»Werkverträge und Zeitarbeit sind auch Instrumente für die Integration von Flüchtlingen. Auch da sind sie wertvoll. Und in unserer arbeitsteiligen Wirtschaft, die gerade durch die Digitalisierung ihre Struktur noch weiter sehr viel verändert, brauchen wir das Instrument der Werkverträge. Das hat seit Jahrzehnten gut funktioniert, auch das Thema Zeitarbeit. Ich weiß überhaupt nicht, warum wir das einschränken sollen und limitieren sollen.« Ulrich Grillo, Bundesverband der Deutschen Industrie im Deutschlandfunk, 26. Februar 2015
Kein Zweifel: Die sozialen Verhältnisse in der Bundesrepublik und insbesondere die Zusammensetzung der Arbeiterklasse werden sich durch die aktuelle Massenflucht nach Europa verändern. Angesichts eines öffentlichen Diskurses, der sich stets neu überschlägt und in dem teils schrille Töne angeschlagen werden, entsteht der Eindruck, dass diese Veränderungen sehr umfangreich sein werden. Zwar kann man mit Recht daran erinnern, dass bis 1970 ein Vielfaches der Menschen, die aktuell vor Krieg und Elend flüchten, allein in die heutigen westlichen Bundesländer eingewandert sind. Dennoch: Die sozialen Herausforderungen sind heute nicht zu unterschätzen. Dies auch deshalb, weil die Debatte von verschiedenen Akteuren genutzt wird, um Pflöcke einzuschlagen: gegen den Mindestlohn, für eine weitere Deregulierung der Arbeitsmärkte, für die Aufrechterhaltung des Leiharbeits- und Werkvertragsunwesens in der bisherigen Form.
Die politische Linke wirkt angesichts der Beschwörung vermeintlicher Bedrohungen und des öffentlich manifestierten Rassismus eher ratlos. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sozial- und arbeitspolitische Perspektiven in den Debatten um aktuelle Migrationsbewegungen nur schwach verankert sind. Es ist deshalb dringend erforderlich, sich (auch analytisch-theoretisch) über das Verhältnis von Migration, Arbeitsmarkt und Sozialpolitik Gedanken zu machen. Wie positionieren wir uns beispielsweise, wenn sich der angekündigte soziale Wohnungsbau als Substandard entpuppt? Wie können wir Versuche kontern, (Langzeit-)Erwerbslose und Geflüchtete gegeneinander auszuspielen? Und wie verhalten wir uns zu den arbeitsmarktpolitischen Forderungen der Kapitalseite, die, wohlgemerkt, in der Bundesrepublik nach wie vor zu den lautstarksten Befürwortern einer sozial selektiven Grenzöffnung zählt?
Arbeitsmärkte erster und zweiter Klasse
Die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der neuen MigrantInnen, die ich im Folgenden diskutieren werde, sind insofern nur eines von vielen drängenden Themen, wenngleich ein wichtiges. Dabei wird auf den ersten Blick deutlich, dass Fragen von Arbeitsmarkt und Arbeitsverhältnissen nicht in der üblichen Engführung diskutiert werden können, wenn es um die (neue) Migrationsgesellschaft geht. Gravitationszentrum des Diskurses wie auch der Versuche einer Neuzusammensetzung der Klasse ›von oben‹ ist nämlich das unendlich verschachtelte System der Aufenthaltsrechte oder vielmehr die Organisierung des Übergangs von einem mehr oder weniger ›geduldeten‹ oder ›bewilligten‹ Status zum nächsten. Ein breiter Konsens im öffentlichen politischen Diskurs zur sogenannten Asylfrage besteht aktuell darin, dass nicht das Asylverfahren selbst, wohl aber diese Übergänge durch Wohlverhalten und Anpassungsbereitschaft gefördert werden können. Das gilt insbesondere für Menschen mit einer Duldung, bei denen die Verfestigung des Aufenthaltsstatus durch »eigene Integrationsleistungen« begünstigt werden kann.1