Bei der Bundestagswahl 2025 konnten Bündnis 90/Die Grünen erstmals nach mehr als 20 Jahren das Direktmandat in ihrer Hochburg Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost nicht gewinnen. Dies lag jedoch weniger daran, was die Grünen falsch gemacht haben, sondern vielmehr daran, was die Partei Die Linke richtiggemacht hat. Dafür gibt es Gründe.
1. Das Ergebnis jahrelanger Kleinstarbeit
Für den Erfolg der Partei Die Linke in Friedrichshain-Kreuzberg war der Bundestagswahlkampf nur das Grand Finale. Entscheidend sind die Rolle und die Funktion, die Die Linke im Bezirk über viele Jahre aufgebaut und eingenommen hat. Unsere Mitglieder sind fest verankert in Initiativen, Elternvertretungen, Mieterbeiräten und Sportvereinen. Wir organisieren seit Jahrzehnten große Events wie das 1. Mai-Fest in Kreuzberg, gestemmt von unseren Mitgliedern. Unsere Bezirksverordneten kümmern sich um die lokalen Probleme. Sie unterstützen Mieter*innen, wenn ihre Häuser bedroht sind wie am Hafenplatz, sie setzen sich mit Eltern dafür ein, dass die Spielplätze sauber werden oder mit Nachbar*innen gegen die unnötige Fällung uralter Bäume. Ein Wahlergebnis ist Ergebnis dieser jahrelangen Kleinarbeit.
2. Die Linke hilft konkret
Unsere Vertreter*innen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), im Berliner Abgeordnetenhaus und im Bundestag legen den Schwerpunkt auf diejenigen im Bezirk, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurden. Sie setzen dabei auf breite Beteiligung von Bürger*innen und Gewerbevertreter*innen, etwa bei Verkehrsberuhigungsprojekten, damit niemand buchstäblich «unter die Räder gerät». Sie gehen nicht nur in die «Kuschelkugel» der Altbausiedlungen, sondern auch dahin, wo der Ton rauer ist, wo Politik von vielen Anwohner*innen schon abgeschrieben wurde. Für die Menschen, die von der Politik meistens vergessen werden, bieten unsere Abgeordneten im Abgeordnetenhaus und Bundestag Sozial- und Mietenberatungen an – diese werden stark nachgefragt und sind fast immer ausgebucht. Wir sind Ansprechpartner*innen für die Probleme im Kiez. Die Linke hilft konkret. Das schafft Vertrauen.
3. Ein verankerter Kandidat
Mit Pascal Meiser haben wir einen Kandidaten aufgestellt, der auch mit Angela Merkels Slogan «Sie kennen mich» hätte antreten können. Über seine jahrelange Aktivität im Bezirk, zuerst als Bezirksvorsitzender der Linken, dann als Bundestagsabgeordneter war er für viele Bewohner*innen im Wahlkreis bereits ein bekannter Name. Mit seinen Schwerpunktthemen «Bezahlbare Miete» und «Gute Arbeit» war er ein Kandidat, der Wähler*innen im gesamten Wahlkreises überzeugte. Unser Wahlkreis besteht aus mindestens drei sehr unterschiedlichen Teilgebieten. Als Ost-West-Bezirk mit seinen Besonderheiten in Kreuzberg und Friedrichshain sowie einem Teil von Pankow ist es gar nicht so leicht, den Ton so zu treffen, dass er möglichst viele anspricht. Das ist Pascal Meiser gelungen. Insgesamt bilden die sechs Berliner Bundestagsabgeordneten Gregor Gysi, Ines Schwerdtner, Ferat Kocak, Katalin Gennburg, Stella Merendino und Pascal Meiser den Querschnitt der Partei Die Linke gut ab – sie stehen aber auch für verschiedene Teile der Berliner Gesellschaft.
4. Volksabstimmung über den Mietendeckel
Wir haben mit Pascal Meiser das Thema «Bezahlbare Miete» zu einem der Schwerpunkte der Kampagne gemacht. Auch die Bundespartei hat mit der Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel das Thema zentral gesetzt. Pascal Meiser hat die Devise ausgegeben, die Bundestagswahl zur Volksabstimmung über einen bundesweiten Mietendeckel zu machen. In Berlin ist Die Linke die Partei mit der höchsten Kompetenzzuschreibung beim Thema Mietenpolitik. Die Mietenfrage ist die zentrale soziale Frage unserer Zeit, da liegt es nahe, seine Stimme der Linken zu geben und keiner anderen Partei, die ebenfalls bei dem Thema punkten wollte.
