Seit Anfang 2012 kämpft die spanische Frauenbewegung gegen die von der Regierung geplante Reform des Abtreibungsgesetzes. Diese bildet den Höhepunkt einer gut organisierten Kampagne erzkatholischer AbtreibungsgegnerInnen und macht einmal mehr die privilegierte Rolle der Kirche innerhalb eines Staates deutlich, der aus der Diktatur des Nationalkatholizismus unter Franco hervorgegangen ist. Mit der aktuellen Kampagne erfasst der Raubzug der Austeritätspolitik nun auch den Körper der Frau.
Das Gesetz »zum Schutz des empfangenen Lebens und der Rechte der schwangeren Frau« soll die seit 2010 geltende Rechtslage zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit, samt des darin geregelten freiwilligen Schwangerschaftsabbruchs, revidieren und bisherige Entscheidungsmöglichkeiten von Frauen massiv einschränken. Mit der Reform wäre die Indikation Vergewaltigung – die durch eine Strafanzeige nachgewiesen werden muss – die einzig legale Chance, eine unerwünschte Schwangerschaft zu beenden. Darüber hinaus wäre allein eine zu erwartende Beeinträchtigung der körperlichen oder seelischen Gesundheit der Mutter ein akzeptierter Grund für einen Abbruch. Minderjährige bräuchten wieder eine Einwilligung der Erziehungsberechtigten, für das medizinische Fachpersonal würde es einfacher, eine Abtreibung aus Gewissengründen zu verweigern, und die Frauen würden zu einem Beratungsgespräch über mögliche Hilfen und ›Alternativen‹ genötigt, die von zumeist religiös geprägten Einrichtungen der Abtreibungsgegner angeboten werden. Auch müsste eine Woche ›Bedenkzeit‹ vor dem Abbruch liegen. Offen ist noch, ob der Gesetzesentwurf die Empfehlung der spanischen Judikative noch berücksichtigt. Sie will eine legale Abtreibung auch dann ermöglichen, wenn eine Missbildung des Fötus vorliegt.
Die Kampagne der Abtreibungsgegner
Diese Reform des Abtreibungsgesetzes hatte einen politischen Vorlauf: 2007 erstattete die katholische Organisation E-Christians gegen Carlos Morín, den Arzt und Leiter von drei Abtreibungskliniken (Ginemedex, TCB und CBMedical), Anzeige wegen der Durchführung illegaler Schwangerschaftsabbrüche. Die Einrichtungen mussten schließen, und gegen 99 Frauen wurde Anklage wegen illegaler Abtreibung erhoben. Die feministische Bewegung reagierte mit mehr als 5000 Selbstbezichtigungen von Frauen und Männern, die alle angaben, schon einmal abgetrieben oder zu einer Abtreibung beigetragen zu haben. Kläger waren im Fall von Morín neben der Stiftung Tomás Moro und der Ärztekammer von Barcelona auch die neofaschistische Partei Spanische Alternative (Alternativa Española). Hochrangige MitarbeiterInnen der Madrider Gesundheitsbehörde unterstützten ähnliche Klagen und ließen außerdem zwei Kliniken wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten in der Verwaltung schliessen. Dieser Erlass musste später wieder zurückgenommen werden. Vor Madrider Abtreibungskliniken fanden Demonstrationen statt, Unbekannte griffen die Gebäude mit Steinen und Feuerwerkskörpern an. Unterstützung erfuhr diese Kampagne außerdem von der sogenannten Caverna Mediática, einem informellen Bündnis ultrarechter und erzkatholischer spanischer Presseorgane.
Mit der Verabschiedung des Gesetzes über sexuelle und reproduktive Gesundheit und freiwilligen Schwangerschaftsabbruch von 2010 ließen die Angriffe nach, auf der rechtlichen Ebene ging die Offensive jedoch weiter. Im Jahr 2009 regte das Netzwerk RedMadre des spanischen Familienforums (Foro Español de la Familia, FEF) die Annahme dreier Bürgerbegehren »zum Schutz der Mutterschaft« in Valencia, Kastilien und Galizien an. Das erklärte Ziel ist es, »menschliches Leben ab der Empfängnis zu schützen«. Damit sollen Abtreibungen verhindert oder erschwert werden. Im Jahr 2012 startete das FEF ein weiteres Bürgerbegehren in Madrid, das schließ- lich in eine Gesetzesvorlage mündete. All diese Gruppen erhalten für ihre Aktivitäten öffentliche Gelder vom Gesundheitsministerium und vom Ministerium für Familie und Soziales, zum Teil in beträchtlicher Höhe.
