Vielleicht können wir mit der Frage der Klassenverhältnisse beginnen. In deiner Arbeit beschreibst du sehr genau, wie Leute entscheiden, wen sie kennenlernen oder als (Sexual-)PartnerIn auswählen wollen. Es scheint darin sehr viel Mobilität zu geben, neue Wege, wie und wo Partner gefunden werden usw. Siehst du auch Prozesse sozialer Abgrenzung?
Nein, ich würde nicht von Mobilität sprechen, im Gegenteil – Menschen denken sehr genau darüber nach, wen sie auswählen, um nicht abwärts zu rutschen, um in ihrer Klasse zu bleiben oder um im Idealfall aufzusteigen. Natürlich wird das nicht offen so formuliert, Leute sagen sich nicht, dass sie mit anderen aus ihrer Klasse zusammen sein wollen. Sie sagen sich, dass sie jemanden suchen, die oder der sie im Sinne einer tiefen Seelenverwandtschaft verstehen kann. Dieses Verstehen basiert nach Bourdieu meist darauf, dass sie über den gleichen Habitus verfügen, also die gleichen sozialen Erfahrungen teilen.
Es ist daher nicht überraschend, dass die Person, der wir uns am nächsten fühlen würden, die Person ist, mit der wir am meisten soziale Erfahrungen teilen. Diejenigen, die am gefährdetsten sind und sich am stärksten um ihren sozialen Status sorgen, tun dies am meisten. Ich würde sagen, dass Leute aus der Mittelklasse sich sehr viel öfter nach oben orientieren als Angehörige der Arbeiterklasse. Sie sind sich der Strategien in der Partnerwahl sehr viel stärker bewusst. Man bedenke, wie wichtig das ist, was wir »Kommunikation« nennen: Gedanken und Geheimnisse zu teilen bedeutet, die tiefsten und am wenigsten artikulierten Bereiche unseres Habitus, unserer Klasse und unserer soziokulturellen Zugehörigkeit zu teilen
Gab es früher mehr Möglichkeiten, über den Heirats- oder Sexualpartnermarkt sozial aufzusteigen, hat sich das im Laufe der Zeit verändert?
Die Tatsache, dass Menschen rational über ihre Partnerin oder ihren Partner nachdenken, hat sich nicht verändert: Familienpolitik war auch für die Weise, wie Menschen in vormodernen Gesellschaften geheiratet haben, ziemlich zentral. Entgegen dem konventionellen Verständnis von moderner Heirat als Liebesheirat behaupte ich, dass gerade weil die Trennung zwischen der rationalen Entscheidung der Familie und der privaten Zuneigung des Individuums aufgehoben ist, das Individuum heute viel mehr von der rationalen Strategie verinnerlicht hat, die zuvor von der Familie verfolgt wurde. Das ist ein Aspekt. Wenn wir die Veränderung des Gefühls oder Ereignisses oder der Episode des »Sich Verliebens« betrachten, können wir, denke ich, ziemlich leicht feststellen: 1 | »Sich zu verlieben« geschieht seltener, nicht so leicht und nicht so jung – vor allem, weil es so viel mehr Auswahl gibt. 2 | Individuen haben eine unverhältnismäßige Vorstellung davon entwickelt, welche wachsende Anzahl von Eigenschaften sie in einander finden wollen. Der Geschmack bei der Partnerwahl hat sich unglaublich verfeinert und ist immer spezifischer geworden. Im 16. oder 17. Jahrhundert suchten HeiratskandidatInnen nach jemandem mit einem gewissen sozialen Status, die Frauen mussten eine bestimmte Aussteuer mitbringen und sie wussten, wie viel das war, denn es wurde vor der Hochzeit ausgehandelt. Weiter suchten sie nach guten Charakterzügen in einem sehr allgemeinen Sinne, und sie suchten nach jemandem, der nicht zu unangenehm anzusehen, nicht schrecklich hässlich war. Die Kriterien waren also allgemein und vage. Heute können die Leute genau benennen, welche Art von Brüsten sie bei einer Frau wollen, die Form ihrer Beine, die Art von Hüfte – und das ist noch sehr viel weniger detailliert als die Beschreibung der psychologischen, emotionalen und sexuellen Eigenschaften, die sie genau definieren, wenn sie nach PartnerInnen suchen. Leute würden also sagen: »Es hat nicht geklappt, weil wir verschiedene Interessen in unserer Freizeit haben«. Oder: »Es hat nicht geklappt, weil ich sexuelle Phantasien hatte, die er nicht erfüllen konnte.« Oder: »Es hat nicht geklappt, weil ich mich nicht so gehört gefühlt habe, wie ich es mir ersehne«. Es bestehen also extrem hohe, spezifische Forderungen und Erwartungen daran, wie die andere Person sein sollte. Deshalb kann ich sagen, dass moderne Menschen sehr viel rationaler sind als in vormodernen Zeiten in dem Sinne, dass sie die Kriterien genau benennen können, die sie von einer anderen Person erwarten. Die Rationalität selbst wurde rationalisiert. Rationalität ist also noch intensiver rational als zuvor.
