In der Auseinandersetzung mit sozialen Medien ist von bürgerlichen DenkerInnen immer wieder zu hören, dass Plattformen wie YouTube, Facebook, Instagram, Twitter und Pinterest zum Aufstieg einer partizipativen Kultur geführt haben (vgl. Jenkins et al. 2013). Der Begriff der Partizipation wird dabei jedoch etwas vereinfachend als die Schaffung von nutzergenerierten Inhalten und Publikums­beteiligung verstanden. Staughton Lynd (1965) hat den Begriff der partizipativen Demokratie in die akademische Debatte eingeführt, um die Organisationsprinzipien der Students for a Democratic Society in den USA zu analysieren. In Weiterentwicklungen dieser Theorie geht es darum, die gesamte Gesellschaft als Sphäre der Politik zu verstehen, also auch die Ökonomie als einen durch die unmittelbaren ProduzentInnen demokratisch zu kontrollierenden Bereich (vgl. Macpherson 1970, Pateman 1970). Kapitalistisches Privateigentum gilt in dieser Logik als eine Form der Diktatur.

Unter den zehn meistgesehenen Videos aller Zeiten auf YouTube ist nur ein einziger, der nicht von einem großen Musik- und Multimediakonzern wie Universal, Sony oder YG Entertainment stammt.1 Kapitalistische Konzerne kontrollieren die Onlineaufmerksamkeitsökonomie. YouTube, Facebook, Twitter und andere private soziale Medien sind also keine Formen einer partizipativen, sondern einer stratifizierten Kultur, in der sich gesellschaftliche Machtasymmetrien manifestieren.

Medienwaren

Karl Marx (1867, 49) beginnt Das Kapital mit den Worten: »Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ›ungeheure Warensammlung‹, die einzelne Ware als seine Elementarform.« (49) Medienwaren können Technologien, Zugang, Inhalte und das Publikum sein. Der kanadische marxistische Medienökonom Dallas Smythe (1977) sprach davon, dass im Fall von werbefinanzierten Medien das Publikum Arbeit leistet und die Aufmerksamkeit produziert, die an Werbetreibende als »Publikumsware« verkauft wird. Er wandte sich mit dieser Annahme unter anderem gegen Baran und Sweezys (1966) Monopolkapitalismustheorie, nach der Werbung als ein unproduktives Attribut von Monopolen gilt, das Mehrwert aus anderen Bereichen der Ökonomie absorbiert.

Kapitalistische soziale Medien wie YouTube, Facebook und Twitter beruhen auf dem Kapitalakkumulationsmodell personalisierter Werbung. Nutzerdaten werden konstant überwacht und als Ware an Werbetreibende verkauft, die dadurch Zugang zu den Profilen der NutzerInnen bekommen und dort individuell zugeschnittene Werbung präsentieren können. Google und Facebook sind keine Kommunikationsunternehmen, sondern die größten Werbeagenturen der Welt. NutzerInnen leisten hier digitale Arbeit, die Datenwaren produzieren. Im Kapitalkreislauf sozialer Medien produzieren die Lohnarbeitenden von Google, Facebook, Twitter etc. eine Plattform (P1), die keine Ware ist. Der Zugang zu den Plattformen ist gratis. Die Ware hingegen ist ein zweites Produkt P2, eine Datenware, die durch die digitale Arbeit der NutzerInnen hergestellt wird (vgl. Fuchs 2014a, 2014c, 2015).

Wolfgang Fritz Haug (2009, 39) spricht davon, dass Werbung einen »ästhetische[n] Schein, das Gebrauchswertversprechen der Ware als eigenständige Verkaufsfunktion« produziert, das ein »Instrument für den Geldzweck« ist. Dass ein Paar Lugz-Burke-Turnschuhe 8,99 Euro und ein Paar der Marke Nike Air Force hingegen 99,95 Euro kostet, ist nicht mit der Annahme einer arbiträren Entkopplung von Wert und Preis erklärbar, sondern damit, dass in die Produktion der Marke Nike und ihres Gebrauchswertversprechens eine große Menge an Werbearbeit investiert wird.

