von über 900000 Beschäftigten ein Drittel Frauen (keİg 2009, 18). 1995 gegründet, waren bei kesk frauenpolitische Inhalte von Beginn an stärker vertreten als in anderen (vgl. Akdemir/ Tezcek 2006, 59). 2009 wurden Vorwürfe gegen den damaligen Vorsitzenden Emrali Şimşek wegen sexueller Übergriffe laut. Die betroffenen Frauen wurden mehrfach zur Vertuschung aufgefordert, Fraktionsstreitigkeiten durchkreuzten Solidarisierungsversuche.

Eylem Ateş, langjährig aktiv bei der Gewerkschaft für zivile Luftfahrt Hava-İş, formuliert es so, dass die Gewerkschaften »die arbeitende Klasse auf etwas Eingeschlechtliches« reduzierten. Dagegen müssten die Anliegen von Frauen stärker aufgegriffen und ihnen die Möglichkeiten gegeben werden, diese selbst zu vertreten. Sie fordert, Quotenregelung für die Gremien anzuwenden, reduzierte Mitgliedsbeiträge einzurichten, Schutzmaßnahmen gegen Übergriffe in Tarifverträgen zu verankern und Forderungen nach Elternzeiten statt lediglich Mutterschutz aufzustellen. Doch ist Frauen, die sich in den Organisationen gegen Diskriminierungen wenden, meist keine lange Verweildauer vergönnt (Ateş 2010). Ateş selbst etwa wurde gekündigt und sie fand bei keiner Gewerkschaft mehr eine Anstellung. Ihr Kommentar dazu: »Was sie für die arbeitende Klasse an Organisiertheit nicht aufbringen können, kriegen sie mühelos hin, wenn es gegen das kritische Potenzial in den eigenen Reihen geht.« (Gespräch mit Eylem Ateş, Juli 2011)

Frauenpolitische Netzwerke: neue politische Subjekte Neben Novamed gab es in den letzten Jahren weitere Beispiele mutigen Widerstands von Frauen gegen entrechtende Arbeitsbedingungen, wie den Kampf der Konfektionsarbeiterin Emine Arslan für ihre Wiedereinstellung beim Lederfabrikanten desa, der ebenfalls filmisch dokumentiert wurde. Aus verschiedenen politischen Traditionen haben sich verstärkt Initiativen von Frauen gebildet, die den Themenkonnex flexible Arbeitsverhältnisse, geschlechtersegregierter Arbeitsmarkt und traditionell-androzentrische Gewerkschaftsarbeit angehen.

Der Frauensolidaritätsverein imece (gegenseitige Hilfe) arbeitet im Istanbuler Stadtteil Esenyurt und organisiert unversichert in Haushalten arbeitende Frauen und Hausfrauen. Zentrale Forderungen sind Sozialversicherung und Verrentung sowie die gesetzliche Anerkennung von Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. imece hat sich die Gründung einer Frauengewerkschaft vorgenommen und lehnt die Spaltung der Frauen entlang ihrer Beschäftigung oder Nationalität ab.

Die »Kommission gegen Gewalt und Diskriminierung in den Gewerkschaften« (ssakk) entstand um 2008 aus dem Kampf gegen die Verharmlosung sexualisierter Übergriffe in der Film-Gewerkschaft Sine-Sen. Sie erarbeitete Entwürfe für eine neue Satzung des Gewerkschaftsverbands disk sowie die Verankerung eines Frauenreferats mit eigenem Budget und bindender Entscheidungskompetenz. Der ssakk gehörten nicht nur Frauen aus den Gewerkschaften, sondern auch unabhängige Feministinnen an. Der Satzungsentwurf ist in seiner umfassenden Herangehensweise europaweit bisher ohne Beispiel.4

Das Netzwerk »Frauen in Organisationen der Profession und der Arbeit« baut auf der ssakk auf. Hier sind Frauen von kesk, disk, der Ingenieurs- und Architektenkammer tmmob und der Ärztevereinigung ttb versammelt; frauenpolitische Verbindungen bestehen über verschiedene Bereiche der Erwerbsarbeit hinweg. Die »Initiative für Frauenarbeit und -einstellung« (keig) gründete sich 2007 als Antwort auf die durch think tanks großer Kapitalgruppen propagierte These, dass Frauen infolge mangelnder Bildung nicht am Arbeitsmarkt partizipieren könnten. keig stellte richtig, dass Frauen trotz höherer Bildung auf dem Arbeitsmarkt stets schlechter positioniert würden. Es ginge folglich nicht nur um bessere Bildung.