Ein Thema deiner Arbeit ist, wie sich mit dem Aufkommen des Kapitalismus für die Menschen Gefühle verändert haben und dass sie sich mit weiteren Entwicklungen oder Verschiebungen des Kapitalismus ebenfalls weiter verändern. Viele Menschen beobachten als Veränderung in der Arbeitsethik und im Arbeitsalltag, dass sie so viel mehr Gefühle in die Arbeit einfließen lassen müssen. Hast du den Eindruck, dass dies die Art und Weise verändert, wie Menschen mit ihren Gefühlen umgehen, über ihre Gefühle denken und mit dieser emotionalen Anforderung umgehen?
Was das Management von Gefühlen am Arbeitsplatz am meisten veränderte, ist die Tatsache, dass Arbeit am kapitalistischen Arbeitsplatz Arbeit innerhalb von Unternehmen ist. Wenn man hauptsächlich mit Menschen arbeitet anstatt allein oder mit stofflichen Materialien, dann gehe ich davon aus, dass die Unternehmensführung oder ihre beratenden PsychologInnen auf verschiedene Weisen versuchen werden, die Menschen zu »managen«, also Konflikte zu verhindern, die Menschen produktiver und effizienter zu machen. Sie versuchten, die Affekte der Menschen am Arbeitsplatz zu stabilisieren, denn Stabilität bedeutet Berechenbarkeit, und Berechenbarkeit bedeutet, dass man mehr Kontrolle ausüben kann. Daher wurden negative Emotionen zunehmend vom Arbeitsplatz verbannt: kein Ärger, keine Eifersucht, kein Neid. Natürlich war es jedoch im Interesse der Unternehmer, Rituale zu schaffen, also Affekte zu stabilisieren, die negative Gefühle herausnehmen und Freundlichkeit und Heiterkeit als eine Art Kitt ermutigen. Heiterkeit zum Beispiel war keine männliche Eigenschaft im 19. Jahrhundert, sondern ein Attribut von Weiblichkeit: die heitere Frau zu Hause. Erst am Arbeitsplatz wurde sie zu einer männlichen Eigenschaft. Heiterkeit bedeutete in diesem Fall, dass man eine Art Energie ausstrahlte, die dann durch die gesamte Gruppe strömen konnte, in der man war. Diese emotionalen Veränderungen waren also Reaktionen auf die veränderten Anforderungen der Unternehmen. Und dann kam irgendwann in den 1960ern und 1970ern die Idee auf, dass man Arbeit benutzen sollte, um sich selbst zu verwirklichen. Mit dieser Selbstzentrierung und Selbstverwirklichung sind wir heute sehr weit entfernt von den Zeiten, als ArbeiterInnen von der Ware und von den Produktionsmitteln entfremdet waren, sodass sie ihr eigenes Selbst als gespalten wahrnahmen, wie Marx es beschreibt. Darin gibt es das Selbst, das arbeitet, und das Selbst außerhalb der Arbeit. Und das Selbst, das arbeitet, ist entfremdet. Das war der Zustand des Selbst und von Identität unter den Bedingungen des Kapitalismus.
Heute ist das Ziel jedoch nicht mehr, Emotionen zu managen und Menschen so zu manipulieren, dass sie freie Mitglieder in einem Team sein können und dieses Team damit so produktiv wie möglich machen. Sondern man zielt darauf ab, die Arbeit vollständig in ihr Selbst zu integrieren, die Arbeit zum Ausdruck ihres Selbst und ihrer tiefen Emotionen werden zu lassen. Arbeit wird zu einer emotionalen Angelegenheit. Dazu kommt die Tatsache, dass in vielen Berufen die Gefühle der Arbeitenden tatsächlich dazu benutzt werden, um Produkte zu produzieren, z.B. bei Menschen, die in der Werbeindustrie oder im Kunstbereich arbeiten. Durch die Auffassung, dass sie dabei ganz sie selbst sein müssten, werden die Grenzen zwischen den Künsten und den kreativen Räumen des Kultur-Kapitalismus verwischt, z.B. bei Menschen, die für Film, Fernsehen oder Magazine etc. arbeiten. JournalistInnen machen Gebrauch von ihren eigenen Erfahrungen und Gefühlen, um etwas zu produzieren, das eine Leserschaft interessieren wird. Die Ware, die sie versuchen zu produzieren, ist also eine recycelte Form ihrer eigenen Erfahrungen, Gefühle oder Gedanken. Das ist, denke ich, der neue Gebrauch von Emotionen im Kapitalismus.
Glaubst du, das ist auf diesen Bereich beschränkt? Manche Leute sagen, dass diese Form von emotionaler Arbeit sich in fast jede Art von Arbeitsplätzen einschleicht, sogar in die Autoindustrie und ähnliche Sektoren. Zumindest auf der Ebene der Gruppenorganisation sind diese werbungsartigen Aspekte Bestandteil von vielen Präsentationen innerhalb der Firmen und die MitarbeiterInnen müssen ununterbrochen lernen, diese Formen von Emotionen zu benutzen.
Das Problem vieler Unternehmen ist es, wie sie Treue und Engagement herstellen können. Im England des frühen 19. Jahrhunderts z.B. zerstörten die Ludditen1 Maschinen, sabotierten die Arbeit oder streikten (1811–13). Ein effizienter Weg, Sabotage von Maschinen und Arbeitsprozess zu verhindern, ist es, Treue und Engagement herzustellen. Wie man das tut? Man schafft Identifikation mit dem Unternehmen, indem man die Firma zu einer Frage der Entwicklung des eigenen Selbst der MitarbeiterInnen werden lässt – bis die Krise kommt und sie ohne Zögern entlassen werden.