5. Systematischer Wahlkampfmix
In unserer Wahlkampagne haben wir Wert auf den systematischen Einsatz eines breiten Mix von Wahlkampfmitteln gelegt. Dabei war von Vorteil, dass unser bezirklicher Wahlkampfleiter Florian Gutsche den Wahlkreis durch jahrelange Arbeit vor Ort sehr gut kannte. Zu dem Mix gehörte die Schaffung einer Stelle für den Haustürwahlkampf, die systematisch Gebiete entlang von vergangenen Wahlergebnissen, demographischen Daten und Wahlbeteiligung kartiert hat. Unsere 15.000 Haustürgespräche haben nicht an zufälligen Orten stattgefunden. Der Fokus lag auf der Aktvierung von Nichtwähler*innen, der Gewinnung von ehemaligen Grüne-Wähler*innen und der Überzeugung potentieller BSW-Wähler*innen. Darüber hinaus haben wir auf sichtbare Präsenz in den Straßen durch Infostände gesetzt und haben zuvor Orte identifiziert, an denen sich sonst keine andere Partei blicken lässt. Wir haben mit Anzeigen in Print- und Online-Zeitungen, einem persönlichen Brief von Gregor Gysi und Pascal Meiser sowie Steck-Aktionen mit unserer Lokal-Zeitung fast alle Briefkästen im Wahlkreis erreicht – und das zugeschnitten auf die Bewohner*innen in Ost und West und nach Alter. Mit einer kleinen Plakatkampagne gegen den Bau der Autobahn A 100 haben wir gemeinsam mit den Bezirksverbänden Lichtenberg und Treptow-Köpenick gezielt ein lokales Thema im Wahlkampf gesetzt. Durch wechselnde Groß-, Hintergleis- und digitale Werbeflächen konnten wir zeitlich wechselnd verschiedene Botschaften senden. Von «Pascal Meiser in den Bundestag» bis «Auch kein Bock auf Schwarz-Grün?».
6. Alle gehen nach rechts, wir nicht
Klar ist: Ohne die sehr gute Performance unserer Bundespartei und das hervorragende Zusammenspiel des diversen Spitzenpersonals ist auch der Erfolg in Friedrichshain-Kreuzberg nicht zu erklären. Und hätte Friedrich Merz nicht einen Monat vor der Wahl eine Abstimmung zur Asylrechtsverschärfung mit der AfD erzwungen, hätte Heidi Reichinnek nicht ihre viral gegangene Rede im Bundestag halten, und Die Linke hätte ihre alleinige Position als klare Anti-Rechts-Partei nicht so exponiert einnehmen können. Dass die Grünen direkt nach der Abstimmung im Bundestag weiterhin mit der Merz-CDU koalieren wollten, hat sicher auch in Friedrichshain-Kreuzberg viele Wähler*innen dazu bewegt, ihr Kreuz bei der Linken zu machen.
Nachdem Die Linke im November 2023 den Bremsklotz Sahra Wagenknecht losgeworden war, konnte sie – mit Verzögerung – wieder Fahrt aufnehmen. Seitdem sind Zehntausende neu in die Partei eingetreten. Allein in Friedrichshain-Kreuzberg waren es seit Jahresbeginn über 900. Wir haben in den letzten vier Wochen vor der Wahl wöchentlich zu Neumitgliedertreffen eingeladen und den neuen Mitgliedern direkt Angebote gemacht, wie sie sich im Wahlkampf einbringen können. Der Erfolg des Wahlkampfs ist ihnen ebenso zu verdanken wie den vielen Mitgliedern, die sich seit Jahren in der Linken engagieren und Verantwortung übernehmen.
7. Quittung für Schwarz-Rot in Berlin
Schließlich war die Bundestagswahl in Berlin nicht nur eine Abrechnung mit den Ampel-Parteien. Die verhältnismäßig geringen Zuwächse der CDU in Berlin sind auch die Quittung für die spaltende Politik des Senats des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner. Mit ihrem angekündigten harten Sparkurs bringt er immer mehr Berliner*innen gegen sich auf. Der schwarz-rote Senat greift die soziale Infrastruktur in dieser Stadt massiv an. Damit werden vor allem jene Berliner*innen getroffen, die sich eine funktionierende Daseinsvorsorge nicht einfach dazukaufen können. Dass Die Linke in Berlin stärkste Partei geworden ist, ist die Antwort darauf, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung einen anderen Kurs wünscht. Diesem Vertrauensvorschuss müssen wir nun gerecht werden. Die starken Zuwächse der AfD in Berlin zeigen uns allerdings, dass das kein Selbstläufer wird. Das rote Berlin, umgeben von blauen Mehrheiten im Osten, ist keine Burg, in der wir uns einmauern dürfen. Die Linke wird die Aufgabe haben bis zu den Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahlen 2026 eine Vision für Berlin zu entwickeln, die der Spaltung entgegenwirkt und die Stadt zusammenführt. Denn stärkste Partei zu sein ist nicht nur eine Freude, es ist auch eine Aufgabe, für die wir mit dieser Bundestagswahl eine Menge Rückenwind bekommen haben.