Droht das Paradigma der sogenannten erweiterten oder vernetzten Sicherheit, das nun seit fast zehn Jahren die Einsatzmaxime der Bundeswehr darstellt, zur allgemeinen Richtlinie deutscher Außenpolitik zu werden? Und was bedeutete dies für unser Verständnis von ziviler Machtausübung und Friedensförderung?

Nach dem Kalten Krieg: Kein Abschied vom alten Sicherheitsdenken

Die Charta von Paris legte 1990 den Ost-West-Konflikt bei und formulierte Prinzipien wie Menschenrechts- und Minderheitenschutz, territoriale Integrität ebenso wie eine Fortsetzung der 1986/87 begonnenen Abrüstung. Zugleich befestigte sie aber den Siegeszug der westlichen liberalen Marktwirtschaft – vor allem in Gestalt der EU-Osterweiterung – und ließ die NATO als einzig überlebendes Militärbündnis sukzessive bis an die Grenzen Russlands vorrücken. Das »Gemeinsame Haus Europa« blieb eine schöne, aber folgenlose Metapher des gescheiterten sowjetischen Generalsekretärs Michail Gorbatschow. Eine konzeptionelle Weiterentwicklung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die nach dem »Wandel durch Annäherung« auch eine neue europäische Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands hätte bedeuten können, fand nicht statt; die 1995 aus ihr hervorgegangene Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) konnte sich diese Insignien nur sehr begrenzt zuschreiben. Brigadegeneral a. D. Klaus Wittmann schrieb im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise: »Das Nullsummen-Denken, nach dem eine Seite immer nur auf Kosten der anderen gewinnen kann, ist eins der größten Übel der heutigen Welt. [...] und auch der westlichen Seite nicht fremd.« (Süddeutsche Zeitung, 7.5.2014) Er führte die Missachtung der russischen KSZE-Initiativen, den Umgang mit der Raketenabwehr, aber auch die Kosovo-Politik des Westens als Belege dafür an, dass man »die russische politische Psychologie [...] nur mangelhaft verstanden« (ebd.) habe. Die USA wollten sich nach dem Kalten Krieg nicht vom alten Sicherheitsverständnis der Blockkonfrontation und der Abschreckung verabschieden, und die Europäer konnten sich aus verschiedenen Gründen davon nicht emanzipieren. Hier liegt eine wesentliche Ursache für den späteren Siegeszug der Konzeption der sogenannten erweiterten Sicherheit, die ab Mitte der 2000er Jahre in Form eines comprehensive approach militärisch-ziviler Kooperationen umgesetzt wurde.