Parallel zu diesen Gesetzesinitiativen kamen auch die von Konservativen dominierten Staatsanwaltschaften in Fahrt und zwangen den BefürworterInnen von Abtreibungen juristische Auseinandersetzungen auf: In den letzten zwei Jahren wurden in ganz Spanien verschiedene straf- und zivilrechtliche Verfahren gegen feministische Aktivistinnen eingeleitet, die sich für den Erhalt einer freien und kostenlosen Abtreibung eingesetzt hatten. Justizminister Alberto Ruiz Gallardón bemühte sich um die Etablierung höchster Rechtsnormen, als Bollwerk gegen Abtreibungen. So versuchte er das Ungeborene (nasciturus) als juristische Person mit entsprechenden Grundrechten rechtlich zu verankern. Mit dieser Argumentation sollten bereits in den 1980er Jahren restriktive Abtreibungsgesetze in Lateinamerika und in der Karibik durchgesetzt werden. Zur gleichen Zeit legte der Vater von Gallardón für die Alianza Popular (die Vorgängerpartei der spanischen Partido Popular) eine Verfassungsbeschwerde gegen das Abtreibungsgesetz von 1985 ein, mit dem eine partielle Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen erfolgen sollte. Das Urteil des Verfassungsgerichts bestätigte bereits damals, dass der nasciturus kein Grundrechtsträger ist – man wird sehen, ob sein Sohn nun einen Weg findet, die gegenteilige Auffassung doch noch rechtlich festzuschreiben.
Bündnisse laizistischer und religiöser Feministinnen
So vehement das Gesetzesvorhaben von seinen Wegbereitern vertreten wird, so sehr trifft es auf gesellschaftlichen Widerstand. Verschiedene Fachgesellschaften aus dem Gesundheitsbereich argumentieren beispielsweise, die geplante Gesetzesänderung gefährde die »physische, psychische und soziale Gesundheit von Frauen«; zahlreiche GynäkologInnen signalisierten, dass sie zum Schutz der sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen dem neuen Gesetz nicht Folge leisten würden. Hunderttausende nahmen in über 30 Städten an feministischen Protestmärschen und Kundgebungen teil, bei denen auch zu zivilem Ungehorsam gegen staatliche Institutionen aufgerufen wurde. Die katalanische Kampagne für das Recht auf freie und kostenlose Abtreibung regte im September 2013 ein Gesetzesvorhaben an, mit dem sich das Parlament von Katalonien zur Verabschiedung eines eigenen Gesetzes zur Wahrung der sexuellen und reproduktiven Rechte der Frau verpflichten würde. Auch Organisationen wie die Plattform Redes Cristianas und katholische Feministinnen wie die Katholikinnen für das Recht auf freie Entscheidung (CDDE) und das Kollektiv Frauen in der Kirche (CDE) verteidigen die bislang geltende Straffreiheit bei einem Schwangerschaftsabbruch.
Mit Kampagnen wie »Ich erwarte dich nicht. Für einen laizistischen Staat« klagen laizistische und religiöse Frauengruppen – anlässlich des aus öffentlichen Mitteln finanzierten Papstbesuches von Benedikt XVI 2010 in Barcelona – Privilegien an, die der spanische Staat über das Konkordat mit dem Vatikan von 1976 und 1979 der katholischen Kirche immer noch gewährt. Sie warnen vor einem katholischen Fundamentalismus, der eine weitere Ausbeutung der Bevölkerung zugunsten der Eliten mit sich bringe. Dazu zähle auch die Kontrolle über den Körper der Frauen. Silvia Federici, Yayo Herrero, Sandra Ezquerra und Lina Gálvez analysieren die Änderung des Abtreibungsgesetzes als Moment ursprünglicher Akkumulation und als erneute Bedrohung der Commons durch Austeritätspolitiken. Dies umfassen die Demontage sozialer und bürgerlicher Rechte, den Abbau von Sozialleistungen und Familienhilfen, die Reform des Arbeitsmarktes sowie des staatlichen Rentensystems und vieles mehr. Mit diesen Verschiebungen geht außerdem eine Rückkehr zum traditionellen Familienmodell einher. Die Folgen der Privatisierung sozialen Reproduktion werden durch unbezahlte, unsichtbare und gering geschätzte Familienund Hausarbeit von Frauen abgefedert, was oftmals unter Verweis auf ›romantische Liebe‹ oder auf Glaubensüberzeugungen legitimiert wird. Mar Grandel von den CDDE bringt den Hintergrund dieses Angriffs auf die spanischen Frauen wie folgt auf den Punkt: »Ihnen geht es gar nicht um den Fötus, sondern um die Gebärmutter der Frauen. In letzter Instanz handelt es sich um ein ernstes Problem des Patriarchats, das angesichts der Krise mit aller Kraft und Entschiedenheit gegen die Rechte der Frauen mobilisiert, insbesondere gegen die sexuellen und reproduktiven Rechte. Für die fundamentalistischen Gruppen sind wir nur Verhandlungsmasse.«
Wie sich diese Auseinandersetzung im Kontext der Krisenproteste und linker Organisierungserfolge in Spanien weiterentwickelt, wird sich zeigen. Es weht ein scharfer Wind.