Der Kapitalakkumulationskreislauf kommerzieller sozialer Medien ist durch personalisierte Werbung mit anderen Akkumulationskreisläufen verbunden, indem er dazu beiträgt, Waren potenziellen KonsumentInnen anzubieten und zu verkaufen (vgl. Fuchs 2015). Damit Waren präsentiert werden können, muss eine Warenideologie, ein symbolisches Gebrauchswertversprechen von Zirkulationsarbeitenden in PR- und Werbeabteilungen produziert werden. Durch die Nutzung von Plattformen und Datengenerierung ermöglichen die NutzerInnen die Individualisierung und Personalisierung der Onlinewerbung. Sie sind symbolische TransportarbeiterInnen, deren digitale Arbeit es ermöglicht, die Gebrauchswertversprechen der Waren im virtuellen Raum zu transportieren, das heißt zu platzieren.

Internationale digitale Arbeitsteilung

Digitale Arbeit ist außerdem im Rahmen internationaler Arbeitsteilung organisiert. Diese beinhaltet unter anderem die Extrahierung von Mineralien durch SklavenarbeiterInnen im Kongo, das Zusammenbauen von Computern, Mobiltelefonen und Laptops durch chinesische Arbeiter­Innen bei Foxconn, ein Lohngefälle zwischen SoftwareingenieurInnen im Westen und in Indien sowie prekäre Freelancer im Kultur- und Informationsbereich, für die der Computer ein wichtiges Produktionsmittel darstellt (vgl. Fuchs 2014a, 2015).

Jeder Arbeitsprozess beinhaltet ein menschliches Subjekt, das seine Arbeitskraft verwendet, um mit der Hilfe von Arbeitsinstrumenten und dem Arbeitsgegenstand ein neues Subjekt-Objekt, das Arbeitsprodukt, herzustellen. Digitale Arbeit bedeutet ein komplexes globales Netzwerk der Arbeitsteilung, in dem Landwirtschafts-, Industrie- und Informationsarbeit aufeinander aufbauen und miteinander verkoppelt sind. Digitale Arbeit produziert nicht nur Inhalte, sondern auch Mineralien, Komponenten und digitale Medientechnologien, die die physische Basis der Information darstellen.

Kapitalistische soziale Medien sind von einem Widerspruch geprägt: Es sind Unternehmen, die NutzerInnen und Arbeitende überwachen und ausbeuten, zugleich aber versuchen, ihre Finanzflüsse und Unternehmensstrukturen geheim zu halten, um durch Steuerabkommen, Steueroasen und Steuervermeidung ihre Profite zu erhöhen. Edward Snowdens Enthüllungen zeigen, dass es einen überwachungsindustriellen Komplex gibt, in dem Internetkonzerne, Geheimdienste und private Sicherheitsunternehmen zusammenarbeiten, um mithilfe von Systemen wie Prism und XKeyScore NutzerInnen umfassend zu bespitzeln. Zugleich sind staatliche Institutionen bestrebt, bestimmte Aktionen zu verbergen, was mit nationalen Sicherheitsinteressen begründet wird. Projekte wie WikiLeaks, die die geheimen Aktivitäten staatlicher Macht transparent machen wollen, werden kriminalisiert. Das Internet ist ein politisch und ökonomisch kontrolliertes Netzwerk, in dem Staat und Kapital Macht und Kontrolle über die NutzerInnen ausüben (vgl. Morozov in LuXemburg-Online).