1991 bis 2001: Zwei Sicherheitsdiskurse begegnen sich

Mit der Post-Cold-War-Ära gingen zunächst zwischenstaatliche Gewaltkonflikte zurück, während innergesellschaftliche Gewaltprozesse in überwiegend strukturell schwachen Staaten zunahmen beziehungsweise offen zutage traten. Militär oder paramilitärische Strukturen stellten vielfach eine ernsthafte Bedrohung für das zivile Leben der betroffenen Bevölkerungen dar. Wesentlicher Erklärungshintergrund für diese auf den umstrittenen Begriff der »neuen Kriege« (vgl. u.a. Kaldor 1999; Münkler 2004) gebrachten Konflikte besonders in Afrika, Teilen Asiens und Lateinamerikas waren die großen politischen und ökonomischen Machtasymmetrien der globalisierten, nun nicht mehr bipolaren Welt. Zu ihren Phänomenen zählen, dass militärische Gewalt von sogenannte Warlords oder Söldnergruppen privatisiert und kommerzialisiert wurde, um den Zugang zu Ressourcen zu sichern und sich zu bereichern. Große Teile der Zivilbevölkerung wurden in den betreffenden Konfliktregionen in Geiselhaft genommen, vertrieben oder ermordet. Darüber hinaus wurden immer mehr Kindersoldaten rekrutiert. Zur Beendigung der Gewalt waren fortan nicht mehr klassische Friedensschlüsse, sondern länger währende Prozesse eines oft ›Kalten Friedens‹ typisch: Vielgestaltige, auch mit niedriger Intensität verübte Gewaltformen bleiben auf der Tagesordnung, die Grenzen zwischen Krieg und Frieden verschwimmen zusehends. Vor dem Hintergrund des Bürgerkrieges in Somalia in den frühen 1990er Jahren und des Völkermordes in Ruanda 1994 (vgl. Leidecker in diesem Heft) sowie der ethno-politischen Gewaltausbrüche im zerfallenden Jugoslawien entstanden zwei Stränge eines neuen Sicherheitsdiskurses. Zum einen hatten das Ende des Kalten Krieges und die neue Weltunordnung den Startschuss gegeben, die bisherige Legitimation des Militärs einer Revision zu unterziehen. Strategische Thinktanks und die Gipfeltreffen der NATO in den 1990er Jahren beschäftigten sich mit einer Erweiterung der Aufgaben der Streitkräfte, also der klassischen militärischen Sicherheitsinstrumente. In der EU markierten der Vertrag von Maastricht (1991) und die Petersberger Erklärung (1992) den Beginn einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), in der ›humanitäre Aktionen‹, ›Evakuierungsmaßnahmen‹, ›friedenserhaltende Maßnahmen‹ und ›friedenserzwingende Einsätze‹ in einem Aufgabenkatalog zusammengedacht und -gefasst wurden. Die Strukturreform der Bundeswehr zielte in der Folge darauf ab, den Sektor der Landesverteidigung deutlich zurückzunehmen und die Interventionskapazitäten im Sinne der genannten Aufgaben zu erweitern. Das umstrittene Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1994 ermöglicht seither auch Bundeswehreinsätze außerhalb des NATO-Gebietes (out of area). Aber auch der zweite Strang – geprägt durch zivile internationale Debatten, einschließ- lich der deutschen Friedens- und Konfliktforschung – kreiste um einen neuen ›weiten‹ Sicherheitsbegriff (vgl. u.a. Calließ/Moltmann 1992), teils in Analogie zu Diskussionen über ›weiten‹ und ›engen‹, ›positiven‹ und ›negativen‹ Frieden. Unter Stichworten wie Weltinnenpolitik (Ernst-Otto Czempiel) und Global Governance wurden zivile Konzepte und Instrumente eines friedensfördernden ›Eingreifens‹ entworfen. Diese Debatten fanden ihren Niederschlag in der UNO, dort vor allem in deren Entwicklungsprogramm (UNDP). Der Human Development Report von 1994 verwendet erstmals den Begriff der menschlichen Sicherheit. In weitgehender verbaler Übereinstimmung mit der Politik des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton, der sich »human security« ebenfalls auf die Fahnen geschrieben hatte, bezeichnete es der damalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali als einen »konzeptionellen Durchbruch«, dass Sicherheit »zuhause bei den Menschen, an ihrem Arbeitsplatz und in ihren Gemeinwesen zu beginnen habe« (International Herald Tribune, 10.2.1995). Die Perspektive verlagerte sich nicht nur vom Staat auf das Individuum, sondern zielte auch darauf, Ressourcen international neu zu verteilen: weg von den immensen Rüstungskosten hin zu entwicklungspolitischen Aufwendungen für Bildung, Gesundheit und Armutsbekämpfung. Insofern konnte der freundliche Begriff der menschlichen Sicherheit auch als Gegenbild zu den Diskursen über security im durchsetzungsfähigeren Hardware-Sektor des Militärs verstanden werden. Die 1990er Jahre waren also durchaus ambivalent: Einerseits gab es Hoffnungen und reale Chancen für Abrüstung und Friedensdividenden; andererseits manifestierten sich neue globalisierte Interessenkonflikte. Im Rückblick wird heute deutlicher, dass die vertikale Erweiterung der Sicherheit in Richtung Subjektebene von