Im Dezember 2021 machte die Besetzung der jahrelang leerstehenden Wohnungen in der Habersaathstraße 45 in Berlin-Mitte Schlagzeilen. Die Initiative Leerstand-Hab-ich-Saath von und mit Obdachlosen konnte eine Räumung verhindern und dort Wohnraum für Menschen ohne Bleibe sichern. Wie das möglich war, erzählen Valentina und Jose von der Initiative.

Warum habt ihr die Initiative Leerstand-Hab-ich-Saath gegründet?


Valentina: Die Häuser hier in der Habersaathstraße sind beispielhaft für die Grausamkeiten und Ungereimtheiten auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Sie stehen leer und sollen abgerissen werden. Das ist der Wille des Eigentümers, der dort Luxuswohnungen bauen will. Einige Altmieter*innen wohnen hier noch, die seit vielen Jahren dafür kämpfen, dass nicht abgerissen wird. Wir wussten also von diesem illegalen Leerstand und gleichzeitig haben wir gesehen, wie viele Menschen auf der Straße leben. Und diesen Missstand wollen wir beheben. Dafür haben wir die Initiative gegründet – von Anfang an gemeinsam mit Menschen, die Wohnraum brauchen, die auf der Straße leben. So bist du ja auch dazugekommen, Jose.


Jose: Ja, also ich bin noch nicht so lange auf der Straße. Ich habe auf dem Camp in der Rummelsburger Bucht bewusst als Aussteiger gelebt. Und dann hat mich im September 2020 mal jemand auf ein Treffen der Initiative mitgenommen und mir hat das direkt gefallen, ich hab mir gedacht: Da muss ich dabei sein, definitiv.

Und wie kam es dazu, dass ihr hier in der Habersaathstraße Anfang des Jahres eingezogen seid?


Valentina: Wie Jose sagt, wir haben ganz viele Menschen auf der Straße angesprochen, das hat unsere Plattengruppe[1] gemacht. Das waren Leute, die Lust hatten, Beziehungen aufzubauen mit Menschen, die wohnungs- oder obdachlos sind. Das war der Vorlauf. Und dann haben wir im Oktober 2020 zur Beginn der Kältephase das erste Mal die Habersaathstraße besetzt, mit einer gemischten Gruppe. Das war eine tolle Aktion, wir hatten einen Soli-Bus, der hat Menschen von den Platten abgeholt und zu unserer Kundgebung in der Habersaathstraße gebracht. Die Besetzung wurde aber leider direkt von der Polizei geräumt.


Jose: Weil angeblich noch genügend Notübernachtungsplätze frei waren. Aber das stimmt natürlich nicht. Es gibt wesentlich mehr Obdachlose als Übernachtungsplätze in Berlin. Und viele Menschen wollen auch nicht in den Sammelunterkünften übernachten. Schon alleine wegen Corona, Abstand halten geht da gar nicht. Oft gibt es auch Ärger und Streitigkeiten. Die meisten gehen da nur hin, wenn es wirklich sehr kalt ist, minus 15 Grad. Alles ist besser, als in diesen Sammelunterkünften zu übernachten.


Valentina: Und der Bezirk Mitte hatte nach der ersten Besetzung auch zugesagt, eine Beschlagnahmung der Häuser zu prüfen. Da ist aber nichts passiert. Deshalb haben wir nochmal besetzt – diesmal mit Erfolg! Im Moment gibt es eine Einigung, dass wir mit Einwilligung des Eigentümers bis Mitte April hier bleiben können. Aber der Abriss der Häuser ist noch nicht vom Tisch, das wollen wir natürlich verhindern, das wäre ein absolutes Unding. Wir können nicht hier einziehen mit wohnungs- und obdachlosen Menschen und nach einem halben Jahr werden diese Menschen geräumt, um Platz für Luxuswohnungen zu machen. Wir wollen hier selbstbestimmtes Wohnen ermöglichen. Die Leute sollen selbst entscheiden, was sie mit ihrem Leben machen.

Wie habt ihr zwischen den beiden Besetzungen auf euch aufmerksam gemacht?


Jose: Wir haben auf der einen Seite viele Kundgebungen gemacht, vorm Roten Rathaus, bei dem Bezirksbürgermeister von Mitte, der hatte ja versprochen, die Beschlagnahmung zu prüfen. Wir haben letzten Herbst auch einen Trauerzug und die Wohnungslosenbühne am Leopoldplatz mitinitiiert. Wir wollten einen Tag und einen Ort, an dem wir uns damit beschäftigen können, was es emotional bedeutet, auf der Straße zu leben. Wir wollten das mal anders machen. Nicht nur mit Wut protestieren, sondern auch mit Trauer. Darum trauen, was wirklich fehlt. Um das, was wir über die Jahre verloren haben. Um Freunde, die gestorben sind, um geräumte Platten und Freiräume wie die Rummelsburger Bucht.