Ein alternatives Internet

In der achten Feuerbachthese spricht Marx davon, dass alles »gesellschaftliche Leben […] wesentlich praktisch« (1845, 7) ist. Damit wird menschliche Tätigkeit als das bestimmt, was Wesen und Dynamik der Gesellschaft ausmacht. Menschen interagieren mit der Natur und miteinander, wodurch sie die physische, kulturelle, politische und soziale Welt produzieren. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass politische Kämpfe in Klassengesellschaften eine praktische Ausdrucksform sozialer Antagonismen sind. Wenn wir soziale Medien diskutieren, ist es daher wichtig, die darum geführten politische Auseinandersetzungen und ihre Antagonismen zu betrachten.

Seit dem Beginn der gegenwärtigen Krise sind in vielen Ländern Europas rechte, rechtsextreme und neofaschistische Parteien auch in Wahlen gestärkt worden. Die Alternative für Deutschland hat auf Facebook 141 500 Likes, die NPD 121 400, die Linke hingegen 102 000 (28. Februar 2015). Soziale Medien spielen also auch bei den Rechten eine wichtige Rolle und sind keinesfalls per se eine progressive Ausdrucksform. Es handelt sich um Kommunikationsformen, in denen sich gesellschaftliche Interessenkonflikte artikulieren.

Über die sozialen Proteste, die seit dem Ausbruch der Krise in Ländern wie Iran, Tunesien, Ägypten, Griechenland, Spanien oder den USA stattgefunden haben, ist immer wieder zu hören, es handle sich um Twitter- und Facebook-Proteste (vgl. Castells 2012). Solche Behauptungen sind nicht nur technikdeterministisch, sondern haben auch eine imperialistische Dimension: Den Unterdrückten dieser Welt wird die Fähigkeit abgesprochen, sich selbst zu organisieren, da angenommen wird, dass der eigentlich entscheidende Faktor des politischen Protests Kommunikationstechnologien sind, die von kapitalistischen Konzernen im kalifornischen Silicon Valley produziert werden. Es besteht allerdings auch umgekehrt die Gefahr, dass kritische Analysen von Krisenprotesten die Bedeutung sozialer Medien vernachlässigen, mit dem Argument, dass Protest auf der Straße und auf besetzten Plätzen und nicht im Internet stattfindet. Es ist die Aufgabe kritischer empirischer Forschung, das Verhältnis von Straßenprotest und Mediatisierung genauer zu bestimmen.

Für das Buch OccupyMedia! The Occupy Movement and Social Media in Crisis Capitalism (2014b) habe ich eine Umfrage unter AktivistInnen durchgeführt, um herauszufinden, welche Rolle soziale Medien in den Occupy-Bewegungen spiel(t)en. Die Daten weisen darauf hin, dass es keine Dichotomie, sondern eine Dialektik von Online- und Offlinekommunikation gibt. Das persönliche Gespräch ist die häufigste Form der Kommunikation bei der Mobilisierung von Protest, gefolgt von Kommunikation auf Facebook, per E-Mail, auf Mailinglisten und auf Twitter. Per Korrelationsanalyse wird gleichzeitig deutlich, dass die Intensität des Aktivismus mit der Häufigkeit aller Formen der Protestkommunikation zusammenhängt. AktivistInnen, die stärker involviert sind, kommunizieren mehr mit anderen in persönlichen Gesprächen, per Telefon, auf Mailinglisten, in Chatforen, auf Twitter, Facebook, YouTube und mithilfe von anderen Kommunikationsmitteln. Die Online- und Offlinekommunikation der Protestierenden ergänzen sich wechselseitig.

Die Rolle sozialer Medien wird allerdings als antagonistisch empfunden. Kapitalistische soziale Medien wie Facebook und Twitter haben klare soziale Vorteile in Protesten, da sie durch die große Anzahl der NutzerInnen den Zugang zu einer breiten Öffentlichkeit versprechen, zugleich aber haben sie den Nachteil, dass sie durch Konzerne kontrolliert sind, die nicht gerade die Freunde von linken Bewegungen und politisch von staatlicher Macht durchzogen sind, wie Edward Snowdens Enthüllungen zeigen. Internetüberwachungstechnologien wie Prism und XKeyScore können sehr einfach dazu verwendet werden, die Kommunikation von AktivistInnen zu überwachen. Die Münchner Firma Elaman bewirbt ihre Überwachungstechnologien in Marketingbroschüren sogar damit, dass diese geeignet seien, politische Gegner identifizieren zu können: »By analysing the retained data, governments can identify an individual’s location, their associates and members of a group, such as political opponents« (zit. nach Fuchs 2012).