anderen Motiven und Intentionen geleitet war als die horizontale Erweiterung der sicherheitsrelevanten Themen und Handlungsfelder um Topoi wie Klima- und Energiesicherheit oder Ressourcen-, Armutsund Migrationsteuerung. Letztere wurden weiterhin vor allem von den klassischen Akteuren Staat und Militär definiert (Hauswedell 2006). Schnittstellen beider Diskurslinien gab es zwar nach dem Desaster in Somalia und dem Völkermord in Ruanda, die als Versagen beziehungsweise friedens- und sicherheitspolitische Unterlassungssünden in das kollektive normative Gedächtnis der Völkergemeinschaft eingegangen sind. Aber bereits bei der Luftkriegsintervention der NATO 1999 im Kosovo, die sich auf Menschenrechtssicherung berief, mehr noch bei der Enduring-Freedom-Mission in Afghanistan und vollends angesichts des völkerrechtswidrigen Irak-Feldzuges der USA 2003 liefen diese beiden Linien auseinander. Gestützt auf den Besitz des big stick, hatten die mächtigen Staaten des Westen auf der Linie der ›erweiterten Sicherheit‹ staatliche Souveränitäten erster und zweiter Klasse geschaffen – eine höchst fragwürdige Botschaft angesichts der sehr vielfältigen Ursachen für schwache Staatlichkeit oder schlechte Regierungsführung in vielen Regionen der Welt. Das Verständnis von Souveränität oszillierte plötzlich zwischen erhaltenswert, wenn mit Macht ausgestattet, oder ›defekt‹, weil schwach und deshalb reparaturbedürftig. Sicherheit wurde auf diesem Wege zu einem Gut, für das bestimmte externe Akteure meinten, besser sorgen zu können als die in den Konflikt- oder Krisenprozessen befindlichen gesellschaftlichen oder institutionellen Subjekte. Kollektive Schutzstrategien, die der Ansatz menschlicher Sicherheit anbot, wurden diskutiert, stießen sich aber am Machtpoker der Großen. Die Vereinten Nationen bemühten sich auf ihrem Reformgipfel 2005, dem Dilemma zu entkommen, und schrieben erstmals und unter Berufung auf die Studie »Responsibility to Protect« – kurz R2P (ICISS 2001)1 – Kriterien fest, die im Falle schwerer Menschrechtsverletzungen (Genozid, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit) die Staatengemeinschaft zur zivilen und/oder militärischen Intervention aufrufen. Noch hat sich R2P allerdings international nicht als neue politisch-ethische Maß- gabe, geschweige denn als Völkerrechtsnorm etablieren können, welche die Schutzverantwortung und Friedenspflicht der UN-Charta in Übereinstimmung bringen und die Verhältnismäßigkeit der (Sicherheits-)Mittel neu justieren könnte. Das liegt nicht zuletzt an der mangelnden moralischen Selbstbindung des Westens in der Dekade des Interventionismus. Libyen war 2011 der vorerst letzte – untaugliche – Versuch, gestützt auf R2P militärisch einzugreifen und dabei mehr als den Sturz einer unliebsamen Herrschaft zu bewirken. Die normative Diskursstruktur der ›menschlichen Sicherheit‹ ist mit ihren wenig abgegrenzten Kriterien zur Friedensförderung – so argwöhnten Kritiker – nicht ganz unschuldig an dem Dilemma, dass es hierbei an Trennschärfe zwischen Risiken, Gefahren und Bedrohungen mangelt. Deshalb plädierte der Friedens- und Konfliktforscher Lothar Brock schon 2005 »für einen engen Sicherheitsbegriff, nämlich Sicherheit als Schutz vor rechtloser Gewalt« (2005, 21). Es gehe nicht um das gute Leben an sich, sondern darum, die Menschen soweit wie möglich zu befähigen, Konflikte ohne Gewaltanwendung auszutragen und die dafür relevanten Gebote friedlicher Streitbeilegung und kollektiver Friedenssicherung anzuwenden. Den Sicherheitsbegriff auf den Schutz vor rechtloser Gewalt einzugrenzen, würde aber in der Konsequenz bedeuten, dass die staatlichen Akteure und ihre Streitkräfte ihre Linie der Erweiterung sicherheitspolitischer Kompetenzen der letzten 15 Jahre hinterfragen und gegebenenfalls zurücknehmen müssten. Aus heutiger Perspektive sind hierzu auch die völkerrechtlich nicht gedeckten Waffeneinsätze mit Kampfdrohnen und Cyber-Technik (vgl. Schepers in diesem Heft) zu rechnen. Der terroristische Vormarsch der IS-Truppen im Mittleren Osten, der neben seinem menschenverachtenden Agieren vor allem eine konzertierte Provokation der westlichen Führungsmacht darstellt, hat Platz gegriffen in einer Situation, in der die Interventionseuphorie der letzten beiden Jahrzehnte einer Ernüchterung gewichen war hinsichtlich der Fähigkeit, auf diesem Wege Demokratie zu verbreiten. Die ersten seriösen Bilanzen der in Afghanistan praktizierten militärisch-zivilen Kooperationen zeigen, in welchem Ausmaß der comprehensive approach mit Blick auf Friedensförderung kontraproduktive Resultate gezeitigt hat (vgl. Schetter 2014). Dies alles könnte nun obsolet sein, da ein erneuter – und unter Umständen potenzierter – 9/11-Effekt zu befürchten ist.