Was hat es mit der Wohnungslosenbühne auf sich?


Valentina: Die steht am Leopoldplatz im Wedding und soll ein Gedenkort sein und auch Sichtbarkeit für Obdach- und Wohnungslose schaffen. Auf der Bühne stehen viele Sätze, wie zum Beispiel: Ich möchte ein Zuhause, weil ich selbst entscheiden möchte, wer mich besucht. Ich möchte ein Zuhause, weil ich Geburtstagspost bekommen möchte. Also sehr alltägliche Dinge, die es greifbar machen, was es heißt, auf der Straße zu leben. Unsere Idee war, zuerst zu trauern, dann zu gedenken und dann aktiv zu werden.

Ihr habt ja vorhin schon von eurer Plattengruppe berichtet – könnt ihr darauf nochmal eingehen, wie habt ihr das konkret gemacht? Die Selbstermächtigung von Obdach- und Wohnungslosen ist ja bemerkenswert, das unterscheidet eure Initiative von vielen anderen, sei es in der Mieter*innenbewegung oder generell in der gesellschaftlichen Linken.


Valentina: Die Plattengruppe war vor allem eine unglaubliche Beziehungsarbeit. Die Gespräche mit den Leuten auf der Straße, das ist die eigentliche Arbeit gewesen. Das war ein wichtiger Grund, warum die Besetzung letztendlich erfolgreich war. Bei den Gesprächen haben wir immer gefragt, was sich die Leute wünschen. Und da gab es unglaublich viele Ideen, von einer Fahrradwerkstatt über Schließfächer im Haus, wo Obdach- und Wohnungslose ihre Sachen sicher verwahren können. Diese vielen Ideen haben auch der Politik gezeigt, dass wir wissen, was wir mit der Besetzung wollen, dass das kein Hirngespinst ist.

Wie liefen die Gespräche bei den Platten?


Jose: Wir waren über Tage, Wochen, Monate unterwegs, teilweise mit zwanzig Leuten am Tag. Wir sind die bekannten Platten abgefahren und haben uns vorgestellt und erzählt, was wir vorhaben und eben gefragt, was die jeweiligen Gesprächspartner sich vorstellen können, ob sie aktiv werden wollen. Das war sehr spannend, ich war von Anfang an richtig begeistert.

Zum Abschluss: Der neue rot-rot-grüne Senat will ja bis 2030 Obdachlosigkeit in Berlin überwinden. Auch die neue linke Sozialsenatorin Katja Kipping hat sich das Thema auf die Agenda geschrieben.Was ist eure Position zu diesem Vorhaben?


Valentina: Das ist ein ehrenwertes Ziel, aber mit den bisherigen Maßnahmen wird das nicht funktionieren. Es gibt inzwischen auch eine gewisse Armutsindustrie, von Suppenküchen bis hin zu Massenunterkünften. Das ist natürlich bis zu einem gewissen Grad notwendig, weil die Menschen sterben auf der Straße. Aber andererseits ist das nur ein Verwalten des Problems. Die Obdachlosigkeit ist weiter da, aber halt ein bißchen abgemildert. Und auch Ansätze wie Housing First[2] sind vom Ansatz her richtig. Da findet auch gerade langsam ein Umdenken in der Wohnungslosenhilfe statt. Aber im Moment gibt es mit dem privaten Wohnungsmarkt strukturelle Barrieren. Da kannst du nur versuchen, privaten Eigentümer*innen die eine oder andere Wohnung abzuluchsen. Berlin hat bisher ungefähr 40 Wohnungen in vier Jahren über housing first-Projekte bereitgestellt. Wir haben knapp 50 Wohnungen durch eine Besetzung bekommen. Also wir liegen vorne.


Jose: Ja, wir machen housing first selbst. Und es gibt noch mehr leerstehende Häuser und viele Obdachlose, die ein Zuhause wollen. Wenn die Bezirke nicht handeln, dann werden wir eben aktiv.


Valentina: Und an Katja Kipping und den Senat sind unsere Forderungen klar: Die Häuser in der Habersaathstraße dürfen nicht abgerissen werden. Und wenn der Bezirk Mitte das nicht hinkriegt, ja dann bitte liebe Frau Kipping, dann wollen wir mal Taten sehen.


Das Gespräch führte Lukas Hoffmann.