Seit 2007 bestehen auch die SozialistischFeministischen Kollektive (sfk). Sie waren zentral an der Unterstützungskampagne für den Streik bei Novamed beteiligt und auch im Widerstand gegen die Reformen im Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich 2008. Sie begleiteten Emine Arslan und schalteten sich in den Kampf beim seit 2008 teilprivatisierten, ehemals staatlichen Tabak- und Alkoholika-Monopolisten tekel im Jahr 2010 ein. Eine ihrer jüngsten Initiativen bildete der Widerstand gegen Flexibilisierungsmaßnahmen.

Alte Fragen unter neuen Bedingungen In den 1980ern bedeutete die Zugehörigkeit zu unabhängigen Frauengruppen oder deren Ablehnung einen Grabenkrieg unter linken Frauen. Heute hingegen wird eine gesellschaftliche Debatte um Hausarbeit von Frauen von vielen Organisationen getragen und auch radikalere Positionen wie die der sfk verstärkt angeeignet. Gülnur Savran von der sfk stellt an der für den Ehemann verausgabten Reproduktions- und Pflegearbeit heraus, dass sie »jemandem geboten wird, der in der Lage wäre, sie auch selbst zu erledigen« (Savran 2004, 65). Männer wandeln sich unter diesem Blick zur problematischen Bevölkerungsgruppe, die es ablehnt, für sich selbst zu sorgen: Dieser erfrischende Paradigmenwechsel findet zwar vermehrt Zuspruch, doch in der aktuellen Akteurskonstellation gelingt es nicht, die vielfältigen Angriffe auf soziale und damit auch Frauenrechte zurückzudrängen.

Immer häufiger besuchen Feministinnen Arbeitskämpfe, um die beteiligten Frauen zu stärken. Unabhängige feministische Gruppen diskutieren, wie feministische Positionen in Massenorganisationen wirksam vertreten werden, und wie sie selbst tragfähige politische Beziehungen zu Arbeiterinnen aufnehmen können.

Die Politik der beschriebenen Netzwerke geht über Geschlechterfragen hinaus und wirft die Frage nach den Zielen und Subjekten gewerkschaftlicher Politik in Zeiten neoliberaler Globalisierung auf. Auch der Kontext, in dem sich geschlechterpolitische Forderungen in der Türkei einen stärkeren Ausdruck verschaffen konnten, zeigt, dass es kein isoliertes »Frauenproblem« und entsprechend keine »reine« Frauenpolitik gibt: Politisch entwickelten sich viele der Initiativen in kritischer Solidarität mit Frauen der kurdischen Bewegung. Die von diesen begonnene Dynamik hat in den letzten Jahren verschiedene Segmente der Frauenbewegung tief geprägt. Die traditionell türkisch-nationalistisch geprägte Gewerkschaftspolitik hat sich v.a. im Ergebnis der »Kurdisierung« mancher Arbeitsbereiche verändert.

Solidarität ist brennend notwendig: Aktuelle Angriffe auf die Arbeitenden umfassen die Abschaffung des Rechts auf Abfindung nach Dienstalter5 und weitere Maßnahmen zur Flexibilisierung. Im 61. Regierungsprogramm finden sich entsprechende Vorschläge, die seit langem von Seiten der Arbeitgeber gefordert werden und nun als im Interesse der Beschäftigten, speziell der Frauen, dargestellt werden: Flexibilisierung des Kündigungsschutzes, wie regional gestaffelter Mindestlohn, verstärkte Leiharbeit etc. (Çelik 2011).

Gewerkschaften in allen Sektoren müssen eine sich verbreiternde Dynamik zur Kenntnis nehmen, in der Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen eine zentrale Stellung einnimmt. Dessen umfassende Demokratisierungsforderungen bringen auch den Nationalismus als Hemmschuh der Solidarisierung verstärkt ins Blickfeld. Ein neuer gewerkschaftlicher Kollektivwille könnte hingegen die Vielfalt erwerbstätiger Subjekte zu seinem Ausgangspunkt nehmen. Das allerdings ist etwas, was in der Türkei, wo Assimilationserwartungen vorherrschen und das gesellschaftliche Klima gegenwärtig aggressiver wird, auch in oppositionellen Kreisen mühsam erstritten werden muss.

1 www.rosalux.de/news/36614/2478/ gemeinsam-sind-wir-stark.html, 20.8.2011

2 Nachrichtenbulletin der Vereinigung der ElektroingenieurInnen (Elektrik Mühendisleri Odası, emo) in der Ingenieurs- und Architektenkammer tmmob, 2011/2

3 www.aflcio.org/mediacenter/prsptm/ pr03072002b.cfm?RenderForPrint=1, 2.9.2011

4 www.emekdunyasi.net/de/kapital-arbeit/13101-fureine-disk-satzung-ohne-geschlechtliche-diskriminierung

5 Vgl. Erklärung Mustafa Kumlus vom 15.Juli 2011, in: Nachrichtenbulletin des Gewerkschaftsdachverbands Türk-İş, Ankara

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