Post-9/11: Erweiterung der Sicherheit als Entgrenzung

Nach dem 11. September 2001 drohte eine zentrale, ja fast triviale Erkenntnis der Human-Security-Diskussion der 1990er Jahre verloren zu gehen: nämlich dass die wenigsten globalen Probleme oder Risiken durch militärische Maßnahmen zu bewältigen oder auch nur im Zaum zu halten sind. Der militärisch dominierte Antiterrorkampf verdrängte oder überlagerte zivile Bedrohungen und Risiken, verfälschte die Sicherheitsanalysen und absorbierte in erheblichem Maße potenzielle Ressourcen für zivile Sicherheitsvorsorge. Die Anpassung der auch als Bush-Doktrin bezeichneten National Security Strategy (NSS) vom September 2002 manifestierte am deutlichsten den normativen Wandel. ›Präventivkriege‹ auf fremden Territorien gegen den internationalen Terrorismus wurden für legitim erklärt, ebenso die Entwicklung der dafür notwendigen Rüstungsvorhaben und -strategien. Es fand ein »Paradigmenwechsel« statt, so Ernst-Otto Cezempiel (2003, 166), »von der Sicherheit gewährleistenden kooperativen Rüstungskontrolle hin zur Beherrschung ermöglichenden Fähigkeit, ein gewünschtes Verhalten mit Gewalt zu erzwingen«.Deutlicher als am Begriff Prävention, der im Diskurs um human security als Vorbeugung gegen Gewalt durch Entwicklungsprogramme verstanden wird, lässt sich das Auseinanderlaufen der beiden beschriebenen Sicherheitsdiskurse kaum beschreiben. Die im Dezember 2003 unter Javier Solana verabschiedete European Security Strategy (ESS) war ein – wenn auch widersprüchlicher – Reflex der EU auf die Anforderung aus Washington, sich in der Post-9/11-Welt auch militärisch zu engagieren. Der Versuch, eine Teilnahme am Krieg gegen den Terror mit dem (verblassenden) Zivilmachtanspruch der Europäer zu versöhnen, führte mitten ins Dilemma: Mit der Bedrohungsanalyse der ESS wurden so unterschiedliche Probleme, Risiken oder Gefahren der globalisierten Welt wie Armut, Klimawandel, Ressourcenknappheit und Terrorismus in einer Weise in eins gesetzt, dass die Trennschärfe verloren ging, mit der zwischen zivilen und militärischen Mitteln eines Umgangs mit diesen Problemen zu unterscheiden wäre. Es entstand das auch intellektuell zunächst attraktive, rückblickend jedoch höchst ambivalente Mantra der ›erweiterten Sicherheit‹. In seiner operationalisierten Form als ›vernetzte Sicherheit‹ oder comprehensive approach ging militärisch-zivile Kooperation als Regel in zentrale deutsche außen- und sicherheitspolitische Regierungsdokumente wie das Weißbuch 2006 und die Verteidigungspolitischen Richtlinien ein. Ihr folgten fortan die Planungen für die ›Armee im Einsatz‹ – vor allem in Afghanistan.

Comprehensive Approach...