Alternative und nichtkommerzielle soziale Medien wie N-1/Lorea, Diaspora, Crabgrass, Elgg, identi.ca, StatusNet, Quitter, Vinilox, Load Average oder Thimbl haben den Vorteil, dass sie mehr Sicherheit vor ökonomischer und staatlicher Kontrolle bieten. Gleichzeitig haben sie den Nachteil, dass sie tendenziell weniger bekannt sind sowie über weniger NutzerInnen und eine geringere Reichweite verfügen. Kapitalistische soziale Medien haben eine Monopolmacht, die dazu führt, dass die NutzerInnen und ihre Daten auf den kommerziellen Plattformen eingesperrt sind. Alternativen werden marginalisiert. Protestbewegungen sind mit einem Widerspruch konfrontiert zwischen vernetzter Protestkommunikation, die eine politische Öffentlichkeit online und offline herstellt, und der partikularistischen Kontrolle sozialer Medien durch Staat und Kapital, die diese Öffentlichkeit feudalisieren, limitieren und kolonialisieren.

Das Internet ist heute ein unsoziales Medium, das zugleich aber die Vergesellschaftung der digitalen Produktivkräfte und den Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen vorantreibt. Alternativen sind möglich. Bei entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen könnte ein alternatives YouTube von ZDF, BBC oder einem Netzwerk öffentlicher Universitäten betrieben werden. Führt dies zu mehr staatlicher Überwachung? Nicht notwendigerweise, wenn die Unabhängigkeit öffentlicher Institutionen gestärkt wird. Der Rundfunkbeitrag könnte beispielsweise zu einer Mediengebühr weiterentwickelt werden, die nicht nur von Haushalten, sondern auch von Unternehmen bezahlt wird. Durch partizipatives Budgeting könnten BürgerInnen einen Medienscheck erhalten, den sie bei nichtkommerziellen Internet- und Medienprojekten einlösen. Dies wäre ein Beitrag dazu, dass alternativer Journalismus und nichtkommerzielle Internetplattformen eine Ressourcenbasis erlangen. Nichtkapitalistische zivilgesellschaftliche Alternativen zu Facebook und Twitter könnten so Wirklichkeit werden. Alternative Beschäftigungsformen im Rahmen nichtkapitalistischer ziviler und öffentlicher Medienprojekte könnten gestärkt werden.

Die Natur, das Gemeinwesen, Wissen und Kommunikation sind Gemeingüter, die wir alle benötigen, um zu überleben. Werden Gemeingüter nach der Logik der Warenproduktion, des Marktes, der Konkurrenz, des Tausches oder des Profits organisiert, so nimmt die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft zu. Ein wichtiger Bestandteil linker Politik muss es heute sein, eine Politik der Gemeingüter zu betreiben, die gegen die Kommodifizierung der natürlichen, sozialen und kommunikativen Commons kämpft und die Idee des Gemeineigentums stärkt.

Internet, Medien und Kommunikation sind kein Überbauphänomen, sondern ein bedeutender Teil des Klassenkonfliktes. Es ist eine wichtige Aufgabe auch für linke Parteien wie die LINKE, SYRIZA und Podemos, eine progressive Netz- und Medienpolitik zu formulieren, die dazu beiträgt, Kommunikation und Gesellschaft jenseits des Kapitalismus zu denken und zu organisieren. Ein demokratischer Kommunismus des 21. Jahrhunderts ist möglich, digitaler Kommunismus muss als ein integraler Bestandteil gedacht werden.

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