Alle relevanten internationalen Dokumente der Sicherheitspolitik sprechen im Zusammenhang mit Krisenmanagement inzwischen vom comprehensive approach (CA). Das neue strategische Konzept der NATO, das auf dem Lissabonner Gipfel 2010 angenommen wurde, baut im Sinne einer Rückversicherung beim zivilen Sektor darauf auf.2 In der EU finden sich die jüngsten entsprechenden Festlegungen zum CA in einem Dokument vom Dezember 2013.3 Eine vorsichtig kritische Analyse des CA führte beim Berliner Zentrum für Internationale Friedenseinsätze zu der Erkenntnis, »dass eine Engführung des vernetzten Ansatzes auf Sicherheit alleine nicht zielführend ist. Sicherheit ist ein notwendiges, aber keine hinreichendes Ziel des internationalen Konfliktmanagements« (ZIF 2012). Mit dem sogenannten Krieg gegen den Terror ging eine ›Versicherheitlichung‹ (securitization) der internationalen und innergesellschaftlichen Diskurse einher, in deren Folge das Zivile auf fatale Weise vereinnahmt und Konfliktbearbeitung und Krisenprävention mit nichtmilitärischen Mitteln marginalisiert wurden. Das Auswärtige Amt hat sich im Rahmen der selbst auferlegten »Review 2014« de facto den Auftrag erteilt, seine Vorstellungen von Verantwortung beziehungsweise von der Wahrnehmung deutscher Interessen in der Au- ßenpolitik zu präzisieren. Das wird nicht ohne eine kritische Evaluierung der Konzeption der ›vernetzten Sicherheit‹ und seiner Folgen gehen (Hauswedell 2013, 71ff). Die genannten Dilemmata der ›Schutzverantwortung‹ sind angesichts der terroristischen Provokationen im Mittleren Osten nicht geringer geworden. Aber gerade das Zusammentreffen der sehr unterschiedlichen Krisen(ursachen) des Jahres 2014 verbietet einfache Analogien. Es fordert vielmehr dazu heraus, Sicherheits- und Schutzparadigmen, die auf Verfeindung beruhen beziehungsweise von dieser ausgehen, durch solche zu ersetzen, die letztlich nur im Miteinander der Konfliktparteien entwickelt werden können.

… oder zivile Konfliktbearbeitung?

Dabei sind zentrale Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung und die gewonnenen Erfahrungen ziviler Konfliktbearbeitung (vgl. Schweitzer in LuXemburg-Online) in den Blick zu nehmen: beispielsweise die negativen Dynamiken, die in Gewaltkonflikten ausgelöst werden, wenn es nicht gelingt, die zugrunde liegenden sozialen und politischen Konfliktursachen zu adressieren. Die Ernüchterung, die der Interventionseuphorie der letzten zwei Jahrzehnte hinsichtlich des Aufbaus von Demokratie und Gerechtigkeit folgte, betrifft zuvorderst den Einsatz und die Weiterverbreitung von Waffen als – untaugliche – Gegen-Gewaltmittel. Deshalb gehören neue deutsche Initiativen für die ins Stocken geratenen internationalen Abrüstungsforen, inklusive der Debatte um die Ächtung von Kampfdrohnen, weit nach oben auf die außenpolitische Agenda. Die ›Delegitimierung von Gewalt‹ gilt als ›elementare Norm‹ ziviler Konfliktarbeit. Nur mit dieser Zielvorgabe ist die notwendige Akzeptanz zu schaffen »für die Kommunikation über Interessen, Wahrnehmungen und Bedürfnisse der Konfliktparteien« (Heinemann-Grüder/Bauer 2013, 239). Zivile Konfliktbearbeitung in Deutschland findet aber bis heute konzeptionell und praktisch vorwiegend in einer Art Parallelwelt statt.4 Anders als in der Schweiz oder in Norwegen ist sie als Teil eines außenpolitischen Primats jedenfalls nicht erkennbar. Noch sehen sich auch die Akteure der zivilen Konfliktbearbeitung zu wenig selbstbewusst als Teil einer neuen Außenpolitik, die Formen von public diplomacy sowohl bei den entsendenden Staaten als auch bei den Aushandlungsprozessen innerhalb der Konfliktgesellschaften dringend benötigt. 

Dieser Text basiert in Teilen auf einem Vortrag, gehalten beim wissenschaftlichen Symposium anlässlich des 65. Geburtstages von Prof. Dr. August Pradetto am 2./3. Juni 2014 in Hamburg.